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Veröffentlicht am 24.08.2022

Wer dem Schweigen ausdrucksstarke Wörter verleiht

Dein Schweigen, Vater
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Der Roman „Dein Schweigen, Vater“ handelt von Paul, der als kleiner Junge den Todesmarsch von Brünn überlebt und seine Vergangenheit in Form von Schweigen mit in seine Familie nimmt.
Und er handelt von ...

Der Roman „Dein Schweigen, Vater“ handelt von Paul, der als kleiner Junge den Todesmarsch von Brünn überlebt und seine Vergangenheit in Form von Schweigen mit in seine Familie nimmt.
Und er handelt von Maria und Ulli, seinen Kindern, die dieses Schweigen mit in ihr eigenes Leben nehmen, bis zu einem Punkt, an dem ihr eigenes Leben an diesem Schweigen ins Stocken gerät und sie sich auf den Weg machen, diesem Schweigen auf den Grund zu gehen. Dieser Weg führt sie zurück nach Brünn auf die Route des damaligen Marsches der von den Tschechen am Ende des Zweiten Weltkrieg vertriebenen Deutschen.
Für den ersten Teil, die Schilderungen des Todesmarsches, brauchte ich drei Anläufe, zu groß der Schrecken und die Gräuel, die die Autorin mit den Augen und den Worten eines Kindes beschreibt, der noch nicht alt genug ist, alles zu verstehen, und doch alt genug, um zu viel zu begreifen. Dadurch wirken die Ereignisse auf den Leser noch unfassbarer, so dass auch ihm die Worte fehlen, das beim Lesen Gefühlte in Worte zu fassen.
Mit der Verschiebung der Perspektive auf die der Kinder von Paul tritt eine unerwartete Wendung ein. Die Autorin nimmt uns mit in zwei Leben, die sehr intensiv sind und zugleich auf der Suche nach einem Ziel. Die Beschreibungen werden sanfter, ruhiger trotz aller Zweifel und Getriebenheit der Protagonisten. In den Schrecken und das Schweigen mischen sich herzliche Erlebnisse, warme Begegnungen und tiefe Gespräche zwischen den beiden Geschwistern, aber auch zwischen den ihnen und den Menschen, denen sie auf ihrer Reise in die Vergangenheit begegnen. Der Schrecken schlummert unter einer atmosphärisch beschriebenen Landschaft zwischen Brünn und Wien und in den herzlichen Begegnungen zwischen den Tschechen und dem deutschen Geschwisterpaar, die nichts mehr von irgendwelchen Ressentiments erahnen lassen. Das Ende gibt eine Aussicht auf Versöhnung, vielleicht ist es etwas viel des Guten, vielleicht haben es sich die Figuren und die Leser aber auch verdient nach diesem schweren Marsch. Auch wenn Maria meint, Geschichte vollziehe sich in Kreisen wie die Ringe eines Baumes, macht das Ende doch Mut zu glauben, dass sich nicht alles zwangsläufig wiederholen muss, sondern dass der Mensch die Entscheidung hat durch Vergebung und durch das aufeinander Zugehen den Kreis zu etwas Gutem zu führen.
Der Autorin ist ein intensives, anrührendes Buch gelungen. Sie findet oft wunderbare Worte für das schwer Sagbare. Es ist ein Buch, das man lange mit sich trägt und nicht mehr vergessen wird.

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Veröffentlicht am 18.08.2022

Traurige russische Seelen

Das Leben vor uns
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„Glaubst du, Russen schleppen eine tiefgründige, schädliche Traurigkeit mit sich herum?“, fragt die Protagonistin des Romans, Anja, ihren alten Jugendfreund Lopatin am Ende des Romans „Das Leben vor uns“. ...

