Abgründe
Die Mitford SchwesternIn ihrem Roman „Die Mitfordschwestern“ zeichnet die Autorin Marie Benedict ein schillerndes Porträt der drei britischen Schwestern Diana, Nancy und Unity in den Jahren 1932 bis 1940. Diana avanciert zur ...
In ihrem Roman „Die Mitfordschwestern“ zeichnet die Autorin Marie Benedict ein schillerndes Porträt der drei britischen Schwestern Diana, Nancy und Unity in den Jahren 1932 bis 1940. Diana avanciert zur Ehefrau des Führers der englischen Faschisten. Da kommt ihr gerade recht, dass ihre jüngere, recht unkonventionelle, und nicht in die Kreise des englischen Adels so recht passende Schwester Unity leidenschaftlich für die faschistische Bewegung in Deutschland und insbesonderen deren Führer Adolf Hitler zu schwärmen beginnt. Ihr gelingt es, die Eltern davon zu überzeugen, sie in Deutschland eine Schule besuchen zu lassen, und macht durch ihre Hartnäckigkeit Hitler auf sich aufmerksam. Bald gehören die beiden Schwestern zum engsten Kreis der Hitlervertrauten. Und Diana erhofft, mit seiner Hilfe die Faschisten in England zu etablieren. Fassungslos muss die mittlere der Schwestern, die Schriftstellerin Nancy, mitansehen, wie nicht nur ihre Schwestern, sondern auch ihre Eltern sich immer mehr in den Dunstkreis des Faschismus begeben, während einer ihrer anderen Schwestern mit den Kommunisten in Spanien gegen die Faschisten kämpft. Bald ist es nicht mehr genug, nur in ihren literarischen Werken den Faschismus kritisch zu verspotten. Bald muss Nancy den Schutzmantel der Fiktion abwerfen und Stellung beziehen. Wie weit wird sie gehen, ihre Schwestern zu verraten und England vor dem deutschen Feind zu beschützen?
Immer im Wechsel von Nancy, Diana und Unity beschreibt die Autorin die Ereignisse. Doch nur Nancy lässt sie in Ich-Perspektive denken, fühlen und sprechen. Mit ihr gemeinsam sehen wir mit Entsetzen in die Abgründe, die sich ihr in ihren geliebten Schwestern auftun. Mit Schrecken verfolgt man, wie sie dem Führer und seiner Bewegung verfallen. Die eine fanatisch glühend, die anderen kalt kalkulierend. Beides mit entsetzlichen Folgen.
Denkt man vielleicht am Anfang noch, dass ein umfangreicher Roman, der hauptsächlich Gedanken und Gefühlswelten zeichnet, schnell langweilig und anstrengend werden könnte, so sieht man sich bald in dieser Annahme getäuscht. Packend und ergreifend verfolgt der Leser die Geschehnisse mit zunehmender Spannung. Dabei gehören sicherlich alle Sympathien Nancy, die sich zwischen familiärer Verbundenheit und vaterländischer, aber auch moralischer Pflicht zu entscheiden hat. Dabei kämpft auch sie mit persönlicher Tragik: der fehlenden Liebe der Mutter, der Unmöglichkeit, ein Kind zu bekommen, der Unzuverlässigkeit des sprunghaften Ehemannes. Bei all dem aber versucht sie, das Gesicht der Menschlichkeit zu wahren. Ein gutes Vorbild in einer Zeit, die in ähnlichen Schatten zu versinken droht.