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Veröffentlicht am 18.03.2019

Anspruchsvoll

Das Haus der Rajanis
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Alon Hilus "Das Haus der Rajanis" ist einer der ungewöhnlichsten Romane, die ich seit langem gelesen habe. Der Autor lässt den Leser ins Palästina des ausgehenden 19. Jahrhunderts eintauchen. Dabei verwendet ...

Alon Hilus "Das Haus der Rajanis" ist einer der ungewöhnlichsten Romane, die ich seit langem gelesen habe. Der Autor lässt den Leser ins Palästina des ausgehenden 19. Jahrhunderts eintauchen. Dabei verwendet er eine sehr pompöse Sprache, die heutzutage (genauso wie die abweichende Satzstellung) eher ungebräuchlich ist. So hat es ein bisschen gedauert, bis ich mich eingelesen habe. Doch dann haben sich Sprache und Geschichte wunderbar zu einem Gesamtwerk ergänzt, zumal - nach Angaben im Vorwort - die Ausdrucksweise aus der handelnden Zeit wohl ziemlich authentisch ist.

Der Leser trifft zunächst auf zwei unterschiedliche Protagonisten. Da ist zum einen der jüdische Auswanderer Isaac, der eine unerfüllte Ehe mit seiner Frau Ester führt. Zum anderen ist da Salach, ein arabischer Junge mit blühender Fantasie, der Geschichten schreibt und depressiv zu sein scheint. Beide Ich-Erzähler treffen zufällig aufeinander und nach dem ursprünglichen Sichtkontakt läd Salachs Mutter Afifa Issak zu sich nach Hause ein - eben in das titelgebende Haus der Rajanis. Isaac wird eine Art Vaterfigur für Salach und beginnt mit Afifa eine heimliche Affaire. Doch in beiden Beziehungen treten bald Komplikationen auf, die sich zu handfesten Dramen entwickeln...

Auch wenn nicht extra gekennzeichnet wird, welcher Abschnitt von dem Jungen und welcher von dem Mann erzählt wird, kommt keine Verwirrung auf. Es ist immer eindeutig, wer gerade spricht. Interessant ist es, ein und dasselbe Ereignis aus beiden Perspektiven zu sehen - die Erzählungen sind da mitunter sehr anders. Da fragt man sich, ob Isaac seine Erzählungen in seinem Tagebuch beschönigt, um besser vor sich selbst dazustehen, oder ob Salachs Fantasie mit ihm durchgeht und er die Dinge drastischer schildert, als sie sind. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion. Besonders spannend ist es auch, wenn einer die Welt des anderen durch seine Augen betrachtet und beschreibt, beispielsweise wenn Salach das jüdische Viertel besucht. So bekommt man einen interessanten Einblick, was ruhig noch öfter hätte passieren können. Die immer wieder eingesträuten arabischen Begriffe geben dem Ganzen noch eine weitere Dimension.

Insgesamt eine fesselnd erzählte Geschichte, die den beginnenden Konflikt zwischen Juden und Arabern in Palästina, dem heutigen Israel, aufgreift und über die Einzelschicksale von Isaac und Salach betrachtet. Da das ganze sehr aus der persönlichen Sicht der beiden erzählt wird, ist natürlich die Frage, wie allgemeingültig alles ist. Auch wenn die Geschichte über 100 Jahre in der Vergangenheit liegt, ist sie nach wie vor brandaktuell.

Veröffentlicht am 18.03.2019

Seifenoper in Buchform

Die Woll-Lust der Maria Dolors
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Dolors hat nicht nur selbst eine wilde Vergangenheit, auch ihre Familie ist alles andere als gewöhnlich. Hier kommt alles gleichzeitig: Homosexualität, Magersucht, Mord und Affairen. Mehr als genug Potential ...

Dolors hat nicht nur selbst eine wilde Vergangenheit, auch ihre Familie ist alles andere als gewöhnlich. Hier kommt alles gleichzeitig: Homosexualität, Magersucht, Mord und Affairen. Mehr als genug Potential für Herzschmerz, Konflikte und Unglück. So sieht das Familienleben auch sehr bewegt aus - an manchen Stellen ein bisschen zu bewegt, um noch glaubhaft zu sein. Da rutscht die ein oder andere Episode doch sehr ins klischee- und seifenopernhafte ab. Vor allem die Enthüllung von Dolors großem Geheimnis war mir ein bisschen zu weit her geholt.

