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Veröffentlicht am 08.12.2021

Das schwarze Schaf von Holt

Ein Sohn der Stadt
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Acht Jahre lang war Jack Burdette abgetaucht - sehr zum Ärger der Einwohner von Holt. Nun ist er plötzlich wieder in der Kleinstadt im US-Bundesstaat Colorado aufgetaucht. Der ehemalige Footballstar hat ...

Acht Jahre lang war Jack Burdette abgetaucht - sehr zum Ärger der Einwohner von Holt. Nun ist er plötzlich wieder in der Kleinstadt im US-Bundesstaat Colorado aufgetaucht. Der ehemalige Footballstar hat es sich mit so ziemlich allen Bürgern verscherzt. Die Polizei hat ihn sogar gesucht. Was will er nun in der alten Heimat? Wieso ist er zurück? Und was hat Pat Arbuckle, der Herausgeber und Reporter der örtlichen Zeitung, damit zu tun?

„Ein Sohn der Stadt“ ist ein Roman von Kent Haruf.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus zwei Teilen, die insgesamt zehn Kapitel beinhalten. Erzählt wird fast ausschließlich in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Pat - jedoch nicht chronologisch. Die Geschichte umfasst einige Jahre. Sie beginnt und endet mit der Rückkehr von Burdette. Dazwischen werden in Rückblicken Geschehnisse aus der Zeit von Jacks Kindheit bis ins bereits etwas fortgeschrittene Erwachsenenalter erzählt, wobei es mehrere Zeitsprünge gibt. Dieser geschickt komponierte Aufbau funktioniert sehr gut.

Auch in diesem Roman hat mir der unaufgeregte und atmosphärisch starke Stil gefallen. Anders als in seinen späteren Werken schreibt Haruf jedoch weniger beschreibend und stattdessen dialoglastiger. Nichtsdestotrotz zeigt sich auch hier sein schriftstellerisches Können einmal mehr.

Wie die anderen Romane spielt diese Geschichte erneut im fiktiven Holt. Sie lässt sich jedoch komplett unabhängig lesen und verstehen.

Überrascht hat mich, dass die Charaktere zwar auch dieses Mal sehr authentisch und psychologisch ausgefeilt dargestellt werden, dass aber echte Sympathieträger Mangelware sind. Wer durchweg liebenswürdige Figuren wie in den sonstigen Holt-Romanen sucht, wird enttäuscht. Dennoch sind Jack und Pat reizvolle Protagonisten.

Auf knapp 300 Seiten gelingt es Haruf trotz des eher gemächlichen Erzähltempos Spannung aufzubauen und zu halten. Stück für Stück erschließen sich Burdettes Machenschaften und menschliche Schicksale. Zugleich beleuchtet er den Mikrokosmos einer amerikanischen Kleinstadt.

Während mich der erste Teil noch nicht so sehr einnehmen konnte, hat mich der zweite vollends überzeugt. Er birgt Dramatik und überraschende Wendungen. Hier schafft es der Autor - wie kaum ein anderer - zudem auf seine unnachahmliche Weise, mich mehrfach emotional zu berühren. Der Schluss lässt noch die eine oder andere Frage offen, was ich für diese Geschichte als absolut schlüssig erachte.

Den deutschen Titel finde ich nicht ganz so passend wie das englischsprachige Original („Where You Once Belonged“). Das verlagstypische Cover mit dem Gemälde ist in diesem Fall allerdings eine gute Wahl.

Mein Fazit:
Obwohl mich „Ein Sohn der Stadt“ nicht so begeistert hat wie seine späteren Werke, bin ich sehr froh, dass Kent Harufs zweiter Roman nun auch ins Deutsche übersetzt wurde. Ich empfehle diese lesenswerte Geschichte sehr gerne und würde mich freuen, wenn der erste der sechs Holt-Romane ebenfalls bald bei Diogenes erscheinen würde.

Veröffentlicht am 26.11.2021

Die Geschichte einer Arbeitsmigrantin

Wenn ich wiederkomme
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Daniela Matei (47) steht vor einer schweren Entscheidung. In ihrem kleinen rumänischen Dorf hat ihre Familie eine schlechte Zukunftsperspektive. Ihr Mann Filip ist arbeitslos. Gute Bildung für ihre Tochter ...

