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Veröffentlicht am 01.06.2017

Das Periodensystem des Jenseits

Das Leben nach Boo
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„Wären wir beide schon dort Freunde gewesen, hätte Johnny sich vielleicht nicht die Pulsadern aufgeschnitten, und ich hätte vielleicht nicht Onkel Seymours Revolver gestohlen. Wir hätten uns in Amerika ...

„Wären wir beide schon dort Freunde gewesen, hätte Johnny sich vielleicht nicht die Pulsadern aufgeschnitten, und ich hätte vielleicht nicht Onkel Seymours Revolver gestohlen. Wir hätten uns in Amerika so helfen können, wie wir uns im herrlichen Jenseits halfen.“

Inhalt

Oliver Dalrymple, der wegen seiner Blässe und seines geisterhaften Wesens von allen nur „Boo“ gerufen wird, ist in seiner Schule ein absoluter Außenseiter. Seine Mitschüler hänseln und drangsalieren ihn, wo sie nur können und der Junge mit dem Loch im Herzen, zieht sich immer mehr in sein Schneckenhaus zurück. Hochintelligent aber einsam verbringt er seine Schultage mit wissenschaftlichen Projekten und dem Auswendiglernen des Periodensystems der Elemente. Eines Tages jedoch erwacht er im Himmel der 13-Jährigen Amerikaner und erfährt, dass er dort nun für weitere 50 Jahre sein Alter halten wird, bevor er wirklich stirbt. Als kurz nach seiner Ankunft ein ehemaliger Mitschüler im Himmel aufkreuzt, erfährt er, dass er keines natürlichen Todes gestorben ist, sondern ermordet wurde, von einem Täter, den die beiden Jungen fortan „Gunboy“ nennen. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach ihrem Mörder und hoffen ihn, in ihrem Jenseits anzutreffen. Doch bald schon stellt sich heraus, dass es nur zwei Opfer gab und einer davon war der Mörder. Für Boo jedoch wird es nebensächlich Rache zu üben und Gerechtigkeit zu erlangen. Er möchte einzig die Freundschaft mit Johnny bewahren, eine Kameradschaft, die er sich zu Lebzeiten immer wünschte und nie bekam. Doch sein neuer Freund wird zum „Wiedertod“ verurteilt und kann nicht mehr lange im Himmel bleiben, es sei denn sie finden ein Portal zur Diesseitigen Welt …

Meinung

Auf diesen innovativen, andersartigen Roman war ich sehr gespannt, weil er ausgesprochen gute Kritiken bekommen hat und als ein gelungener Debütroman ins Auge fiel. Die Geschichte selbst klingt auch wirklich toll und interessant, denn der Mix aus Jugendroman und phantastischer Geschichte, die im Jenseits spielt, weckte mein Interesse ungemein. Tatsächlich hat mir der Beginn des Buches auch sehr gut gefallen, weil allein die Idee einer Welt nach unserem Tod, selbst so wie sie der Autor beschreibt einen großen Reiz auf mich hat. Zu schön wäre doch die Vorstellung, dass es so etwas tatsächlich geben könnte …

Trotzdem ist es Neil Smith nicht gelungen, mich so richtig in den Bann der Geschichte zu ziehen. Einige Textstellen haben ungewöhnliche Längen, während andere mir viel zu kurz erschienen. Auch die Suche nach dem potenziellen Mörder konnte mich nicht überzeugen und mich hat die Erzählung teilweise sogar gelangweilt. Der Autor setzt den Fokus ganz zielstrebig auf die persönliche Entwicklung des Hauptprotagonisten, dem es im Jenseits tatsächlich gelingt, sein Leben in den Griff zu bekommen, der endlich all das erreicht, was er sich im Diesseits bereits wünschte. Eine gewisse Trauer schleicht sich aber auch dazwischen. Trauer darüber, die Chancen verpasst zu haben, Trauer darüber sich nicht verabschieden zu können und nun für weitere 50 Jahre in einer Welt zu leben, in der es normalerweise nur begrenztes Entwicklungspotential gibt.

