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Veröffentlicht am 05.06.2025

Doktor Bluthand

Der Schlächter
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Dr. Silas Aloysius Weir träumt schon länger davon, sich einen Ruf als Arzt zu erwerben. Doch sein Start in die Medizin verläuft zunächst alles andere als vielversprechend. Frauenkörper und Blut stoßen ...

Dr. Silas Aloysius Weir träumt schon länger davon, sich einen Ruf als Arzt zu erwerben. Doch sein Start in die Medizin verläuft zunächst alles andere als vielversprechend. Frauenkörper und Blut stoßen ihn ab. Seine fachliche Ausbildung lässt zu wünschen übrig. Wie also schaffte er es, dennoch zum langjährigen Direktor einer Heilanstalt für Geisteskranke und zum „Begründer der Gynäkopsychiatrie“ zu werden?

„Der Schlächter“ ist ein Roman von Joyce Carol Oates.

Der Roman ist aufgebaut wie eine Biografie mit unterschiedlichen Beiträgen: Auf die fiktive „Anmerkung des Herausgebers“ und einen kurzen Prolog folgen sechs Teile, von denen der letzte als Epilog bezeichnet wird. Die Handlung umfasst im Groben die Zeit von 1835 bis ungefähr die 1890er-Jahre und spielt im östlichen Gebiet der heutigen Vereinigten Staaten von Amerika, überwiegend in Pennsylvania.

Im Mittelpunkt des Romans steht mit Dr. Silas Weir eine zwar grundsätzlich fiktive Persönlichkeit, die allerdings auf realen historischen Personen basiert, wie die Dankesworte der Autorin enthüllen. Obwohl der „Schlächter“ sicherlich ein klassischer Antiheld und kein angenehmer Charakter ist, ist die Figur komplex angelegt und verfügt über viel psychologische Tiefe. Dadurch wirkt der Protagonist authentisch.

Der Inhalt der Geschichte ist überaus heftig, insbesondere wenn man sich vor Augen führt, dass Teile der Handlung auf tatsächlichen Begebenheiten beruhen. Der Roman lässt in die Abgründe der Medizin im 19. Jahrhundert und insbesondere der frühen Gynäkologie blicken. Brutale Experimente und operative Eingriffe werden schonungslos und detailreich geschildert. Verstümmelungen, lebensgefährliche Verletzungen, verschiedene Formen von Gewalt und andere Grausamkeiten gegenüber den Patientinnen sind an der Tagesordnung. Vor allem Frauen ärmerer Herkunft werden zu unfreiwilligen Versuchskaninchen im Rahmen einer methodisch fragwürdigen Forschung.

Immer wieder deutlich wird das frauenverachtende, misogyne Denken, das nicht nur dem Protagonisten zuzuschreiben ist. Die Lesart, dass Frauen zu emotional, zu hysterisch, aufgrund ihrer hormonellen Situation ohne Kontrolle über Verhalten und ihr Auftreten seien, kommt wiederholt zum Ausdruck. Bei der Lektüre wird erschreckend klar, dass solche Mythen zum Teil bis in die heutige Zeit überlebt haben. Auch die Tatsache, dass selbst heutzutage noch immer zu wenig Wissen über Zusammenhänge über den weiblichen Körper vorliegen, unterstreicht dieser Roman dadurch, dass er aufzeigt, wie absurd die ersten medizinischen Annahmen waren. Zudem macht die Geschichte die Schattenseiten des Patriarchats eindrucksvoll deutlich. In der feministischen Debatte liefert dieser Roman mithin eine Menge Stoff.

Erzählt wird aus unterschiedlichen Perspektiven. Dieses kreative Konzept gefällt mir. Dass nicht alle oder vielleicht sogar die wenigsten Erzählstimmen als zuverlässig angesehen können, verleiht der Geschichte Pfiff. Leider dominieren die Tagebucheinträge („Aus der Chronik eines Arztlebens“) und damit die Perspektive von Silas Weir sehr stark, was auf den rund 440 Seiten zu Redundanzen und langatmigen Passagen führt. Darüber hinaus hat meinen Lesegenuss geschmälert, dass mir Teile der Handlung als zweifelhaft bis unglaubwürdig erscheinen.

