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Veröffentlicht am 25.07.2023

Nincshof ist anders

Nincshof
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Nincshof ist ein verschlafenes, kleines Dorf im Burgenland (Österreich an der Grenze zu Ungarn).
Und Nincshof ist anders… Der Bürgermeister samt Komplizen, eine Gruppe, die sich die Oblivisten nennen, ...

Nincshof ist ein verschlafenes, kleines Dorf im Burgenland (Österreich an der Grenze zu Ungarn).
Und Nincshof ist anders… Der Bürgermeister samt Komplizen, eine Gruppe, die sich die Oblivisten nennen, haben sich in den Kopf gesetzt, dass Nincshof vergessen werden und zu einem Zustand einer alten Legende zurückkehren soll, die besagt, dass Nincshof lange Zeit unbemerkt in einem Moor exsistiert hat und völlig autark und frei von der Außenwelt war.
Nun ist es aber in unserer digitalisierten Welt gar nicht mal so einfach vergessen zu werden und obendrein gibt es in Nincshof auch die „Neuen“, eine zugezogene Familie, die mit ihren Irrziegen ganz schön viel Aufmerksamkeit auf sich zieht.
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Was an Nincshof gleich auffällt, ist der Schreibstil. Anfangs war ich ein wenig davon irritiert, klang es für mich eher nach Kinderbuch als nach Roman. Aber schon nach den ersten paar Seiten war klar, dass dieser, an Märchen erinnernde Stil, einfach wahnsinnig gut zu der Geschichte passt.
Beim Lesen taucht man ab in eine andere Welt, die sich unglaublich von unseren Strukturen unterscheidet und so recht will man auch nicht wieder auftauchen, denn Nincshof ist eine heile Welt. Die matriarchalisch agierende Gemeinschaft ist zufrieden, allen geht es gut, niemand will weg aus Nincsdorf, und die, die weggegangen sind, kommen immer wieder. Das Matriarchat wird seit jeher in Nincshof gelebt, niemand hinterfragt es und die „Neue“ Isa Bachgasser, eine ehemalige Filmemacherin, ist absolut fasziniert davon, dass den Nincshoferinnen anscheinend gar nicht bewusst ist, dass sie so viel anders leben, als der Rest von Österreich.
Das Konzept des Oblivismus fand ich ziemlich spannend und im Buch auch wahnsinnig gut umgesetzt. Absichtliches Vergessen bzw. Vergesserwerden ist sicher nicht nur auf Nincshof betrachtet vorteilhaft, sondern auch für unsere schnelllebige Welt, in der sich unglaubliche viele Informationen in unseren Köpfen ansammeln. Ein bisschen ausmisten würde uns sicher allen gut tun. Und die Einführung, die Valentin Salmarek (einer der Oblivisten) dazu gibt, kann man schon fast als wissenschaftlich bezeichnen.
Als weitere Protagonst
innen sollte noch Erna Rohdiebel erwähnt werden, eine 70jährige, die mit dem Alter ein wenig übermütig wird und Silvano Mezzaroni, der „Neue“ und einzige Mann in Nincsdorf, der nicht den Nachnamen seiner Frau trägt und mit seiner Obsession für Irrziegen auf sich aufmerksam macht.
Die Charaktere die Sebauer schafft, sind alle ein bisschen schrullig und eigen, aber jede*r für sich auch sehr liebenswürdig und authentisch. Alle samt werden eingebettet in eine Geschichte die spannend und lustig ist und sich toll lesen lässt.
Ein wirklich gelungenes Debüt, dass viel Lust auf weitere Werke der Autorin macht und von mir eine große Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 21.07.2023

Gelungene Auseinandersetzung mit Schuld und Mutterschaft

Nur eine weitere Geschichte
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Suzy ist Journalistin und kümmert sich allein um ihre Tochter Maddy, was manchmal viel Organistation erfordert. In ihrem Job ist sie zufrieden und gut, bis sie eines morgens vom Suizid einer Frau erfährt, ...

