Der Auftakt zur Trilogie um den dreißigjährigen Krieg, „Am Fluss der Zeiten“ von Ulrike Renk schildert das Leben der Eigenbehörigen Elze mit ihrer Familie auf dem Hof Kalmule im Münsterländischen. Anschaulich ...
Der Auftakt zur Trilogie um den dreißigjährigen Krieg, „Am Fluss der Zeiten“ von Ulrike Renk schildert das Leben der Eigenbehörigen Elze mit ihrer Familie auf dem Hof Kalmule im Münsterländischen. Anschaulich und mit profunder Kenntnis entwirft die Autorin ein lebendiges Bild vom bäuerlichen Leben im 16. Jahrhundert, das nicht nur den Naturgewalten, sondern auch der Willfähr der adeligen Herrschaften unterworfen ist. So muss der Hof, den Elzes Familie bewirtschaftet, neben Tante und Eltern auch das junge Bauernpaar, Elzes Bruder mit Frau und Kind, sowie zwei weitere Brüder und eine jüngere Schwester ernähren. Dürre und Unwetter machen die Ernten schlecht. Doch der Lehnsherr will seinen Anteil, und er will Geld für die Auffahrt des ältesten Bruders, der den nach einem Unfall kränklichen Vater in der Hoffolge ablösen soll. Da dies nicht reicht, muss Elze ihren Dienst für ein Jahr in der großen Stadt Münster bei einem Domherren ableisten. So wie zuvor schon ihre Tante Stine zur Zeit der Widertäufer in Münster. Seit dieser Zeit predigt sie den Untergang der Welt. Und der scheint nahe, als sich ein neuer Belagerer der Stadt Münster nähert und der Beginn des 30jährigen Krieges abzuzeichnen beginnt.
Eine spannende Lektüre über eine Zeit voller Aberglaube und Tod durch Krieg und Krankheit. Auch die Passagen, in denen Ulrike Renk das bäuerliche und das höfische Leben schildert und das Beziehungsgeflecht innerhalb der Familien und innerhalb der damaligen Gesellschaft nachzeichnet, sind sehr interessant zu lesen. Sie verleiht den unbekannten, weil niederen Menschen der damaligen Zeit Gesicht und Stimme. Mit der Figur der Elze kann der Leser abtauchen in die Gefühlswelt eines jungen Mädchens, dass zwischen realen Ängsten und abergläubischer Hysterie versucht, ihren Weg im Rahmen der ihr durch die Gesellschaft vorgegebenen Einschränkungen und somit ein klein wenig Lebensglück zu finden. Eine auf jeden Fall lohnenswerte Lektüre!
Leo verdankt seinen zweiten Namen weniger seiner furchtlosen Entschlossenheit im Kampf gegen Geister, sondern eher einem ungewöhnlichen Umstand seiner Geburt. Denn eigentlich fürchtet Leo die Dunkelheit ...
Leo verdankt seinen zweiten Namen weniger seiner furchtlosen Entschlossenheit im Kampf gegen Geister, sondern eher einem ungewöhnlichen Umstand seiner Geburt. Denn eigentlich fürchtet Leo die Dunkelheit und alles, was in ihr ist. Aber ausgerechnet er kann die Geister Verstorbener sehen und hören. Und so erhält ausgerechnet er den Auftrag von drei Geistern einen Poltergeist – im Wortsinne – vom Friedhof zu vertreiben, damit dieser die Ruhe der Toten nicht mehr stören kann. Unterstützt von seiner Nachbarin Antonia, die einen Faible für die Nacht und alles, was in ihr ist, hat, begibt er sich auf die unheimliche Jagd des Poltergeistes, den ein Geheimnis des Nächtens sein Unwesen treiben lässt.
Der Roman hat einen angenehmen Gruselfaktor für Groß und Klein, eine packende Geschichte und noch mehr Humor und Herzenswärme. Wunderbar erzählt wird von Ängsten, Einsamkeit, Mut und Freundschaft. Mit tollen Illustrationen und liebevollen Details auf allen Seiten und natürlich dem klasse Cover, das uns verspricht, was der Inhalt hält. Klare Leseempfehlung auch für Angsthasen à la Leo Helsing, die sich danach sicherlich noch oder wieder in den dunklen Keller trauen, auch wenn die Glühbirne kaputt ist.
Joseph ist kein unsympathischer Charakter. Er ist offen und zugewandt, aufrichtig und ehrlich. Und so, wie er auf die Welt schaut, so schaut sie auf ihn zurück.
