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Veröffentlicht am 13.06.2025

Der Griff nach den Sternen

Stars
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„Freiheit für Mittmann“, so steht es mit Kreide auf den Bürgersteig geschrieben. Carla Mittmann entdeckt den Schriftzug, nachdem ein Stein durch ihr Fenster geflogen war. Was hat das alles zu bedeuten? ...

„Freiheit für Mittmann“, so steht es mit Kreide auf den Bürgersteig geschrieben. Carla Mittmann entdeckt den Schriftzug, nachdem ein Stein durch ihr Fenster geflogen war. Was hat das alles zu bedeuten? Nach ihrer erzwungenen Exmatrikulation hat die alleinstehende Philosophin zwar keinen Doktortitel, aber nun zwei Jobs. Sie arbeitet nicht nur als Aushilfskraft für einen Möbelhersteller, sondern bietet als „Cosmic Charly" übers Internet auch individuelle Horoskope an. Doch welchen Einfluss haben die Sterne wirklich? Und was sieht das Schicksal noch für Carla vor?

„Stars“ ist das Romandebüt von Katja Kullmann.

Der Roman gliedert sich in drei Teile, die aus mehreren unnummerierten Abschnitten bestehen. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Carla.

Mit satirischem Unterton, aber ungekünstelt und anschaulich ist die Sprache des Romans. Obwohl mich die humoristischen Spitzen nicht immer erreichen konnten, hat mich der Schreibstil dennoch überzeugt.

Protagonistin Carla ist nicht die typische, sympathische Heldin. Ihr vor allem anfangs phlegmatisches Wesen und ihr unorthodoxes, nicht immer rationales Verhalten lassen sie über weite Teile der Geschichte seltsam und ungewöhnlich erscheinen. Schwer habe ich mich auch mit einigen Nebenfiguren getan, die deutlich überzeichnet wirken.

Ein thematischer Schwerpunkt liegt auf der Astrologie. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob die Sterne tatsächlich unser Schicksal beeinflussen oder ob die Astrologie bloße Scharlantanerie ist. Hintergründig beleuchtet der Roman nicht nur die Sternendeuterei an sich, sondern zeigt die zugrundeliegenden Träume, Ängste und Sehnsüchte der Fans der Astrologie auf. Dies regt zum Nachdenken an und schafft Anknüpfungspunkte.

Auf den rund 250 Seiten ist die Geschichte trotz des eher gemäßigten Erzähltempos unterhaltsam und voller Überraschungen. Leider habe ich nicht alle Entwicklungen als glaubwürdig empfunden. Zudem bleiben für meinen Geschmack am Ende noch zu viele Fragen offen.

Als sehr gelungen betrachte ich die Covergestaltung des Romans. Der mehrdeutige Titel ist ebenfalls eine vortreffliche Wahl.

Mein Fazit:
„Stars“ ist eine unterhaltsame Lektüre mit einer interessanten Fragestellung. Leider hat mich der Roman nicht in allen Punkten begeistern können.

Veröffentlicht am 03.05.2025

Die unvollständige Grammatik der eigenen Familie

Die Summe unserer Teile
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Berlin im Sommer 2014: Als Informatikstudentin Lucy Wittenberg (23) nach ihrem Seminar an der Universität in ihre WG zurückkehrt, steht plötzlich ein großes Klavier in ihrem Zimmer: der Steinway, auf dem ...

Berlin im Sommer 2014: Als Informatikstudentin Lucy Wittenberg (23) nach ihrem Seminar an der Universität in ihre WG zurückkehrt, steht plötzlich ein großes Klavier in ihrem Zimmer: der Steinway, auf dem sie als Kind und Jugendliche in der elterlichen Wohnung üben müsste. Was hat das zu bedeuten? Zu ihrer Mutter Daria, einer Kinderärztin, hat sie seit drei Jahren keinen Kontakt mehr. Lucy ahnt noch nicht, dass sie in den kommenden Tagen tief in ihre Familiengeschichte eintauchen und einiges über ihre Großmutter Lyudmila, gebürtige Polin und eine der ersten Chemikerinnen im Libanon, erfahren wird…

„Die Summe unserer Teile“ ist der Debütroman von Paola Lopez.

Die Geschichte umspannt 70 Jahre (1944 bis 2014) und spielt in Berlin, München, Beirut und Sopot. Es gibt drei Erzählstränge. Erzählt wird im Präsens aus wechselnder Perspektive: der von Lucy, der von Daria und der von Lyudmila. Angaben zu Beginn der insgesamt 19 Kapitel verhindern, dass man wegen der Zeitsprünge den Überblick verliert.

