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Veröffentlicht am 22.09.2018

Faszinierend

Süßwasser
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Ein Großteil der Geschichte spielt sich im Geist der jungen Nigerianerin Ada ab. Trotzdem ist „Süßwasser“ unheimlich lebendig und clever und schockierend. In Adas Kopf haust nicht nur ihre eigentliche ...

Ein Großteil der Geschichte spielt sich im Geist der jungen Nigerianerin Ada ab. Trotzdem ist „Süßwasser“ unheimlich lebendig und clever und schockierend. In Adas Kopf haust nicht nur ihre eigentliche Persönlichkeit, sondern auch sogenannte Ọgbanje. Dem Aberglauben nach handelt es sich dabei um tote Seelen, die sich in einem menschlichen Körper einnisten. Adas Eltern lassen die Tochter früh im Stich. Schon als Kind erlebt sie Gewalt und sexuellen Missbrauch. Für diese dramatischen Momente versuchen die Ọgbanje zu kompensieren, indem sie auf tragische Weise die Kontrolle über Adas Körper übernehmen. Ada erinnert sich hinterher entweder gar nicht mehr daran, was ihr zugestoßen ist, oder sie nimmt die Geschehnisse beinahe so distanziert wahr, als wären sie einer Fremden passiert. Die Ọgbanje versuchen einerseits Ada vor den psychologischen Auswirkungen des Erlebten zu schützen, folgen aber andererseits selbst einer niederen Motivation und führen Ada immer wieder absichtlich in gefährliche Situationen. Der Roman ist eine Art Coming-of-Age-Story: Wird Ada, während sie im Laufe der Geschichte erwachsen wird, die vielen Teile ihrer Persönlichkeit akzeptieren oder daran zugrunde gehen?

Akwaeke Emezi erzählt „Süßwasser“ abwechselnd aus der Wir-Perspektive der Ọgbanje und der Ich-Perspektive einer Teilpersönlichkeit, die vor allem in sexuellen und gefährlichen Situationen zum Vorschein tritt und Ada lenkt. Ada selbst kommt dazwischen nur ganz kurz zu Wort. Das zeigt deutlich, dass sie keine richtige Kontrolle über ihr eigenes Leben hat. Der Wir-Erzähler spricht immer von „der Ada“, so als wäre sie ein Objekt, und beschreibt sie gnadenlos als „unsere kleine Fleischansammlung“ oder „einen Sack aus Haut“. Hier entsteht ein spannender Kontrast: Einerseits sind die Persönlichkeiten auf Adas menschlichen Körper angewiesen, um in dieser Welt existieren und handeln zu können. Andererseits haben sie keinen Respekt vor ihrem Körper und richten Ada physisch und psychisch zugrunde.

Ob man das Beschriebene nun als multiple Persönlichkeit oder als Ọgbanje bezeichnet, ist eigentlich egal. Auf beeindruckende Weise erkundet der Roman, was zu einer Identität gehört, welche Masken der Mensch trägt und wie er Erlebtes verarbeitet. Die psychologisch und emotional ausgefeilte Geschichte erzählt die Autorin mit ausdrucksstarken Metaphern, die sofort pulsierende Bilder im Kopf entstehen lassen. Emezis lustvoller, oft schonungsloser Umgang mit Sprache stürzt den Leser in einen faszinierenden Strudel aus Sinneseindrücken.

Veröffentlicht am 12.09.2018

Leichte Kost mit wenig Tiefgang

Die 5 Sekunden Regel
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Ich habe kein lebensveränderndes Buch erwartet, aber doch zumindest eins, das gedankliche Anstöße und Motivation gibt. Die Leseprobe empfand ich als durchaus vielversprechend, da die Autorin in einem leichten ...

