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Veröffentlicht am 14.08.2023

In den Tiefen des Pools

Die Einladung
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Selten hat mich eine Protagonistin so in ihren Bann geschlagen wie Alex, die in Emma Clines „Die Einladung“ einige Tage der Obdach- und Mittellosigkeit mitten im Überfluss der Hamptons auf Long Island ...

Selten hat mich eine Protagonistin so in ihren Bann geschlagen wie Alex, die in Emma Clines „Die Einladung“ einige Tage der Obdach- und Mittellosigkeit mitten im Überfluss der Hamptons auf Long Island überbrücken muss, nachdem ihr gutsituierter, älterer Liebhaber sie vor die Tür gesetzt hat.

Dabei haben es mir weder der Roman noch Alex zu Beginn besonders einfach gemacht: die ersten 50 Seiten vergingen quälend langsam, ich kam kaum in die Geschichte rein. Doch dann packte es mich: Clines subtiler Spannungsaufbau, der ganz existenzielle Kampf von Alex um die nächste Übernachtungsmöglichkeit und das nächste Mittagessen hat mich völlig gefangengenommen und tatsächlich sehr interessiert. Und dies, obwohl Alex weder sympathisch noch (zumindest für mich) einen Hauch von Identifikationspotenzial bietet.

Der Roman lebt tatsächlich zu einem sehr großen Teil davon, dass Alex eine Frau ohne Eigenschaften ist. Wie ihre zahlreichen Liebhaber auch erfährt man so gut wie nichts über ihre Herkunft oder Vergangenheit, man hat keine belastbaren Hinweise, wie sie sich in dieser Position wiederfinden konnte und würde sich äußerst schwertun, sie zu charakterisieren. Sie ist die vollkommene Opportunistin, die die Rolle spielt, die Männer von ihr erwarten, mit dem Ziel möglichst lange ausgehalten zu werden und ihr Überleben zu sichern. Um dieses Leben ertragen zu können, trinkt Alex und nimmt Schmerzmittel und Drogen, was sie sehr passiv und bisweilen apathisch wirken lässt. Darüber hinaus ist sie, in einem verzweifelten und unbewussten Versuch sich von dem Schmutz ihres Daseins zu befreien, süchtig nach Schwimmen – vorzugsweise in Pools.

An dieser oberflächlich betrachteten Geschichte einer kaputten Existenz, die in einer verfahrenen Situation durch den enormen Luxus einer sehr privaten Gesellschaftsschicht treibt, hat mir besonders die Symbolik gefallen. Zahlreiche Aktionen und Begegnungen sind mit einer tieferen Bedeutung aufgeladen, die sich aber nur bei genauer Betrachtung entschlüsseln lässt. Ebenso überzeugend ist das Motiv der grünen Welt um Alex herum oder das Reh, das immer mal wieder zwischen den Buchseiten erscheint. So schafft Emma Cline einen sozialkritischen Roman, der über eine ungeahnte Tiefe verfügt und feine literarische Qualitäten besitzt.

Auch wenn der Roman genau wie zu Beginn im vorletzten Viertel schwächelt und unter der beständigen Wiederholung Pool-Schmerzmittel-Sex in Langatmigkeit abzugleiten droht, kann das Ende des Textes doch wieder voll überzeugen. „Die Einladung“ ist allein thematisch sicherlich kein Roman für jeden Geschmack – ich selbst bin noch immer erstaunt, dass er mich so mitgerissen hat – aber eine Lektüre, die sich aufdrängt und beschäftigt.

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Veröffentlicht am 07.08.2023

Die düsteren Seiten der Schönwalds

Schönwald
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Die Schönwalds sind sicherlich keine Familie zum Liebhaben, aber sie bieten einiges an Erzählstoff. Ruth, Hans-Harald und ihre drei längst erwachsenen Kinder Chris, Karolin und Benni haben sich in ihrem ...

Die Schönwalds sind sicherlich keine Familie zum Liebhaben, aber sie bieten einiges an Erzählstoff. Ruth, Hans-Harald und ihre drei längst erwachsenen Kinder Chris, Karolin und Benni haben sich in ihrem „Familienleben“ gut eingerichtet, das zumindest oberflächlich nur deshalb so reibungslos funktioniert, weil jeder hier alles für sich behält, niemand über Gefühle oder Wahrheiten spricht und mehr oder minder zufrieden damit ist, belanglos nebeneinander her zu existieren.