Besonders in sprachlicher Hinsicht hat mir der Roman gefallen. Schöne Naturbeschreibungen und ungewöhnliche, kreative Sprachbilder haben mir beim Lesen viel Freude bereitet.

Die drei Frauen, also Großmutter, Mutter und Enkelin, stehen im Mittelpunkt der Geschichte. Drei durchaus reizvolle Protagonistinnen, jedoch keineswegs Sympathieträgerinnen. Zwar erfahren wir im Laufe des Romans die Hintergründe des Handels. Dennoch blieben mir vor allem Daria und Lyudmila bis zum Schluss fremd. Ihre Motive und Gedanken konnte ich nicht in Gänze nachvollziehen. Auch Lucy mutet in einigen Aspekten zu seltsam an.

Der Roman behandelt vorwiegend die Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern. Es geht dabei insbesondere um das Vererben von Traumata, das Schweigen zwischen den Generationen und das Weitergeben dysfunktionaler Muster innerhalb von Familien. Unter anderem wird die Frage aufgeworfen, wann ein Kontaktabbruch sinnvoll ist, um sich oder andere vor psychischen Verletzungen zu schützen.

Thematisch ist die Geschichte sehr stringent und interessant. In der Umsetzung hat mich der Roman allerdings weniger überzeugt und berührt als andere Bücher mit ähnlichem Inhalt. Auf den rund 250 Seiten kommt die Handlung nur allmählich in Fahrt und wird durch langatmige Passagen mit wissenschaftlichen Ausführungen immer wieder ausgebremst. Zudem beinhaltet die Geschichte ein paar Aspekte, die ich als wenig glaubwürdig empfunden habe.

Das hübsche Covermotiv zeigt einen Ausschnitt eines Ölgemäldes von Lolita Pelegrime. Für mich ist jedoch nicht ganz klar, welche der Protagonistinnen dargestellt sein soll. Der Titel passt aber nach meiner Ansicht gut zur Geschichte.

Mein Fazit:
Mit „Die Summe unserer Teile“ hat Paola Lopez ein spannendes Thema literarisch verarbeitet. Während mich die Sprache ihres Debütromans begeistert hat, hat mich die inhaltliche Umsetzung leider enttäuscht. Nur bedingt empfehlenswert.

Veröffentlicht am 18.04.2025

Im Strom der Zeit

Flusslinien
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Margrit Raven kann auf 102 Jahre zurückschauen. Nun lebt die Witwe in einem betreuten Wohnheim am Elbufer in Hamburg, wo sie sich heimisch fühlt. Ihr Sohn Frieder, der im fernen Australien wohnt, lässt ...

Margrit Raven kann auf 102 Jahre zurückschauen. Nun lebt die Witwe in einem betreuten Wohnheim am Elbufer in Hamburg, wo sie sich heimisch fühlt. Ihr Sohn Frieder, der im fernen Australien wohnt, lässt sich nicht mehr blicken. Doch Enkelin Luzie (18) besucht ihre Großmutter gerne und regelmäßig. Auch Arthur (24), der den Fahrdienst für die Senioren übernimmt, ist eine willkommene Gesellschaft. Was Margrit nicht weiß: Die beiden jungen Leute leiden unter Ereignissen, die sich vor nicht allzu langer Zeit in ihren Leben abgespielt haben…

„Flusslinien“ ist ein Roman von Katharina Hagena.

Die Struktur des Romans orientiert sich an seiner Handlung. Jedem der zwölf Tage ist ein Teil gewidmet, der sich zumeist in mehrere Kapitel gliedert. Erzählt wird im Präsens aus der Sicht der drei Hauptfiguren: Margrit, Luzie und Arthur, in chronologischer Reihenfolge, aber mit Rückblenden. Die Handlung spielt in Hamburg.

Begeistert hat mich die Sprache des Romans. Jeder Tag wird mit atmosphärischen, poetisch anmutenden Naturbeschreibungen, die zunächst mysteriös bleiben, eingeleitet. Der eigentliche Text des Romans setzt sich immer wieder mit Sprache und Formulierungen auseinander. Mal geht es um Kunstsprachen, mal um Redewendungen und mal um den richtigen Ausdruck. Wortspiele wie „Seh-nie-Ohren-Residenz“ und Neologismen wie „Geheimweh“ haben mir beim Lesen Freude bereitet.

