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Veröffentlicht am 10.01.2025

Messerscharfer und zugleich sanfter Roman einer Ausnahmeautorin

Drei Tage im Juni
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Anne Tyler war mir bislang nicht bekannt und ich bin froh, dass sich das nun geändert hat. Was für eine großartige Schriftstellerin mit einem riesigen Talent für geschliffen scharfe Worte, die exakt ins ...

Anne Tyler war mir bislang nicht bekannt und ich bin froh, dass sich das nun geändert hat. Was für eine großartige Schriftstellerin mit einem riesigen Talent für geschliffen scharfe Worte, die exakt ins Schwarze treffen! Mit „Drei Tage im Juni“ hat sie ein Familienporträt geschaffen, welches zwar ohne großes Drama auskommt, aber deshalb nicht minder unterhaltsam ist.

Vor allem das zentrale Paar, bestehend aus Gail und ihrem Ex-Mann Max, hat einfach einen ganz besonderen Vibe, wie er selten in Büchern zu finden ist. Die beiden sind auf der einen Seite sehr verschieden. Gail ist eher verschlossen, reserviert, vorsichtig und ängstlich, während Max spontan, offen, lebensfroh und etwas naiv zu sein scheint. Und doch funktionieren sie auf der anderen Seite auch nach der Scheidung noch so, als wäre es nie anders gewesen. Ich sah mich beim Lesen fast neben ihnen stehen und das viele Nonverbale beobachten, welches die Autorin hier geschickt zwischen den Zeilen vermittelt.

Und das ist wirklich, was mich am meisten beeindruckt hat: Tyler vermag es, mit wenigen Worten absolut authentische Menschen und Lebenssituation zu zeichnen. Es wirkte fast, als hätten die Figuren selbst den Text geschrieben, so greifbar war jeder Satz. Die ganze Handlung beschränkt sich auf drei Tage: den Tag vor der Hochzeit der gemeinsamen Tochter, die Hochzeit selbst und den Tag danach. Es passiert wenig Großes und viel Kleines. Besonders geliebt habe ich natürlich, dass eine Tierschutz-Katze hier ein ganz bestimmtes Herz gewinnt. ❤️

Weder Schreibstil noch Handlung sind sonderlich romantisch und trotzdem war das Lesen eine absolute Wohltat. Die Autorin lässt Raum für Figuren, die Fehler machen; Raum für Überlegungen, Scheitern, Zusammenfinden, Gemeinsamkeiten und Konflikte. Ich fand vor allem den subtilen Humor zwischen Gail und Max einfach nur herzerwärmend und habe an einigen Stellen ordentlich lachen müssen, obwohl es kein Humor ist, der mit einem großen Gong daherkommt. Stattdessen sind es einfach die Feinheiten, mit denen sich die beiden aufeinander beziehen und trotz der Trennung vor vielen Jahren einfach so gut kennen wie kaum jemand sonst.

Ein Buch mit einer leisen Handlung, unvergleichlich präziser Sprache und ganz viel Liebe für seine Figuren, die bereits Einiges an Lebenserfahrung mitbringen. Ich habe jeden Satz geliebt!

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Veröffentlicht am 05.01.2025

Süchtigmachende Romance mit fantastischem Setting und tiefgründigen Figuren

Check & Mate – Zug um Zug zur Liebe
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Was für eine tolle Romance! Das war mein erstes Buch von Ali Hazelwood und es wird nicht mein letztes bleiben! Ich bin schlicht obsessed mit ihrem Characterbuilding und dem Talent, einer Handlung Spannung ...

Was für eine tolle Romance! Das war mein erstes Buch von Ali Hazelwood und es wird nicht mein letztes bleiben! Ich bin schlicht obsessed mit ihrem Characterbuilding und dem Talent, einer Handlung Spannung zu verleihen.