„Glaubst du, Russen schleppen eine tiefgründige, schädliche Traurigkeit mit sich herum?“, fragt die Protagonistin des Romans, Anja, ihren alten Jugendfreund Lopatin am Ende des Romans „Das Leben vor uns“. Es ist die Geschichte von vier Jugendlichen, die im Russland der 80er Jahre erwachsen werden. Sie hoffen einerseits auf ein anderes Leben in Freiheit mit allen Möglichkeiten, bleiben aber zugleich alle verhaftet in der Geschichte ihres Landes. Alle vier Leben nehmen unterschiedliche Verläufe, bleiben aber verbunden bis zuletzt.
Der Titel „Das Leben vor uns“ weckt Hoffnung auf ein Leben, das in vollen Zügen und mit allen Möglichkeiten gelebt werden will. Doch am Ende es zeigt sich, dass man seiner Vergangenheit und seiner Herkunft nicht entkommen kann, egal wie weit man ihr zu entfliehen sucht. Das lässt den Leser mit einer stillen Traurigkeit zurück.
Das Buch zeichnet sich auch in der Übersetzung aus mit einer wunderbaren Sprache, die sich gut lesen lässt, nie schwer oder pathetisch wird, dennoch ergreift und großartige Bilder zeichnet von der Natur und von der Stimmung im Land, die sich in der Natur und im Wetter spiegelt.
Die Figuren nehmen den Leser mit ihren Stärken und Schwächen, ihren liebenswürdigen und abstoßenden Wesenszügen ein. Es gibt keine Helden und keine Antihelden. Das bringt die Figuren dem Leser so nahe. Genauso wie ihm das Buch sehr viel mehr als nur die wechselvolle, schreckliche, grausame Geschichte Russlands von der russischen Revolution, die Blockade von Leningrad über den Kalten Krieg, Perestroika und Glasnost bis hin zu Putin, nahebringt. Er bekommt eine Ahnung von russischer Mentalität, von der Verbundenheit zu diesem rauhen Land, von dem Kampf mit der eigenen Geschichte und Gesellschaftsordnung. Es tut sich ein Zwiespalt auf von russischem Brauchtum, das Verwurzelung schafft und Heimat bietet und quasi der Natur entwachsen zu sein scheint, und dem Ringen mit den Selbstentwürfen gesellschaftlichen Zusammenlebens, die ihren Ursprung in der Idee des Kommunismus haben, in der Realität aber scheitern und die Menschen einengen, ausbeuten, quälen und sterben lassen.
Der Roman bringt dem Leser die russische Seele ein wenig näher

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Veröffentlicht am 02.08.2022

Der Mut der Ohnmächtigen

Die karierten Mädchen
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Als junge Hauswirtschaftslehrerin übernimmt Klara mehr oder minder schnell die Rolle der Leiterin eines Kurheimes für schwindsüchtige Kinder in Oranienbaum, das zugleich Ausbildungsstätte für junge Mädchen ...

