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Veröffentlicht am 28.11.2021

Der weiße Tod und seine späten Opfer

FROST
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„Unterm Strich passte es ihr auch ganz gut, dass sich die Aufmerksamkeit auf den armen Mann richtete. Niemand wollte bei Mordermittlungen im Rampenlicht stehen.“

Inhalt

Helgi Reykdal arbeitet noch an ...

„Unterm Strich passte es ihr auch ganz gut, dass sich die Aufmerksamkeit auf den armen Mann richtete. Niemand wollte bei Mordermittlungen im Rampenlicht stehen.“

Inhalt

Helgi Reykdal arbeitet noch an seiner Arbeit über einen Cold-Case am alten Tuberkulose Sanatorium, bevor er als Nachfolger von Hulda in den Polizeidienst der isländischen Behörden einsteigen wird. Aus purem Interesse und einer unterschwelligen Intuition befragt er in seiner Freizeit die ehemaligen Arbeitskräfte der Heilanstalt, an was sie sich noch erinnern und ob die Ermittlungen vor fast 30 Jahren ordentlich zum Abschluss gebracht wurden.

Die Befragten sind mittlerweile alle entsprechend betagt und erinnern sich dennoch sehr genau an die mörderischen Ereignisse. Eine junge Schwester namens Tinna, hatte 1983 beide Mordopfer gefunden und lebt mittlerweile zurückgezogen mit ihrem Mann, dem ehemaligen Ermittlungsleiter zusammen in der Großstadt. Helgi wird stutzig, weil sich das Ehepaar jede Kontaktaufnahme mit ihm verbittet – und der Fall damals mit Mord und anschließendem Selbstmord zu den Akten gelegt wurde, möglicherweise verbirgt sich hinter der Mauer des Schweigens doch eine brauchbare Information für die Aufklärung des Verbrechens …

Meinung

Nachdem ich zu Beginn des Jahres kurz hintereinander die Fälle der Hulda-Hermannsdóttir-Trilogie des isländischen Autors Ragnar Jónasson kennengelernt habe, war ich natürlich sehr gespannt, auf seinen neuen Thriller, der sowohl optisch als auch inhaltlich angenehme Erinnerungen an bereits Gelesenes weckt.

Zunächst einmal bin ich großer Fan von Mordermittlungen, die sich auf Grund eines Cold-Cases ergeben, gerade weil dort neue Spuren in der Gegenwart zu alten Verbrechen führen und Dinge ans Tageslicht kommen, die man schon längst nicht mehr vermutet hätte. Auch der Schauplatz des Geschehens in einem alten Sanatorium, welches selbst eine dunkle Vergangenheit hat, konnte mich überzeugen und sofort fesseln.

Für einen Thriller ist mir dieses Buch etwas zu blutarm, dafür empfinde ich es als gelungenen Spannungsroman, der zwar keinerlei mystische Elemente aufweist aber sehr verlassene Schauplätze, seltsame, rätselhafte Zusammenhänge und Menschen, die alle irgendetwas zu verbergen scheinen. Es entsteht beim Lesen eine ganz eigene Szenerie mit zahlreichen Nebeninformationen und Begebenheiten, deren Verbindung man immer knapp unter der Oberfläche vermutet. Dadurch konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen und hoffe stark auf weitere Fälle des neuen Ermittlers, die nicht so lange auf sich warten lassen.

Einzig das schwierige Privatleben von Helgi und seiner Frau war ein für mich unrelevanter Handlungsstrang, auf den ich hätte verzichten können, wobei er möglicherweise der Ausgangspunkt für den Verlauf der Reihe sein wird, und damit spätere Berechtigung erfährt, da lasse ich mich gern überraschen.

Fazit

Ein sehr kurzweiliger, dunkler Spannungsroman mit einem engagierten, konsequenten Ermittler, der nicht nur Fan von alten Kriminalromanen ist, sondern zielgerichtet seinen Dienst bei der Polizei antritt. Die nordisch-kühle Atmosphäre und das ungelöste Rätsel der Vergangenheit konnten mich auf ganzer Linie überzeugen. Empfehlenswert für alle, die es eher unblutig mögen und dafür Wert auf die Motivation des Täters legen.