Bis auf diese kleinen Ausnahmen haben mir aber vor allem die Charaktere gut gefallen. Auch wenn nicht alle sympathisch sind, werden sie detaillreich gezeichnet. Die meisten machen auch eine Entwicklung durch, was natürlich immer spannender ist als statische Figuren.

Blanca Busquets springt beim Erzählen mühelos von der Zukunft in die Vergangenheit und wieder zurück, ohne dass es den Leser verwirrt. Den Schreibstil habe ich als angenehm und kurzweilig empfunden, das Buch lies sich leicht lesen. Durch diese Darstellungsweise hatte ich beinahe das Gefühl, selbst in Dolors' Kopf zu sein und ihren Gedankenstrom zu verfolgen - tolle Idee und sehr schön umgesetzt. Rührend fand ich auch den Epilog. Nachdem wir das ganze Buch über alle Charaktere nur aus Dolors Sicht betrachtet haben, kommen die nach ihrem Tod erstmals selbst zu Wort und können ihre innersten Gedanken selbst ausdrücken - da ist auch die ein oder andere Überraschung dabei...

Gelungen finde ich auch die Umsetzung des "Woll-Themas". So wie sich Dolors beim Stricken von Masche zu Masche hangelt, mal gut vorwärts kommt und mal Fehler macht, genauso so wird auch die Geschichte erzählt - stückchenweise und mit all den persönlichen Macken und Eigenarten der Handelnden. Konsequent passen auch die Kapitelüberschriften und die Gestaltung zum Thema Stricken und Wolle.

Veröffentlicht am 18.03.2019

Lebensgefährliches Internet

Sieh mir beim Sterben zu
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"Sie mir beim Sterben zu" hat mir gut gefallen, auch wenn es für mich kein richtiger Thriller war. Die Charaktere waren sehr gut ausgearbeitet und besonders positiv fiel mir auf, dass die Protagonisten ...

"Sie mir beim Sterben zu" hat mir gut gefallen, auch wenn es für mich kein richtiger Thriller war. Die Charaktere waren sehr gut ausgearbeitet und besonders positiv fiel mir auf, dass die Protagonisten nicht nur typische Heldenfiguren sind (wie sie besonders in der US-amerikanischen Kultur so oft dargestellt werden), sondern auch ihre Fehler und Eigenarten haben. Dadurch wurden sie mir einfach viel sympathischer und ich habe mit ihnen mitgefiebert.

Das Buch fängt knallhart direkt mit zwei schockierenden Morden an, kann das Tempo, das es zu Anfang vorlegt, aber nicht halten und fällt ab. Trotzdem gibt es noch viele spannende Momente wie beispielsweise die Rettung von Lisa. Schade, dass nicht das ganze Buch so fesselnd ist. Das Thema rund um Internetkriminalität ist immer noch hochbrisant und auch wenn die Leute von Monkeewrench unglaubliche Computerkenntnisse haben, klingt doch an, dass das Internet mit seiner Anonymität und Unüberschaubarkeit ein Nährboden für Kriminalität ist.

Etwas enttäuscht war ich dann allerdings vom Ende - alles kommt sehr plötzlich und auch, wenn anscheinend alle Mörder identifiziert werden können, erhält man doch zu wenige Informationen. Ich hätte gerne gewusst, wie der Mann, den der Richter zum Golfplatz bestellt, denn nun heißt und was genau seine Motivation war, die Liste des Richters "abzuarbeiten". Außerdem ist mir nicht ganz klar, wer von beiden am Ende nun gestorben/verblutet ist - der Mörder oder der Richter?

Erst nach dem Lesen habe ich erfahren, dass schon vor "Sieh mir beim Sterben zu" weitere Romane um die Monkeewrench-Crew erschienen sind. Das hat aber gar nicht gestört, denn wenn die Bücher aufeinander aufbauen sollten, hat mir das Vorwissen beim Lesen nicht gefehlt.

