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Veröffentlicht am 10.11.2024

Abgründe

Die Mitford Schwestern
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In ihrem Roman „Die Mitfordschwestern“ zeichnet die Autorin Marie Benedict ein schillerndes Porträt der drei britischen Schwestern Diana, Nancy und Unity in den Jahren 1932 bis 1940. Diana avanciert zur ...

In ihrem Roman „Die Mitfordschwestern“ zeichnet die Autorin Marie Benedict ein schillerndes Porträt der drei britischen Schwestern Diana, Nancy und Unity in den Jahren 1932 bis 1940. Diana avanciert zur Ehefrau des Führers der englischen Faschisten. Da kommt ihr gerade recht, dass ihre jüngere, recht unkonventionelle, und nicht in die Kreise des englischen Adels so recht passende Schwester Unity leidenschaftlich für die faschistische Bewegung in Deutschland und insbesonderen deren Führer Adolf Hitler zu schwärmen beginnt. Ihr gelingt es, die Eltern davon zu überzeugen, sie in Deutschland eine Schule besuchen zu lassen, und macht durch ihre Hartnäckigkeit Hitler auf sich aufmerksam. Bald gehören die beiden Schwestern zum engsten Kreis der Hitlervertrauten. Und Diana erhofft, mit seiner Hilfe die Faschisten in England zu etablieren. Fassungslos muss die mittlere der Schwestern, die Schriftstellerin Nancy, mitansehen, wie nicht nur ihre Schwestern, sondern auch ihre Eltern sich immer mehr in den Dunstkreis des Faschismus begeben, während einer ihrer anderen Schwestern mit den Kommunisten in Spanien gegen die Faschisten kämpft. Bald ist es nicht mehr genug, nur in ihren literarischen Werken den Faschismus kritisch zu verspotten. Bald muss Nancy den Schutzmantel der Fiktion abwerfen und Stellung beziehen. Wie weit wird sie gehen, ihre Schwestern zu verraten und England vor dem deutschen Feind zu beschützen?
Immer im Wechsel von Nancy, Diana und Unity beschreibt die Autorin die Ereignisse. Doch nur Nancy lässt sie in Ich-Perspektive denken, fühlen und sprechen. Mit ihr gemeinsam sehen wir mit Entsetzen in die Abgründe, die sich ihr in ihren geliebten Schwestern auftun. Mit Schrecken verfolgt man, wie sie dem Führer und seiner Bewegung verfallen. Die eine fanatisch glühend, die anderen kalt kalkulierend. Beides mit entsetzlichen Folgen.
Denkt man vielleicht am Anfang noch, dass ein umfangreicher Roman, der hauptsächlich Gedanken und Gefühlswelten zeichnet, schnell langweilig und anstrengend werden könnte, so sieht man sich bald in dieser Annahme getäuscht. Packend und ergreifend verfolgt der Leser die Geschehnisse mit zunehmender Spannung. Dabei gehören sicherlich alle Sympathien Nancy, die sich zwischen familiärer Verbundenheit und vaterländischer, aber auch moralischer Pflicht zu entscheiden hat. Dabei kämpft auch sie mit persönlicher Tragik: der fehlenden Liebe der Mutter, der Unmöglichkeit, ein Kind zu bekommen, der Unzuverlässigkeit des sprunghaften Ehemannes. Bei all dem aber versucht sie, das Gesicht der Menschlichkeit zu wahren. Ein gutes Vorbild in einer Zeit, die in ähnlichen Schatten zu versinken droht.

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Veröffentlicht am 27.10.2024

Skandale in einer skandalträchtigen Zeit

Die Könige von Babelsberg
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Kommissar Beneken ermittelt in dem Todesfall Lisa Rosenthal, der Ehefrau des Filmregisseurs Fritz Lang. Selbstmord? Unfall? Oder Mord aus Eifersucht? Immerhin hatte Lang ein offenes Verhältnis mit seiner ...