Suzy ist Journalistin und kümmert sich allein um ihre Tochter Maddy, was manchmal viel Organistation erfordert. In ihrem Job ist sie zufrieden und gut, bis sie eines morgens vom Suizid einer Frau erfährt, die kürzlich Gegenstand ihrer Enthüllungsgeschichte war. Sie gibt sich selbst die Schuld, ist einer Hasstirade im Netz ausgesetzt und zieht sich, nachdem auch noch die Affäre mit ihrem Chef auffliegt, aus der Branche zurück. Zu etwa dieser Zeit bekommt sie erste Päkchen mit persönlichen Gegenständen der Verstorbenen Tracey. Kurz darauf wird sie von deren Mutter aufgesucht, die von ihr verlangt, dass sie noch eine Geschichte über Tracey schreibt… ihre wahre Geschichte.
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„Nur eine weitere Geschichte“ hat mich in vielen Punkten berührt.
Zum einen ist es eine wirklich gelungene Auseinandersetzung mit dem Thema Schuld, und zwar auf unterschiedlichen Ebenen:
Offensichtlich wird die Thematik am Beispiel von Suzy, die sich für den Tod von Tracey verantwortlich fühlt, aber ist dem so? Sie hat nichts Verwerfliches getan, lediglich eine Lügnerin ihrer Lügen überführt und es ist auch fraglich, ob der Suizid überhaupt mit dem Artikel in Verbindung steht, da Tracey, wie wir im Verlauf des Buches erfahren, schon seit jeher eine labile Person ist, die zu selbstzerstörerischen Verhalten neigt.
Auch die Schuldfrage hinsichtlich der Mutter wird betrachtet, da diese sehr früh gemerkt hat, dass Tracey’s Verhalten auffällig war, aber nichts dagegen unternommen hat, aus Überforderung mit ihrem eigenen Leben.
Der Vater, ebenfalls ein notorischer Lügner, wird ins Spiel gebracht und in Hinblick auf die kindliche Entwicklung hinsichtlich Vorbildwirkung erörtert.
Und nicht zuletzt wird auch Tracey’s Schuld aufgeworfen, die mit ihrer erfunden Krebserkrankung und der weit hergeholten Heilung sicher den ein oder anderen Menschen auf dem Gewissen hat.
Somit ergibt sich ein unglaublich komplexes Bild und was bleibt ist die Erkenntnis, dass ein Ereignis sicher immer durch sehr viele Faktoren bestimmt ist, aber am Ende der erwachsene Mensch selbst die Entscheidung trifft.
Weiterhin fand ich die Auseinandersetzung mit dem Thema Mutterschaft sehr gut. Suzy ist als Alleinerziehende jeder Menge Probleme ausgesetzt. Das beginnt bei der Kinderbetreuung, die permanent abgesichert sein muss, da Maddy noch sehr klein ist, geht über Zeitmanagement, Geldprobleme, die Flucht in bedeutungslose Affären, bis hin zu Situationen der Überforderung, Wut (auf sich selbst, das Kind, den Partner, der nicht mehr da ist), Ohnmacht. Ich finde Maley hat hiermit ein großartiges Statement abgegeben. Mutterschaft ist nicht immer schön… man darf als Mutter wütend sein, man darf verzweifelt sein, man darf keinen Ausweg wissen und trotzdem liebt man sein Kind.
Jacqueline Maleys Buch ist nur eine weitere Geschichte, aber eine die ich sehr gern gelesen habe, die mich sehr berührt hat, die mich zum Nachdenken gebracht hat und die ich euch sehr ans Herz legen kann.