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Veröffentlicht am 05.11.2021

In meinem Leben, wie es hätte sein sollen

Kleine Paläste
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„Susanne sah ihn nicht mehr an, sprach kein Wort mehr mit ihm. Die halbe Stunde blieb ihm ein Rätsel. Ein ganzer Mensch schien darin verschwunden zu sein, eine Zeitspalte, in die Susanne durch seine Schuld ...

„Susanne sah ihn nicht mehr an, sprach kein Wort mehr mit ihm. Die halbe Stunde blieb ihm ein Rätsel. Ein ganzer Mensch schien darin verschwunden zu sein, eine Zeitspalte, in die Susanne durch seine Schuld gestürzt war, durch irgendetwas, was er getan oder nicht getan hatte.“

Inhalt

Susanne Dreyer hat geduldig gewartet, bis in ihrem Nachbarhaus endlich jener Zustand eintritt, bei dem sie in Erscheinung treten kann, nachdem sie im Sommer 1986 der Familie von außen gesehen den Rücken gekehrt hat, während sie innerlich nie Abstand nehmen konnte. Jetzt ist Sylvia Holtz, ihre Nachbarin, die Frau von Carl gestorben und deren einziger Sohn Hanno kehrt zurück, um sich um den im Rollstuhl sitzenden Vater, der mittlerweile an Demenz leidet zu kümmern. Und Susanne ist da, wie all die Jahre zuvor, als ihr Leben an einem Sommerabend eine alles verändernde Wendung genommen hat, die sie bis heute dazu veranlasst, die Familie Holtz durchs Fenster heimlich zu beobachten. Aber Hanno ist einfach nur froh, dass Susanne ihm nun ihre Hilfe anbietet, nicht ahnend, dass sie eine ganz persönliche Rechnung begleichen möchte …

Meinung

Von diesem Buch bin ich tatsächlich schwer begeistert, nicht nur wegen der Story an sich, die so ganz alltäglich und nebensächlich wirkt, aber bereits auf den ersten Seiten eine immense Dichte und Intensität erreicht. Eigentlich überzeugt mich hier das Gesamtpaket, angefangen bei einem leichten, prägnanten Schreibstil, der mehr beobachtend und distanziert wirkt und dennoch jedwede Gefühlsregung vermitteln kann, über die sich langsam entfaltende Geschichte mit ihren deutlichen Prämissen und klaren Strukturen, bis hin zu einer höchst feinfühligen Persepektivenvielfalt, die selbst Stimmen aus dem Jenseits aktiviert. Äußerst selten kann mich ein Buch so dermaßen in seinen Bann ziehen, dass ich es immer weiterlesen möchte, insbesondere wenn es sich um eine Erzählung der Gegenwartsliteratur handelt, die eine so greifbare, realistische Handlung vorzuweisen hat, die rein theoretisch genau so hätte stattfinden können.

In Erinnerung bleibt nicht nur die Anfangsszene, in der ein Hund zum Mörder wird, sondern auch die schleichende Beklemmung, die sich mit jeder Seite weiter manifestiert und so genau nicht in Worte zu fassen ist. Die Thematiken des Buches sind tatsächlich sehr umfassend, fast schon willkürlich gewählt und folgen keinem bestimmten Ablauf, so dass die Spannung irgendwo zwischen den Zeilen feststeckt und man gezwungen ist, dort weiterzustochern, wo man die Leichen im Keller vermutet. Sehr hilfreich sind in diesem Zusammenhang die Stimmen aus der Vergangenheit, die immer wieder kleine Episoden in ein anderes Licht tauchen und die Zusammenhänge umso deutlicher hervorheben.

Fazit

Für mich ein absolutes Jahreshighlight, dem ich begeisterte 5 Lesesterne gebe. So genau kann ich meine Faszination gar nicht beschreiben, denn allein die literarische Umsetzung und der Schreibstil sind zwar top aber durchaus nicht so ungewöhnlich.