Kommissar Beneken ermittelt in dem Todesfall Lisa Rosenthal, der Ehefrau des Filmregisseurs Fritz Lang. Selbstmord? Unfall? Oder Mord aus Eifersucht? Immerhin hatte Lang ein offenes Verhältnis mit seiner Regisseurin und Drehbuchautorin Thea von Harbou. In welchem Verhältnis stand sie zu der Ehefrau? Wie kam es zu dem Tod durch einen Pistolenschuss im heimischen Ehebett von Rosenthal und Lang? Weitere Ungereimtheiten am Tatort und im pathologischen Befund setzen Kommissar Beneken auf die Spur eines Verbrechens. Allerdings haben höhere Kreise ein Interesse daran, den Fall unter den Teppich zu kehren.
Der Autor des Romans „Die Könige von Babelsberg“, Ralf Günther, verknüpft darin zwei Erzählstränge. Zum einen geht es um die Beziehungsverhältnisse des skandalträchtigen Filmemachers Fritz Lang in einer Zeit, in der die Gesellschaft nach Verlust der alten politischen Ordnung und des Wertesystems als Konsequenz der Niederlage im 1. Weltkrieg sich neu zu erfinden suchte, sich ausprobierte, dabei durchaus auch ins Taumeln geriet und vor allem eins wollte: die Schrecken des Krieges und die Not seiner Folgen für ein bischen Vergnügen zu vergessen. Auf der anderen Seite geht es um die Entwicklung des Helden, der Langs Gegenspieler sein müsste, es dann aber doch nicht ist. Der Kriminalbeamte Beneken, der der Mutter den gefallenen Mann und älteren Sohn ersetzen muss, der als Beamter den Ruf eines hartnäckigen Ermittlers mit klaren Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit genießt, muss sich zunehmend die Frage stellen, welche Art Mann er ist. Er will der Mutter ein guter Sohn sein und ihre Vorstellungen von Familie erfüllen. Er fühlt sich auch von Frauen angezogen, aber anders als ein Mann. Eher als eine Frau. Am Ende eines jeden Ermittlungstages steigt er – oder sollte man zunehmend eher sagen: sie – hinab in das Babylon Berlin der 20er Jahre. Die Metamorphose vom Mann zur Travestiekünstlerin Marlene vollzieht sich schrittweise. Aber dann doch in großen Schritten oder Sprüngen. Damit muss der nicht allzu umfangreiche Band dem ehrgeizige Unterfangen diesen zwei komplexen Erzählsträngen gerecht zu werden, Rechnung tragen. Zugegebenermaßen passen beide Stränge gut zusammen. Es scheint, dass Benekens persönliche Wandlung ihn in besonderem Maße befähigt, Verständnis für die Konstellation Lang, Rosenthal, von Harbou zu entwickeln, die sich ebenso außerhalb jeglicher gesellschaftlichen Konventionen. Gleichzeitig macht sie ihn in den delikaten Ermittlungen erpressbar, was der Auflösung des Falls dann wiederum hinderlich ist.
Der Roman, der auf den ersten Blick ein Krimi zu sein scheint, entwickelt sich im Verlauf weg von dem Bestreben, einen Fall zu lösen, dem Guten zum Recht und dem Bösen zur Strafe zu verhelfen. Er zeigt die Mehrdimensionalität auf, die nicht nur eine Gesellschaft, sondern auch jeden einzelnen durchzieht. So wird hier nicht über Gut und Schlecht geurteilt, sondern in der Figur des Beneken für Verständnis für die Andersartigkeit geworben, wobei durch die große – am Ende auch schwer erträglichen – Offenheit sich dem Leser der Raum zu vielen Fragen eröffnet, der ihn zugleich in die Verantwortung eines eigenen Urteils nimmt. Ein Roman, der bisweilen (mich) etwas befremdet und über den man noch lange nachdenken kann. Was ja in einer Zeit, in der viel ge- und abgeurteilt und angefeindet und mundtot gemacht wird, nicht das Schlechteste ist.

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Veröffentlicht am 23.10.2024

Der Weg in die Hölle

So gehn wir denn hinab
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Keine leichte Lektüre ist der Roman „So gehn wir denn hinab“ von Jesmin Ward über das in Sklaverei geboren Mädchen Annis. Mit dem Titel zitiert die Autorin Dantes „Inferno“ und beschreibt den Weg der ...

