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Veröffentlicht am 14.12.2019

Amüsant, ironisch, boshaft, köstlich

Die Reisegesellschaft
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Originaltitel: The Caravaners (1909)
Baron Otto von Ottringel feiert seine Silberhochzeit - wenn man die Jahre aus seinen beiden Ehen zusammenrechnet, ist es nämlich soweit. Eine Auslandsreise, die allerdings ...

Originaltitel: The Caravaners (1909)
Baron Otto von Ottringel feiert seine Silberhochzeit - wenn man die Jahre aus seinen beiden Ehen zusammenrechnet, ist es nämlich soweit. Eine Auslandsreise, die allerdings möglichst billig sein sollte, wäre dem Anlass angemessen. Da kommt die Idee der attraktiven Witwe aus der Nachbarschaft, gemeinsam eine Wohnwagentour durch England (wohlgemerkt: im 19. Jahrhundert) zu unternehmen, wie gerufen. Gemeinsam mit seinem angetrauten Weibe lässt sich Otto auf das Abenteuer ein und wird bitter enttäuscht. Das Wetter in England ist trübe, der Wohnwagen zieht sich nicht von alleine, und die Reisegesellschaft besteht neben der Witwe auch aus deren angeheirateter Verwandtschaft, die samt und sonders Engländer und Sozialisten sind. Und diese Menschen verderben dem Baron den ganzen Urlaub - oder ist es etwa anders herum?

Das war ein Lese-Highlight.
Man fragt sich doch, inwieweit Züge ihres deutschen Ehemanns eingeflossen sind in die Figur des Barons Otto. Kaum zu fassen, dass diese 100 Jahre alten so treffsicheren wie boshaften Beobachtungen und spitzen Bemerkungen heute noch ihren Witz entfalten. Das ist köstlich.

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Veröffentlicht am 10.12.2019

Ein Alltagsdrama

Mann und Frau
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"Udi und Na'ama führen eine Ehe, die von Ereignissen der Vergangenheit belastet ist. Wer trägt die größere Schuld? Udi, der fast den Tod der gemeinsamen Tochter Noga verschuldete? Oder Na'ama, die Udi ...

"Udi und Na'ama führen eine Ehe, die von Ereignissen der Vergangenheit belastet ist. Wer trägt die größere Schuld? Udi, der fast den Tod der gemeinsamen Tochter Noga verschuldete? Oder Na'ama, die Udi verletzte, weil sie der Versuchung, mit einem charismatischen Maler fremd zu gehen, nur mit Mühe widerstand? Wo hatte der Reigen der Enttäuschungen und Abhängigkeiten, der sich ausweglos um sich selbst dreht, seinen Ursprung gehabt? Oder musste es so kommen, bei einer Liebe, die schon begann, als beide noch Kinder waren?"

Dies ist wahrhaftig kein Buch, das gute Laune hinterlässt. Trotzdem ist das Lesevergnügen ungetrübt, dieser Roman hat mich restlos begeistert.
Die Genauigkeit, mit der beschrieben wird, wie sich die Figuren voneinander entfernen, sich Verletzungen zufügen, um sich selbst wieder zu finden, hat mich beeindruckt. Seltsamerweise gelingt das der Autorin, ohne dass man verstört zurück bleibt. Einfach grandios.

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Veröffentlicht am 24.06.2019

Kein Frühling

Der europäische Frühling
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Der Titel "Der europäische Frühling" könnte auf Aufbruch oder Neuanfang schließen lassen. Das Gegenteil ist der Fall. Der Autor beschreibt exemplarisch ein Europa, das am Ende ist, das zerfällt und in ...

Der Titel "Der europäische Frühling" könnte auf Aufbruch oder Neuanfang schließen lassen. Das Gegenteil ist der Fall. Der Autor beschreibt exemplarisch ein Europa, das am Ende ist, das zerfällt und in dem die bisher gültigen Konventionen keinen Wert mehr haben. In den Städten herrscht Chaos, es gibt trotz Überwachung ständig Unruhen und Übergriffe. Die es sich leisten können, leben auf der Insel Lolland, Migranten bzw die, die sich nicht integrationswillig zeigen, deportiert man nach Mozambique in eine umzäunte, gut bewachte und bestens organisierte Containerstadt.
Zu den menschlichen Protagonisten gehören Elizabeth, ihr Mann Stig und die gemeinsame Tochter Emma. Elizabeth ist Wissenschaftlerin und arbeitet an dem interdisziplinären Forschungszentrum auf Lolland an der Erforschung und Entwicklung der künstlichen Intelligenz. Stig, der ehemals aus der Punkszene kommt, ist längst schon zum angesagten Galeristen avanziert, den an der Kunst vor allem sein Gewinn interessiert. Ihre Tochter Emma hat psychische Probleme, die sich unter anderem in Essstörungen und ihrer ständigen Todessehnsucht äußern.
Ein weiterer Bewohner Lollands ist der Künstler Christian, eine Figur, auf die ich gern verzichtet hätte. Er hält sich für seine sexuellen Bedürfnisse ein geistig zurückbebliebenes Mädchen. Die drastischen Sexszenen hätten für meinen Geschmack kürzer gehalten sein sein können.
Ein Highlight des Romans ist die Reihe von Gesprächen zwischen Jack (Jagdhund) und Wilhelm (Elster), die in der nahen Zukunft stattfinden, beide sind Geschöpfe von Elisabeths Forschungsarbeit. In den Einschüben tauschen sich die beiden Tiere sehr reflektiert über ihr Leben aus und lassen beim Leser keinen Zweifel daran, dass sie die einzigen sind, die sich überhaupt Gedanken über die Verhältnisse machen, die Vor- und Nachteile ihrer Lebensumstände.
Alles in allem ist "Der europäische Frühling" ein interessanter Roman, der dadurch versteht zu verstören, dass viele Figuren, Situationen und Verhältnisse durchaus vertraut sind und aus dem Hier und Jetzt stammen könnten.