Auch die Handlung hat keinen wahnsinnigen Reiz, verliert sie sich doch zwischen zwei Einfamilienhäusern, deren Bewohnern und einer langen, langen Zeit.

Und dennoch ist es der rote Faden, dem ich hier nur zu gern um jede Ecke gefolgt bin, mit genau der richtigen Distanz zwischen den Protagonisten und dem Leser, mit dem Zeigefinger auf der Wunde, die immer noch schmerzt, bis zum bitteren Ende. Ein Roman der bei mir sehr lange nachhallt und dem ich viele Leser wünsche, denen es nicht vordergründig um eine spektakuläre Story geht, sondern um die leisen Zwischentöne, bei denen die Melodie aus Vergangenheit, Gegenwart, Schuld und Vergebung zu einem Ohrwurm wird.

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Veröffentlicht am 21.09.2021

Claras unbekannte Vergangenheit

Tiefer Fjord
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„Ich dachte, ich bekäme genügend Zeit, etwas zu bewirken, aber jetzt könnte es vorbei sein, nachdem es noch gar nicht richtig angefangen hat.“

Kurzrezension

Die Pressestimmen, die der Auftakt aus der ...

„Ich dachte, ich bekäme genügend Zeit, etwas zu bewirken, aber jetzt könnte es vorbei sein, nachdem es noch gar nicht richtig angefangen hat.“

Kurzrezension

Die Pressestimmen, die der Auftakt aus der Trilogie um Clara Lofthus ausgelöst hat, führen diesmal nicht in die Irre sondern beschreiben ganz gut die Wirkung, die dieser Spannungsroman auch bei mir ausgelöst hat. Maja Lunde empfiehlt einen erfrischend anderen Thriller, der eine fesselnde Geschichte kunstvoll erzählt. Und genau dieses Resümee ziehe ich ebenfalls aus der Lektüre.

Wer einen nervenaufreibenden Thriller mit viel Blut und perfiden Mördern sucht, ist hier leider an der falschen Adresse, denn sowohl die norwegische Kulisse, die Einsamkeit, Stille und Entschleunigung vermittelt als auch die unaufgeregte Erzählweise tragen dazu bei, dass dieses Buch viel mehr auf der psychologischen Ebene punkten kann als mit reinem Actionpotential. Selbst die reine Handlungsebene erscheint eher unspektakulär, denn beim Ehepaar Haavard und Clara hat sich die große Liebe längst verflüchtigt. Zwar halten die beiden gemeinsamen Söhne das Familienleben aufrecht, doch prinzipiell geht jeder seinen Weg, nicht zuletzt gelingt ihnen die Distanz deshalb so problemlos, weil beide Partner schon fast mit ihrer Arbeit verheiratet sind. Haavard ist Arzt und Clara eine sehr engagierte Politikerin, die gerade die Chance ihres Lebens erhält, auf der Karriereleiter noch weiter nach oben zu klettern.

Das besondere Augenmerk der Erzählung liegt in Claras Vergangenheit verborgen, die zwar längst nicht so außergewöhnlich ist, wie erwartet aber durch die geschickt eingefädelte Erzählperspektive umso nachhaltiger wirkt. Der Leser bekommt nämlich in eher kurzen Kapiteln aus der jeweiligen Innensicht die Überlegungen von Haavard und Clara geboten, ergänzt durch weitere Nebenprotagonisten, die die ein oder andere Lücke füllen und die beiden Hauptakteure nochmals in ein anderes Licht tauchen. Deshalb erreicht dieser Thriller schon nach wenigen Seiten eine enorme psychologische Komponente, die weit über die tatsächlichen Verfehlungen hinausgeht und unterschwellig viel mehr vermittelt.