Wie bei einem Kammerspiel treibt Familie Schönwald nach Jahrzehnten milde interessierter Koexistenz auf einen großen Showdown zu, als sich alle Familienmitglieder treffen zur Eröffnung von Karolins Buchladen für queere Literatur treffen, bei der es zu einem Skandal kommt. Dieses Ereignis nutzt Philipp Oehmke als Auftakt für tiefe Einblicke in die Vergangenheit und Gegenwart der Familienmitglieder. Ausführlich beleuchtet er Schlüsselmomente in der Entwicklung seiner Figuren, zeigt eindrücklich auf, warum diese so werden mussten, wie sie sind. So wird der Roman zu einer breitangelegten, überaus durchdachten Charakterstudie einer ganzen Familie, ihres Beziehungsgeflechts und ihrer mangelnden Kommunikation.

Darüber hinaus gelingt es Oehmke äußerst vergnüglich, mitunter haarscharf an der Satire vorbeistreifend, den Finger in die Wunden heutiger und vergangener deutscher Befindlichkeiten zu legen. Der Text ist sehr oft frech, politisch zum Glück nicht immer korrekt, dafür aber ehrlich, genau auf den Punkt und durchaus auch subtil ironisch. Hier wird mit allerlei Hysterie und vermeintlich gerade herrschendem Mainstream aufgeräumt – es tut tatsächlich sehr gut, mal einen Text zu lesen, der sich etwas traut und die Absurditäten unserer Zeit (wie z.B. Wohlstands-Bio-Kost, Dorf-Lifestyle und völlig ahnungslose Social-Media-Moralisten) vom Podest holt. Oehmkes Beobachtungsgabe ist messerscharf und mitunter fast respektlos, aber stets zutreffend und manchmal auch mit einem Hauch von Nostalgie verbrämt (ein Highlight ist z.B. die Beschreibung der Senator-Lounge der Lufthansa).

Eingebettet sind diese sehr unterhaltsamen Kommentare in einen äußerst lesbaren Text, der einen enorm hohen Unterhaltungswert bietet. Die Handlungsorte und einzelnen Handlungsaspekte sind ausgezeichnet beschrieben und bilden den passenden Hintergrund für die Irrungen und Wirrungen der Familie Schönwald. Vom Tennisclub über den Unibetrieb bis hin zum Hospital in Islamabad und der teuren psychologischen Praxis in Köln-Hahnwald – in diesem Roman wirkt alles authentisch und lebensecht, sicherlich auch, weil der Bezug zu realen Personen wie der Trump-Gefolgschaft geschaffen wird. Oehmke ist mit „Schönwald“ – was für ein Name für eine sehr deutsche Familie – ein unterhaltsames, punktgenaues und sehr zeitgeistiges Porträt von Menschen gelungen, die nicht mit, aber auch nicht ohne einander leben können.

Das Einzige, was man an dem Roman bemängeln könnte, ist, dass er aufgrund seiner Konstruktion der Rückschauen und Perspektivenwechsel oftmals den Eindruck erweckt, in jedem Kapitel zwei Schritte vor und einen zurück zu machen. Einige Ereignisse werden mehrfach aufgegriffen und dann aus der Sicht verschiedener Figuren betrachtet. Dies ist sowohl für das Verständnis der Situation als auch der Figur sinnvoll, führt aber mitunter zu einem Hauch von Langatmigkeit und dem Eindruck, dass der Text etwas auf der Stelle tritt.
Dennoch: „Schönwald“ ist absolut lohnenswert, sicherlich ganz besonders wenn man selbst der Generation X angehört. Feiner Humor, eine gründliche Auseinandersetzung mit Figuren, ein klarer und kritischer Blick auf deutsche Befindlichkeiten und die Fallstricke familiären Miteinanders wurden selten so gekonnt vereint.

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Veröffentlicht am 04.07.2023

"Ganz Paris träumt von der Liebe..."

Sommertage im Quartier Latin
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Ganz viel Spätsommer, viel Liebe (für allem für Paris), leckeres Essen und stimmungsvolle Musik – das sind die Zutaten für Lily Martins Roman „Sommertage im Quartier Latin“. Hinter dem Pseudonym Lily Martin ...