Auf der sprachlicher Hinsicht ahmt der Roman die Ausdrucksweise des 19. Jahrhunderts nach. Dies funktioniert auch in der deutschen Übersetzung von Silvia Morawetz, die ich als angenehm unauffällig empfunden habe.

Das etwas mysteriöse Covermotiv macht neugierig. Der martialische Titel ist zwar ein wenig überspitzt, geht für mich aber dennoch in Ordnung.

Mein Fazit:
„Der Schlächter“ ist eine aufschlussreiche, schockierende Lektüre, die der Leserschaft starke Nerven abverlangt. Mit ihrem Roman zu den Anfängen der Gynäkologie und Psychiatrie ist Joyce Carol Oates ein ungewöhnlicher und trotz seiner Schwächen lesenswerter Roman gelungen.

Veröffentlicht am 01.06.2025

Die vermeintliche Erbschleicherin

Die kleine Villa in Italien
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Lia Bathurst hat schon länger von einer Auszeit an der Amalfi-Küste (Italien) geträumt. Doch die Künstlerin hätte nicht gedacht, dort auf die Spuren ihres Vaters Ernesto Salvatore zu stoßen, den sie nie ...

Lia Bathurst hat schon länger von einer Auszeit an der Amalfi-Küste (Italien) geträumt. Doch die Künstlerin hätte nicht gedacht, dort auf die Spuren ihres Vaters Ernesto Salvatore zu stoßen, den sie nie kennen gelernt hat. Zunächst aber ist ihr Raphael Knight, kurz Raph, im Weg, der Manager ihres Vaters…

„Die kleine Villa in Italien“ ist der elfte Band der „Romantic Escapes“-Reihe von Julie Caplin.

Der Roman besteht aus 37 Kapiteln, die mit einem Epilog enden. Erzählt wird im Wechsel aus der Sicht von Lia und Raph. Ein schönes Extra ist die Landkarte, die bei der Orientierung hilft.

Der Schreibstil ist gewohnt anschaulich und dank vieler Dialoge sehr lebhaft. Die Landschaftsbeschreibungen machen Lust auf Italien.

Protagonistin Lia ist eine sympathische Figur. Mit Raph wurde ich nicht so schnell warm. Dennoch hat mir der Mix an Charakteren gut gefallen.

Auf der inhaltlichen Ebene geht es genretypisch vor allem um die Liebe. Aber auch das Thema Familie spielt eine wichtige Rolle.

Die Handlung ist größtenteils vorhersehbar, aber durchaus kurzweilig, amüsant und abwechslungsreich. Auf den rund 420 Seiten konnte mich die Geschichte zudem berühren. Damit ist der Roman eine schöne Sommer- beziehungsweise Urlaubslektüre.

Die Covergestaltung und der deutsche Titel fügen sich hervorragend in die Reihe ein. Allerdings ist das Wort „klein“ im Romantitel nicht ganz passend. Darüber kann ich dennoch gut hinwegsehen.

Mein Fazit:
Wieder einmal hat Julie Caplin einen unterhaltsamen Liebesroman mit Urlaubsfeeling geschrieben. Auch „Die kleine Villa in Italien“ hat meine Erwartungen erfüllt. Ich freue mich schon auf die weiteren Bände.

Veröffentlicht am 11.05.2025

Wenn alles ins Dunkel fällt

Der Einfluss der Fasane
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Hella Renata Karl, Anfang 50 und Feuilletonchefin einer großen Berliner Tageszeitung, ist geschockt: Kai Hochwerth, der frühere Intendant einer der größten Bühnen in der Hauptstadt, hat sich in Sydney ...

Hella Renata Karl, Anfang 50 und Feuilletonchefin einer großen Berliner Tageszeitung, ist geschockt: Kai Hochwerth, der frühere Intendant einer der größten Bühnen in der Hauptstadt, hat sich in Sydney umgebracht. Hat Hella nicht nur die Schuld am Rausschmiss des 54-Jährigen, sondern ihn auch in den Selbstmord getrieben? Sie hatte über seinen Machtmissbrauch geschrieben. Nun steht die Journalistin am öffentlichen Pranger und erhält Hassnachrichten. Und es droht weiterer Ungemach…

„Der Einfluss der Fasane“ ist ein Roman von Antje Rávik Strubel.