Auch die Thematik der Kindesmisshandlung, die eher den Hintergrund bildet als die Kernaussage, bleibt angenehm offen und geht nie zu sehr ins Detail, so dass auch zart besaitete Leser gut damit klarkommen werden. Der für mich am besten gelöste Aspekt, dieser intensiven Geschichte, der auch besonders lange im Gedächtnis bleiben wird, ist die höchst interessante Betrachtung des Opfer-Täter-Gefälles. Denn im Gegensatz zu den meisten Thrillern, schlüpft hier jede Figur in jede Rolle und füllt sie noch dazu aus, ohne tatsächlich Spuren zu hinterlassen. Demnach spielen auch das Ermittlungsteam und die tatsächliche Aufklärung der Morde eine untergeordnete Rolle, die auf Grund der fesselnden Betrachtung auch gar nicht vermisst wird.

Fazit

Hier vergebe ich gerne 5 Lesesterne und eine uneingeschränkte Leseempfehlung, sofern man sich gern mit Motiven und Gedanken der unblutigen Kategorie beschäftigt. Ich freue mich schon sehr auf die Fortsetzung und verspreche mir dort eine klare Entwicklung, die sich hier zwar schon abzeichnet, aber noch in alle Richtungen offenbleibt, zumal die Hauptakteurin des Buches nun am Ziel ihrer Träume angelangt zu sein scheint, fraglich nur, welchen Preis sie dafür bezahlen muss. Eines der Bücher, die ich ohne besondere Erwartungshaltung begonnen habe und mit einem richtig guten Gefühl zuklappen kann.

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Veröffentlicht am 06.08.2021

Ein Freund, der dich zu deiner Bestimmung führt

Junge mit schwarzem Hahn
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„Und in Martin schwingt wie ein Lied die ganze Erlösung. Sie haben vom Leid getrunken und vom Hunger gegessen. Aus Kälte haben sie ihr Lager gestellt, mit Tränen haben sie einander zugedeckt und Schreie ...

„Und in Martin schwingt wie ein Lied die ganze Erlösung. Sie haben vom Leid getrunken und vom Hunger gegessen. Aus Kälte haben sie ihr Lager gestellt, mit Tränen haben sie einander zugedeckt und Schreie waren ihre Abendlieder. Aber jetzt träumen sie, als wäre es ein Leben.“

Inhalt

Martin lebt nicht nur ganz allein in einer düsteren, vom Aberglauben durchwirkten Zeit, in der jede Menschenseele dazu verdammt ist, ein Leben voller Entbehrungen zu führen, sondern gleichermaßen an einem Ort, der ihm weder Heimat ist noch Trost spendet. Nachdem sein Vater die gesamte Familie im Wahn ermordete, schlägt sich Martin, der einzige Überlebende des Massakers, alleine durch. Immer an seiner Seite ein altersloser schwarzer Hahn, der ihm entweder auf der Schulter sitzt oder unter seinem Hemd steckt. Die Dorfbewohner schreiben dem Jungen mit seinem Federvieh allerlei Unheil zu, dichten ihm ein Bündnis mit dem Teufel an und meiden ihn so gut es geht. Besonders erschreckend ist für sie die Tatsache, dass Martin wesentlich schlauer ist, als sie selbst und darüber hinaus über eine unbesiegbare Güte zu verfügen scheint, ganz egal, wie viel ihm zustößt. Der 11-Jährige nutzt die Gunst der Stunde und schließt sich einem Maler an, der gerade das Altarbild in der Kirche vollendet hat, um endlich seiner trostlosen Umgebung zu entkommen. Doch bald muss er feststellen, dass die große weite Welt ebenso viele Schrecken und bösartige Menschen bereithält, wie jene, denen er zu entkommen versuchte. Ihm wird klar, dass er sein Schicksal selbst in die Hand nehmen muss und setzt sich für die Träume und Hoffnungen anderer ein, ebenso wie für das Gute im Leben …

Meinung

Der Klappentext verspricht ein außergewöhnliches Debüt der deutschen Autorin Stefanie vor Schulte, welches ein literarischer Geniestreich zu sein scheint. Und tatsächlich liegt die Handlung dieses kleinen Buches weitab von meiner literarischen Komfortzone, gerade weil nichts wirklich Greifbares darin zu finden ist und die Erzählung eher ein Mix aus Fabel, Märchen und historischem Szenario ist.