Keine leichte Lektüre ist der Roman „So gehn wir denn hinab“ von Jesmin Ward über das in Sklaverei geboren Mädchen Annis. Mit dem Titel zitiert die Autorin Dantes „Inferno“ und beschreibt den Weg der jungen Annis, die, nachdem schon ihre Mutter verkauft worden war, von Sklavenhändler aus dem Norden nach New Orleans deportiert wird. Und nicht nur der Weg dorthin ist die Hölle. Annis muss sich gegen die Willkür ihrer Herren und der Aufseher verteidigen. Ihre Mutter hat sie für den Kampf dagegen gut gerüstet, stammt sie doch selber von einer Kriegerin ab, die einst als Strafe für ihre Liebe mit dem Schiff nach Amerika verschleppt und in die Sklaverei gezwungen wurde. Eine andere Verbündete in Annis Kampf um Leben und Freiheit ist die beseelte Natur. Schon auf dem Weg nach Süden begleitet sie eine Frauengestalt, die für das Element des Wassers, für das Wetter, den Nebel, den Wind und den Regen steht. Sie scheint sie zu beschützen. Auf ihrem Weg lernt sie dann noch die Elemente der Erde, „Die, die geben und nehmen“, und des Feuers, „Die, die erinnert“ kennen. Doch auch diese alle geben nichts umsonst, sondern fordern Opfergabe und Anbetung. Wie kann es möglich sein, mit ihrer Hilfe einen Weg in die Freiheit und Selbstbestimmung zu finden?
Das Buch zu lesen, ist anstrengend. Das liegt auch an der Schwere der Thematik und der Intensität der Darstellung. Auch wenn es Hoffnungsschimmer gibt und die Stärke der Heldin beeindruckend ist, enthält es so viel Leid und Qual, soviel Grausamkeit und Gewalt, dass man sich nach der Lektüre regelrecht abgekämpft fühlt, obwohl man ja nur der stumme Beobachter in seinem bequemen Lesesessel ist. Was das Lesen auch anstrengend macht, sind die bildlichen Darstellungen. Gleichwohl voller Poesie und Schönheit widersetzen sie sich doch einem westlichen Deutungskonzept. Auch wenn die Autorin mit Dante dem christlichen Weltbild von Himmel und Hölle einen zweiten Deutungsrahmen gibt, ist das Buch doch sehr stark indigener Naturreligion verbunden. Die Natur ist beseelt. Der Mensch kann ihr huldigen, sie anbeten, ihr Opfer bringen, versuchen, sie gnädig zu stimmen und seine Hoffnung auf ihren Schutz zum Ausdruck bringen. Doch bleibt sie ein Stück willkürlich, folgt ihren eigenen Interessen, gibt sich divenhaft, will Verehrung, aber keine Verbindlichkeit. Mit ihrer allzu menschlichen Natur erinnert sie dabei schon wieder eher an die antiken Götter, die streiten, lieben, hassen, helfen und verdammen.
Insgesamt zeichnet der Roman das Buch eines Mädchens, das durch die beeindruckende Liebe ihrer Mutter und Großmutter – die Zärtlichkeit unter Frauen ist ebenso ein großes Thema, während Männer eher als grob fordernd und unterwerfend dargestellt werden, mit Ausnahme der Besitzerin, der Annis zum Schluss gehört – zu einer bewundernswert starken Frau heranwächst. Die Gräuel der menschenverachtenden Sklaverei werden bedrückend nachvollziehbar vor Augen gestellt. Hoffnung gibt, dass es Bereiche gibt, die diese nicht entwerten kann: die Liebe, den familiären Zusammenhalt, die Spiritualität eines freien Geistes und die Sehnsucht nach Selbstbestimmung. Das Ende gleicht eher einer Utopie als einer realen Chance. Ausgestoßen aus der menschlichen Gemeinschaft (der Weißen) qua Geburt ist ein Leben in Koexistenz nicht möglich.
Die Naturvisionen sind schon beeindruckend, bisweilen aber auch sehr ausgedehnt. Der Stil ist für meinen Geschmack stellenweise emotional zu überladen und zu sehr metaphorisch überhöht. Es ist sicherlich eine nachhaltige Leseerfahrung, die aber auch Mühe macht.

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Veröffentlicht am 21.10.2024

Das Ende der Welt

Am Fluss der Zeiten
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Der Auftakt zur Trilogie um den dreißigjährigen Krieg, „Am Fluss der Zeiten“ von Ulrike Renk schildert das Leben der Eigenbehörigen Elze mit ihrer Familie auf dem Hof Kalmule im Münsterländischen. Anschaulich ...