Insgesamt ein gutes Buch, das viel Wert auf interessante Charaktere legt, aber etwas mehr Spannung hätte erzeugen sollen. Ich habe mich unterhalten gefühlt, aber muss jetzt nicht unbedingt noch andere Bücher des Duos lesen.

Veröffentlicht am 18.03.2019

Nicht ganz nachvollziehbar

Inside AFD
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Franziska Schreiber berichtet über ihre Erlebnisse als AfD-Mitglied und Vorsitzende der Jungen Alternative in Sachsen bis zu ihrem Ausstieg aus der Partei. Dabei verwebt sie ihre persönlichen Ansichten, ...

Franziska Schreiber berichtet über ihre Erlebnisse als AfD-Mitglied und Vorsitzende der Jungen Alternative in Sachsen bis zu ihrem Ausstieg aus der Partei. Dabei verwebt sie ihre persönlichen Ansichten, Erlebnisse und Motivationen mit der Entwicklung und Radikalisierung der Partei. Ihre persönliche Perspektive ist durchaus interessant, auch wenn es mir schwerfällt, ihre Entscheidungen nachzuvollziehen. Die Abschnitte zur generellen Parteientwicklung beinhalten nicht wirklich viel Neues. Das Buch enthält zudem viel Spekulation („Ich glaube, Björn Höcke sind die anhänglichen Burschen[schaftler] manchmal selbst ein bisschen unheimlich.“) und auch einige banal-bizarre Details (Vertraute Frauke Petrys nennen sie "Sternchen").

Zwar distanziert sich die Autorin von den rassistisch und nationalistisch geprägten Zweigen der Partei, deren Entwicklung sie über Jahre verfolgt hat, aber sie vermittelt für mich nicht nachvollziehbar, warum sie trotzdem so lange Mitglied war und das auch noch in einer führenden Position. Sie gibt zu, in ihrer öffentlichen Kommunikation für die AfD falsche Zahlen und Daten verwendet zu haben, um AfD-Anhänger aufzuwiegeln. Die Quellen und Berichte, auf die sie sich dabei bezog und deren Inhalt sie bewusst falsch wiedergab, hat sie nicht gelesen, denn der „Empfängerkreis der Pressemitteilung würde [sie] auch nicht lesen.“ Selbst als ihr auffällt, dass die und ihr Partei-Umfeld immer radikaler werden, macht sie lange weiter und trägt aktiv zu dieser Entwicklung bei. Rückblickend sagt Schreiber von sich selbst, dass sie Angst vor dem Islam entwickelte, aber gar keine Muslime kannte. Immerhin zeigt sie zumindest in manchen Bereichen, wie sie sich weiterentwickelt hat und ihr Handeln und ihre Positionen hinterfragte, obwohl das in dem radikalen Umfeld schwer war.

Man darf jedoch nicht erwarten, dass sie alles abgelegt hat. Gleich in der Einleitung glorifiziert sie die ehemalige AfD-Vorsitzende Frauke Petry, die nun wirklich kein Symbol für Demokratie und Toleranz ist. Diese unkritische Unterstützung zieht sich durch das gesamte Buch. Den Applaus, mit dem Petrys Wahl zur Parteivorsitzenden bedacht wurde, nutze Schreiber fast zwei Jahre lang als Klingelton auf ihrem Handy. Auch die Begeisterung, mit der sie beschreibt, wie Petry ein Stück Pizza mit der Hand ist, empfand ich einfach nur als skurril.

Einige Argumentationsketten sind mir auch einfach zu simpel. Beispielsweise äußert die Autorin, dass die Basis in einer Art Gruppenzwang die führenden Köpfe zu immer radikaleren Aussagen drängt und dass sich Weidel und Co so krass äußern müssen, wenn sie ihren Posten nicht verlieren wollen. Typisches Muster in der AfD-Kommunikation: Irgendwie sind immer andere Schuld, diese Opferdenkweise hat Schreiber anscheinend noch nicht richtig abgelegt.