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Veröffentlicht am 08.07.2023

Sehr lesenswert

Milchbar
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„𝘞𝘦𝘯𝘯 𝘥𝘢 𝘯𝘪𝘦𝘮𝘢𝘯𝘥 𝘪𝘴𝘵, 𝘥𝘦𝘳 𝘥𝘪𝘳 𝘻𝘦𝘪𝘨𝘵, 𝘥𝘢𝘴𝘴 𝘔𝘶𝘵𝘵𝘦𝘳𝘴𝘤𝘩𝘢𝘧𝘵 𝘪𝘮𝘮𝘦𝘳 𝘪𝘴𝘵, 𝘬𝘢𝘯𝘯 𝘥𝘪𝘦 𝘌𝘳𝘬𝘦𝘯𝘯𝘵𝘯𝘪𝘴 𝘦𝘵𝘸𝘢𝘴 𝘢𝘯𝘥𝘦𝘳𝘦𝘴 𝘢𝘭𝘴 𝘦𝘪𝘯 𝘷𝘰̈𝘭𝘭𝘪𝘨𝘦𝘳 𝘚𝘤𝘩𝘰𝘤𝘬 𝘴𝘦𝘪𝘯? 𝘞𝘪𝘦 𝘬𝘢𝘯𝘯 𝘴𝘪𝘤𝘩 𝘥𝘪𝘦𝘴𝘦𝘳 𝘡𝘶𝘴𝘵𝘢𝘯𝘥 𝘶̈𝘣𝘦𝘳𝘩𝘢𝘶𝘱𝘵 𝘔𝘶𝘵𝘵𝘦𝘳𝘴𝘤𝘩𝘢𝘧𝘵 𝘯𝘦𝘯𝘯𝘦𝘯?“ (𝘚. 114)

In ...

„𝘞𝘦𝘯𝘯 𝘥𝘢 𝘯𝘪𝘦𝘮𝘢𝘯𝘥 𝘪𝘴𝘵, 𝘥𝘦𝘳 𝘥𝘪𝘳 𝘻𝘦𝘪𝘨𝘵, 𝘥𝘢𝘴𝘴 𝘔𝘶𝘵𝘵𝘦𝘳𝘴𝘤𝘩𝘢𝘧𝘵 𝘪𝘮𝘮𝘦𝘳 𝘪𝘴𝘵, 𝘬𝘢𝘯𝘯 𝘥𝘪𝘦 𝘌𝘳𝘬𝘦𝘯𝘯𝘵𝘯𝘪𝘴 𝘦𝘵𝘸𝘢𝘴 𝘢𝘯𝘥𝘦𝘳𝘦𝘴 𝘢𝘭𝘴 𝘦𝘪𝘯 𝘷𝘰̈𝘭𝘭𝘪𝘨𝘦𝘳 𝘚𝘤𝘩𝘰𝘤𝘬 𝘴𝘦𝘪𝘯? 𝘞𝘪𝘦 𝘬𝘢𝘯𝘯 𝘴𝘪𝘤𝘩 𝘥𝘪𝘦𝘴𝘦𝘳 𝘡𝘶𝘴𝘵𝘢𝘯𝘥 𝘶̈𝘣𝘦𝘳𝘩𝘢𝘶𝘱𝘵 𝘔𝘶𝘵𝘵𝘦𝘳𝘴𝘤𝘩𝘢𝘧𝘵 𝘯𝘦𝘯𝘯𝘦𝘯?“ (𝘚. 114)