Untergliedert in sieben Kapitel, wird in personaler Perspektive aus der Sicht von Hella erzählt, durchweg chronologisch, aber mit Rückblenden. Die Handlung umfasst nur wenige Wochen und spielt in Berlin, Potsdam und Umland.

Vor allem auf der sprachlichen Ebene hat mich der Roman beeindruckt. Die Autorin vermag es, atmosphärisch, anschaulich und bildstark zu schreiben, mit leichter Feder und ohne viele Worte zu verschwenden. Was mir ebenfalls gefallen hat: Im Text wird immer wieder der Umgang mit Sprache und Formulierungen auf gekonnte Weise reflektiert.

Hella ist eine reizvolle Protagonistin, jedoch keine klassische Sympathieträgerin und eine eher unbequeme Person. Sie ist sehr ehrgeizig, selbstbezogen und äußerst selbstbewusst. Um ihren Weg zu machen, hat sie Verhaltensweisen und Ansichten übernommen, die an ältere Männer erinnern. Ihr Denken und Handeln ist nicht immer leicht zu ertragen, aber in sich schlüssig und nachvollziehbar. Auch die übrigen Charaktere wirken größtenteils ausgefeilt, nur wenige Nebenfiguren sind etwas zu stereotyp geraten.

Auf den rund 230 Seiten wird die Geschichte von einer subtilen Spannung getragen. Wird Hella ihren Hals aus der Schlinge ziehen können? Was hat den Intendanten zu dem drastischen Entschluss getrieben? Erst Stück für Stück werden die Zusammenhänge klarer.

Aus inhaltlicher Sicht hat der Roman viel Interessantes zu bieten. Der Missbrauch von Macht in der Kultur- und insbesondere Theaterszene ist ein wichtiges und lohnenswertes Thema. Es geht dabei um patriarchale Herrschaftsstrukturen, internalisierte Misogynie, antifemistisches Denken und sexistisches Gehabe. Aber auch mediale Hetzjagden, die Dynamik öffentlicher Diskurse und die Auswüchse der Empörungskultur tauchen auf. Zusätzlich wurden die Aspekte von Schuld und Verantwortung sowie die Prägung der Persönlichkeit durch Klasse und Herkunft eingearbeitet. Das macht die Geschichte facettenreich und verleiht ihr Gewicht. Insgesamt bleibt der Roman jedoch zu sehr an der Oberfläche, die Botschaft des Romans wird durch die Themenfülle stark verwässert.

Die Fasan-Symbolik wird nicht nur konsequent im Titel und im hübschen Covermotiv aufgegriffen, sondern zieht sich auch durch den gesamten Text. Deren Bedeutung bleibt mir dennoch ebenfalls zu diffus.

Mein Fazit:
Mit „Der Einfluss der Fasane“ hat Antje Rávik Strubel einen lesenswerten Roman geschrieben, der auf problematische Strukturen verweist. Sprachlich überzeugend, aber inhaltlich leider zu schwammig.

Veröffentlicht am 28.04.2025

Das Leben neu ordnen

Halbinsel
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Auf einer Halbinsel am nordfriesischen Wattenmeer wohnt Bibliothekarin Annett (49) im alten Haus ihrer Großtante. Nach dem frühen Tod ihres Mannes Johan lebt sie zurückgezogen. Ihre gemeinsame Tochter ...

Auf einer Halbinsel am nordfriesischen Wattenmeer wohnt Bibliothekarin Annett (49) im alten Haus ihrer Großtante. Nach dem frühen Tod ihres Mannes Johan lebt sie zurückgezogen. Ihre gemeinsame Tochter Linn, Ende 20, hat sie allein großgezogen. Nun engagiert sich die junge Frau in Berlin als Umweltvolontärin in einem Aufforstungsprogramm. Doch sie ist ausgebrannt und kippt während eines Vortrags plötzlich um. Die Mutter holt ihre Tochter daher zu sich. Jetzt müssen beide ihre Beziehung und ihre Leben neu ordnen…

„Halbinsel“ ist ein Roman von Kristine Bilkau, nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse.