Und dennoch bin ich gerade deshalb sehr begeistert von der erdachten Geschichte um einen Jungen, fernab unserer Zeit, gefangen in gleich mehreren Notlagen und trotzdem voller Tatendrang und Mut.

Wer märchenhafte Erzählungen mit einer Portion Mystik und düsterer Stimmung mag, ist hier genau richtig, denn diese Facetten spiegeln sich auf jeder Seite des Buches wider. Der Leser taucht in eine längst vergangene dunkle Epoche ein, in der Armut, Grausamkeit und Krieg an der Tagesordnung waren. Trotzdem bleibt die Story universell, denn dieser Ort könnte überall sein und die rachsüchtigen Menschen von damals, sehen heute vielleicht nur schöner aus und verbergen ihren schlechten Charakter hinter einer entsprechenden Fassade.

Sprachlich überzeugt der Text einerseits durch eine fast profane, im Präsens geschriebene Handlung, der man mühelos folgen kann und andererseits vermag die Autorin mittels sprachlicher Bilder, weit umfassendere Dinge zu schildern, die man erst nach und nach wahrnimmt. Gerade die Figur des Hahns, scheint gleichermaßen für den besten Freund zu stehen und dann wieder für die Gefahr, die andere darin sehen. Die Thematik der Vorurteile und des Schubladendenkens wird hier sehr subtil aufgegriffen und durchaus intensiv beleuchtet. Auch die Frage danach, ob man sich immer absolute Ehrlichkeit wünscht, die mit bitteren Wahrheiten verbunden ist oder lieber den Schein wahrt, schwingt immer wieder durch die vordergründige Handlung. Kurzum, die Story bietet trotz ihrer geringen Seitenzahl genügend Stoff für Diskussionen und regt zum Nachdenken an.

Fazit

Ich bin sehr positiv überrascht und vergebe gerne 5 Lesesterne für einen unterhaltsam-düsteren Roman mit zahlreichen Ansätzen, einer in sich runden Geschichte und möglichem Interpretationsspielraum.

So etwas fasziniert mich immer wieder, selbst wenn ich ansonsten zu den Liebhabern realistischer Romane zähle. Die psychologische Komponente kommt hier trotz der gewählten Hintergründe und einer ungenauen Orts- und Zeitangabe nicht zu kurz.

Ganz im Gegenteil, die Balance zwischen Glauben und Aberglauben, zwischen dem Guten und dem Bösen, zwischen Mächtigen und Abhängigen wird immer wieder verdeutlicht und macht für mich den eigentlichen Wert dieses Romans aus: Welcher Bestimmung soll der Einzelne folgen? Welchen Stellenwert bekommen dabei seine Freunde und Feinde? Und gibt es ihn tatsächlich, den vorgeschriebenen Lebensweg, dessen Möglichkeiten alle längst vorgezeichnet sind? Eine sehr interessante Frage für jegliche Literatur.

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Veröffentlicht am 08.06.2021

Unerlaubt, illegal, unmoralisch

Die rote Frau
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„Die Reichen und Mächtigen haben es sich schon immer richten können. Das war bereits in der Monarchie so und wird in der Republik auch nicht anders werden. Von wegen schöne neue Welt.“

Inhalt

Trotz der ...

„Die Reichen und Mächtigen haben es sich schon immer richten können. Das war bereits in der Monarchie so und wird in der Republik auch nicht anders werden. Von wegen schöne neue Welt.“

Inhalt

Trotz der Tatsache das es Rayonsinspektor August Emmerich nun in die Abteilung „Leib und Leben“ geschafft hat und eigentlich mit Mordfällen betraut werden müsste, hält man ihn an der kurzen Leine, denn seine zielgerichtete, ungewöhnliche Vorgehensweise ist so manchem Kollegen ein Dorn im Auge. Aus diesem Grund sieht er sich eher mit Lappalien konfrontiert, die er abarbeiten muss, um seinen erkämpften Posten zu erhalten.

