Die Abgründe einer vermeintlichen Freundinnenschaft
Before we were innocentElizabeth Winter, genannt Bess, traut ihren Augen kaum, als Medienstar Joni Le Bon plötzlich vor ihrer Tür steht. Seit etwa zehn Jahren haben sich die beiden nicht mehr getroffen. Damals war ihre gemeinsame ...
Elizabeth Winter, genannt Bess, traut ihren Augen kaum, als Medienstar Joni Le Bon plötzlich vor ihrer Tür steht. Seit etwa zehn Jahren haben sich die beiden nicht mehr getroffen. Damals war ihre gemeinsame Freundin Evangeline Aetos mit nur 19 Jahren auf tragische Weise ums Leben gekommen. Evs Tod hat Bess und Joni schließlich entfremdet. Doch nun bittet Joni die zurückgezogen lebende Single-Frau Bess um Hilfe, denn ihre Verlobte Willa, ebenfalls eine bekannte Persönlichkeit, wird vermisst…
„Before we were innocent“ ist ein Roman von Ella Berman.
Die durchdachte Struktur des Romans besteht aus 61 Kapiteln. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Bess. Dabei gibt es zwei sich abwechselnde Erzählstränge: die gegenwärtigen Ereignisse im Jahr 2018 rund um Willas Verschwinden und das Geschehen in den Jahren 2008/2009 vor und nach Evs Tod. Die Schauplätze befinden sich in den USA und Griechenland. Trotz dieser Komplexität ist die Geschichte sehr gut nachvollziehbar.
Die Sprache ist atmosphärisch und anschaulich, allerdings auch unspektakulär. An einigen Stellen wird sie sogar unnötigerweise etwas vulgär. Die Übersetzung von Elina Baumbach ist angenehm unauffällig und damit sehr gelungen.
Drei Frauenfiguren stehen im Zentrum des Romans: Bess, Joni und Ev, drei interessante und vielschichtige Protagonistinnen. Die Figuren werden mit psychologischer Tiefe dargestellt. Auch die übrigen Charaktere sind reizvoll ausgestaltet.
Vordergründig geht es in der Geschichte um zwei mysteriöse Fälle: den Tod Evs und das plötzliche Verschwinden Willas. Den Antworten auf die Frage, was mit den beiden Frauen passiert ist, wird sich sukzessive genähert. Auf den rund 440 Seiten sorgen die bei Fälle, nach einem gemächlichen Beginn, für andauernde Spannung. Falsche Fährten und mehrere Wendungen diesbezüglich machen die Geschichte fesselnd und abwechslungsreich. Die Auflösungen wirken größtenteils schlüssig. Obwohl ich es mag, wenn eine Geschichte Interpretationsspielräume lässt, bleiben mir am Ende jedoch zu viele Widersprüchlichkeiten und offene Fragen.
Auch beim zweiten großen Thema des Romans, der Freundinnenschaft, hat mich die Geschichte zunehmend verloren. Die Botschaft, dass bewusste, absichtliche Verletzungen und Machtspielchen zu einer Freundschaft einfach dazugehören, finde ich falsch und toxisch. Solche Beziehungen sollten vertrauensvoll, unterstützend und wertschätzend sein. Dass hier ein völlig ungesundes Bild von Freundinnenschaft schöngeredet wird, halte ich vor allem mit Blick auf jüngere Leserinnen für bedenklich.
Der mehrdeutige Titel, der 1:1 vom Original übernommen wurde, passt zur Geschichte. Auch das Covermotiv, das ebenfalls von der Originalausgabe übertragen wurde, ist aus inhaltlicher Sicht durchaus passend, wirkt auf mich aber zu sexistisch.
Mein Fazit:
„Before we were innocent“ von Ella Berman ist ein sehr unterhaltsamer und packender Roman. Leider hat mich die Geschichte aber in mehreren Details nicht komplett überzeugen können.