Als junge Hauswirtschaftslehrerin übernimmt Klara mehr oder minder schnell die Rolle der Leiterin eines Kurheimes für schwindsüchtige Kinder in Oranienbaum, das zugleich Ausbildungsstätte für junge Mädchen in allen Belangen der Hauswirtschaft ist. Gebeutelt von der Weltwirtschaftskrise bleibt Klara nichts anders übrig, um das Fortbestehen der Einrichtung zu retten, als mit der aufsteigenden Macht der Nationalsozialisten einen Pakt zu schließen und das Heim zur Finanzierung unter staatliche Obhut zu stellen. Sie wird zuerst Leiterin dieser zum ersten Frauenbildungsheim umgewidmeten Hauses und später einer noch größeren Einrichtung mit dem Auftrag, die jungen Mädchen ganz im Sinne des nationalsozialistischen Frauenbildes zu erziehen, obwohl sie selbst das Ideal einer frei denkenden, selbständigen und für ihren eigenen Unterhalt sorgenden Frau verkörpert. Verschärft wird ihr innerer Konflikt noch dadurch, dass sie ein kleines Baby jüdischer Herkunft bei sich aufnimmt und sich als ihre Mutter ausgibt, was bei zunehmender Verfolgung der Juden durch die Nazis für sie und das Kind immer gefährlicher wird.
Klara ist eine bewundernswerte Frau: Noch als 90jährige blinde Frau, die ihre Erinnerungen auf ein Tonband diktiert, um mit sich und ihrer Vergangenheit ins Reine zu kommen, lebt sie allein und meistert ihren Alltag in ihrem norddeutschen Reihenhaus selbständig. Als junge Frau wagt sie ein kühnes Doppelspiel, indem sie sich mit Nazi-Größen wie Heinrich Himmler einlässt, ohne deren Ideologie zu teilen und dabei gleichzeitig alles zu tun, um ihr kleines Mädchen vor dem Zugriff der Verfolgung zu schützen. Schon in dieser Zeit kämpft sie mit ihrem Gewissen, ihren Schuldgefühlen, sich dem verbrecherischen Treiben der Nazis nicht deutlicher in den Weg zu stellen und z. B. die Untaten der Reichsprogromnacht nur in ohnmächtigem Schrecken zu beobachten. Das Buch setzt sich ohne moralische Belehrung mit der schwierigen Frage nach Schuld und moralischem Handlungsspielraum auseinander und zeigt am Lebenslauf der Protagonistin den inneren, bis zum Lebensende nicht gelösten Zwiespalt auf, den Deutsche, die nicht Täter, aber auch nicht überzeugte Nazis waren, vielfach gespürt haben dürften. Eingekleidet in eine mitreißende Geschichte, die viel über die Rolle der Frau und die Frauenbildung in Zeiten des Nationalsozialismus vermittelt, gelingt es dem Roman, dem Leser das Schicksal der Figuren nahezubringen. Bei aller Bewunderung für die Figur der Klara treiben auch ihn die Fragen nach Verantwortung, nach Schuld und nach Handlungsmöglichkeiten um. Auch wenn man sich als ohnmächtig empfindet, weil es zu spät zum Handeln ist, bleibt dennoch die Frage, ob man gleich zur Leiterin einer Erziehungsanstalt werden muss, die die Naziideologie unschuldigen Generationen einimpft, wenn man doch sieht, dass es kaum möglich ist, darin den Keim kritischen Denkens zu legen. Oder ist der Lebensentwurf von Klaras Freundin Susanne, die sehr früh die Abscheulichkeit der nationalsozialistischen Ideologie erkannt hat, aber sich in Ermangelung einer alternativen Tätigkeit als Erzieherin in der damaligen Zeit entschließt, in der „zweiten Reihe“ zu verharren, eine bessere Alternative?
Gespannt erwartet der Leser die Fortsetzung der Geschichte von Klara, auch in der Hoffnung, eventuell noch Antworten auf diese Fragen zu bekommen.

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Veröffentlicht am 11.06.2022

Paralleluniversen

Ein unendlich kurzer Sommer
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Lale steigt in einen Zug und fährt bis zur Endstation. Sie landet auf einem Campingplatz. Es ist Sommer. Sie ist am Ende der Welt.
Christophes Mutter ist gerade gestorben. In einem Buch findet er beim ...

Lale steigt in einen Zug und fährt bis zur Endstation. Sie landet auf einem Campingplatz. Es ist Sommer. Sie ist am Ende der Welt.
Christophes Mutter ist gerade gestorben. In einem Buch findet er beim Aufräumen einen 38 Jahre alten Brief seiner Mutter an den Mann, der eigentlich sein Vater ist. Er steigt in ein Flugzeug und fliegt ans Ende der Welt, auf einen Campingplatz.
Gustav ist ein alter Mann, er sitzt am Ende der Welt auf einem Campingplatz und ist froh, dass er seine Ruhe hat. Bis zwei Menschen auftauchen in einem Sommer, der das Leben aller verändern wird.
Was als leichte Sommerlektüre beginnt endet als tiefgründige, aber auch tieftraurige Geschichte über das was man vom Leben lernen kann, vor allem von dem nicht gelebten Leben. Aber trotz aller traurigen Zwischentöne findet das Buch immer wieder zu einer locker leichten, heiteren Sommerstimmung zurück, den die Autorin dem Leser mit vielen Stimmungsbildern schmackhaft, fühlbar, hörbar und überhaupt mit allen Sinnen wahrnehmbar macht. Beim Lesen kommen immer wieder Erinnerungen hoch an eigene verbrachte Sommer, deren ganz eigene Stimmung plötzlich ganz präsent wird.
Auf einem Campingplatz mit seinen herrlich schrägen, skurrilen, aber umso liebenswerteren Figuren ereignen sich Dinge, die den Leser zum Schmunzeln, zum lauten Lachen, aber auch zum Nachdenken und zum Traurigsein bringen. Das Paralleluniversum an Ende der Welt wird immer wieder heimgesucht von den Einbrüchen der Wirklichkeit. Oder ist es das Paralleluniversum, das in die Wirklichkeit einbricht, um zu zeigen, dass die Wirklichkeit nicht vorgegeben ist durch das Vergangene, sondern manchmal einen guten Schubs in die Zukunft braucht, um neue Wege zu beschreiten.
Eine herrliche Sommerlektüre mit Tiefgang! Gut zu lesen mit den Füßen in einem See auf einem Campingplatz am Ende der Welt! Aber Achtung: Das Paralleluniversum könnte auch der eigenen Wirklichkeit einen guten Schubs geben!

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Veröffentlicht am 04.04.2022

Ein absolut lesenwertes, starkes Buch!

Wellenflug
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"Das faszinierende Doppelporträt zweier höchst unterschiedlicher Frauen", schreibt die Schriftstellerin Julia Franck über den Roman "Wellenflug" von Constanze Neumann, einen Roman, der auf historischen ...