Ganz viel Spätsommer, viel Liebe (für allem für Paris), leckeres Essen und stimmungsvolle Musik – das sind die Zutaten für Lily Martins Roman „Sommertage im Quartier Latin“. Hinter dem Pseudonym Lily Martin verbirgt sich Anne Stern und von ihr weiß man seit ihrer erfolgreichen Reihe um die Hebamme Fräulein Hulda Gold, dass sie schreiben kann.

Dies stellt sie auch in während der „Sommertage“ unter Beweis, allerdings handelt es sich hier – im Gegensatz zur Hulda-Serie - um eine sehr leichte Sommerromanze, die eine Idealversion von Paris feiert: Herzkino in Papierform mit ganz viel Postkartenhochglanz – ein Stadtidyll, das leichte Lesefreude zum Weltvergessen verspricht, indem alles hübsch und freundlich ist. Das ideale Sommerbuch also für heiße Tage, fürs Parisweh und den Traum von einer wahren Liebe. Durch die Seiten weht nicht nur der warme Sommerwind, sondern auch der Duft von Brioche, Macarons und Noisettes, es klingen immer wieder die Töne bekannter französischer Popsongs und Chansons durch die Seiten und Paris wird durch die Konzentration auf ein Viertel zum Dorf.

Dieses Dorf wird von durchweg liebenswerten Figuren bevölkert, sei es der Lebkuchenhändler Pierre Leco, der Concièrge Samir oder die alternde Diva Jacobine Simenon. Alles ist warm, hell, wohlwollend und charmant – das einzige, was man dem Roman vorwerfen könnte, ist somit die Tatsache, dass er zu süß, zu zuckrig, zu seicht ist, aber das Mysterium um die verschwundene Großmutter der Protagonistin Lola sowie die Tatsache, dass Lola schon sehr früh ihre Mutter verloren hat, bringt auch ein paar düstere Zwischentöne in den Handlungsbogen. Dieser ist – wie bei Geschichten des Herzens dieser Art – selbstverständlich weitestgehend absehbar, aber man liest Liebesgeschichten ja auch genau deshalb: weil man den Weg zum sicheren Happy End mitbeschreiten möchte. Wen interessiert es da, dass vielleicht das ein oder andere Mal zu oft sich die Wangen röten?

Ich habe mir eine reizende Geschichte mit sympathischen Figuren gewünscht, mit der man sich durch Sommerstunden treiben lassen kann und genau das habe ich bekommen.

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Veröffentlicht am 01.07.2023

Wichtig und lösungsorientiert, stilistisch Luft nach oben

Vom Verschwinden der Arten
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Mit ihrem Buch „Vom Verschwinden der Arten“ weisen die Autorinnen auf einen wesentlichen Baustein im Kampf um die Rettung unseres Planeten hin, der leider bei der medialen und gesellschaftlichen Aufmerksamkeit, ...

Mit ihrem Buch „Vom Verschwinden der Arten“ weisen die Autorinnen auf einen wesentlichen Baustein im Kampf um die Rettung unseres Planeten hin, der leider bei der medialen und gesellschaftlichen Aufmerksamkeit, die dem Klimawandel zuteil wird, viel zu sehr in den Hintergrund gerückt wird: das Artensterben, welches aufs Engste mit dem Klima verbunden ist. In ihrem Buch zeigen sie eindrucksvoll Hintergründe, Fakten und Zusammenhänge auf, die nicht nur die Konsequenzen des Artensterbens durchleuchten, sondern auch die vorherrschenden gesellschaftlichen Perspektiven (der Verlust großer Tierarten erfährt vergleichsweise große Aufmerksamkeit) und wirtschaftlichen und finanziellen Interessen aufzeigt. Sie zeigen zahlreiche Lösungsansätze auf, von denen die 30x30-Initiative sicherlich ein besonders vielversprechender ist, blicken auf das Ungleichgewicht zwischen globalem Norden und globalem Süden, auf augenscheinlich positive Aktionen, die sich aber als Trugbilder entpuppen, und auch auf die Belastung der Natur durch den Menschen, der dringend wieder als Teil derselben wahrgenommen werden sollte.

Das Buch liefert viele fundierte Hintergründe und Informationen, allerdings wird man als Leser so manches Mal an den Rand der Konzentrationsfähigkeit getrieben, weil das Buch stilistisch und vom Aufbau her nicht besonders leserfreundlich ist. So werden viele Fakten mehrfach in unterschiedlichen Kapiteln wiederholt und aufgegriffen, was zu überflüssigen Dopplungen führt. Darüber hinaus droht man so manches Mal von der Faktenflut überrollt zu werden – ich wünsche mir da doch sehr, dass sich deutschsprachige Sachbuchautoren vom englischen non-fiction-Markt inspirieren lassen würden, wo die Darstellung von Fakten in einen ansprechenden, lesbaren und begeisternden Stil gepackt wird (als Beispiel mögen David Attenboroughs Bücher dienen). Hier scheinen sich die Autorinnen zwar der Rationalität zu verpflichten, dies geht aber zu Lasten des Leserinteresses.