Seine Lebensumstände sind in vielerlei ...
Joseph ist kein unsympathischer Charakter. Er ist offen und zugewandt, aufrichtig und ehrlich. Und so, wie er auf die Welt schaut, so schaut sie auf ihn zurück.
Seine Lebensumstände sind in vielerlei Hinsicht nicht glücklich und rosig, aber sie wenden sich immer wieder zum Guten für ihn. Von der Mutter vernachlässigt, vom Vater wenig beachtet, wächst er bei liebenden Großeltern, die ihn an Kunst und Kultur heranführen. Die deutschstämmige Familie lebt in Thorn, Westpreußen, mal deutsch, mal polnisch, mal wertgeschätzt, mal degradiert. Die Jugend des Erzählers ist die Zeit des Zweiten Weltkrieges auf, er gerät in Gefangenschaft, ohne überhaupt Soldat gewesen zu sein, findet aber immer wieder jemandem, der ihm hilft, die Umstände im Lager zu überleben. Und so soll es weitergehen. Als er mit seinen zwei Jugendfreunden beschließt, das von Russen besetzte Gebiet gen Westen zu verlassen, sind die Begegnungen mit den Menschen, die ihnen auf der nicht unabenteuerlichen Reise weiterhelfen, bisweilen quasi märchenhaft. Schließlich verschlägt es den jungen Josef, der aufgrund des Krieges keinen Schulabschluss und keine Berufsausbildung hat über den Harz, wo er das Schusterhandwerk erlernt, nach Essen. Da seine Augen sehr schlecht sind, bleibt ihm das Musizieren verwehrt sowie die Ausbildung zum Fotografen. Auch die Farbenblindheit erschwert ihm das eh nicht sonderlich geliebte Handwerk des Schusters. So verdingt er sich hier und da, im Stall, auf dem Bau, und findet auch in Essen immer wieder familiären Anschluss, auch wenn eine eigene Familie ihm zunächst nicht vergönnt ist. Das Fotografieren, ein Hobby, das ihn schon als Jungen faszinierte, fällt ihm zwar durch seine schwachen Augen schwer. Auf der anderen Seite entstehen so so ungewöhnliche Fotos, dass das Schicksal am Ende für ihn noch ein besonderes Glück bereithält.
Das Leben dieses jungen Josef, erzählt aus der Retrospektive von ihm selbst, nimmt den Leser sowohl emotional als auch buchstäblich mit auf eine lange, abenteuerlich, spannende und auch herzliche Reise mit zahlreichen interessanten Bekanntschaften. Als Bilanz dieses Lebens, das unter erschwerten Bedingungen und mit einigen Unwägbarkeiten gelebt wurde, kann gezogen werden, dass sich viel unerwartet Gutes ereignen kann, wenn man den Mut hat, sich auf das Leben einzulassen und es so nimmt, wie es sich bietet. Der sympathische Protagonist ist eine Stärke dieses Buches, seine spannendes Leben, das, man kann es kaum glauben, auf wahren Begebenheiten beruht, ein zweiter Grund, dieses Buch zu lesen. Und ein besonders hervorzuhebender dritter, aber sicherlich nicht letzter Grund ist die schöne Sprache, in der das Buch geschrieben ist.
Wie ein Märchen oder ein Weihnachtswunder mutet die Geschichte von Luise Adler an. Sie ist eine junge Deutsche, die sich in einen amerikanischen GI verliebt, der mit dem 2. Weltkrieg nach Deutschland gekommen ...
Wie ein Märchen oder ein Weihnachtswunder mutet die Geschichte von Luise Adler an. Sie ist eine junge Deutsche, die sich in einen amerikanischen GI verliebt, der mit dem 2. Weltkrieg nach Deutschland gekommen ist. Doch eine Verbindung zwischen einem Amerikaner und einer Deutschen ist von Seiten der amerikanischen Regierung gänzlich verboten und wird auch von den Deutschen misstrauisch beäugt. Aber Luise und Hunter meines es ernst. Als er zurück in die USA muss, scheint ihre Liebe aussichtslos, ist Luise die Einreise doch strikt verboten. Aber der War Bride Act eröffnet für eine kurze Zeitspanne eine Möglichkeit. Doch wo ist Hunter, als Luise am Idlewood Flughafen in New York landet? Mit Hilfe von Ernest, einem ehemaligen Journalisten, und Rosie, Bodenpersonal der New York Airlines, sowie einem Presseaufruf versucht halb New York, Luises Aufenthalt in den Vereinigten Staaten zu sichern. Denn irgendwo muss Hunter doch stecken.
