Auch wenn es paradox klingt, so hat mir doch in dieser Geschichte die Leidenschaft gefehlt. Und damit meine ich nicht die sexuelle Leidenschaft, denn die war ohne Zweifel vorhanden, sondern die Liebe zur Atmosphäre und zum intensiven, hautnahen Schreiben.
Aber der Reihe nach:
Inhaltlich... 3/5 Punkte.
Natürlich ist mir klar, dass das Thema sexueller Missbrauch keine leichte Kost ist. Sich an dieses brisante Gebiet heranzuwagen ist eine Entscheidung, vor der ich Respekt habe und ich schätze die Intention der Autorin, auf diese brutalen Handlungen aufmerksam zu machen.
Die Umsetzung allerdings konnte mich leider nicht überzeugen. Wie die Handlungsstränge zusammengeführt werden, war schon nach der Leseprobe absehbar - was an sich ja noch nichts Schlechtes sein muss. Nur blieb es für mich so: die Story konnte mich nicht überraschen. Es gab keinen Moment, in dem ich mir beim Lesen gedacht habe: "Oh, wow, das hätte ich nie erwartet!" Stattdessen erschien mir der Plot ziemlich vorhersehbar: Als sie das Auto nicht finden, nehmen sie die Frau mit. Dirty und Olivia fühlen sich aus unerklärlichen Gründen zueinander hingezogen, sie nähern sich an, er geht einen Schritt zu weit, sie ist hin und her gerissen wegen ihrer Gefühle. Er muss sich entscheiden - sie oder seine Freunde und sein Versprechen. Alles ziemlich simpel soweit. Dass sie die Seite entdeckt, war sowieso klar. Und auch das, was vor dem Showdown passiert: ich hatte schon darauf gewartet...
Charaktere... 2/5 Punkte.
Insgesamt waren mir die Figuren zu platt. Keiner von ihnen wird mir wegen seiner Einzigartigkeit in Erinnerung bleiben... weil hier kräftig in die Klischee-Schublade gegriffen wurde.
Rich - der verwöhnte Sohn. Naiv genug, das Auto zu verlieren. Zu feige, es seinem Vater gegenüber einzugestehen.
Thug - der raue Kriminelle. Eiskalt und richtig Badass. Hat immer Kontakte zu irgendwelchen Leuten, die ihm illegal all das besorgen, was die Autorin anders nicht erklären wollte.
Dirty - der Playboy mit Herz. Erfolgreicher Geschäftsmann. Schwierige Vergangenheit als Erklärung für sein Verhältnis zu Frauen.
Olivia - das unschuldige Mäuschen. Gebrochen, aber eigentlich auch stark. Entpuppt sich schnell als Traumfrau.
So kurz lassen sich die Charaktere zusammenfassen. Und so bleiben sie auch, ich habe sie nie plötzlich von einer ganz anderen Seite gesehen. Wenn man sich so ein Konzept macht, wenn man jeder Figur ein paar spezifische Merkmale gibt, ist das hilfreich, um beim Schreiben nicht plötzlich Rich und Thug zu verwechseln - klar. Aber auch das kann man tiefergehend machen, indem man erst nach und nach bestimmte Eigenschaften aufdeckt. Die überdeutliche Namensgebung muss ich wohl nicht erwähnen...
Dazu kommt, dass alles sofort ausgesprochen wird! Lass den Leser doch selbst denken! Die Figuren beschreiben einander bereits vollkommen; Dirty denkt, Rich wäre ein verwöhntes Bürschen und - was für ein Zufall - genau das ist er!
Und während Olivia nach ihrer ersten Begegnung mit Rich und Thug mit ihren typisch klischee männlichen Kommentaren "derb enttäuscht" war und sich "noch nie in ihrem Leben so wenig willkommen gefühlt hatte wie in diesem Moment" (S.188), so ändert sich das noch am selben Abend. Sie wechselt von verzweifelt zu lässig mit schlagfertigen Antworten - einfach so - und kommt damit natürlich sofort bei Bens Kumpels an ("Deine Freundin gefällt mir, Dirty. Die darfst du behalten." S.193). Und schwupps, sind sie und die coolen Typen allerbeste Freunde und sie spielen Gesellschaftsspiele. Seeeehr realistisch.
Stil... 3,5/5 Punkte.
Wie bereits oben erwähnt, hat mir das gewisse Etwas gefehlt, das einen in den Bann zieht. Ich habe mich nicht gelangweilt, ich habe mir mit der Story die Zeit vertreiben können... aber es hat mich nicht vollkommen gepackt. Teilweise bin ich über Stellen gestolpert, die mich gestört haben. Ausdrücke, Wortwahl, Satzbau... solche Dinge, die den Stil ausmachen. "Tatsächlich hatten wir es unbemerkt in die Villa geschafft. Rich hatte mit einem Glasschneider ein Loch in die Verglasung der Terrassentür geschnitten und sie dann geöffnet." (S.44) Mir klingt das leider zu stumpf. Von dieser kurzen Zusammenfassung der Handlung bin ich noch nicht gefesselt, ich bin noch nicht in der Szene drin. Und das wäre mir hier wichtig gewesen, in diesen ersten Sätzen eines neuen Kapitels. Mit ein paar Adjektiven oder kurzen Sinneseindrücken hätte ich die adrenalingeladene Atmosphäre hier besser gespürt.
Und wieso dann 3,5 Punkte? Weil Sarah Saxx es eigentlich kann. "In mir staute sich ein Lachen. Es drückte nach oben, bis es mir über die Lippen platzte. Ich lachte, bis die Sicht vor mir verschwamm" (S.337)
"Das laute Piepen der Rauchmelder im Flur vor meiner Zelle stach in meinen Kopf. Es bohrte sich hinter meinen Augen in mein Gehirn und fühlte sich an, als würde jemand mit einem Meißel versuchen, von innen aus meinem Schädel auszubrechen" (S.330)
Und wem das zu brutal war: "Seine Stimme strahlte Selbstvertrauen aus, aber in dem Blaugrün seiner Iris sah ich kleine Brocken Zweifel und Unsicherheit." (S. 172)
Was haben diese drei Stellen gemeinsam? Sie waren emotional, detailliert und mit einem Bilderreichtum geschrieben, der von einer Liebe zu Worten zeugt. Davon gerne etwas mehr!
Sarah Saxx hat schon mehrere Bücher geschrieben, was erkennen lässt, dass sie wirklich leidenschaftlich gern schreibt. Nur leider konnte ich diese Leidenschaft nicht in der Ausarbeitung Geschichte wiederfinden.