Platzhalter für Profilbild

jules_jude

Lesejury Profi
offline

jules_jude ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit jules_jude über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.11.2023

Endstation Wahrheit - Ausdrucksstark erzählt

Endstation Malma
0

"Wann verliert man sein Kind?" - Das ist eine der Fragen, die sich wie ein roter Faden durch den fesselnd geschriebenen neuen Roman "Endstation Malma" von Alex Schulman zieht.

Der wunderbar erzählte Roman ...

"Wann verliert man sein Kind?" - Das ist eine der Fragen, die sich wie ein roter Faden durch den fesselnd geschriebenen neuen Roman "Endstation Malma" von Alex Schulman zieht.

Der wunderbar erzählte Roman spielt in einem Zug und wird aus den Perspektiven dreier Personen erzählt, die zu verschiedenen Zeiten, in der Vergangenheit und in der Gegenwart, unterwegs sind und auf der Suche nach Antworten sind.
Was werden sie am Ziel ihrer Reise finden? Den Drang danach, die Antwort auf diese Frage zu erfahren, lässt einen nur so durch die Seiten fliegen, was dank des einnehmenden, feinen und ausdrucksstarken Schreibstils des Autors einem auch nicht wirklich schwerfällt.

Man folgt der jungen Harriet, die bei ihrem Vater lebt, nachdem ihre Mutter und ihre Schwester sie verlassen haben. 20 Jahre später begleitet man Oskar, der eine Beziehung mit ebenjener Harriet eingeht, der, als die Beziehung scheitert, allein bleibt, mit seiner Tochter. In der Gegenwart folgt man dann der nun erwachsenen Tochter Yana.
Alle drei Handlungsstränge sind gespickt mit Erinnerungen, Gesprächen und Geschichten, die dazu führen, dass man fünf Protagonisten gut kennenlernt. Ständig wird zwischen den drei Handlungsperspektiven hin und her gewechselt, die dann alle, für sich mehr oder weniger befriedigend (Yana) auf die Auflösung am Bahnhof von Malma zusteuern, an dem schwedischen Bahnhof, an dem alle drei Schicksale auf besondere Art und Weise miteinander verbunden sind. So viel sei verraten, die Auflösung ist vor allem eine schmerzvolle, aber hat auch eine liebvolle Komponente.

Auch wenn es einen Erzählstrang in der Gegenwart gibt, liegt der Schwerpunkt in der Vergangenheit und ihren Auswirkungen. Hierbei offenbart sich auch eine Schwäche des Romans, die Gegenwartshandlung erfährt zum Ende hin nicht die gleichen starken Abschluss wie die beiden in der Vergangenheit.
Anfangs waren die verschiedenen Erzählstränge jedoch etwas verwirrend, doch sobald sich einem die Struktur des Romans offenbart, taucht man gebannt in die Geschichte über Familiengeheimnisse, Ungerechtigkeiten, die über Generationen weitergegeben werden, und vergangenen Ereignissen ein, deren Auswirkungen bis in die Gegenwart spürbar sind, ein.

"Endstation Malma" ist ein starkes und berührendes Werk von Alex Schulman, mit dem er einmal wieder sein Talent, fesselnde Geschichten mit vielschichtigen Charakteren zu schreiben, unter Beweis stellt.

Trotz kleiner Schwächen, eine klare Leseempfehlung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.11.2023

Abenteuerliche Reise in die eigene Familiengeschichte

Kajzer
0

"Kajzer" ist ein flott geschriebenes Buch über die Reise von Menachem Kaiser, um den Besitz seines Großvaters in Polen zurückzuerlangen, der seiner Familie während des Holocausts gestohlen wurde. Menachem ...

"Kajzer" ist ein flott geschriebenes Buch über die Reise von Menachem Kaiser, um den Besitz seines Großvaters in Polen zurückzuerlangen, der seiner Familie während des Holocausts gestohlen wurde. Menachem Kaiser hat außer seinem Vater keinen seiner familiären Vorfahren gekannt, ist aber mit den Geschichten vieler seiner Verwandten, einschließlich seines Großvaters, während des Holocausts aufgewachsen. Auf seiner Reise nach und durch Polen erfährt der Autor Neues und Unbekanntes über seine Vorfahren und begegnet Nazi-Schatzsuchern, die nach vergrabenen Schätzen und versteckten Relikten aus der Nazizeit suchen.