Die drei Hauptcharaktere empfinde ich als sehr reizvoll. Die betagte Margrit ist eine ungewöhnliche Protagonistin. Auch Luzie und Arthur haben interessante Hintergründe, die sich erst nach und nach offenbaren.

Neben den fiktiven Figuren nimmt eine historische Persönlichkeit, die Gärtnerin Else Hoffa, für meinen Geschmack jedoch zu viel Raum im Roman ein. An ihr zeigt sich zwar die Recherchearbeit der Autorin. Dennoch ist die Verbindung der fiktiven Charaktere zu Hoffa zu lose, um die ausführlichen Passagen zu ihrer Biografie und ihrem Leben zu rechtfertigen. Mich haben diese Stellen daher zunehmend gelangweilt.

Thematisch ist die Geschichte sehr breit aufgestellt. Der Roman ist zugleich eine Familiengeschichte und stellt drei persönliche Schicksale dar, die geprägt sind von Trauer, Einsamkeit und anderen psychischen Problemen. In manchen Bereichen wie Atemtechniken konnte ich neues Wissen sammeln. Auf anderen Gebieten, beispielsweise die Elbvertiefung und deren Folgen für die Artenvielfalt, bleibt der Roman zu sehr an der Oberfläche.

Im ersten Drittel der fast 400 Seiten konnte mich die Geschichte berühren und gut unterhalten. Danach häufen sich leider langatmige Passagen und Wiederholungen. Absurde, fast schon groteske Episoden sowie unglaubwürdige Entwicklungen haben meinen Lesespaß zunehmend getrübt.

Der mehrdeutige Titel des Romans passt gut zum Inhalt und erschließt sich bald. Das stimmungsvolle Covermotiv ist ebenfalls sinnvoll gewählt.

Mein Fazit:
Mit „Flusslinien“ hat Katharina Hagena meine hohen Erwartungen bedauerlicherweise nicht komplett erfüllen können. Auf der sprachlichen Ebene hat mich das Buch überzeugt, auf der inhaltlichen in mehrfacher Hinsicht enttäuscht. Daher nur bedingt empfehlenswert.

Veröffentlicht am 10.01.2025

Ein Haufen kaputter Seelen

Vor der Nacht
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Sommer 1986: Der 14-jährige Halbwaise Jonas Kovacs kommt in ein Kinderheim, nachdem sein Vater ein Verbrechen begangen hat. Dort trifft er, der fortan Jimmy genannt wird, auf Frei, Pappel, Sinan, Beria ...

Sommer 1986: Der 14-jährige Halbwaise Jonas Kovacs kommt in ein Kinderheim, nachdem sein Vater ein Verbrechen begangen hat. Dort trifft er, der fortan Jimmy genannt wird, auf Frei, Pappel, Sinan, Beria und Lilly. In der Gruppe finden sie Zusammenhalt und eine Ersatzfamilie. Doch dann passieren Dinge, die die Freunde auseinander bringen…

„Vor der Nacht“ ist ein Roman von Salih Jamal.

Die Geschichte beginnt im Jahr 1986 und reicht bis zum Anfang der 2000er-Jahre. Die Handlung spielt an wechselnden Orten, beispielsweise bei Baden-Baden, in Hamburg, in München, in einer bayrischen Kleinstadt. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Jonas. Dabei umfasst der Roman 32 Kapitel, die von einem Pro- und einem Epilog eingerahmt werden.

In sprachlicher Hinsicht ist der Roman ein Juwel. Viele starke, teils ungewöhnliche Bilder, atmosphärische Beschreibungen und lebhafte Dialoge haben mich überzeugt. Der Erzählton hat eine poetische Note. Wortspiele und Symbole sind immer wieder eingeflossen. Nur manchmal passten die zitierten Formulierungen nicht zu der sonstigen Ausdrucksweise der Charaktere.

Die Idee, das Thema Kinderheime zu beleuchten, hat mir sehr zugesagt. Zunächst recht episodenhaft, dann zusammenhängender erfahren wir von den schlimmen Schicksalen der Kinder und von ihrem neuen Alltag. Es geht um Verlust und Trauer, Schuld und Sühne, Hoffnung und Verzweiflung, Liebe und Freundschaft.

Im Zentrum der Geschichte dreht es jedoch vor allem darum, wie es entwurzelten Individuen nach dem Verlust des Elternhauses und der prägenden Zeit im Heim geht und wie schwierig es für sie ist, ein geordnetes, normales Leben zu führen. Gewalt, schwere Verbrechen, Süchte und ähnliche Aspekte sind beinahe an der Tagesordnung. Leider werden toxische, misogyne und kriminelle Verhaltensweisen an manchen Stellen verharmlost beziehungsweise positiv umgedeutet. Als störend habe ich außerdem die zahlreichen sexuellen Bezüge empfunden.

Die sechs Protagonisten sind gezeichnete Charaktere. Kaputte Seelen, die ihre Vergangenheit noch nicht verarbeiten konnten und unter schwierigen Voraussetzungen ihren Weg fürs Leben finden müssen.

Auf den etwa 340 Seiten ist die Handlung kurzweilig, unterhaltsam, bisweilen berührend und aufrüttelnd. Manche Details wirken allerdings unglaubwürdig und überzogen dramatisch. Das gilt auch für das Ende. Zudem bleiben im Laufe der Handlung immer wieder Teile der Geschichte unklar, sodass mich der Roman mit einigen offenen Fragen zurückgelassen hat.

Mein Fazit:
Mit „Vor der Nacht“ wurde Salih Jamal meinen hohen Erwartungen leider nicht in Gänze gerecht. Die sprachlichen Stärken des Textes konnten die inhaltlichen Schwächen für mich nicht komplett überdecken.

Veröffentlicht am 11.12.2024

Die Flucht ins Hochgebirge

Über allen Bergen
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Frankreich im Jahr 1943: Der 12-jährige Vadim Pavlevitch wird von seinen Eltern in ein Bergdorf nahe der Schweizer Grenze geschickt. Der Junge, der von Asthma geplagt wird, soll dort unter dem Namen Vincent ...

Frankreich im Jahr 1943: Der 12-jährige Vadim Pavlevitch wird von seinen Eltern in ein Bergdorf nahe der Schweizer Grenze geschickt. Der Junge, der von Asthma geplagt wird, soll dort unter dem Namen Vincent Dorselles Obhut finden.

„Über allen Bergen“ ist ein Roman von Valentine Goby.

Die Struktur des Romans ist durchdacht und erschließt sich schnell: Er besteht aus drei Teilen, die nach Farben benannt sind (weiß, grün, gelb). Erzählt wird im Präsens weitestgehend chronologisch und vorwiegend aus der Sicht von Vadim/Vincent.

Auf der sprachlichen Ebene hat mich der Text begeistert. Der unaufgeregte Schreibstil ist atmosphärisch, bildstark und mit poetischer Note. Ungewöhnliche, kreative Metaphern und Vergleiche sind ein Genuss. Insbesondere die Beschreibungen der Natur im Wandel der Jahreszeiten sind überaus gelungen. Nur wer viel Wert auf Dialoge legt, wird enttäuscht.

In der Geschichte geht es vor allem um die Themen Zusammenhalt, Vertrauen und Freundschaft. Die menschlichen Beziehungen werden dabei gut herausgearbeitet. Der Schwerpunkt liegt auf den Begegnungen zwischen Vadim/Vincent, dessen Gedankenwelt sehr gut deutlich wird, und den Einheimischen im Hochgebirge.

Trotz des sehr reizvollen Settings hat der Roman ansonsten in inhaltlicher Hinsicht meine Erwartungen nicht komplett erfüllt. Das wenig originelle Trope „Verfolgte Person jüdischer Abstammung versteckt sich vor den Nazis“ soll zwar für Spannung sorgen, nimmt dabei jedoch für meinen Geschmack zu viel Raum ein. Dies hat in Verbindung mit dem Umstand, dass die Geschichte auf den mehr als 300 Seiten nur wenig Handlung aufweisen kann, dazu geführt, dass ich mich beim Lesen immer wieder gelangweilt habe.

Die Gestaltung hingegen ist wiederum sehr geglückt. Das stimmungsvolle Cover passt hervorragend. Die Aufmachung der gebundenen Ausgabe ist hochwertig und mit Liebe zum Detail. Der deutsche Titel, der vom französischen Original („L’Île haute“) abweicht, gefällt mir schon alleine aufgrund des Wortwitzes sehr.

Mein Fazit:
Mit „Über allen Bergen“ von Valentine Goby ist ein Roman mit Stärken und Schwächen. Während mich die Sprache begeistert hat, hat mich der Inhalt leider etwas enttäuscht.