Spätestens seit "The Queen's Gambit" bin ich komplett fasziniert von Schach, auch wenn sich diese Faszination nach einem gescheiterten Versuch, irgendetwas zu verstehen, schnell wieder in Luft auflöste. 😅 Aber die Basis war da und ich sofort wieder hooked beim Lesen dieser Geschichte. Mich kriegen so schlaue Charaktere, die ein mir unbegreifliches Verständnis komplexer Zusammenhänge haben, einfach immer komplett!

Ganz besonders toll fand ich natürlich, dass es hier eine überaus smarte Protagonistin gibt, die ihrem männlichen Gegenspieler schnell zeigt, wie der Hase läuft. Mallory ist aber noch viel mehr als ein Schach-Wunderkind. Sie macht sich große Vorwürfe für den Weggang ihres Vaters und fühlt sich entsprechend für ihre kranke Mutter sowie die beiden jüngeren Schwestern verantwortlich. Die ärmlichen Lebensumstände fühlen sich beim Lesen wie die Sackgasse an, die sie auch sind. Ganz nebenbei ist sie bi, woraus aber erfrischenderweise gar keine große Sache gemacht wird - ebenso wenig wie aus ihrer lesbischen besten Freundin. ❤️

Auch Nolan gefällt mir außerordentlich gut. Er gab mir durchweg neurodivergente Vibes, das wurde aber weder bestätigt noch dementiert. Auch wenn das Buch als Enemies-to-Lovers vermarktet wird, fand ich es gar nicht wirklich feindlich. Beide Figuren haben eine ziemlich komplexe Hintergrundgeschichte, die Hazelwood meisterinnenhaft bruchstückweise enthüllt. Und Nolan wirkt zwar introvertiert, aber immer aufrichtig. Und ich fand es wirklich toll, dass er in gewissen Bereichen unerfahren und dahingehend gar nicht fragil ist - ein sehr angenehmes Kontrastprogramm zu übermäßig selbstsicheren Männern.

Es gibt entsprechend eigentlich keine spicy Szenen, was absolut Sinn macht. Ich habe die schlauen Hauptfiguren ebenso geliebt wie die Nebencharaktere und konnte nicht aufhören zu lesen. Die Einblicke in die Schachwelt, vor allem auch in den vorherrschenden Sexismus dieses männerdominierten Sports, fand ich einfach perfekt. Ein echtes 5-Sterne-Buch für mich. ❤️

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Veröffentlicht am 31.12.2024

Für mich die beste Weihnachtsgeschichte der Welt

Die Frau, die Weihnachten nicht mochte
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Dieses absolut fantastische Buch wäre doch tatsächlich fast an mir vorbeigegangen, obwohl ich bekennender Fan des Eichborn-Verlags bin. Und was für ein Glück, dass es anders gekommen ist, denn so hatte ...

Dieses absolut fantastische Buch wäre doch tatsächlich fast an mir vorbeigegangen, obwohl ich bekennender Fan des Eichborn-Verlags bin. Und was für ein Glück, dass es anders gekommen ist, denn so hatte ich einfach die allerbeste Weihnachtslektüre und schließe das Jahr so phänomenal ab wie es begonnen hat.

Aber nun versuche ich doch einfach mal ganz locker-flockig Worte zu finden für ein perfektes Buch. 🥲 Zoe Brisby ist Französin und mit genau diesem typisch französischen Humor schreibt sie auch. Ich liebe französische Komödien und hier trifft das auf absolut liebenswerte Figuren.

Ben möchte gern Lektor werden, arbeitet bislang in einem angesehenen Pariser Verlagshaus aber nur daran, Ablehnungsschreiben an Autor*innen zu versenden. Nach dem Lesen eines abgelehnten Manuskripts macht er sich begeistert auf die Suche nach dem Autor und landet in dem kleinen Dörfchen Arnac-la-Poste (übersetzt: Zock die Post ab), welches wirklich existiert und ich liebe alles daran.