Andererseits ermittelt die gesamte Abteilung an einem heiklen Mordfall, bei dem ein Gönner der Armen kaltblütig ermordet wurde. Als nun vorzeitig ein armer Obdachloser als Täter dingfest gemacht wurde, den Emmerich aus der Armenunterkunft persönlich kennt, gibt es für den Inspektor nur einen Weg: der Verurteilte ist unschuldig. Allerdings werden die Hebel, die zu dessen Freilassung notwendig wären, einfach nicht bedient. Ungeachtet der Etikette und des Dienstweges, macht sich Emmerich zusammen mit seinem Kollegen Winter auf die Suche nach dem wahren Mörder und sticht damit direkt in ein Nest aus Korruption und dunklen Machenschaften, bei dem die Reichen und Mächtigen der jungen Republik ihre Schäfchen schnell ins Trockene bringen möchten …

Meinung

Dies ist der zweite Band aus der Reihe um Inspektor August Emmerich, der es im Wien des Jahres 1920 abermals mit einem heimtückischen Verbrechen zu tun bekommt. Nachdem ist bereits nach der Lektüre des ersten Bandes absolut begeistert war, wollte ich nun unbedingt die Fortsetzung lesen und abermals freut sich mein Leserherz, ob der spannenden, unterhaltsamen Krimilektüre, die den Zeitgeist gekonnt einfängt und einen sympathischen, wenn auch äußerst sperrigen Hauptprotagonisten auf die Verbrecherwelt loslässt. Für mich ist klar, diese Reihe lese ich ambitioniert weiter, die Folgebände sind schon bestellt.

Tatsächlich gibt es zwei wesentliche Punkte, die mich hier überzeugen: zum einen ist es die Einbettung der Handlung in ein von Hunger, Armut und Korruption geprägtes Großstadtleben, welches ein stimmiges, wenn auch trauriges Hintergrundszenario bietet. Angefangen bei den Kriegsversehrten, hin zu Glücksspiel und Prostitution, über die katastrophalen Wohn- und Lebensumstände der einfachen Bevölkerung bis hin zu den Sympathisanten der Monarchie, die den verlorenen Krieg als eine Schmach empfinden und schon jetzt zu den Wegbereitern der kommenden Jahrzehnte werden. Dieser historische Aspekt ist absolut gelungen und zieht sich wie der rote Faden durch die eigentliche Kriminalhandlung.

Der zweite ausschlaggebende Punkt ist das Ermittlerduo Emmerich/Winter, die so gar nicht zu den anderen Aktenträgern passen und trotz ihrer vielen Unterschiede ein vortreffliches Team abgeben: während der junge Ferdinand, etwas naiv und sehr unbeleckt daherkommt, aber das Herz am rechten Fleck hat, agiert der ältere Emmerich absolut nach seinem Bauchgefühl und folgt seiner oftmals halsbrecherischen, dem Gesetz nur unzureichend verpflichteten Lebenseinstellung. Doch genau diese Zusammenarbeit scheint es zu brauchen, um die wirklich kniffligen Fälle zu lösen. Und so gelingt es den beiden, sich trotz aller Widerstände einen Namen zu machen, denn wer Erfolge vorweisen kann, rückt in der Hierarchie des Polizeiapparates nach oben.

Fazit

Auch Band 2 der Reihe ist mir wieder die volle Punktzahl wert und ich lese gleich weiter mit „Der dunkle Bote“. Vielleicht erfährt man nun noch etwas mehr vom aus dem Ruder gelaufenen Privatleben des Inspektors, der seine Geliebte an ihren zurückgekehrten Mann verloren hat und darunter ebenso leidet, wie unter der Tatsache, dass die Gerechtigkeit nicht siegen könnte. Von mir gibt es eine Leseempfehlung für alle, die einen spannenden Mix aus Krimi, Gesellschaftsstudie und Unterhaltungsliteratur mögen.

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