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Veröffentlicht am 08.08.2023

Ein Buch von Schuld und Zufall

Rattensommer
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„Die Dinge … sie passieren einfach“, sagt Herr Marinko zu seiner Frau und fasst damit das ganze Drama zusammen: Meistens trägt niemand wirklich eine Schuld. Der Zufall bestimmt das Leben, und wer es nach ...

„Die Dinge … sie passieren einfach“, sagt Herr Marinko zu seiner Frau und fasst damit das ganze Drama zusammen: Meistens trägt niemand wirklich eine Schuld. Der Zufall bestimmt das Leben, und wer es nach einem traumatisierenden Ereignis nicht schafft, weiterzumachen, vermehrt sein Unglück zulasten anderer.

Das passiert Lou und Sonny, beide 15 und schon von einem großen Verlust gezeichnet. Sonny hat ihre Mutter verloren. Lou leidet darunter, wie ihre Eltern mit einer lang zurückliegenden Totgeburt umgehen.

Dazu ist in diesem Sommer alles extrem: die Hitze, der Gestank des Sees, Lous Zuneigung zu Sonny und das Abdriften der Freundin ins Unvertretbare. Und mittendrin wird Lou 16 und merkt, dass sie dieses Leben, das sie immer nur als Beifahrerin von anderen führt, endlich selbst steuern sollte. Der früh entlassene Straftäter Hagen Bender ist nur der zündende Funke für die längst fällige Erkenntnis: Lou muss sich dringend ins Erwachsenwerden retten, um nicht zu vergehen.

„Rattensommer“ ist ein dicht gewebter Jugendroman mit viel Atmosphäre und reichlich Symbolik - direkt, humorvoll, ausschweifend, kompromisslos.

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Veröffentlicht am 15.06.2023

Feriendetektive in Höchstform

Die Hochhaus-Detektive (Die Hochhaus-Detektive Band 1)
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Das Hochhaus hat sie zusammengebracht: Anton, der viel Zeit alleine zuhause verbringt, Mesut, ein pfiffiger Zweitklässler, und Isha, die alles immer ein bisschen besser weiß. Sie gründen einen Detektivclub ...

Das Hochhaus hat sie zusammengebracht: Anton, der viel Zeit alleine zuhause verbringt, Mesut, ein pfiffiger Zweitklässler, und Isha, die alles immer ein bisschen besser weiß. Sie gründen einen Detektivclub und ermitteln in einer Serie von Trickdiebstählen.

Klar, ein paar Klischees müssen sein: reiche Omis, ein grummeliger Hausmeister, eindimensionale Polizisten und ein Betrüger, dem man seine Verderbtheit direkt ansieht. Doch der Leser erhält auch wertvolle Eindrücke von den Familienverhältnissen der Kinder, die aus unterschiedlichen Kulturen stammen.

Schräg ist, dass sie sich von einem anderen Kind als Ausländer bezeichnen lassen müssen, obwohl doch alle in derselben Stadt wohnen. Wer das Buch als Lektüre zum Vorlesen wählt, erhält hier eine prima Vorlage, um mit Kindern über die verschiedenen Dimensionen von Fremdheit und Zugehörigkeit zu reden.

Ein paar mehr Eindrücke vom Zustand des Gebäudes und die eine oder andere Geschichte über seine Bewohner hätten noch mehr Atmosphäre gebracht. Denn tatsächlich wird nicht wirklich klar, warum das Haus mit den 21 Stockwerken das berüchtigtste Hochhaus der Stadt sein soll.

„Die Hochhausdetektive“ ist eine unterhaltsame und abwechslungsreiche Detektivgeschichte für Grundschüler, die stellenweise zum Nachdenken anregt, aber trotzdem kein „Problembuch“ ist.

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Veröffentlicht am 13.05.2023

Wieder mal ganz außergewöhnlich

Die Insel der Unschuldigen
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Dies ist die Geschichte des Segelschiffs Batavia, das 1629 vor der Westküste Australiens gesunken ist. Es ist ebenso die Geschichte der neunjährigen Mayken, die auf der Batavia nach Java zu ihrem Vater ...

Dies ist die Geschichte des Segelschiffs Batavia, das 1629 vor der Westküste Australiens gesunken ist. Es ist ebenso die Geschichte der neunjährigen Mayken, die auf der Batavia nach Java zu ihrem Vater reist. Und es ist die Geschichte des gleichaltrigen Gil, der 1989 nach Beacon Island zu seinem Großvater gebracht wird - auf eben jenen Landflecken, den die Schiffbrüchigen der Batavia einst für eine rettende Insel gehalten haben.

Vor der Lektüre sei angeraten, die historische Rahmenhandlung zu recherchieren, denn der Roman gibt die Wahrnehmungen der Kinder wieder und lässt das aus, was sie nicht erleben oder was die Erwachsenen ihnen zu wissen ersparen. Andernfalls bleibt der sogenannte „Suspense“ aus, also die Spannung, die das Vorhersehbare beim Lesen erzeugt.