Der Schreibstil ist jugendlich frisch und gut zu lesen, die gewählte Erzählperspektive in der Ich-Form bringt dem Leser einen gewissen Mehrwert, denn so kann man die Empfindungen von Boo besser teilen und seine Ansichten verstehen. Boo wird mit fortschreitender Lektüre zu einem immer liebenswerteren Menschen, den man von Herzen endlich mal etwas Glück und Erfolg wünscht.

Fazit

Ich vergebe 3 Lesesterne für diesen warmherzigen Roman mit sehr alternativer, erfrischender Handlung, der mich zwar nicht ganz begeistern konnte, aber sicherlich eine lesenswerte Geschichte erzählt. Meine Erwartungshaltung war wohl schlicht eine andere, die sich hier nicht ganz erfüllen ließ, weil mir der emotionale Bezug gefehlt hat. Ich habe mich weder köstlich amüsiert, was für eine humorvolle Variante gesprochen hätte, noch konnte ich Tränen vergießen, was ich mir vielleicht sogar gewünscht hätte. Das Buch und ich sprechen wohl einfach nicht die gleiche Sprache. Die Variante, einen Roman im Jenseits spielen zu lassen fand ich trotzdem top und sehr ansprechend – gern würde ich die Thematik weiterverfolgen und auch der Autor wäre noch ein zweites Buch wert.

Veröffentlicht am 09.04.2017

Die Herausforderung eines ungeplanten Familienlebens

Mit jedem Jahr
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„Aber sein eigenes Scheitern erschien ihm allzu nah an dem ihres Vaters. Und alle Beziehungen, an denen er sich je versucht hatte, lagen zerschellt vor seinen Füßen wie die Splitter eines zerbrochenen ...

„Aber sein eigenes Scheitern erschien ihm allzu nah an dem ihres Vaters. Und alle Beziehungen, an denen er sich je versucht hatte, lagen zerschellt vor seinen Füßen wie die Splitter eines zerbrochenen Spiegels.“

Inhalt

Nach dem tragischen Unfalltod seines Bruders und dessen Frau, stellt sich für Jason die elementare Frage, ob er sich seiner 6-jährigen Nichte Harvey annehmen möchte, oder ob sie in eine fremde Pflegefamilie kommen soll. Er entschließt sich, die Verantwortung für das kleine Mädchen zu übernehmen und versucht, zum ersten Mal in seinem Leben, sich der Herausforderung zu stellen, einen bewussten Lebensweg einzuschlagen. Während er bisher zwischen Desinteresse, unbändiger Wut, Alkoholmissbrauch und einer alltäglichen Antihaltung schwankte, konzentriert er sich nun auf die Anforderungen, die ein Kind mit sich bringt. Mit jedem Jahr, welches die beiden gemeinsam verbringen, wächst sein Vertrauen in sich selbst und in die unerschütterliche Liebe seiner Tochter, die zunächst ganz unbefangen und unschuldig mit seinen Charakterschwächen umgeht und der es sogar gelingt, ihren Vater zum Positiven zu beeinflussen.

Meinung

Dies ist bereits mein zweiter Roman des britischen Autors Simon van Booy, der mich mit seinem Roman „Die Illusion des Getrenntseins“ von seinem schriftstellerischen Können überzeugen konnte. Allein deshalb waren meine Erwartungen an die Erzählung über einen Vater wider Willen und seine angenommene Tochter sehr hoch. Ich habe mir eine philosophische, berührende Geschichte versprochen, die zeigt, wie differenziert der Mensch auftreten kann und welcher Lebensweg vorgegeben, welcher selbst gewählt ist. Leider konnte mich „Mit jedem Jahr“ nicht wirklich fesseln und auch nicht gänzlich überzeugen, weil van Booy hier an der Oberfläche kratzt, keine wirklichen Emotionen schürt und seine Protagonisten sehr alltäglich und vorhersehbar agieren lässt.