"Das faszinierende Doppelporträt zweier höchst unterschiedlicher Frauen", schreibt die Schriftstellerin Julia Franck über den Roman "Wellenflug" von Constanze Neumann, einen Roman, der auf historischen Begebenheiten beruht.
Treffender könnte man es nicht auf den Punkt bringen, dabei haben die beiden Frauen aber doch mehr gemein, als ihnen beiden bewusst und der einen lieb ist. Beide, Anna und Marie, kommen aus einfacheren Verhältnissen, beide erleben den Aufstieg in die Welt der gehobenen Gesellschaft, die eine fühlt sich dazu eher berechtigt, der anderen will Anna dies nicht vergönnen. Beide erleben das Auf und Ab des Lebens: von den äußeren Umständen her könnten beide ein glückliches Leben führen, aber beide haben mit den Widrigkeiten des Schicksals zu kämpfen. Anna, die Tochter eines aufsteigenden jüdischen Stoffhändlers, der seinen Weg über Leipzig nach Berlin macht und seine Töchter dort als gute Partien verheiratet, heiratet in die Familie Reichenheim ein, ebenfalls Juden und Tuchhändler, die das Leben der Berliner Oberschicht bestimmen. Anna lebt in einem prachtvollen Haus, besucht Bälle und Theater, lernt reiten und muss doch immer wieder herbe Schicksalsschläge hinnehmen. Auch ihr Sohn macht ihr das Leben nicht leicht, ist er doch der einzige ihrer zahlreichen Kinder, der sich nicht ihrem Willen fügt, sondern seinen Neigungen folgt, die ihn in das Berliner Nacht- und Lotterleben führen und für die Arbeitswelt eher untauglich erscheinen lassen. Er verprasst ein Vermögen bei Glücksspielen und bringt den Ruf der Familie in Gefahr.
Die andere, Marie, lernt eben diesen Heinrich kennen als Gardobrière in einem Varieté. Das kleine Mädchen vom Lande, aus Burg bei Magdeburg, das mehr vom Leben wollte und sich auf in die Großstadt Berlin machte, um dort ihr Glück zu suchen, wird zu Heinrichs rettendem Anker. Ihm, dem von der Familie wegen seiner Spielsucht und Betrügereien, aber vor allem wegen seiner Liebe zu einer unstandesgemäßen Frau nach Amerika Verbanntem, folgt sie, lebt mit ihm dort sein unstetes Leben, duldet seine Affären, seine Sprunghaftigkeit, wenn er von Job zu Job und Stadt zu Stadt zieht, reist im wieder nach Berlin hinterher, als die Pflicht, für das Vaterland im Ersten Weltkrieg zu dienen, ihn ruft. Immer in der Hoffnung, Gnade vor den Augen der Familienmatriachin Anna, Heinrichs Mutter, zu finden, aufgenommen zu werden in den Familienkreis.
Im zweiten Teil des Romans rückt die Figur der Marie immer stärker in den Mittelpunkt, Anna wird zu einem Schatten, der allerdings Maries Leben stets dunkel überzieht und auch Heinrichs Leben bestimmt. Diese Marie, die die Missachtung der Familie ihres Mannes ertragen muss, meistert ihr Leben an der Seite ihres sprunghaften Ehemannes mit Bravour. Immer wieder in völlig neue Lebensumstände geworfen, immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt, richtet sie sich in diesem Leben immer wieder und immer wieder ein, macht das Beste daraus, findet ihre Inseln des Glücks. Marie benötigt keine aufgetürmten Frisuren und überbordenden Hüte, die für sie die Machtstellung Annas in der Familie demonstrieren, als Ausruck von Größe. Sie ist eine stille, aber starke Helden und, wenn sie auch schon nicht die Anerkennung ihrer Schwiegermutter erlangen kann, so doch die des Lesers für ihren Lebenswillen, ihren Pragmatismus, ihren Einsatz für ihre kleine Familie, ihre kleine Welt, die zunehmend mit der größeren Welt um sie herum auf Kollisionskurs gerät, als der Nationalsozialismus ihre jüdische Familie bedroht.
Die verschiedenen Schauplätze des Geschehens - die jüdischen Viertel der Tuchhändler in Schlesien, das jüdische Leben im aufsteigenden Berlin um die Jahrhundertwende, die Ozeanüberquerung auf einem Schiffsdampfer 1. Klasse, die mondäne Großstadt New York und das beschauliche Erie in Pennsylvania, die Sommerreise Heinrichs und Maries ins Mittelmeer und nach Italien sowie die Rückkehr in ein von Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit bedrohtes Deutschland sowie das Aufkommen der "braunen Rotte" und deren Untergang in Dresden - schildert die Autorin so atmosphärisch dicht und greifbar, dass der Leser mit auf die Reise geht und die unterschiedlichen Stimmungen der unterschiedlichen Stationen auf der Lebensreise - insbesondere Maries - hautnah miterlebt und sich einfühlen kann in ihr Leben. Er spürt das brodelnde Berlin der Jahrhundertwende, die Größe und Lebendigkeit und Enge New Yorks, die kalten Winter und lauen Sommer in dem ruhigen, weiten Erie und den rauchigen, nebligen Herbst in Dresden.
Der Roman rührt an, nicht durch große Gefühle und Dramatik, nicht durch viele emotionale Worte, sondern gerade durch die ruhige, klare, kraftvolle Darstellung. Die Zeiten in Deutschland werden finster - wie sollten sie auch anders werden für einen Juden aus wohlhabender Familie, auch wenn er seine vaterländische Pflicht geleistet und diese mit dem Eisernen Kreuz vergolten bekommen hat. Aber gerade weil die Autorin darauf verzichtet, die Grausamkeiten und Greultaten zu beschreiben, die Parolen der Braunen herausschreien zu lassen und die zunehmende Zuspitzung der Lage für die Juden in Deutschland immer nur in Nebensätzen andeutet, wird diese Finsternis für den Leser um so bedrohlicher greifbar. Er muss die Schrecknisse nicht noch einmal in aller Deutlichkeit hören, er benötigt nur die Andeutung, den kurzen Verweis und die Bangigkeit und Schwere der Protagonisten legt sich auch auf sein Herz.
Genauso still und stark wie seine Heldin Marie klingt der Roman zum Ende aus - und hinterlässt doch großen Nachhall im Leser.
Ein absolut lesenwertes, starkes Buch!

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