Dies wäre kein Jess Kidd-Roman, wenn übernatürliche Wesen und geisterhafte Verbindungen ausgespart und die Brücke zum Jenseits ausgelassen würde. Das Buch ist wieder mal außergewöhnlich und überhaupt ganz großes Kino.

Der Übersetzerwechsel tut dem Werk (Original: The Night Ship) allerdings nicht gut. Die Sätze rattern über weite Strecken eintönig voran, es fehlt die Finesse, der Wortreichtum und insgesamt der Schmelz, mit dem das Übersetzerpaar Wasel und Timmermann die drei vorhergehenden Romane der britischen Autorin überzogen haben.

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Veröffentlicht am 10.04.2023

Belle Époque und Bratensemmel

Der treue Spion
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Es liegt eine Tristesse über diesem dritten Fall des Münchner Ermittlers Major Wilhelm von Gryszinski. Zwar spielt sich die Jagd auf den Mörder, verbunden mit der Suche nach einem verschwundenen Diplomaten, ...

Es liegt eine Tristesse über diesem dritten Fall des Münchner Ermittlers Major Wilhelm von Gryszinski. Zwar spielt sich die Jagd auf den Mörder, verbunden mit der Suche nach einem verschwundenen Diplomaten, im Jahr 1896 ab, doch es ziehen bereits dunkle Wolken über Europa auf. Und mit dem Wissen der Spätgeborenen wirkt die mondäne Reise, die der Kommissar im Sinne der Wahrheitsfindung nach Paris unternimmt, begleitet und zugleich getarnt von seiner schriftstellernden Ehefrau Sophie, auf uns wie ein bittersüßer Abschied von der champagnerbefeuerten Aufgekratztheit der Belle Époque.

Ernüchtert erleben wir im selben Band, wie es Friedrich Gryszinski ergeht, dem Sohn des Majors, der zwanzig Jahre später die Sorglosigkeit jener Generation in den Schützengräben von Verdun ausbaden muss. Aufgewachsen mit den immerwährenden Überlegungen zum schwierigsten Fall in der Karriere des Vaters, holen ihn die Gespenster der rätselhaften Affaire von damals ausgerechnet im Krieg wieder ein.

Gryszinski - und später auch sein Sohn - hat es ausgiebig mit Diplomaten, Spionen und Hochstaplern zu tun. Seine kühnen Recherchen führen ihn in die exklusiven Grand Hotels des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts, und schließlich sogar mit dem mondänen Nord-Express bis nach Sankt Petersburg.

Allein für dieses schillernde Historiengemälde lohnt die Lektüre der dritten Geschichte aus der Gryszinski-Reihe. Wie immer brillant erzählt, ähnelt sie der legendären Bratensemmel, deren Genuss Gryszinski auf dem Viktualienmarkt für sich ritualisiert hat: eine knuspernde, saftige Verheißung, die alle Sinne nährt und nach der man sofort weiß: Davon möchte ich bald noch eine!

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Veröffentlicht am 13.03.2023

Vergänglicher Prunk

Das Haus an der Herengracht
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Die Amsterdamer Kaufmannsfamilie Brandt ist hoffnungslos im Gestern verhaftet: Sie leben in einem der Stadtpaläste an der Herengracht, den sie von Nellas Ehemann Johannes geerbt haben. Doch das Haus ist ...

Die Amsterdamer Kaufmannsfamilie Brandt ist hoffnungslos im Gestern verhaftet: Sie leben in einem der Stadtpaläste an der Herengracht, den sie von Nellas Ehemann Johannes geerbt haben. Doch das Haus ist nur noch eine prunkvolle Hülle. Was wertvoll war, ist längst verkauft. Dann wird Vater Otto auch noch von der Niederländischen Ostindien-Kompanie entlassen. Nella, die selbst als Achtzehnjährige an den deutlich älteren Johannes verheiratet wurde, um dessen damals als skandalös geltende Beziehung zu einem Mann zu vertuschen, hält sich jetzt an Thea, die Tochter ihrer verstorbenen Schwägerin. Die soll einen Advokaten von Stand heiraten, damit es mit den Brandts finanziell wieder aufwärts geht.

Doch Thea geht längst eigene Wege und macht dabei ihre ersten eigenen und leider auch dramatischen Fehler. Wie die schließlich dazu führen, die Familie aus den Zwängen einer verkrusteten Gesellschaftsordnung zu lösen, liest sich enorm kurzweilig. Wobei die Geschichte auch gut ohne die geheimnisvollen Figuren der Miniaturistin ausgekommen wäre.

„Das Haus an der Herengracht“ ist hintergründig angelegt und gekonnt erzählt. Die Geschichte ist eine würdige Fortsetzung des 2015 auf deutsch erschienenen Vorgängers „Die Magie der kleinen Dinge“. Man sollte sich Teil eins vorab gönnen, wenn man die fragile gesellschaftliche Position der Brandts besser verstehen will.

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