Daniela Matei (47) steht vor einer schweren Entscheidung. In ihrem kleinen rumänischen Dorf hat ihre Familie eine schlechte Zukunftsperspektive. Ihr Mann Filip ist arbeitslos. Gute Bildung für ihre Tochter Angelica und ihren Sohn Manuel ist jedoch teuer. Und das Haus verfällt aus Geldmangel zusehends. Heimlich schleicht sich Daniela daher eines Morgens aus dem Haus, um in Mailand eine Stelle als private Altenpflegerin anzunehmen.

„Wenn ich wiederkomme“ ist ein Roman von Marco Balzano.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus drei Teilen, die sich in unnummerierte Kapitel gliedern. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge in der Ich-Perspektive, aber aus der Sicht unterschiedlicher Personen. Dadurch entstehen einige Überlappungen, jedoch nicht zu viele inhaltliche Redundanzen.

In sprachlicher Hinsicht ist der Roman sehr gelungen. Je nach Erzählperspektive ist die Wortwahl jugendlich oder erwachsener, mehr oder weniger umgangssprachlich. Insgesamt ist der dialoglastige Schreibstil allerdings recht einfach, was dem Bildungsniveau der Protagonisten und Protagonistinnen hervorragend entspricht und daher für mich kein Manko darstellt.

Den meisten Raum in der Geschichte nimmt Daniela ein. Aber auch ihre Kinder Manuel und Angelica spielen wichtige Rollen. Keiner der Charaktere ist mir so richtig sympathisch - mit Ausnahme einer Nebenfigur. Sie blieben mir seltsam fremd. Gut gefällt mir aber, dass die Personen aufgrund ihrer Grautöne und Schwächen sehr lebensnah und mit psychologischer Tiefe ausgestaltet sind.

Besonders gereizt hat mich an der Lektüre die Situation der billigen Pflegekräfte aus dem Ausland. Die Geschichte lenkt den Blick auf ein wichtiges Thema. Meine Erwartung an den Roman hat sich dahingehend erfüllt, dass die Geschichte darstellt, wie sich die zeitweise Arbeitsmigration auf die betroffenen Frauen und ihre Familien auswirkt - sowohl in sozialer als auch in psychischer Hinsicht. Der Autor hat sich intensiv mit dieser Problematik auseinandergesetzt. Das geht unter anderem aus der Nachbemerkung hervor. Darin erklärt der Autor auch, dass er mit Absicht weitere Aspekte in die Geschichte aufgenommen hat. Mir hätte ein deutlicherer Fokus besser gefallen.

Auf rund 300 Seiten kann der Roman mit mehreren Wendungen überraschen. Die Geschichte ist kurzweilig, aber konnte mich leider nicht so sehr berühren wie erhofft. Das Ende lässt einige Fragen offen und somit Spielraum für eigene Interpretationen.

Das Cover ist hübsch, wirkt allerdings recht willkürlich. Der deutsche Titel ist erfreulicherweise wörtlich aus dem Italienischen („Quando tornerò“) übersetzt worden.

Mein Fazit:
„Wenn ich wiederkomme“ von Marco Balzano ist trotz seiner Schwachpunkte ein lesenswerter Roman, der Aufmerksamkeit für eine wichtige Problematik erzeugt.

Veröffentlicht am 16.11.2021

Unruhige Zeiten

Revolution der Träume
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Carl Friedländer, Luise Beese, genannt Isi, und Artur Burwitz haben den Ersten Weltkrieg überlebt. Nun haben sich die drei Freunde bis nach Berlin durchgeschlagen. Der Kaiser ist gestürzt, die Zeiten sind ...

Carl Friedländer, Luise Beese, genannt Isi, und Artur Burwitz haben den Ersten Weltkrieg überlebt. Nun haben sich die drei Freunde bis nach Berlin durchgeschlagen. Der Kaiser ist gestürzt, die Zeiten sind im Umbruch. Carl sieht das Treiben der Aufständischen mit Sorge. Er will Kameramann werden. Artur hat mit kriminellen Machenschaften großen Erfolg, aber schwebt in Gefahr. Und Isi unterstützt die Linken im politischen Kampf. Doch ihre Prinzipien werden auf die Probe gestellt...

„Revolution der Träume“ ist der zweite Teil der „Wege der Zeit“-Reihe von Andreas Izquierdo.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 92 Kapiteln, die sich über mehrere Teile erstrecken.
Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Carl. Die Handlung spielt an unterschiedlichen Schauplätzen. Die Stadtkarte in den Innenklappen ist daher ein nützliches Extra.