Ich habe kein lebensveränderndes Buch erwartet, aber doch zumindest eins, das gedankliche Anstöße und Motivation gibt. Die Leseprobe empfand ich als durchaus vielversprechend, da die Autorin in einem leichten Stil persönliche Erfahrungen mit ihrer 5-Sekunden-Philosophie verknüpft. Dies hält sie auch das ganze Buch über durch und einige Passagen und Ideen sind durchaus inspirierend. Letztendlich hatte ich jedoch das Gefühl, dass sich wenige Grundprinzipien einfach endlos wiederholen und manche Gedanken an ähnlichen Beispielen immer wieder neu aufgerollt werden. So fühlt sich der Inhalt grundlos aufgeblasen an. Wenn man sich einen von Mel Robbins‘ Vorträgen auf YouTube anschaut, erhält man wahrscheinlich genau denselben Inhalt in deutlich kürzerer Zeit.

Der doch recht dürftige Text wird mit einer riesigen Menge an Twitter- und Facebook-Posts aufgeplustert. Auf beinahe jeder Seite ist mindestens ein Testimonial von irgendeinem Nutzer zu sehen. Irgendwann hab ich die Meinungen nur noch überflogen, denn sie waren sehr repetitiv und fühlten sich in der Menge einfach nach Selbstbeweihräucherung der Autorin an. Außerdem reißen die Zitate ständig aus dem Lesefluss raus und lassen das Layout für meinen Geschmack sehr unruhig erscheinen. Hier hätte ich ein Kapitel mit konzentrierten, abwechslungsreichen Erfahrungsberichten und Gedanken der Leser sinnvoller gefunden.

Veröffentlicht am 09.09.2018

Feministische Heldin

Manhattan Beach
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Mit Anna, die während des Zweiten Weltkriegs in NYC als Taucherin arbeitet, hat Jennifer Egan eine äußerst spannende Protagonistin geschaffen. In einer patriarchisch-sexistischen Welt setzt sie sich mit ...

Mit Anna, die während des Zweiten Weltkriegs in NYC als Taucherin arbeitet, hat Jennifer Egan eine äußerst spannende Protagonistin geschaffen. In einer patriarchisch-sexistischen Welt setzt sie sich mit Entschlossenheit, Hartnäckigkeit und stiller Stärke durch, ohne dabei je übertrieben oder aggressiv zu agieren. Um ihren Traum vom Tauchen zu erfüllen, muss sie ein Vielfaches mehr leisten, als ihre männlichen Kollegen. Selbst als sie besser als alle anderen ist, muss sie weiter für ihre Position kämpfen – das sind alle Themen, die bis heute noch aktuell sind. Gleichzeitig balanciert sie ihr schwieriges Privatleben, denn der Vater hat die Familie verlassen. Anna kümmert sich liebevoll um ihre behinderte Schwester und hilft nach Feierabend ihrer Mutter bei deren Arbeit als Näherin. Dabei sucht sie in ihrer knappen Freizeit Anschluss an andere und stolpert dabei in einige unvorteilhafte Bekanntschaften hinein. Anna ist eine komplexe Protagonistin, deren Geschichte mich gefesselt hat.

Der Klappentext suggeriert, dass Anna im Mittelpunkt des Romans steht, doch eigentlich gibt es drei Protagonisten. Neben Anna sind auch ihr Vater Eddie sowie der Clubbesitzer und Gangster Dexter Styles Protagonisten in „Manhattan Beach“. Die Wege der Drei kreuzen sich immer wieder auf interessante Weise.

Man merkt, dass die Autorin für diesen Roman intensiv über das Tauchen und die Marine in den 1930er und 1940er Jahren recherchiert hat. Ihre Beschreibungen sind plastisch und lebendig – beim Lesen kann man den schweren Tauchanzug oder den starken Wellengang förmlich spüren. Die Weltkriegsjahre in den USA lässt Egan vor dem inneren Auge authentisch auferstehen. Auch wenn ihr Wissen beeindruckt, empfand ich die Szenen von Eddies Alltag an Bord eines Schiffes als am wenigsten interessant. Die Geschichte rund um Anna macht dies jedoch wett.