Die Zutaten für den vorliegenden Roman sind denkbar einfach und doch von immenser Stärke: ein kleines Mädchen, ein Antiheld, der keinen Lebensplan verfolgt und die Dauer von reichlich 10 Jahren, die genau jene Veränderungen bewirkt, die sich der Leser erhofft.

Mit Hilfe diverser Zeitsprünge versucht der Autor, zwei Perspektiven anschaulich zu präsentieren. Einmal eine Zeit, in der Jason, an seine Grenzen gerät, weil er nicht genau weiß, wie er mit einem Kind umgehen soll und dann an die Gegenwart, in der wir einem Treffen zwischen Vater und Tochter folgen dürfen, in dem sich die erwachsene Harvey erinnert und bedankt für all die schönen, unvergleichlichen Momente, die ihr Vater ihr geschenkt hat. Doch die Zeitsprünge erfolgen relativ ungeordnet und unterbrechen sogar den ein oder anderen schönen Erzähltext, so dass man sich als Leser wieder erinnern muss, was eigentlich gerade der Schwerpunkt des Erzählten war.

Darüber hinaus bleiben auch die Protagonisten etwas blass, denn ihre Charaktereigenschaften erschließen sich lediglich aus ihren Handlungen, nicht über Reflexionen ihrer Gedanken. Der Leser erfährt nicht, warum Jason seinen Sinneswandel vollzieht, warum er plötzlich alles für seine angenommene Tochter aufs Spiel setzt. Und obwohl man weiß, dass es sich dabei um Vaterliebe handelt, wird nicht erörtert, wie es sich anfühlt, vom wutgeprägten Rowdy zum treusorgenden Mann zu werden.

Fazit

Ich vergebe 3 Lesesterne für diese Familiengeschichte, die durchaus realistisch und ansprechend gestaltet wurde, allerdings etwas seicht und nur allzu normal wirkt.

Diesem Roman fehlt es an Dingen, über die der Leser nachdenken möchte. Man bekommt vieles bereits präsentiert und kann es annehmen oder ignorieren, wird aber nicht in das Geschehen involviert. Ich empfehle die Lektüre eher für Zwischendurch, für Lesestunden in denen man abschalten und sich entspannen möchte, mit Worten, die an das Gute im Menschen erinnern und an die Kraft des eigenen Willens.

Veröffentlicht am 27.03.2017

Eine Hetzjagd durch die Nacht

AchtNacht
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„Es ist der 8.8., 8 Uhr 08. Sie haben 80 Millionen Feinde. Werden sie die Achtnacht überleben?“

Inhalt

Ben Rühmann steckt in der Klemme, nicht nur sein Rauswurf bei seiner Band, setzt ihm zu, nicht nur ...

„Es ist der 8.8., 8 Uhr 08. Sie haben 80 Millionen Feinde. Werden sie die Achtnacht überleben?“

Inhalt

Ben Rühmann steckt in der Klemme, nicht nur sein Rauswurf bei seiner Band, setzt ihm zu, nicht nur die Tatsache, dass seine Tochter durch sein Verschulden lebenslang an den Rollstuhl gefesselt sein wird und seine Ex-Frau mittlerweile einen neuen Partner hat, nein, er sieht sein Porträt riesengroß auf einem Bildschirm und erkennt, dass er tatsächlich in Lebensgefahr schwebt. Als einer der beiden Nominierten für die verheißungsvolle „Achtnacht“, wird er für die Dauer von 12 Stunden vogelfrei sein und seine Jäger bekommen sogar noch eine Prämie, sobald sie ihn erwischen. Nun steht er im Fokus der Berichterstattung und rennt um sein Leben. Als sich die Zweitnominierte Arezu, mit ihm in Verbindung setzt, um gemeinsam die grauenvollen Stunden zu überstehen, keimt ein wenig Hoffnung auf, bis Ben erkennt, dass die junge, magersüchtige Frau viel mehr weiß, als sie zunächst zugibt. Und was noch viel schlimmer ist, sie kennt den Erfinder der „Achtnacht“ höchstpersönlich und kann das Spektakel dennoch nicht beenden …