Der Schreibstil ist recht anschaulich, jedoch etwas gewöhnungsbedürftig und für meinen Geschmack zu aufgeregt. Die vielen Ein-Satz-Absätze sind außerdem auf Dauer ein wenig nervig.

Auch ohne Vorkenntnisse des ersten Bandes lässt sich der zweite Teil der Reihe gut verstehen. Allerdings wäre es wohl besser, zuerst den Auftakt zu lesen.

Die drei Protagonisten sind authentische Charaktere, die psychologische Tiefe aufweisen. Besonders die freche und mutige Isi konnte meine Sympathie gewinnen.

Das Setting klingt sehr reizvoll und hat meine Neugier geweckt. Tatsächlich ist dem Roman die fundierte Recherche des Autors anzumerken. Dennoch bleiben die gesellschaftlichen und politischen Umstände an einigen Stellen etwas zu blass.

Auf rund 500 Seiten ist die Geschichte weitestgehend kurzweilig und überraschend, wenn auch nicht sonderlich bewegend.

Das Cover passt zum Genre und trifft absolut meinen Geschmack. Auch der Titel ist eine gute Wahl.

Mein Fazit:
Mit „Revolution der Träume“ hat mich Andreas Izquierdo nur zum Teil überzeugt. Ich bin mir noch nicht schlüssig, ob ich den nächsten Band der Reihe lesen möchte.

Veröffentlicht am 16.11.2021

Über eine Ikone der deutscher Literatur

Der Zauberer
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Aufgewachsen in der Hansestadt Lübeck, soll der junge Thomas Mann seinen Vater, den Senator, beerben. Doch dem Geschäftsmann kann er nicht auf Dauer etwas vormachen: Für den Handel taugt der kunstinteressierte ...

Aufgewachsen in der Hansestadt Lübeck, soll der junge Thomas Mann seinen Vater, den Senator, beerben. Doch dem Geschäftsmann kann er nicht auf Dauer etwas vormachen: Für den Handel taugt der kunstinteressierte Thomas ebenso wenig wie dessen Bruder Heinrich. Als der Senator stirbt, bricht die Familie zunächst auseinander. Aber Thomas wird dennoch seinen Weg machen. Auf ihn wartet ein turbulentes Leben. Er wird in bewegten Zeiten ein Schriftsteller von Weltruhm…

„Der Zauberer“ ist ein Künstlerroman von Colm Tóibín.

Meine Meinung:
Der Roman gliedert sich in 18 Kapitel. Er beginnt im Jahr 1891 und endet Anfang der 1950er-Jahre. Erzählt wird in streng chronologischer Reihenfolge aus der Sicht von Thomas Mann. Dieser Aufbau ist insgesamt gut durchdacht. Etwas verwirrend sind lediglich die Ortsangaben und Jahreszahlen zu Beginn der Kapitel, denn sie weisen nur auf Schauplatz und Zeit der ersten Szene hin. Im weiteren Verlauf des Kapitels wechseln diese mit dem Fortschreiten der Handlung.

In sprachlicher Hinsicht ist der Roman mit seinen verschachtelten Sätzen und der sehr gehobenen Ausdrucksweise zuweilen ein wenig sperrig. Mir gefällt es jedoch ausnehmend gut, wie der Autor in dieser Form den Stil Thomas Manns nachahmt.

Im Zentrum des Romans stehen neben dem berühmten Schriftsteller dessen Frau Katia und ihre gemeinsamen Kinder. Zudem tauchen die Mutter und Geschwister Thomas Manns mehrfach auf.

Inhaltlich umfasst der Roman den Großteil des Lebens des Nobelpreisträgers. Von der Kindheit in Lübeck bis kurz vor seinem Tod begleitet man den bekannten Autor bei all seinen Stationen. Zwischendurch gibt es durchaus zeitliche Sprünge. Alles in allem wird aber ein recht vollständiges Bild vermittelt. Daher eignet sich der Roman auch für Unkundige. Für Mann-Kenner kommt auf den immerhin rund 550 Seiten dennoch keine Langeweile auf.