Hinzu kommt, dass dieses Buch gendert, was zu unzähligen grammatikalischen Ungenauigkeiten führt. Wann werden deutsche Verlage endlich wieder damit aufhören, gegen den Wunsch der Leser (dieser ist im deutschen Sprachgebrauch übrigens ein inklusives Konzept) die deutsche Sprache durch die momentan grassierende Mode (die nicht einmal offiziell anerkannt ist) zu verunstalten? Hier ist z.B. von „Schafbäuer innen“ die Rede – interessant, mir war nicht bewusst, dass es das Wort „Schafbäuer“ im Deutschen gibt. Auch Wörter wie „Professor“, „Multiplikator“ und „Freund“ kann man nicht so einfach gendern, ohne die Grammatik eines deutschen Satzbaus zu ruinieren. Sowohl bei „Schafbäuer innen“ wie auch bei „Freund innen“, denen man dankt, fallen nun die Männer hinten runter. Das kann ja wohl nicht der Sinn des Gendern sein. „Eroberer“ wird im Übrigen erstaunlicherweise nicht gegendert – warum auch, so etwas machen ja nur Männer?

So gut, wichtig und lösungsorientiert ich die Aussagen des Buches finde, so wenig zufrieden bin ich mit dem Stil und allein fürs Gendern, das hier sehr merkwürdige Formen annimmt, muss ich leider einen Stern abziehen.

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Veröffentlicht am 06.06.2023

Wenn der Hund spricht und Alice im Wunderland dich berät

Wie Sisi sich verwirrte
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Was hatte ich bei dem Cover, dem Titel und dem Klappentext erwartet? Eine humorvolle, komödiantische, spritzige Auseinandersetzung einer Frau in den besten Jahren mit ihrem Alter, ihrer Vergangenheit und ...

Was hatte ich bei dem Cover, dem Titel und dem Klappentext erwartet? Eine humorvolle, komödiantische, spritzige Auseinandersetzung einer Frau in den besten Jahren mit ihrem Alter, ihrer Vergangenheit und ihrer Zukunft. Bekommen habe ich stattdessen eine unglücklicherweise recht behäbige, alberne (aber nicht im lustigen Sinne), unrealistische und vor allem grenzenlos naive Jagd nach einem Job bzw. Lebensinhalt. Selbst als Satire gelesen verfängt der Text kaum. Sprachlich ist er nichts Besonderes, er liefert keine Situationskomik oder gut getimten Pointen. Inhaltlich wandert er von einem mehr oder weniger aus der Luft gegriffenen verzweifelten Berufswunsch zum nächsten – meist ist durch die Überschrift schon klar, dass die nächste Pleite droht.

Neben den bereits genannten Schwachpunkten gleitet die Handlung ständig in abstruse Traumsequenzen ab. Träume in Romanen sind an sich schon eine heikle Angelegenheit – oftmals wirkt es so, als suche man nach einem Ausweg aus einem etwas verfahrenen Handlungskonstrukt – wenn sie dann aber noch mit einem sprechenden Hund (!) und als immer wiederkehrender Begleiterin/Ratgeberin Alice im Wunderland (!!) gepaart werden, kommt man als Leser schon mal an seine Grenzen, zumal die Handlung an sich leider auch recht langatmig ist und die Kapitel in ihrer Ausrichtung auf das Ausprobieren eines weiteren ungeeigneten Jobs sich auch vom Aufbau mehr oder weniger ähneln. Allein die Namensverwandtschaft der Protagonistin mit der österreichischen Kaiserin schafft bedauerlicherweise noch keinen mitreißenden und überzeugenden Roman.
So bleibt der Text möglicherweise ein netter Zeitvertreib für Leute, deren Humor durch die Umtriebigkeit und Unreife der Hauptfigur und die überzogenen Szenen, in denen sich Sisi wiederfindet, getroffen wird, aber ein must-read oder eine Leseempfehlung ist er ganz sicher nicht.

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