Es geht um Nazi-Verschwörungstheorien, Mythenbildung, Nostalgie und Erinnerung. Zudem wird man Zeuge der polnischen Bürokratie, taucht in die Lager von Nazi-Schatzsuchern ein und lernt vergessene Geschichte und Geheimnisse kennen.
Kaisers Beobachtungen sind scharfsinnig, er liefert keine moralische und historische Klarheit, sondern zeigt die Zweideutigkeit seiner Suche nach Antworten auf und dass es die eine Wahrheit nicht gibt.

"Kajzer" ist eine abenteuerliche und fesselnde Reise, auch wenn der Autor manchmal den roten Faden zu verlieren scheint, wodurch die ein oder andere Passage langatmig wirkt und sich im Nichts verliert. Es wirkt etwas unfertig. Dennoch ist es dank des lebendigen Schreibstils des Autors eine kurzweilige und sehr interessante Reise in die Familiengeschichte des Autors und eine etwas andere Geschichte über den Holocaust, die durchaus zum Nachdenken anregt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.11.2023

Seltsam und fesselnd zugleich - nichts ist, wie es scheint

Das Nachthaus
0

"Das Nachthaus" von Jo Nesbø ist diesmal kein Krimi aus der Feder des bekannten Autors der Harry-Hole-Reihe, sondern eher ein Roman in einem Roman, der mit Horror- und Spannungselemente sowie einer Prise ...

"Das Nachthaus" von Jo Nesbø ist diesmal kein Krimi aus der Feder des bekannten Autors der Harry-Hole-Reihe, sondern eher ein Roman in einem Roman, der mit Horror- und Spannungselemente sowie einer Prise Magie arbeitet und einen etwas ratlos zurücklässt. Ratlos deswegen, weil ich mir immer noch nicht sicher bin, ob ich alles so verstanden habe. Überraschende und seltsame Ereignisse, mit einer Prise an Grusel, lassen sich hier alle finden, bei denen der erste Eindruck zu trügen scheint oder doch nicht...?

"Das Nachthaus" ist in drei Teile gegliedert. Der Schauerroman beginnt mit einem Rückblick in die 1980er-Jahre und erinnert in seiner Erzählweise eher an einen YA-Horrorroman.
Richard Elauved erzählt, wie er als 14-Jähriger nach Ballentyne zu seiner Tante und seinem Onkel zog, nachdem seine Eltern bei einem Brand ums Leben gekommen war. In der Schule wird er zum Außenseiter und hat einen Ruf als Tyrann. Niemand glaubt ihm, als Tim, einer seiner Mitschüler, verschwindet und er nichts damit zu tun hat. Seine Erklärung, die Telefonzelle am Waldrand habe Tom wie in einem Horrorfilm in den Hörer gesaugt, nimmt ihm keiner ab. Niemand, außer Karen, ebenfalls eine Außenseiterin, die Richard ermutigt, Hinweisen nachzugehen, denen die Polizei nicht nachgehen will. Er verfolgt die Nummer, die Tom von der Telefonzelle aus angerufen hat, zu einem verlassenen Haus im Wald. Dort erhascht er einen flüchtigen Blick auf ein furchterregendes Gesicht im Fenster. Und dann beginnen die Stimmen in seinem Ohr zu flüstern. Als ein weiterer Klassenkamerad von Richard verschwindet, versucht er umso mehr seine Unschuld zu beweisen und muss sich zusätzlich noch mit dunkler Magie beschäftigen.
Der zweite Teil der Handlung spielt dann 15 Jahre später und lässt die Ereignisse von damals in einem komplett anderen Licht sehen, um sich dann im dritten Teil wieder eine 180°-Drehung hinzulegen. Die Frage, die jedoch über allen zu schweben scheint, ist, ob Richard als Erzähler glaubwürdig ist...