Viele Jahre später macht sich Luises Enkelin ebenfalls auf den Weg nach Amerika, um den jungen Mann, den sie liebt, zu heiraten. Doch auf dem Flug macht sie eine verstörende Begegnung, die sie ihre Beziehung infrage stellen lässt.
Zwei Frauen zu zwei unterschiedlichen Zeiten erleben auf ganz unterschiedliche Weise das Wunder der Liebe. Eigentlich klingt das ziemlich kitschig. Aber genau das ist die Geschichte nicht. Die Figuren sind alle so charmant und liebreizend, dass sie direkt das Herz berühren. Man sieht die Bilder dieser Begegnungen an sich vorübergehen wie einen Hollywood-Klassiker aus den 50er oder 60er Jahren mit Doris Day oder Marilyn Monroe. Auch ist die Geschichte der Luise Adler in den Teilen, die im Nachkriegsdeutschland spielen, zu ernst, um kitschig zu sein. Auch wenn Luise, eine Person, die ein Zimmer zum Leuchten bringt, wenn sie es betritt, nicht solche Anfeindungen dafür erleben muss, dass sie sich mit einem Amerikaner, einem Kriegsgegner und Sieger, einlässt wie die Frauen, denen man die Haar schor und die man ächtete, so erlebt doch auch Luise Verlust, Hunger und den Schmerz, eine aussichtslose Liebe eingegangen zu sein. Und als sich ihr die Möglichkeit bietet, macht sie sich, die so in ihrer Heimat und Familie verwurzelt ist, dennoch auf in eine ungewisse Zukunft und muss zunächst erfahren, ganz auf sich gestellt zu sein.
Ich denke schon, dass das Buch das Schicksal einer War Bride gut vermitteln kann. Und auch so ist „Im Warten sind wir wundervoll“ von Charlotte Inden ein schön zu lesendes Buch, auch vom Schreibstil her sehr herzlich mit an passender Stelle leichtem Witz, aber angenehm unprätentiös und nie pathetisch-kitschig.
Auf jeden Fall vermisst man Ernest, Rosie, Hunter, Wilson, Tante Frieda und Luise schon in dem Moment, in dem man die letzte Seite zuklappt.
Die Romanbiografie „Die Bilder meines Vaters“ von Astrid Goltz lassen Marie Luise Vogeler ihr Leben als Tochter des Worpsweder Künstlers Heinrich Vogeler und als Lebensgefährtin und spätere Frau des Schriftstellers ...
Die Romanbiografie „Die Bilder meines Vaters“ von Astrid Goltz lassen Marie Luise Vogeler ihr Leben als Tochter des Worpsweder Künstlers Heinrich Vogeler und als Lebensgefährtin und spätere Frau des Schriftstellers Gustav Regelers im Rückblick erzählen. Aus dem Exil in Mexico erzählt die an Krebs erkrankte Marie Luise im Angesicht des Todes von ihrer Kindheit in der Worspweder Künstlerkommune, von ihrer Ausbildung zur Goldschmiedin, ihrer Entfremdung des sich immer mehr dem Kommunismus zuneigenden Vaters und ihrer Begegnung mit ihrem späteren Ehemann Gustav Regeler. Dieser verschreibt sich unter Einfluss des Schwiegervaters in Spe zunehmend selbst dem Kommunismus und der stalinistischen Partei. Auch wenn ihn die Reisen, die er mit Marie Luise zu ihrem Vater nach Russland unternimmt und im Rahmen derer er an den Schauprozessen Stalins gegen seine politischen Gegner teilnimmt, vom Stalinismus Abstand nehmen lässt, so nimmt er doch den Kampf gegen den Faschismus auf, was ihn zunächst aus Deutschland nach Frankreich fliehen und von dort in den Kampf gegen Franco nach Spanien ziehen lässt. Mit Expansion des 3. Reiches muss er weiter nach Mexiko ins Exil.