Meinung

Sebastian Fitzek hat in seinem neuesten Thriller wieder sehr bekannte Aspekte seiner Spannungsliteratur aktiviert. In gewohnt hohem Tempo und mit Cliff-Hängern am Ende jedes kurzen Kapitels zieht er den Leser in den Bann der Geschichte. Auch die hier gewählte Inspiration, einer speziellen Nacht, die eine Deadline besitzt und tödlich enden könnte, gefällt mir durchaus. Womit der Grundstein für einen ansprechenden Thriller gelegt ist, dennoch bleibt die Erzählung hinter meiner Erwartungshaltung zurück.

Als Leser fühlt man sich schon bald wie der Protagonist selbst, getrieben durch eine Nacht, ohne Pause, ohne Entkommen nur unter Hochspannung. Leider türmen sich zunächst die Probleme, welche im Verlauf der Handlung immer konfuser und unzusammenhängender werden. Letztlich fehlt es an Glaubwürdigkeit, die zu Gunsten der Action immer mehr in den Hintergrund tritt. Stellenweise lässt Fitzek seinen Protagonisten Ben die haarsträubendsten Dinge tun und agiert mit einigen ominösen Nebenspielern, die im Gesamtkontext nur eine untergeordnete, wenn auch verwirrende Rolle spielen. Besonders gefehlt hat mir hier die psychologische Raffinesse, die bereits im ersten Drittel des Buches verloren ging und selbst mit der Auflösung nicht ins Spiel kam.

Fazit

Ich vergebe 3 Lesesterne für einen gängigen Thriller mit hohem Action-Potential, der sich gut lesen lässt, dem es aber an Substanz fehlt und letztlich auch an Glaubwürdigkeit. Für mich nur ein durchschnittlicher Roman des Autors, der es ursprünglich viel besser vermochte, mich für seine Texte zu begeistern. Mittlerweile finde ich den Hype und die hohe Erscheinungsfrequenz seiner Bücher nicht mehr optimal, zu wenig Tiefgang und Identifikationspotential sind die Folge.

Veröffentlicht am 13.03.2017

Vom Ende der Monogamie

Wie wir lieben
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„Die Liebe bleibt uns allen ein Labyrinth, dessen Ausgang jeder für sich finden muss. Sie bleibt also ein Abenteuer diese Reise. Aber nicht nur. Denn wie jede gute Reise, wie jedes große Abenteuer führt ...

„Die Liebe bleibt uns allen ein Labyrinth, dessen Ausgang jeder für sich finden muss. Sie bleibt also ein Abenteuer diese Reise. Aber nicht nur. Denn wie jede gute Reise, wie jedes große Abenteuer führt sie dorthin, wo wir uns am wohlsten fühlen.“

Inhalt

Friedemann Karig hat sie getroffen, die Paare, die anders leben, als es das gängige Modell vorsieht, die sich in ihrer Liebe, in ihren partnerschaftlichen Beziehungen sehr stark vom Mainstream abheben. Ihr Modell ist keine strikte Vorgabe, auch kein funktionierendes Patentrezept sondern schlicht und einfach das, was sie möchten, was sie mit ihrem Liebsten teilen möchten und nicht nur mit dem, sondern auch noch mit Anderen. Menschen, die polygam leben und damit glücklich sind, wenn da nicht die ständige Ablehnung, das Unverständnis von außen und die daraus resultierenden leisen Zweifel wären. Der Autor setzt sich mit vielen Facetten der körperlichen Liebe auseinander aber auch mit den Themen Treue, Eifersucht und Emotionalität sowie dem Wunsch nach persönlicher Freiheit.