Die Geschichte ist einfallsreich, voller seltsamer und überraschender Drehungen und Wendungen.
Manche Fantasy- und Horrorelemente werden geschickt im Stile eines YA-Schauerromans miteinander kombiniert, was vielleicht nicht jeden ansprechen wird. Vieles ist definitiv sehr fantasievoll und soll der Vorstellungskraft eines 14-jährigen Jungen widerspiegeln. Die Handlungsabschnitte, die in diesem Stile geschrieben sind, würden, als alleinstehende Erzählungen mich nicht richtig begeistern können, aber im Gesamtpaket fügen sie sich stimmig in die Gesamthandlung ein.
Am meisten überzeugen konnte mich der letzte Teil, von allen dreien Teile. Es ist jedoch ein wilder Ritt, bis man dahin gelangt. Kurze Kapitel und Nesbøs packender Schreibstil und die Frage, was ist wahr und was nicht, schaffen es einen dabei zu fesseln. Der Autor lässt einem keine Zeit zum durchzuatmen und lässt einem dann am Ende mit der Frage, was man hier eigentlich gelesen hat, allein zurück.
Ob man diesen verrückten Genre-Mix mag oder nicht, ist Geschmackssache. Mich wusste das Buch zu fesseln, auch wenn ich nicht so richtig sagen kann, wieso eigentlich.

Interessant, anders und überraschend - ein Roman, der anders ist als das, was man von Nesbø gewohnt ist.
Atmosphärisch und spannend geschrieben, mit einer Handlung, an der sich die Geister scheiden werden - so präsentiert sich "Das Nachthaus".

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.10.2023

Ein Krimi, der weder inhaltlich noch in Sachen Stimmung überzeugen kann

Mord im Christmas Express
0

Am frühen Weihnachtsmorgen entgleist ein Schlafwagenzug in den Highlands und setzt so den Plänen und der festlichen Stimmung der Zugreisenden ein jähes Ende. Der Zug steckt mitten im Nirgendwo im Schnee ...

Am frühen Weihnachtsmorgen entgleist ein Schlafwagenzug in den Highlands und setzt so den Plänen und der festlichen Stimmung der Zugreisenden ein jähes Ende. Der Zug steckt mitten im Nirgendwo im Schnee fest und unter den Reisenden geht nach dem vermeintlichen Mord an einer bekannten Influencerin die Angst um. Doch es bleibt nicht bei der einen Leiche. Die sich an Bord befindende ehemalige Met-Detektivin Roz Parker, die eigentlich auf dem Weg zu ihrer Tochter war, begibt sich auf Mördersuche.

Die Prämisse des Krimis ist gut, es fühlt sich an wie ein Agatha-Christie-Klassiker - Mord im Zug, verschlossener Raum, viele Verdächtige, die alle irgendwie miteinander verbunden sind, aber die Umsetzung ist enttäuschend.

Der Kriminalroman lässt sich Zeit für den Aufbau der Geschichte, bevor es die erste Leiche gibt, gefolgt von weiteren in rascher Folge, sodass die eigentliche Aufklärung der Verbrechen gegen Ende ziemlich überstürzt wirkt.
Zunächst werden viele Hintergründe und Charaktere oberflächlich eingeführt. Die meisten sind davon unsympathisch und treffen seltsame Entscheidungen, besonders mit Roz wurde ich nicht wirklich warm. Die Leute im Zug sind größtenteils auf irgendeine Weise miteinander verbunden und befinden sich zufällig in einem Zug.
In diese Geschichte wurden so viele Dinge hineingeworfen, dass es sich wie ein Versuch anfühlt, ein Check-Liste von Themen abzuarbeiten. Da wären LGBT-Themen (In einem Satz werden so viele sexuelle Orientierungen wie möglich aufgelistet. Nicht im Kontext, einfach eine Liste, in einem Satz.) Dann eine prominente Influencerin und Details über ihre Markenwerbung, um für Aktualität zu sorgen. Eine ehemalige Met-Detektivin mit einer gezeichneten Vergangenheit. Und natürlich die Themen Mutterschaft und sexueller Missbrauch.
Nun ja, eine glaubhafter und überzeugender Handlungs- und Spannungsaufbau sieht anders aus.
Der Schreibstil ist kurzweilig, aber nichts Besonderes.