So liest sich das vorliegende Buch zunächst eher so wie die Biographie von Marie Luises Vater und dann Lebensgefährten, was daran liegt, dass sie ihrem Motto gemäß „Seid getreu bis in den Tod und ich will euch die Krone des Lebens geben.“, das der Vater ihr einst in einem Brief aus dem 1. Weltkrieg schrieb, ihr Leben stets ganz den Idealen der Männer in ihrem Leben unterordnet. Dabei geht es ihr aber eher um die Person als um deren Ideen oder Ideale. So distanziert sie sich vom Vater, als dieser den geliebten Barkenhof ihrer Kindheit in eine kommunistische WG umwandelt, ohne sich aber ganz vom Vater lösen zu können. Genauso tritt sie zwar nie in die kommunistische Partei ein, wendet aber freiwillig Worpswede und Deutschland den Rücken, lebt im französischen Exil im Warten auf bzw. Bangen um den in Spanien kämpfenden Geliebten, um dann mit ihm unter dramatischten Umständen nach Mexiko zu fliehen, weil das freiheitsliebende Nordamerika keine Flüchtlinge und schon gar keine Kommunisten aufnimmt. Dort kämpft sie nicht nur mit dem Krebs, sondern auch um eine sinnvolle Existenz und die Liebe ihres Mannes, der schon längst einer anderen schreibt.
Ihr eigenes Künstlersein, gelernte Goldschmiedin und begabte Malerin, versucht sie in diesem Leben, das sich stets auch ein Stück weit von dem Einfluss der Männer zu entziehen sucht, als etwas ihr Eigenständiges zu wahren. Die phantasiebegabte „Heckenrose“, so ihr Spitzname, vermag es mit den Moorgestalten zu kommunizieren und in der Natur das Wesen hinter den sich manifestierenden Gestalten zu sehen, denen sie dann in ihren Bildern Ausdruck verleiht.
So sind die Naturbeschreibungen in diesem Roman auch eine besondere Stärke und verleihen ihm ein stimmungsvolle Atmosphäre, sei es in der Worpsweder Moorlandschaft, sei es in russischen Winterlandschaften oder in der mexikanisch exotischen Vegetation.
Zu Anfang muss man sich ein wenig an das Springen zwischen den verschiedenen Zeitebenen gewöhnen. Bisweilen sind die Übergänge zwischen den Ereignissen in Mexiko, sozusagen der Gegenwart Marie Luise Vogelers, und den Rückblicken sehr fließend und sorgen anfänglich für Verwirrung, zumal die Erinnerungen auch zwischen den Lebensereignissen des Vaters, der restlichen Familie Vogeler und den eigenen der Erzählerin wechseln. Dazwischen eingeschoben sind Beschreibungen einzelner Bilder Vogelers, die entweder ein besondere Bedeutung für das Leben der Protagonistin haben oder eine bestimmte Entwicklungsstufe des Vaters spiegeln. Mir ist es allerdings nicht ganz leicht gefallen, von diesen Beschreibungen eine Anschauung des Bildes zu gewinnen.
Im Verlauf wird die Erzählstruktur aber insofern klarer, als die Erzählerin in Mexiko einer Freundin die Geschichte ihrer Beziehung mit Gustav Regeler erzählt, unter dem Eindruck der zunehmenden Entfremdung von ihrem Mann, für den sie Trost bei der Freundin sucht.
Insgesamt ist das Buch sehr spannend zu lesen, und zwar in mehrfacher Hinsicht, für die man die anfänglich strukturelle Verunsicherung gerne in Kauf nimmt: zum einen die Darstellung der schillernden Figur des Heinrich Vogeler, desweiteren die Schilderung der künstlerischen, der ideologischen und der politischen Strömungen der Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts und zwar über die Achse Deutschland, Russland, Frankreich, Spanien und Mexiko aus einer globalen Perspektive. Und last but not least das bewegende und bewunderungswürdige Leben einer jungen Frau, die sich neugierig auf eine Reise durch eine wirre Welt begibt, und das weniger aus Abenteuerlust, ist sie doch eigentlich in Worpswede tief verwurzelt und genießt das Sitzen mit den Freundinnen in der gemütlichen Stube bei Tee und Butterkuchen, sondern in tiefer Verbundenheit und Treue zu zwei sehr schwierigen, sehr um sich kreisenden Künstlermännern, die ihr Leben bestimmt und denen sie treu bis in den Tod folgt, doch ohne sich selbst dabei aufzugeben.
Dem Wunsch der Autorin, ihren Roman „als Ausgangspunkt [zu] nehmen, um mehr über die historischen Personen sowie ihre Zeitgeschichte zu erfahren und sich ein eigenes, ganzheitliches Bild zu machen, will man nach Lektüre des Romans nur zu gerne nachkommen.