Das Dorf ist (in Abweichung zur Realität) ein Weihnachtsdorf wie es im Buche steht. Es gibt etliche entsprechende Traditionen, Veranstaltungen und einfach eine extrem weihnachtlich-gemeinschaftliche Grundstimmung. Und ja, das erinnert natürlich an Whoville aus dem „Grinch“, aber eben auf Französisch. 😃

Ben hasst Weihnachten aus traurigen Gründen und soll nun der Tochter des gesuchten Autors genau dieses Fest wieder schmackhaft machen, denn das ist die Bedingung für eine Vertragsunterzeichnung. Im Zuge dieses Unterfangens entsteht eine ganz herzige Verbindung zwischen Ben und Laly, die wenig von einer klassischen Romanze hat.

Ben ist ein etwas quirky, verkopfter und absolut liebenswerter Charakter, der auf seiner Reise auch selbst heilen darf. Kombiniert wird das mit hilarious Nebenfiguren wie der esoterisch angehauchten Gasthausbesitzerin Angelica oder dem Bürgermeister Robert Courrier, der auf wundersame Weise fast jedes Gewerbe des Dorfes leitet. Genau dieser etwas schräge Humor und die leicht überspitzten Figuren machen das Buch für mich unglaublich unterhaltsam.

Wer französische Komödien mag, wird das Buch lieben. Und sicher liest es sich auch außerhalb der Feiertage gut, wenn mensch gerade etwas Wohltuendes braucht. Ich bin Fan und wünsche dem Buch noch viel mehr Aufmerksamkeit. ❤️

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Veröffentlicht am 21.12.2024

Ungeschönt, zynisch, ehrlich und verletzlich - ein etwas anderer Beziehungsroman

Liebewesen
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Meine Erwartungen an „Liebewesen“ wurden nicht enttäuscht, im Gegenteil. Dieser Roman hat mich von Seite 1 an gefesselt, obwohl es ein eher leiser Roman ist, der viel mit Beobachtungen arbeitet. Doch das ...

Meine Erwartungen an „Liebewesen“ wurden nicht enttäuscht, im Gegenteil. Dieser Roman hat mich von Seite 1 an gefesselt, obwohl es ein eher leiser Roman ist, der viel mit Beobachtungen arbeitet. Doch das macht ihn überraschenderweise nicht weniger mitreißend.

Irgendwie ist das hier ein Liebesroman, ohne ein solcher zu sein. Er setzt eine romantische Beziehung zwar in den Mittelpunkt der Handlung, doch klassische Romantik sucht mensch beim Lesen vergeblich. Die Beziehung von Lio und Max ist besonders. Sie ist nicht laut, sondern leise, von Zärtlichkeit geprägt und trotzdem von Verletzungen begleitet. Beide bringen ihre eigenen Traumata mit in die Beziehung ein und versuchen, sich von ihnen zu lösen.

Ganz besonders steht Lio als Erzählerin im Fokus. Ihre Vergangenheit offenbart sich den Lesenden im Laufe der Handlung und ist schlicht herzzerreißend. Beginnend mit einer gewaltvollen und emotional abwesenden Mutter sowie einem sanften und doch überforderten Vater, endend mit einer Vergew@ltigung - all das trägt Lio in sich. Als sie von Max schwanger wird, folgen wir ihr im Gleichtakt der Schwangerschaftswochen - bis zur Entscheidung in SSW 12.

Ich finde diesen Roman wirklich absolut rund. Er geht unter die Haut, thematisiert unbegreiflich schlimme Dinge und wird immer wieder gesellschaftskritisch, ohne dabei zu schwer zu sein. Er legt mit seinem leichten Zynismus und Lios trockenen Beobachtungen den Finger in die Wunde - oft habe ich zustimmend genickt. Außerdem weigert sich Caroline Schmitt, ihre Figuren klar einzuordnen. Max ist sanft und trotzdem manchmal mindestens unsensibel, Lio ist offen und verschlossen gleichermaßen. Ich wollte sowohl Max als auch Lio an mehreren Stellen gerne schütteln und konnte sie dann doch wieder verstehen.
Die beiden zusammen funktionieren auf eine schwer zu beschreibende Weise, eine klassische Romance bekommen wir hier aber trotzdem keinesfalls. Und dann ist das auch nicht das einzige Duo des Romans, denn die Freundinnenschaft zu Mariam bildet ein ausgleichendes und so wichtiges Element in einer von romantischer Liebe geprägten Welt.