Wer auf einen gemütlichen Weihnachtskrimi hofft, wird mit "Mord im Christmas-Express" wenig Freude haben.
Spoiler Es kommen Vergewaltigungsdarstellungen, missbräuchlicher Beziehungen und Geburtstraumata vor, teils wenig sensibel beschrieben. Das Einzige weihnachtliche ist, dass es um die Weihnachtszeit spielt und das festliche Buchcover.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.10.2023

Schwierig Mutter-Tochter-Beziehung, schwieriges Buch

Die Wahrheiten meiner Mutter
0

Die 60-jährige Johanna kehrt nach dreißig Jahren nach Norwegen zurück, wo sie als Malerin inzwischen so erfolgreich ist, dass ihr in ihrem Heimatland eine Retrospektive gewidmet wird. In jungen Jahren ...

Die 60-jährige Johanna kehrt nach dreißig Jahren nach Norwegen zurück, wo sie als Malerin inzwischen so erfolgreich ist, dass ihr in ihrem Heimatland eine Retrospektive gewidmet wird. In jungen Jahren entfloh sie einem Leben, das bereits von ihren Eltern, insbesondere ihrem Vater, vorgezeichnet war, um mit ihrem Kunstlehrer Mark, mit dem sie ihren Sohn John bekam, nach Utah zu ziehen. Das Verhältnis zu ihren Eltern und ihrer Schwester, das nicht gerade idyllisch ist, kühlt sich nach ihrem ersten Werken ab, da sie der Meinung sind, dass es die Familie verunglimpft. Ganz bricht es schließlich dann zusammen, als sie zur Beerdigung ihres Vaters nicht nach Hause zurückkehrt.
Zurück in Norwegen versucht sie, ihre Mutter anzurufen, aber sie reagiert nicht auf ihre Anrufe. Also macht sie sich auf die Suche nach ihrem Wohnort, spioniert sie aus, verfolgt sie, um ihre neuen Gewohnheiten zu ergründen. Nach und nach tauchen Erinnerungen an ihre Kindheit auf, vor allem im Zusammenhang mit ihrer Mutter, die sich als scheinbar sorglose Frau dem Familienleben verschrieben hat, aber in Wirklichkeit unglücklich ist. Das Bedürfnis nach einer klärenden Konfrontation zwischen Johanna und ihrer Mutter wird immer dringender, aber die alte Frau will nichts mehr mit ihrer Tochter zu tun haben.

Obwohl mir bestimmte Elemente des Romans sowie das Gesamtkonzept gefielen, fiel der Roman insgesamt ein wenig flach aus, besonders das Ende konnte mich nicht überzeugen.
Anfangs passiert zunächst nicht viel und der Beginn der Erzählung lässt, für mich an Tempo missen, nach und nach nimmt die Handlung dann aber an Fahrt auf.
Johanna, die Ich-Erzählerin, ist als Erzählerin unzuverlässig, was jedoch den Reiz der Geschichte ausmacht. Etwa die Hälfte der Handlung besteht darin, dass die Ich-Erzählerin Hypothesen über ihre entfremdete Beziehung zu ihrer Mutter und ihrer Schwester heraufbeschwört. Die Protagonistin ist einerseits blind gegenüber sich selbst, andererseits intelligent, einfühlsam, aber insgesamt unsympathisch und etwas nervig. Genau diese ambivalenten Gefühle gegenüber Johanna hielten mein Interesse an der Geschichte wach. Johanna ist regelrecht besessen in Bezug auf ihre entfremdete Mutter, was auf eine beklemmende und bedrückende Art und Weise erzählt wird. Kurze Kapitel und Naturschilderungen, die den Gedanken- und Erinnerungsstrom der Erzählerin über ihre Mutter gelegentlich unterbrechen, tragen zu diesem klaustrophobischen Gefühl bei.

Bis kurz vor Ende des Romanes, war die Entwicklung des Handlungsverlaufs noch vielversprechend, doch dann kam das antiklimatische Ende. Der Roman zeigt bis dahin auf, dass die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern viel komplexer sind, als es den Anschein hat, und dann löst sich das Ende eines Jahrzehnte alten Konfliktes in einem einzigen Ereignis auf. Der lang ersehnte Höhepunkt verpufft regelrecht und beantwortet keine Frage so richtig, was einen unbefriedigt zurücklässt.

Alles in allem ist "Die Wahrheit meiner Mutter" sprachlich und stilistisch ein gut erzählter Roman über eine schwierige Beziehung zwischen Tochter und Mutter, tempomäßig und inhaltlich kann er aber nicht komplett überzeugen, vor allem das Ende ist enttäuschend.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere