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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.06.2025

Nette Sommerlektüre mit problematischen Mustern und wenig emotionaler Nähe

Ein unendlich kurzer Sommer
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Geschichten rund um schicksalhafte Gemeinschaften lese ich ziemlich gern. Eine solche haben wir hier auf jeden Fall auch, aber so richtig emotional erreichen konnte mich der Roman trotzdem nicht.

Wir ...

Geschichten rund um schicksalhafte Gemeinschaften lese ich ziemlich gern. Eine solche haben wir hier auf jeden Fall auch, aber so richtig emotional erreichen konnte mich der Roman trotzdem nicht.

Wir begleiten fünf Menschen, die den Sommer auf einem kleinen Campingplatz verbringen. Das Setting fand ich gut gewählt und der zu Beginn entstandene Hype inkl. des plötzlich florierenden Tourismus war schon recht amüsant. Ich hatte figurentechnisch aber meine Probleme. Mehrere Perspektiven finde ich toll - hier waren sie aber nicht klar voneinander abgegrenzt und wechselten teils innerhalb eines Kapitels nur durch einen Absatz getrennt. Außerdem finden nur drei Perspektiven direkt Raum, über die verbleibenden beiden Hauptfiguren wird nur durch die anderen drei gesprochen. Dieser Fakt hat mich immer mal wieder verwirrt/unzufrieden zurückgelassen

Was ich ganz besonders kritisiere, sind einige Muster in der Handlung. Einem noch Minderjährigen wird einfach wiederholt von Erwachsenen harter Alkohol und Cannabis verabreicht, sodass dieser in einem völlig betrunkenen/zugedröhnten Zustand zurückbleibt. Kaninchen werden ständig hochgehoben und auf den Schoß verschiedener Personen gesetzt - ein Fluchttier, das nur im äußersten Notfall hochgehoben werden sollte und nein, die finden Kuscheleinheiten in der Regel nicht toll! Das rassistische I-Wort, welches gleich zweimal reproduziert wird. Und ein irgendwie ziemlich überzeichneter, flacher, überflüssiger Ehemann, der am Ende noch einmal einen kurzen Auftritt bekommt.

Besonders die Kritikpunkte, aber auch die für mich allgemein fehlende emotionale Nähe zu den Figuren führen zu meinem Punktabzug in der Bewertung. Der Roman lässt sich trotz allem gut lesen und ist eine nette Sommerlektüre. Ich finde einfach, dass bspw. eine Jasmin Schreiber sehr ähnliche Geschichten deutlich ergreifender und reflektierter geschrieben hat.

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Veröffentlicht am 22.06.2025

Spannendes Generationenportrait, auch wenn der Zucker weniger verbindend war als erwartet

Zucker
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Ich mag komplexe Familiendramen, die sich über mehrere Generationen erstrecken und verschiedenen Perspektiven Raum geben. Auch „Zucker“ hat mir dahingehend gut gefallen, obwohl es figurentechnisch recht ...

Ich mag komplexe Familiendramen, die sich über mehrere Generationen erstrecken und verschiedenen Perspektiven Raum geben. Auch „Zucker“ hat mir dahingehend gut gefallen, obwohl es figurentechnisch recht überladen war.

Das verbindende Element der Geschichte soll der titelgebende Zucker sein. Dabei geht es nicht nur um Rohrzucker, sondern auch um seinen Konkurrenten: den Rübenzucker. Und Zucker spielt auch ganz klar immer wieder eine Rolle, irgendwie habe ich es aber noch konkreter erwartet. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass die Verbindung zum Lebensmittel ein wenig konstruiert war.

Abgesehen davon muss ich aber klar sagen, dass die Autorin hier eine bemerkenswerte Recherchearbeit geleistet haben muss. Die Handlung findet zu grundverschiedenen Zeiten statt und immer bekommen wir eine enorme Masse an geschichtlichen Hintergrundinformationen mitgeliefert. Das hat mich phasenweise ebenso überfordert wie die vielen Figuren, aber mit der richtigen Erwartung ist es ein tolles historisches Werk.

Die Figuren selbst konnte ich nicht ganz so gut greifen, das mag aber auch an der hauptsächlich thematisierten Zeit liegen. Besonders Ejo konnte ich eine Weile gar nicht zuordnen und fand die Wahl ihrer Perspektive auch ein wenig eigenartig. Andere Figuren sind klarer und ich mochte auch die nach und nach verwobenen Zusammenhänge. Nicht so gut gelungen fand ich die zusätzlichen Perspektiven von Nebenfiguren, die sich irgendwann noch eingeschlichen haben. Da es schon mehr als genug Hauptfiguren gibt, hätte ich darauf lieber verzichtet.

Trotz aller Kritik ist das Buch authentisch und gut geschrieben, ich habe es gern gelesen. Vor allem Fans historischer Romane mit hoher Detaildichte werden hier ihre Freude haben. Die emotionale Tiefe der Figuren gerät da für mein Empfinden eher ein wenig in den Hintergrund, was den Roman aber auch nur überfrachtet hätte. In jedem Fall habe ich durch die Lektüre Einiges gelernt!

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Veröffentlicht am 13.06.2025

Kurzer, aber schöner Essay mit wohltuenden Impulsen

Mut
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Ich mag die übermorgen-Reihe sowieso sehr gerne und schätze sie für ihre prägnante Kürze ebenso wie für die oft bereichernden Impulse. Auch „Mut“ hat mir gut gefallen, obwohl ich den Text schon wirklich ...

Ich mag die übermorgen-Reihe sowieso sehr gerne und schätze sie für ihre prägnante Kürze ebenso wie für die oft bereichernden Impulse. Auch „Mut“ hat mir gut gefallen, obwohl ich den Text schon wirklich sehr kurz fand. Die Kapitel umfassen teilweise nur 3 Seiten, was zwar einen sehr guten Lesefluss erzeugt, aber manchmal auch ein wenig Tiefe vermissen lässt.

Andererseits fand ich wirklich einige Gedanken Reitingers sehr spannend. Wie sie Mut als Konzept neu definiert ist so simpel wie hilfreich. Sie hebt das sagenumwobene Wort vom Individuellen ins Gesellschaftliche und fragt, wie ein tägliches Existieren in einem von Ismen durchzogenen System nicht mutig sein kann und Mut stattdessen nur mit Extremsportarten oder einschneidenden Lebensveränderungen in Verbindung gebracht wird.

Diese Vergesellschaftlichung finde ich ganz toll, wird doch alles gerade immer weiter individualisiert und damit auch isoliert. Die Symbiose des Grauens - bestehend aus Kapitalismus, Patriarchat und Rassismus - zwingt uns in einen stetigen Wettbewerb zueinander, wo gelebte Solidarität doch so viel angebrachter wäre.

Im Anschluss daran wird die Autorin aber auch sehr persönlich und erzählt von ihren eigenen Mutschritten als mehrgewichtige Person in einer Welt, die durch und durch fettfeindlich ist. Diese Erzählungen halte ich für nicht weniger als mutig und wünschte gleichzeitig, sie müssten es nicht sein. Ich bin (noch) nicht selbst von Fettfeindlichkeit betroffen und trotzdem haben mich die Geschichten emotional bewegt.

Deshalb denke ich, dass dieser gut lesbare, zugängliche Text eine absolute Wohltat für alle Menschen sein kann, deren Körper innerhalb unserer Gesellschaft diskriminiert werden. Er verändert unser eigenes Denken über Mut hin zu einem viel alltäglicheren, in welchem tagtägliches Existieren und Sichtbarsein der widerständige Akt an sich ist. Es hätte für mich durchaus auch noch detaillierter sein können, aber ich würde die Lektüre auf jeden Fall empfehlen - vor allem Menschen, die sich gern neue Impulse holen und keine komplett vorgefertigte Lösung suchen.

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Veröffentlicht am 13.06.2025

Sanft und verletzlich reihen sich die Gedankenperlen aneinander…

Perlen
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Ich bin ganz ehrlich: Mit poetischen Werken habe ich es nicht so und wenn ich das irgendwo als Beschreibung lese, mache ich normalerweise einen Bogen um das dazugehörige Buch. Doch „Perlen“ setzt Poesie ...

Ich bin ganz ehrlich: Mit poetischen Werken habe ich es nicht so und wenn ich das irgendwo als Beschreibung lese, mache ich normalerweise einen Bogen um das dazugehörige Buch. Doch „Perlen“ setzt Poesie nur so wohldosiert und passend als Stilmittel ein, dass es mich nicht nur erreicht, sondern emotional tief bewegt hat. Und als Person, die mit Lyrik wirklich gar nichts anfangen kann, muss ich sagen, dass mir die einleitenden Gedichte richtig gut gefallen haben.

Die Mutter der 8-jährigen Marianne geht eines Tages aus der Tür und kehrt nicht zurück. Vielleicht schon zu Beginn, mindestens aber im weiteren Verlauf wird subtil recht klar, was passiert ist. Doch es geht nicht um die Tat selbst, nicht um die Gründe. Es geht um vererbte Trauer, neu hinzugekommene Trauer sowie die Suche nach einem Umgang mit dem, was unbegreiflich und damit unüberwindbar scheint.

Der Titel und auch die Covergestaltung sind einfach ausgezeichnet gewählt. Denn Siân Hughes reiht Erinnerungen aneinander wie Perlen auf eine Kette. Manche Erinnerungen sind echt, manche nicht, und so richtig wissen wir es beim Lesen auch nicht, denn Erinnerung und Fiktion verschmelzen immer wieder miteinander. Die Kapitel sind kurz und das fand ich ebenso eine außerordentlich gute Wahl. Denn obwohl die Handlung insgesamt zusammenhängt, lassen sich die kompakten „Perlen“ leicht mit Pausen lesen.

Und Pausen sind manchmal auch wirklich angebracht - zum Verarbeiten und Durchatmen, zum Fühlen und Reflektieren. Das Werk ist nicht immer ganz zugänglich, die Sprache mit Bildern und Assoziationen versetzt, aber ich habe es überraschend gern gelesen und konnte die von Trauer und auch Ärger begleitete Liebe zwischen den Zeilen regelrecht greifen.

Ein echtes, raues Werk mit einigen schmerzhaften Themen, dem es dank leichter Schnörkel gelingt, sie erträglich zu machen. Besagte Schnörkel und Assoziationen machen den Text aber nicht unnatürlich und überladen poetisch, sondern einfach schön. Ich empfehle dieses ruhige und tiefgängige Stück Literatur von Herzen gern - eine begabte Autorin, die in ihrem Debütroman Lyrik mit zart-ernster Prosa vereint, und ein poetisches Werk für alle, die keine poetischen Werke mögen.
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TW: Selbstverletzung, Suizid, Depression, Essstörung

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Veröffentlicht am 13.06.2025

Super spannender Einblick mit recht distanzierten Protagonistinnen

Hello Baby
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Großer Kritikpunkt vorab, der meine Bewertung um 0,5 Sterne schmälert: Ein mithilfe von KI erstelltes Cover halte ich für einen immensen Fehler. Kunst ist kein Feld, in dem diese Unterstützung irgendwie ...

Großer Kritikpunkt vorab, der meine Bewertung um 0,5 Sterne schmälert: Ein mithilfe von KI erstelltes Cover halte ich für einen immensen Fehler. Kunst ist kein Feld, in dem diese Unterstützung irgendwie gerechtfertigt wäre und ich finde es ganz besonders für ein feministisches Buch völlig fehlplatziert.

Inhaltlich hat mir „Hello Baby“, was gleichzeitig der Chatgruppen-Name der Protagonistinnen ist, durchaus gut gefallen. Ich mochte die vielschichtige Betrachtung von Kinderwunschbehandlungen, der Roman ist ein richtiger Deep Dive in die Fachtermini und Etappen ebendieser. Lobenswert fand ich auch die Diversität der behandelten Frauen. Alle sind Ü35, aber ihre Lebensstile recht verschieden. Manche Frau möchte als Single ein Kind bekommen, andere innerhalb einer festen Beziehung und andere irgendwie auch aus einer gesellschaftlichen Verpflichtung heraus.

Trotz der unterschiedlichen Lebensrealitäten treffen sich alle Patientinnen bei ähnlichen Herausforderungen. Nicht nur durch die Behandlung und deren ausbleibenden Erfolgs selbst, sondern auch aufgrund externer Faktoren. In den Fokus gerät immer wieder die kompetitive Berufswelt, in der Schwangere und Mütter oder eben einfach Frauen, die sich beides wünschen, keinen Platz bekommen und sich zu eisernem Weiterarbeiten gezwungen sehen. Als Außenstehende würde ich die Situation in Deutschland zwar als ein klein wenig entspannter einschätzen, aber die grundlegende Erwartungshaltung an sowie das mangelnde Verständnis für Menschen mit Uterus sind natürlich gleich. Daher halte ich die Geschichte auch für ein wichtiges Werk.

Emotional habe ich aber nicht so recht einen Zugang gefunden. Die Protagonistinnen erschienen mir alle eher distanziert und nüchtern, obwohl sie untereinander durchaus über ihre Herausforderungen sprechen. Doch selbst in den inneren Monologen blieben die Sorgen oft organisatorischer Natur, die mich nicht so erreichen konnte. Auch war der Zusammenhalt zwischen den Frauen zwar da, aber nicht in einer Form, die mich jetzt emotional sehr aufgefangen hätte. Die gegenseitige Fürsorge blieb meiner Meinung nach eher oberflächlich.
Da ich sehr wenig Kontakt mit koreanischen Namen habe, fand ich das Auseinanderhalten der Figuren auch herausfordernd, aber das kreide ich natürlich nicht dem Buch an, zeigt es doch einfach nur meine sehr westlich geprägte Lesegewohnheit.

Das Ende ist schon früh recht vorhersehbar, aber das fand ich persönlich nicht schlimm. Es geht ja viel mehr um die grundlegende Thematik und der räumt dieser gut lesbare Roman in jedem Fall viel Raum ein. Eine Leseempfehlung für Interessierte des Themas, die keinen starken Figurenfokus suchen und von Themen rund um (unerfüllten) Kinderwunsch sowie Fehlgeburten nicht getriggert werden, denn die werden natürlich wiederholt angesprochen.

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