In „Milchbar“ begleiten wir eine junge Mutter durch die Schwangerschaft und die ersten, anstrengenden Wochen mit Baby.
Es geht um völlige Selbstaufgabe, darum sich selbst komplett zu verlieren und in einem anderen Menschen wieder zu finden. Es geht um Abhängigkeit, sowohl auf Seiten der Mutter, als auch auf Seiten des Kindes.
Molnar ist in ihren Schilderungen gnadenlos ehrlich. Eine Ehrlichkeit die ich so in der Literatur über Mutterschaft noch nicht gelesen habe. Sie beschreibt den „zerstörten“ Körper, ambivalente Gefühle dem Kind gegenüber und auch die sich verändernde Partnerschaft. Überforderung spielt eine große Rolle, auch die fehlende Unterstützung durch den Mann, der sein Leben wie gewohnt weiterführt. Es geht um Gefühle der Einsamkeit, die sich nicht nur im Innen, sondern auch im Außen spiegeln. Die Mutter verlässt das Haus nicht, ihr einziger Kontakt zur Außenwelt, während den ersten Wochen, besteht zu einem alten Nachbarn, der ebenso in der Einsamkeit gefangen ist, wie sie selbst, nachdem vor kurzem seine Frau überraschend verstorben ist.
Schlafentzug wird thematisiert und damit einhergehend auch alles, was er mit sich bringt. Ebenso stehen Selbstzweifel und der Drang sich selbst schlecht zu machen im Fokus, sowie das Gefühl eine schlechte Mutter zu sein.
Als Mutter konnte ich viele, wenn auch nicht alle, Gedankengänge sehr gut nachvollziehen und ich glaube, dass dieses Buch eine Bereicherung für junge Eltern sein kann, thematisiert es doch so viele Themen, die gern von der Gesellschaft tot geschwiegen werden. In den meisten Fällen, bekommt man Geschichten erzählt über die tolle erste Zeit mit Säugling, wie schön es ist, wie gut Babys riechen, wie süß sie sind und wie spannend es ist, die Entwicklung zu verfolgen. Dies mag auch alles stimmen und in einigen Fällen verläuft diese erste Zeit auch genau so schön, aber es gibt auch andere Realitäten, die eben mit dieser Überforderung und auch der Frage einhergeht, ob die Entscheidung für ein Kind, die Richtige war, und über die selten (bis nie) so ausführlich gesprochen wird.
Es sollte viel mehr Bücher geben, die ehrlich auf das Thema Mutterschaft eingehen, schon allein aus dem Grund, den Druck aus dem Thema zu nehmen. Mutter sein ist nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen … es kann, gerade in der ersten Zeit, unglaublich anstrengend sein und zu dieser Anstrengung, kommen dann auch noch Schuldgefühle, da alle anderen anscheinend super damit zu recht kommen.

Veröffentlicht am 29.06.2023

Überleben oder Leben ?

Macht
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Liv lebt ein beschauliches Leben mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Oslo.
Alles scheint perfekt, wären da nicht ihre Ängste und Erinnerungen an eine Tat, die sie immer wieder einholen und ihr gewisse ...

Liv lebt ein beschauliches Leben mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Oslo.
Alles scheint perfekt, wären da nicht ihre Ängste und Erinnerungen an eine Tat, die sie immer wieder einholen und ihr gewisse Handlungsweisen aufzwingen.
Vor Jahren wurde sie vergewaltigt, schweigt beharrlich, versucht das Geschehene zu vergessen und zu verdrängen, bis sich durch die Ankunft einer neuen Patientin, in dem Pflegeheim, in dem sie arbeitet, die Bilder und Eindrücke wieder aufdrängen.
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Heidi Furres Buch ist intensiv. Es schildert eindrücklich das Leben nach dem Erleben von sexueller Gewalt.

„𝘕𝘪𝘦𝘮𝘢𝘯𝘥 𝘣𝘭𝘦𝘪𝘣𝘵 𝘯𝘢𝘤𝘩 𝘦𝘪𝘯𝘦𝘳 𝘝𝘦𝘳𝘨𝘦𝘸𝘢𝘭𝘵𝘪𝘨𝘶𝘯𝘨 𝘭𝘪𝘦𝘨𝘦𝘯. 𝘕𝘪𝘦𝘮𝘢𝘯𝘥. 𝘈𝘭𝘭𝘦 𝘴𝘵𝘦𝘩𝘦𝘯 𝘢𝘶𝘧. 𝘕𝘪𝘦𝘮𝘢𝘯𝘥 𝘩𝘰̈𝘳𝘵 𝘥𝘢𝘯𝘢𝘤𝘩 𝘢𝘶𝘧, 𝘔𝘦𝘯𝘴𝘤𝘩 𝘻𝘶 𝘴𝘦𝘪𝘯.“ (𝘚. 88)