Meinung

Dieses Sachbuch folgt einem ganz klaren Schema: zunächst das Thema, dann die These und schließlich das Fallbeispiel. Dadurch entsteht ein fundiertes, abwechslungsreiches Buch, dessen Inhalt man zielgerichtet folgen kann und welches gleichermaßen als „Aufklärungsbuch“ zu verstehen ist. Tatsächlich kann man hier etwas lernen, über das Lieben, die Lebensmodelle, die Entscheidungen und ist geneigt, dem geschriebenen Wort eine gewisse Bedeutung beizumessen. Mir persönlich haben gerade die Fallbeispiele Karigs sehr gut gefallen, weil dort Menschen zu Wort kommen, die mit ganz normalen Vorurteilen kämpfen, die lebensecht rüberkommen, weil sie Zweifel plagen, die aber auch zu 100% von ihrer Entscheidung überzeugt sind, selbst wenn sie nicht die Ewigkeit für sich beanspruchen.

Etwas ungeeigneter betrachte ich die Auseinandersetzung des Autors mit dem Thema an sich (also seine Thesen in den Sachtexten). Dort argumentiert er sehr entschlossen und oft in Anlehnung an andere Sachbuchautoren, so dass bitte auch der überzeugte Vertreter der Liebe zu nur einem Menschen darüber nachdenken mag, warum er nicht sein naturgegebenes Verhalten (also mehrere Geschlechtspartner) als das „richtige“ erkennt. Zwar rudert er immer wieder zurück, relativiert seine Aussagen, doch der Tenor bleibt: Freie Liebe, zu jedem Menschen, parallel und nebeneinander ist nichts Neues aber auch nichts Ungewöhnliches – wer das nicht kennt, findet sich in diesem Buch nicht wieder. Das der Autor eine Lobby für Menschen schaffen möchte, die sich immer noch ausgegrenzt fühlen und deren Belange in der Gesellschaft auf Ablehnung stoßen, finde ich lobenswert. Das ist ihm mit diesem Buch vielleicht sogar gelungen, doch um Freiheit in der Liebe zu erlangen, sollte sich jeder fragen, wieviel Offenheit eine partnerschaftliche Beziehung wirklich braucht und das ist eine individuelle Sicht, die in erster Linie auf Erfahrungswerten beruht.

Fazit

Ich vergebe gute 3 Lesesterne (3,5) für dieses informative, unkonventionelle Sachbuch rund um das Thema Liebe, Sex und persönlichen Lebenstraum. Gerade für Betroffene ist es eine befreiende Lektüre, weil sie Gehör finden, einfach weil ihnen der Autor seine Zeit und Aufmerksamkeit schenkt. Wer eher ein klassisches Lebens- und Liebesmodell lebt, fühlt sich wohl etwas ausgegrenzt, doch dieser literarische Aspekt ist durchaus gewollt und zeigt nur, wie bunt, wie schön und wie erfüllt die Liebe sein kann, wenn man sie nur lässt …

Veröffentlicht am 09.02.2017

Von Zufällen, Schicksalsschlägen und der Bürde der Einzigartigkeit

Dinge, die vom Himmel fallen
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„Manchmal passiert etwas – nur ein einziges Mal -, aber man muss den Rest seines Lebens über das Warum nachdenken. Manchmal passiert nichts, und man denkt den Rest seines Lebens darüber nach, warum es ...