Der Auftakt zur Trilogie um den dreißigjährigen Krieg, „Am Fluss der Zeiten“ von Ulrike Renk schildert das Leben der Eigenbehörigen Elze mit ihrer Familie auf dem Hof Kalmule im Münsterländischen. Anschaulich und mit profunder Kenntnis entwirft die Autorin ein lebendiges Bild vom bäuerlichen Leben im 16. Jahrhundert, das nicht nur den Naturgewalten, sondern auch der Willfähr der adeligen Herrschaften unterworfen ist. So muss der Hof, den Elzes Familie bewirtschaftet, neben Tante und Eltern auch das junge Bauernpaar, Elzes Bruder mit Frau und Kind, sowie zwei weitere Brüder und eine jüngere Schwester ernähren. Dürre und Unwetter machen die Ernten schlecht. Doch der Lehnsherr will seinen Anteil, und er will Geld für die Auffahrt des ältesten Bruders, der den nach einem Unfall kränklichen Vater in der Hoffolge ablösen soll. Da dies nicht reicht, muss Elze ihren Dienst für ein Jahr in der großen Stadt Münster bei einem Domherren ableisten. So wie zuvor schon ihre Tante Stine zur Zeit der Widertäufer in Münster. Seit dieser Zeit predigt sie den Untergang der Welt. Und der scheint nahe, als sich ein neuer Belagerer der Stadt Münster nähert und der Beginn des 30jährigen Krieges abzuzeichnen beginnt.
Eine spannende Lektüre über eine Zeit voller Aberglaube und Tod durch Krieg und Krankheit. Auch die Passagen, in denen Ulrike Renk das bäuerliche und das höfische Leben schildert und das Beziehungsgeflecht innerhalb der Familien und innerhalb der damaligen Gesellschaft nachzeichnet, sind sehr interessant zu lesen. Sie verleiht den unbekannten, weil niederen Menschen der damaligen Zeit Gesicht und Stimme. Mit der Figur der Elze kann der Leser abtauchen in die Gefühlswelt eines jungen Mädchens, dass zwischen realen Ängsten und abergläubischer Hysterie versucht, ihren Weg im Rahmen der ihr durch die Gesellschaft vorgegebenen Einschränkungen und somit ein klein wenig Lebensglück zu finden. Eine auf jeden Fall lohnenswerte Lektüre!

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Veröffentlicht am 20.10.2024

Leo Helsing, Geisterhelfer

Die Geisterhelfer – Traue sich, wer kann!
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Leo verdankt seinen zweiten Namen weniger seiner furchtlosen Entschlossenheit im Kampf gegen Geister, sondern eher einem ungewöhnlichen Umstand seiner Geburt. Denn eigentlich fürchtet Leo die Dunkelheit ...

Leo verdankt seinen zweiten Namen weniger seiner furchtlosen Entschlossenheit im Kampf gegen Geister, sondern eher einem ungewöhnlichen Umstand seiner Geburt. Denn eigentlich fürchtet Leo die Dunkelheit und alles, was in ihr ist. Aber ausgerechnet er kann die Geister Verstorbener sehen und hören. Und so erhält ausgerechnet er den Auftrag von drei Geistern einen Poltergeist – im Wortsinne – vom Friedhof zu vertreiben, damit dieser die Ruhe der Toten nicht mehr stören kann. Unterstützt von seiner Nachbarin Antonia, die einen Faible für die Nacht und alles, was in ihr ist, hat, begibt er sich auf die unheimliche Jagd des Poltergeistes, den ein Geheimnis des Nächtens sein Unwesen treiben lässt.
Der Roman hat einen angenehmen Gruselfaktor für Groß und Klein, eine packende Geschichte und noch mehr Humor und Herzenswärme. Wunderbar erzählt wird von Ängsten, Einsamkeit, Mut und Freundschaft. Mit tollen Illustrationen und liebevollen Details auf allen Seiten und natürlich dem klasse Cover, das uns verspricht, was der Inhalt hält. Klare Leseempfehlung auch für Angsthasen à la Leo Helsing, die sich danach sicherlich noch oder wieder in den dunklen Keller trauen, auch wenn die Glühbirne kaputt ist.

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