Veröffentlicht am 11.08.2018

Künstlerkind

Die Gesichter
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Wie es sich als Sohn eines anerkannten Künstlers lebt, untersucht Tom Rachman in „Die Gesichter“. Das ist manchmal ganz schön deprimierend: Egal wie sehr der Maler Bear Bavinsky seinen Sohn Charles, genannt ...

Wie es sich als Sohn eines anerkannten Künstlers lebt, untersucht Tom Rachman in „Die Gesichter“. Das ist manchmal ganz schön deprimierend: Egal wie sehr der Maler Bear Bavinsky seinen Sohn Charles, genannt Pinch, ignoriert, bloßstellt oder beschimpft: Am Ende dreht sich Pinchs Leben doch immer wieder um den Vater und dessen Werk.

Die Geschichte stellt nicht Bear, sondern Charles in den Mittelpunkt. Das Buch beginnt mit seiner ersten kindlichen Erinnerung an seinen Vater. Nach einer ziemlich aufregenden und erlebnisreichen Kindheit mit seinen beiden Künstler-Eltern im Italien der 1950er und 1960er Jahre wird Pinchs Leben nach der räumlichen Trennung vom Vater ziemlich banal und unauffällig. Studium, verworfene Pläne, unerfüllte Träume, gescheiterte Beziehungen, ein Job als Sprachlehrer. Der Autor zeigt ausschnittsartig Schnappschüsse aus Pinchs Leben. Diese fühlen sich im Mittelteil streckenweise zu lang, aber gleichzeitig auch zu oberflächlich an. Manche Lebensphasen und Entscheidungen, die Charles traf, waren für mich nur schwer nachzuvollziehen, andere wiederrum waren etwas langweilig.

Faszinierend wird die Geschichte, wenn es um die zwischenmenschlichen Beziehungen der Charaktere geht. Von enttäuschter Hoffnung über eifersüchtige oder verblassende Liebe bis zu verdrängten Schuldgefühlen vermittelt Rachman geschickt eine große Palette (negativer) Gefühle. So wie Pinchs Vater seinen Sohn immer wieder wegstößt, fällt es auch Pinch schwer, Nähe zuzulassen und enge Beziehungen wie zu seiner Mutter oder zu seinem Kumpel und Mitbewohner Marsden aufrechtzuerhalten. Daher ist sein Leben phasenweise von ziemlicher Einsamkeit geprägt.

Nebenbei beleuchtet der Roman auf interessante Weise die Absurdität der Kunstszene – ob ein Künstler ignoriert oder gefeiert wird, hängt von wenigen Gatekeepern ab. Der Roman zeigt durch Pinchs Taten, wie fragil deren Expertise sein kann.

Veröffentlicht am 29.07.2018

Modernes Märchen

Der Duft des Lebens
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„Der Duft des Lebens“ ist ein Loblied auf die Menschlichkeit. Die Seelen guter und schlechter Menschen wirken im Leben und im Tod direkt auf die Natur in ihrer Umgebung ein: Blumen erblühen oder verdorren, ...

„Der Duft des Lebens“ ist ein Loblied auf die Menschlichkeit. Die Seelen guter und schlechter Menschen wirken im Leben und im Tod direkt auf die Natur in ihrer Umgebung ein: Blumen erblühen oder verdorren, dicke Wolken ziehen auf oder goldenes Licht strahlt auf die Erde herab. Der Waisenjunge Aviv steht mit seiner gutherzigen, reinen Seele dem verlotterten, kaum noch menschlichen Arzt Kaminski gegenüber. Obwohl eine der Botschaften des Romans ist, dass jeder Mensch Gutes und Böses in sich vereint, sind die beiden Protagonisten schon ziemlich klischeehafte Verkörperungen von Gut und Böse mit wenig Nuancen – allerdings nicht ganz so eindimensional wie in traditionellen Märchen. In Kombination mit dem etwas blumig-altmodischen Stil der Autorin wirkt die Geschichte wie ein Märchen für Erwachsene.