Erzählt wird die Geschichte in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Annett - in chronologischer Reihenfolge, aber mit einigen Rückblenden. Die Handlung umfasst mehrere Monate. Der Roman verzichtet auf Kapitel und andere Gliederungen. Der Text wird nur von größeren Absätzen unterbrochen.

Der Schreibstil ist unaufgeregt. Die Sprache des Romans ist klar und unprätentiös, dabei dennoch eindrücklich und einfühlsam. Vor allem die Naturbeschreibungen haben mich überzeugt.

Auf den nur rund 220 Seiten schreitet die Geschichte nur langsam voran. Die Handlung bleibt überschaubar. Nichtsdestotrotz entfaltet der Roman eine immer stärkere Sogkraft.

Im Zentrum der Geschichte steht zweifelsohne die Beziehung von Mutter und Tochter sowie der Generationenkonflikt. Sowohl Annett als auch Linn werden mit psychologischer Tiefe dargestellt und als lebensnahe Figuren gezeichnet. Man kommt ihnen sehr nahe, kann sich in sie einfühlen.

In inhaltlicher Hinsicht ist der Roman gehaltvoll und tiefsinnig. Neben der Familie werden weitere Themen wie der Klimawandel elegant eingeflochten.

Das Covermotiv ist hübsch, aber leider etwas einfallslos. Der prägnante Titel passt jedoch gut und gefällt mir.

Mein Fazit:
Mit „Halbinsel“ ist Kristine Bilkau ein vielschichtiger, bewegender Roman gelungen. Empfehlenswert!

Veröffentlicht am 27.04.2025

Als Ruthie verschwand

Beeren pflücken
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Juli 1962 im US-Bundesstaat Maine: Eine Mi’kmaq-Familie aus Nova Scotia (Kanada) reist an, um bei der Blaubeerernte im Sommer zu helfen. Mehrere Wochen später ist die vierjährige Ruthie, das jüngste Kind ...

Juli 1962 im US-Bundesstaat Maine: Eine Mi’kmaq-Familie aus Nova Scotia (Kanada) reist an, um bei der Blaubeerernte im Sommer zu helfen. Mehrere Wochen später ist die vierjährige Ruthie, das jüngste Kind der Familie, verschwunden. Ihren Bruder Joe (6), der sie als letzter gesehen hat, trifft dieser Verlust sehr. Ihn verfolgt das mysteriöse Verschwinden jahrelang. Während er um seine kleine Schwester trauert, wächst die junge Norma als Einzelkind bei einer wohlhabenden Familie in Maine auf.

„Beeren pflücken“ ist der Debütroman von Amanda Peters.

Der Roman ist sinnvoll und nachvollziehbar strukturiert: Auf einen Prolog folgen 17 Kapitel. Erzählt wird im Wechsel in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Joe und der von Norma. Die Handlung umspannt mehrere Jahrzehnte.

Die Sprache des Romans ist unauffällig. Der Schreibstil ist geprägt von vielen Dialogen und anschaulichen Beschreibungen.

Im Vordergrund stehen Joe und Norma, zwei durchaus interessante Charaktere. Sie verfügen über ausreichend psychologische Tiefe.

Thematisch dreht sich die Geschichte überwiegend um Verlust und Trauer, Schuldgefühle, Abstammung und die Bedeutung von Familie. Eine Stärke des Romans liegt darin, dass die Autorin auch die Historie der Mi‘kmaq beleuchtet und damit ihren Vorfahren eine Stimme gibt. So erhalten wir Einblicke in das Leben indigener Wanderarbeiterfamilien.

Die rund 300 Seiten sind weniger spannend als erwartet, aber dennoch unterhaltsam und vor allem berührend.

Für mich erschließt sich nicht, warum der englischsprachige Originaltitel („The Berry Pickers“) in der deutschen Übersetzung verändert wurde. „Die Berrenpflücker“ wäre eine deutlich bessere Variante gewesen. Das deutsche Covermotiv passt meiner Ansicht nach jedoch gut.

Mein Fazit:
Mit „Beeren pflücken“ hat Amanda Peters einen bewegenden und interessanten Roman geschrieben. Ein lesenswertes Debüt!