Ein schonungslos ehrliches Buch mit unglaublich viel Tiefgang, das mich emotional sehr berührt hat. Es zeugt von großer Authentizität in Bezug auf Beziehungen, den eigenen Körper und die Auswirkungen von Traumata. Und am Ende ist es eine Geschichte über Befreiung in einem sehr greifbaren, menschlichen Sinne.
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TW: Gewalt gegen Kinder, Vergew@ltigung, Abtreibung, Tod, Komplikationen nach einer OP

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Veröffentlicht am 12.12.2024

Ein Buch rund um (Nicht-)Mutterschaft, das eine herausragende Tiefe und Ambivalenz abbildet

Eva
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Vor der Beobachtungsgabe Verena Keßlers kann ich mich nur verneigen. Sie widmet sich in „Eva“ einem Themenfeld, das von Ambivalenz und Unverständnis geprägt ist, und liefert einfach ab.

Eva Lohaus, die ...

Vor der Beobachtungsgabe Verena Keßlers kann ich mich nur verneigen. Sie widmet sich in „Eva“ einem Themenfeld, das von Ambivalenz und Unverständnis geprägt ist, und liefert einfach ab.

Eva Lohaus, die titelgebende Figur, ist dabei nur eine von vier Frauen, denen je ein Kapitel gewidmet wird. Ihre Geschichten sind jedoch nicht isoliert, sondern miteinander verwoben. Dieses Verweben gelingt Keßler mit einer solchen Leichtigkeit und einem gleichzeitigen Feinsinn, dass es mich nur begeistern konnte. Ergänzt wird die Handlung um ganz besondere und zarte Beziehungen, die teilweise wirklich sehr überraschend kommen. ❤️

Zurück zu Eva Lohaus, die öffentlichkeitswirksam darüber spricht, warum sie es mit Blick auf die Klimakrise für egoistisch hält, weitere Kinder zu bekommen. Dem gegenüber stehen Frauen, die keine Kinder bekommen können oder die ihr Kind verloren haben. Außerdem eine Mutter, die erschöpft ist vom Muttersein und welche versucht, sich selbst als Individuum innerhalb und außerhalb der Rolle wieder zu verorten.

Die verschiedenen Positionen scheinen so konträr und konfliktbeladen zu sein, dass ich es schlicht meisterinnenhaft finde, wie Keßler sie zu verbinden vermag ohne sich selbst zu positionieren. Und nicht nur die verschiedenen Lebensperspektiven werfen einen vielschichtigen Blick auf dieses komplexe Thema, sondern auch die Figuren sind in sich von einer Ambivalenz und Tiefe geprägt, die mich beeindruckt hat.

Denn wer keine eigenen Kinder haben möchte, will nicht zwangsläufig gar keine in ihrem Leben haben und wer eigene hat, kann auch abweisende Gefühle empfinden. Und nicht zuletzt darf sich die eigene Position auch einfach verändern, auch wenn das in unseren gesellschaftlichen Strukturen gar nicht so leicht ist. All das findet einen Raum in diesem großartigen Buch, das ich wirklich bedingungslos allen empfehle, weil es ein gut lesbares Plädoyer ist für Solidarität statt Abschottung bei unterschiedlichen Lebenseinstellungen.

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TW: (ungewollte) Kinderlosigkeit, Kindstod, Fruchtbarkeitsuntersuchungen, Gewaltandrohung, M0rd an Tieren (eine Szene, nicht explizit)

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