„Manchmal passiert etwas – nur ein einziges Mal -, aber man muss den Rest seines Lebens über das Warum nachdenken. Manchmal passiert nichts, und man denkt den Rest seines Lebens darüber nach, warum es nicht passiert ist.“
Als ein Eisbrocken so plötzlich und sinnfrei aus dem Himmel fällt und direkt den Kopf einer Frau zertrümmert, die nichts weiter wollte, als eine Erdbeerpyramide im Garten zu errichten, bricht das Leben ihrer Tochter Saara und das ihres Mannes genauso abrupt auseinander, wie es der kosmische Schicksalsschlag erzwungen hat. Fortan müssen sich Vater und Tochter mit der Frage nach dem Sinn oder der Sinnlosigkeit des Lebens beschäftigen und gleichzeitig ihr Familienleben aufrechterhalten. Unterstützung bekommen sie zunächst von Saaras Tante, die ihren jüngeren Bruder aus seiner Lethargie reißt und versucht, für das Mädchen da zu sein. Doch als sie zum zweiten Mal in der staatlichen Lotterie mehrere Millionen gewinnt, bricht auch ihr Glaube und Gewissen zusammen. Wie oft, kann man das Schicksal herausfordern und wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass man es zweimal nicht überlisten kann? Die Familie geht einen einsamen Weg, ohne Gewissheiten, ohne Zuversicht und letztlich ohne eine Antwort auf ihre brennendsten Fragen …
Im Rahmen der diesjährigen Romane Challenge bin ich auf diesen Roman aufmerksam geworden, der durch ein schlichtes, frühlingsfrisches Cover und eine scheinbar ungewöhnliche, abwechslungsreiche Geschichte mein Interesse wecken konnte. Von der finnischen Autorin, die bereits im Jahr 2014 ihren Debütroman („Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm“) veröffentlichte, habe ich bisher noch nichts gehört und wollte mich einfach überraschen lassen.
Selja Ahava entwirft hier eine recht eigensinnige, doch spezielle Geschichte, die sich in erster Linie mit der Sinnhaftigkeit des Lebens und den Launen des Schicksals auseinandersetzt. Anhand einer überschaubaren Personenanzahl, ja einer Kleinfamilie und deren Erlebnissen konstruiert sie eine teils skurrile, mächtig erschreckende Erzählung über ein Kind, den Tod, das Leben, den Glauben und die Natur. So wirkt der erste Abschnitt äußerst sympathisch, auch wenn das Thema ein trauriges ist, doch im Verlauf des Romans wechselt nicht nur die Erzählperspektive aus Kindersicht in die eines Erwachsenen, sondern auch der injizierte Unterton, der sich von enttäuscht zu depressiv bis hin zu einsam und verlassen entwickelt. Die Sprache ist sehr schön, unaufgeregt und nachdenklich stimmend, sie lässt Raum für wundervolle Beschreibungen von Gegenständen und Alltagserlebnissen. Doch leider vermag sie es nicht, Emotionen zu wecken. Fast schien es so, als würden die handelnden Personen in ihrem selbstauferlegten Empfinden, nur Trauer, Unverständnis füreinander und eine unterschwellige Wut auf ein übergeordnetes System erspüren. Der Dialog bleibt auf der Strecke, ebenso die Hoffnung und die Chance auf Veränderung.
Allerdings scheint mir dieser Verlauf durchaus beabsichtigt, denn in sich ist die Erzählung trotz ihrer Sperrigkeit sehr gut nachvollziehbar. Besonders störend empfand ich die vollkommen willkürliche Erzählweise, die große Zeitsprünge macht, die Randfiguren in den Mittelpunkt stellt und der es an einer gewissen Chronologie fehlt.
Fazit: Leider kann ich nur 3 Lesesterne vergeben, weil mir dieser Roman trotz einer schönen, unaufgeregten Wirkung immer fremder wurde. Die gewählten Denkansätze blieben im Keim stecken und alles Leid dieser Welt findet sich auf den Schultern der Protagonisten wieder. Wachstum, Entwicklung und die Möglichkeit, dem unfreiwilligen Schicksal die Stirn zu bieten, blieben dem Leser hier verwehrt. Selten unbestimmt und offen findet die Geschichte ein Ende und hinterlässt eine merkwürdige Leere. Mir fehlte es hier an Mut, an Vertrauen und an Sonne in einem Leben, welches man als Mensch nicht lenken aber ausfüllen kann.