Und doch geht man als Mensch verändert aus einer solchen Tat heraus. Genau darum geht es in dem Erzählten. Es steht nicht die Tat, sondern das Erleben, das Weitermachen, der Versuch der Verdrängung und Verarbeitung im Vordergrund.
Furre zeigt auf, dass Verdrängung nicht funktioniert, zumindest nicht auf Dauer. Sie thematisiert viele Gefühle die Überlebende durchmachen. Scham, Selbstzweifel, Wut, Ekel sind nur ein paar Emotionen, die auftreten. Aber auch Gedankengänge, allen voran die Auseinandersetzungen bzgl. der Kinder, fand ich sehr eingängig. Die Frage, wie man einen Sohn erzieht, damit er nicht zum Täter wird… Die Frage, was man tun kann, um seine Tochter zu schützen…
Ohnmacht spielt eine große Rolle, die nüchterne Feststellung, dass man nirgends sicher ist, dass es jede Frau treffen kann.

„𝘋𝘢𝘴𝘴 𝘪𝘤𝘩 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘥𝘪𝘦 𝘌𝘪𝘯𝘻𝘪𝘨𝘦 𝘣𝘪𝘯. 𝘋𝘢𝘴𝘴 𝘦𝘴 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘮𝘰̈𝘨𝘭𝘪𝘤𝘩 𝘪𝘴𝘵, 𝘴𝘪𝘤𝘩 𝘢𝘯 𝘖𝘳𝘵𝘦𝘯 𝘢𝘶𝘧𝘻𝘶𝘩𝘢𝘭𝘵𝘦𝘯, 𝘢𝘯 𝘥𝘦𝘯𝘦𝘯 𝘦𝘪𝘯𝘦𝘮 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵𝘴 𝘱𝘢𝘴𝘴𝘪𝘦𝘳𝘦𝘯 𝘬𝘢𝘯𝘯.“ (𝘚. 7)

Liv, als Protagonistin, ist mir ein wenig fremd geblieben. Sie verfällt regelrecht in einen Kauf- und Schönheitswahn, um das Geschehene zu kompensieren. Ein Verhalten, dass ich zwar in Verbindung mit den Ereignissen durchaus nachvollziehen kann, welches mir persönlich aber absolut fremd ist.

„𝘋𝘢𝘴 𝘪𝘴𝘵 𝘦𝘪𝘯 𝘝𝘦𝘳𝘴𝘶𝘤𝘩, 𝘒𝘰𝘯𝘵𝘳𝘰𝘭𝘭𝘦 𝘻𝘶 𝘶̈𝘣𝘦𝘳𝘯𝘦𝘩𝘮𝘦𝘯. 𝘋𝘢𝘴 𝘌𝘬𝘭𝘪𝘨𝘦 𝘷𝘰𝘯 𝘮𝘪𝘳 𝘧𝘦𝘳𝘯𝘻𝘶𝘩𝘢𝘭𝘵𝘦𝘯, 𝘪𝘴𝘵 𝘯𝘪𝘦 𝘦𝘯𝘥𝘦𝘯 𝘸𝘰𝘭𝘭𝘦𝘯𝘥𝘦 𝘊𝘢𝘳𝘦-𝘈𝘳𝘣𝘦𝘪𝘵.“ (𝘚. 24)

Damit wird klar, dass die Tat nie wirklich weg ist. Es zeigt sich in Kleinigkeiten, wie dem Telefonat mit dem Ehemann, wenn sie auf dem Nachhauseweg ist und in großen Dingen, wie der Wahl der Lage des Hauses (kurzer Weg zu Bushaltestelle, kein Wald). Es dringt ins Leben ein… ein In-Schach-halten erfordert permanente Anstrengung.
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Das Buch ist ein Befreiungsschlag, es ist ein Appell dafür, das Schweigen zu brechen, es ist die Aufforderung, die Augen zu öffnen.
Mit der, in weiten Teilen fast sachlichen Schreibweise, lässt sich die Geschichte gut lesen und schafft genug Abstand, damit man nicht daran zerbricht.
Von mir gibts eine große Empfehlung für diesen Roman.