Der Roman beleuchtet sowohl Manns Privatleben als auch sein schriftstellerisches Schaffen. Mit der Schwerpunktsetzung war ich während des Lesens nicht immer komplett glücklich. So nehmen mir die homoerotischen Abenteuer und Fantasien zu viel Raum ein. Stattdessen hätte ich mir an einigen Stellen Details zur Entstehung und Rezeption der Werke Thomas Manns gewünscht. Im Großen und Ganzen wird Tóibín dem berühmten Autor aber durchaus gerecht, den er authentisch darstellt.

Colm Tóibín hat für den Roman umfangreich recherchiert und lässt seine Leserinnen und Leser an seinen Quellen teilhaben. Interessiert hätte mich darüber hinaus, an welchen Stellen er von der tatsächlichen Biografie abgewichen ist und Fiktion ins Spiel gebracht hat. Leider lässt uns der irische Autor diesbezüglich im Dunkeln.

Tolle Arbeit ist bei der Gestaltung des Covers geleistet worden, wenngleich das Motiv ein bisschen vage bleibt. Auch der wörtlich ins Deutsche übertragene Titel (Original: „The Magician“) passt hervorragend.

Mein Fazit:
Mit „Der Zauberer“ liefert Colm Tóibín einen umfassenden und unterhaltsamen Roman über das Leben Thomas Manns, der sowohl für Laien als auch Fans der Manns empfehlenswert ist. Ein Buch, das Lust darauf macht, die Werke der Familienmitglieder neu oder wieder zu entdecken.

Veröffentlicht am 16.11.2021

Zwischen Glaube und Wissenschaft

Ein erhabenes Königreich
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Gifty, eine junge schwarze Wissenschaftlerin, fühlt sich im Labor der kalifornischen Stanford University heimisch. Dort erforscht sie mit Experimenten das Suchtverhalten von Mäusen. Mit ihrer Forschung ...

Gifty, eine junge schwarze Wissenschaftlerin, fühlt sich im Labor der kalifornischen Stanford University heimisch. Dort erforscht sie mit Experimenten das Suchtverhalten von Mäusen. Mit ihrer Forschung macht sie allerdings nur langsam Fortschritte, denn ihre Mutter ist aus Alabama zu ihr gekommen. Sie hat eine schwere Depression und schafft es nicht, aus dem Bett aufzustehen. Mit ihr suchen Gifty schmerzhafte Kindheitserinnerungen heim: unter anderem das Verschwinden des Vaters, der in sein Heimatland Ghana zurückging…

„Ein erhabenes Königreich“ ist ein Roman von Yaa Gyasi.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 53 kurzen Kapiteln. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Gifty, allerdings mit Rückblenden. Dieser Aufbau funktioniert gut.

Die Sprache ist auf den ersten Blick schnörkellos. Und doch ist der Schreibstil atmosphärisch stark und voller Bilder. Ungewöhnlich ist, dass mehrere Gebete eingefügt sind.

Die Protagonistin ist interessant und authentisch ausgestaltet. Ihre Gedanken und Gefühle lassen sich gut nachvollziehen. Auch die übrigen Charaktere wirken lebensnah.

In inhaltlicher Hinsicht ist die Geschichte sehr facettenreich und thematisch umfangreich. Diese Vielfalt hat mich an der Lektüre gereizt. Das Spannungsfeld von religiösem Glauben und der Wissenschaft ist sicherlich zentral. Darüber hinaus geht es um weitere Aspekte wie psychische Krankheiten und Sucht, Verlust und Tod, aber auch Rassismus, Heimatlosigkeit, Ausgrenzung und einiges mehr, das ich an dieser Stelle nicht vorwegnehmen möchte.

Die Geschichte hat mich immer wieder berührt, mich nachdenklich und betroffen gemacht. Auf den fast 300 Seiten habe ich einige Passagen jedoch als langatmig und zu detailliert empfunden. Das Ende kommt außerdem sehr abrupt und lässt noch Fragen offen.

Das künstlerisch anmutende Cover ist nicht nur ein Hingucker, sondern passt auch bezüglich des Motivs gut zum Roman. Der Verlag hat den Originaltitel („Transcendent Kingdom“) mit Fingerspitzengefühl ins Deutsche übersetzt.

Mein Fazit:
Wenngleich mich Yaa Gyasi mit ihrem Roman „Ein erhabenes Königreich“ nicht in allen Punkten überzeugt hat, empfehle ich die Geschichte gerne. Ihren Debütroman „Heimkehren“ möchte ich nun auch noch lesen.