Was trieb also einen jungen, durchaus gebildeten Menschen zu dieser Partei? Von der FDP enttäuscht und von Luckes Rationalität begeistert, trat Schreiber 2013 kurz entschlossen der AfD bei. Gleich zu Beginn hat sie ein Schlüsselerlebnis, was sie an die Partei schweißt: Als sie freiwillig an einem Wahlkampfstand arbeitet, wird dieser von Anhängern der Antifa zerstört. Schreibers Reaktion dazu: „Unser Land ist in Gefahr, dachte ich. Die sind noch gefährlicher als die Neonazis. […] Ich werde diese Leute bekämpfen“. Diese Stelle fand ich besonders bemerkenswert, denn der gemeinsame Feind schweißt wohl immer noch am meisten zusammen. Mit diesem Erlebnis scheint sie der Partei treu ergeben zu sein und das Gefühl zu haben, einer Mission zu folgen.

Auf Basis ihrer eigenen Erfahrung und auch durch die Darstellung ihres eigenen Fehlverhaltens hat Franziska Schreiber ein durchaus wichtiges Buch verfasst, das man jedoch kritisch lesen sollte.

Veröffentlicht am 13.03.2019

Faszinierendes Thema mit wenig überzeugender Umsetzung

Der Turm der blauen Pferde
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Die Geschichte klang zunächst vielversprechend: Das weltberühmte, aber im 2. Weltkrieg verschwundene Gemälde "Der Turm der blauen Pferde" von Franz Marc taucht plötzlich wieder auf. Ist es echt und wenn ...

Die Geschichte klang zunächst vielversprechend: Das weltberühmte, aber im 2. Weltkrieg verschwundene Gemälde "Der Turm der blauen Pferde" von Franz Marc taucht plötzlich wieder auf. Ist es echt und wenn ja, was geschah mit dem Gemälde in mehr als 70 vergangenen Jahren? Das soll die Kunstdetektei von Schleewitz aus München klären. Die Krimihandlung zu der dramatischen Vergangenheit des Bildes fand ich streckenweise fesselnd. Die Nachforschungen bringen teilweise interessante Ereignisse ans Licht, allerdings scheinen einige Wendungen, die sich vor allem Ermittler Max zusammenreimt, ziemlich aus der Luft gegriffen zu sein. Eine wirklich zufriedenstellende Lösung bietet der Roman nicht.

Parallel zu den Ermittlungen in der Gegenwart schiebt der Autor immer wieder Rückblenden ein, die erzählen, was mit dem Bild geschah. Während die Detektive ermitteln, kann der Leser also den angeblich richtigen Weg des Gemäldes ab 1945 verfolgen. Ganz am Ende wird aufgelöst, was es mit diesen Rückblenden wirklich auf sich hat. Diese Idee fand ich eher enttäuschend.

Eine weitere Schwachstelle sind für mich die Protagonisten, die beinahe alle ungemein unsympathisch sind. Nun ist das an sich kein Problem, im Gegenteil, Charaktere mit Ecken und Kanten machen Geschichten meist erst interessant. Hier scheint es aber keinen Grund für die Eigenarten zu geben. Warum lügt Max zum Beispiel seine Kollegen und seine Familie ständig an? Warum ist Rupert so ein widerlicher Schleimer, der ständig mit seiner Angestellten Klara flirten will und extrem herablassend wird, wenn er eine Abfuhr kassiert ("Jetzt sei halt nicht so zickig!", als sie nicht mit ihm während der Arbeitszeit nacktbaden will)? Warum relativiert Klara das abstoßende und unprofessionelle Verhalten ihres Chefs, obwohl sie sich unwohl fühlt?

Bei vielen Verhaltensweisen fehlt mir einfach der tiefere Sinn, denn sie tragen nichts zur Handlung bei und sorgen auch nicht dafür, dass ich die Charaktere besser verstehe. Dazu kommt, dass das Privatleben der drei Ermittler Rupert, Klara und Max teils exzessiv behandelt wird. Diese Szenen haben ebenfalls beinahe nichts mit der Handlung zu tun, wirken teils unheimlich banal und verlangsamen das Erzähltempo unnötig. Leider eher eine Enttäuschung.