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Veröffentlicht am 27.06.2023

Schwer zu fassen

Liebewesen
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In „Liebewesen“ treffen wir auf Lio und Max.
Lio stammt aus einem dysfunktionalen Elternhaus, ist traumatisiert und hat dadurch ein sehr gespaltenes Verhältnis zu ihrem Körper und ihren Gedanken.
Max ...

In „Liebewesen“ treffen wir auf Lio und Max.
Lio stammt aus einem dysfunktionalen Elternhaus, ist traumatisiert und hat dadurch ein sehr gespaltenes Verhältnis zu ihrem Körper und ihren Gedanken.
Max scheint behütet aufgewachsen zu sein, leidet aber darunter, dass der Vater die Familie verlassen hat. Er verfällt immer wieder in depressive Phasen, welche fast schon von Manie abgelöst werden.
Die beiden verlieben sich, führen eine (toxische) Beziehung, versuchen einander Halt zu geben. Als Lio schwanger wird, beginnt sie zu hinterfragen, ob dies die Zukunft ist, die sie sich vorstellt.
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Ich hab das Buch vor 2 Wochen abgeschlossen und musste es erstmal eine ganze Weile setzen lassen. Es ist keine Liebesgeschichte, es ist kein Befreiungsschlag, es ist einfach ein Aufzeigen, ein Einfühlen in eine Beziehung, die so nicht funktionieren kann.
Schmitt‘s Schreibstil ist klar und auf den Punkt. Es wird nicht viel drum herum geredet, es darf auch mal wehtun und es ist einfach sehr authentisch.
Wir verfolgen eine Beziehung, die vielleicht gar nicht mal so unüblich ist. Beide Handelnde haben psychische Probleme, beide sehen nicht das sie Hilfe brauchen, stützen sich auf die andere Person, versuchen dadurch zu heilen und scheitern schlussendlich.
Lio hat durch ihre gewalttätige Mutter und eine Vergewaltigung ein sehr unwirkliches Verhältnis zu ihrem Körper. Sie mag keinen Körperkontakt, selbst Umarmungen von Freunden empfindet sie als unangenehm. Auch neigt sie dazu alles mit sich selbst auszumachen, es anderen Recht zu machen und ihre Bedürfnisse hinten an zu stellen. Sie zeigt selbstverletzendes Verhalten und gibt sich für alles die Schuld. Während Max mir anfangs sehr sympathisch war und ich das Gefühl hatte, dass er eine Unterstützung für Lio sein könnte, wurde im Verlauf immer mehr klar, dass er durch sein Verhalten nur Öl in die Wunde gießt. Er ist sehr egoistisch, übergeht Lio, hintergeht sie und am besten sollen immer alle Rücksicht auf ihn nehmen.
Die ungewollte Schwangerschaft setzt dem ganzen dann die Krone auf. Lio will das Kind nicht, scheint auch vor sich selbst die Schwangerschaft zu leugnen, mag sich gar nicht so recht vorstellen, wie es wäre das Kind zu bekommen und hat Angst eine schlechte Mutter zu sein. In dieser Beziehung verhält sie sich wie ich finde sehr erwachsen, ist sehr reflektiert, etwas das mir in der restlichen Geschichte etwas gefehlt hat.
Die Erzählung gibt auch tolle „Nebenrollen“ her. So mochte ich Mariam mit ihrer quirligen Art und ihrem unbrechbaren Optimismus, sowie ihrer Loyalität wahnsinnig gern. Auch Karin, Max‘ Mutter ist toll und ich hätte gern noch ein bisschen mehr von ihr gelesen.
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Ich hab mich schwer damit getan mir überhaupt eine Meinung zu dem Buch zu bilden und diese auch niederzuschreiben. Auch jetzt fällt es mir schwer, anschließend etwas dazu zu sagen. Ich glaube dies liegt daran, dass ich es einfach nirgends einordnen kann. Es ist einfach die schonungslose Schilderung einer toxischen Beziehung zweier Menschen, die schon mit sich selbst überfordert sind. Und wenn ich es als genau das sehe, fand ich es sehr gut und kann es guten Gewissens weiterempfehlen.

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