Veröffentlicht am 12.06.2019

Gibt es im Leben wirklich nur „die einzige Geschichte“ ?

Die einzige Geschichte
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Gibt es im Leben wirklich nur „die einzige Geschichte“ ?

Für Pauls Liebe scheint dies so zu sein. Er ist gerade erst neunzehn, als er Susan, eine achtundvierzigjährige verheiratete Frau, kennenlernt ...

Gibt es im Leben wirklich nur „die einzige Geschichte“ ?

Für Pauls Liebe scheint dies so zu sein. Er ist gerade erst neunzehn, als er Susan, eine achtundvierzigjährige verheiratete Frau, kennenlernt und sogleich weiß, dass dies die Liebe seines Lebens ist.
Julian Barnes lässt Paul in drei Abschnitten den Verlauf seiner Liebesbeziehung anhand seiner Erinnerungen erzählen. Im ersten Abschnitt schildert Paul in der Ich-Form das erste Stadium des Verliebtseins und den Umgang der beiden Liebenden miteinander, im folgenden Abschnitt wechselt er zum Du, das Paar ist nach London gezogen und lebt dort zusammen. Im dritten und letzten Abschnitt berichtet er von sich in der dritten Person, er reflektiert die Auswirkungen seiner großen Liebe auf sein aktuelles und weiteres Leben.

Eine Angewohnheit der beiden Liebenden, Paul hält Susan an den Handgelenken, ursprünglich nur eine liebevolle Geste, wird im weiteren Verlauf zu einem Bild in seinem Alptraum, in dem er jedoch Susan an den Handgelenken festhält, um sie vor dem Sturz aus dem Fenster zu bewahren. Dabei hat er er Angst, sie könne ihm entgleiten, er sei nicht stark genug, um sie zu halten. Später wandelt sich sein Alptraum: Er hält sie an den Handgelenken, um ihren Sturz aufzuhalten, hat nun aber Angst davor, von ihr mit in die Tiefe gerissen zu werden.

„Die einzige Geschichte“ hat mich tief beeindruckt und die Gedanken über die Liebe und das Leben in jeder Phase werden mir noch eine Weile zu schaffen machen, ganz im positiven Sinn.

Veröffentlicht am 16.05.2019

Ein wunderbares Buch für Bücherfreunde

Das geheime Leben des Monsieur Pick
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Eigentlich geht es nur um den Roman des Monsieur Pick, eins von zahlreichen Manuskripten, das in der Bücherei für abgelehnte Manuskripte in Crozon gelagert worden war, und die Frage, wie und ob überhaupt ...


Eigentlich geht es nur um den Roman des Monsieur Pick, eins von zahlreichen Manuskripten, das in der Bücherei für abgelehnte Manuskripte in Crozon gelagert worden war, und die Frage, wie und ob überhaupt der verstorbene Pizzabäcker in der Lage gewesen ist, solch ein Meisterwerk ganz im Geheimen zu verfassen.
Aber die Geschichte schlängelt sich dahin, streift dabei Autoren und ihre Werke, teilweise erfunden, die meisten tatsächlich existent, den Literaturbetrieb und das Verlagswesen, verweilt sogar kurz bei Barbaras Chanson "Göttingen" und lässt dabei die auftretenden Figuren immer mehr Gestalt annehmen und beeinflusst sogar deren weiteres Leben.
Das ist spannend und durch die Leichtigkeit, mit der die Story sich entwickelt, ausgesprochen positiv, denn der Leser hat den Eindruck, dass im Grunde immer alles möglich ist. Einem schlüssigen und anrührenden Ende folgt ein Epilog, der wieder alles auf den Kopf stellt.
So ein feiner Roman! Ich bin schwer angetan.