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Veröffentlicht am 21.12.2017

Qualität - aber wo?

QualityLand
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Qualität – aber wo?
Was, wenn die Computer allmächtig werden? Wenn diese uns lenken können und alles technisch gesteuert ist? Wenn amazon dir deine Pakete aussucht, weil sie wissen, was du willst. Wenn ...

Qualität – aber wo?
Was, wenn die Computer allmächtig werden? Wenn diese uns lenken können und alles technisch gesteuert ist? Wenn amazon dir deine Pakete aussucht, weil sie wissen, was du willst. Wenn dein Partner für dich ausgesucht wird und der neue Präsident ein Roboter ist?
Klingt wie eine typische Dystopie? Schon George Orwell, Aldous Huxley oder Dave Eggers haben uns gezeigt, was passieren kann, wenn die Computer, Roboter und Maschinen die Welt übernehmen. Jetzt reiht sich auch noch Marc-Uwe Kling in die Reihe ein und setzt sein neustes Buch QualityLand in die Reihen von Brave New World oder 1984. Nach den Kängeruh-Chroniken, in denen ein sprechendes Tier die Hauptrolle spielte, hätte das Setting seines neuen Buches nicht unerwarteter und konträrer sein können.
Willkommen in QualityLand, in dem nur noch in Superlativen gesprochen wird und in dem nichts mehr unvorhersehbar ist. Bestellungen müssen nicht mehr getätigt werden, weil die Systeme deine Wünsche schon vor dir wissen… Dein Nachname ist dein Berufsstatus und alles, wirklich alles, ist vernetzt. Doch ist wirklich alles am besten, am schönsten und am spannensten? Nein: Das Setting wirkt zu gewollt: zu gewollt witzig, zu gewollt dystopisch, zu gewollt rätselhaft. Leider klappt nichts davon so richtig und am Ende bleibt eins: Ein solider Roman, mit Höhen und Tiefen, ganz „okayen“ Charakteren und einer passablen Handlung, doch von den Superlativen, die es in QualityLand so gibt, kann sich das Buch nicht schmücken. Es ist weder das beste Buch aller Zeiten, noch das Schlechteste, was je geschrieben wurde. Klings neues Werk wirkt eher wie der typische Durchschnitt – ein Buch für zwischendurch, etwas dass man gut schnell lesen kann, das aber nicht nachhaltig zum Denken anregt.
Denn dazu fehlt beispielsweise Peter Arbeitsloser, dem heimlichen Helden des Buches oder Kalliope, dem Roboter-Autor mit Schreibblockade, die nötige Tiefe und auch der nötige Witz. Es wirkt unausgereift und stellenweise zu langatmig. Die Seiten wirken zu lang, die Kapitel zu voll und die „witzigen“ Passagen, die als Werbung daher kommen, zu aufgesetzt.

Schade, ein neuer Orwell, ein neuer Huxley hätten gut getan. So ist es nur ein neuer Kling, der im Schatten eines Kängurus steht.

Veröffentlicht am 21.11.2017

Trau dich, John!

Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken
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Da ist er – der neue John Green. Heiß ersehnt, lange gewartet und umso mehr gefreut endlich Aza Holmes kennezulernen. Greens neuste Protagonistin. Sie reiht sich gut in die Riege der Hazels, Alaskas und ...

Da ist er – der neue John Green. Heiß ersehnt, lange gewartet und umso mehr gefreut endlich Aza Holmes kennezulernen. Greens neuste Protagonistin. Sie reiht sich gut in die Riege der Hazels, Alaskas und Margos ein. Ein kleiner verschrobener, nicht einfacher Teenager – gefangen in ihrer eigenen Gedankenwelt, umgeben von Ängsten, Neurosen und Zwangsstörungen. Auch Daisy, der Sidekick, die liebenswürdige, beste Freundin - extrovertierter, etwas drüber, aber herzlich. Und dann ist da Davis, der Loveinterest, mit seiner eigenen Tragödie.

Alles passt zusammen, wie immer – ein typischer John Green, der auf den oben genannten drei großen Pfeilern ausbalanciert wird. Das schafft Sicherheit, hier gibt’s keine großen Überraschungen. Eben ein „john-green-scher“-Roman, der in seinem Rahmen genau das einhält, was er uns verspricht und seine Erwartungen – wie ein Musterschüler - einhält.
Über Greens sprachliches Talent und auch über seine Art Geschichten zu erzählen, da müssen wir nicht drüber reden. Er kann schreiben, er kann Charaktere erschaffen und er kann den Leser an das Buch binden. Trotzdem stellte sich auch nach dem Ende des Buches keine große Euphorie ein, aber auch keine Enttäuschung. Es war ein gutes Buch.
Es gibt auch nichts Schlechtes an der Geschichte, keine groben Schnitzer oder Ungereimtheiten – jedoch wirkt John Green als würde er immer nur an der Oberfläche bleiben, als würde er sein sicherer Territorium nicht verlassen wollen und keine Risiken eingehen. Damit bleibt es ein solides Buch, das er geschrieben hat, aber ohne bleibenden Wow-Effekt. Aza ist schwierig, aber dennoch liebenswert. Trotzdem bleiben die Ursprünge ihrer Krankheit leider zu blass. Davis ist sicherlich ein fabelhafter Junge, aber seine familiäre Situation bleibt dünn, vage und am Ende zu kurz „präsentiert“. Auch Daisy, ihre Geschichte und auch ihre Freundschaft zu Aza könnte man an einem schlechten Tag als oberflächlich bezeichnen. Die Ansätze sind gut, aber die Tiefe fehlt.
Vielleicht liegt es am Älterwerden, weil man die Probleme und Irrungen und Wirrungen nicht mehr vollkommen nachvollziehen kann. Vielleicht liegt es aber auch an den ewigen Wiederholungen und dem Gefühl, dass – wenn du einen Green Roman kennst, du alle kennst. Vielleicht aber auch an den Erwartungen, die man nach dem riesigen Erfolg von „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“, leise in sich getragen hat. Man weiß es nicht.
„Schlaft gut, ihr fiesen Gedanken“ ist daher ein wahrlich gutes, schönes Buch, das schnell und gerne gelesen werden kann, dem doch leider auf den wenigen Seiten, die es hat, die nötige Tiefe fehlt.

Veröffentlicht am 06.11.2017

Vom Regen in die Traufe

Das Glück an Regentagen
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Die Vergangenheit ist manchmal ein riesiger Rucksack Ballast, jeder trägt ihn – mit unterschiedlicher Intensität. Manchmal sind dort noch nicht verarbeitete Wunden, nicht abgeschlossene Kapitel, aber auch ...

Die Vergangenheit ist manchmal ein riesiger Rucksack Ballast, jeder trägt ihn – mit unterschiedlicher Intensität. Manchmal sind dort noch nicht verarbeitete Wunden, nicht abgeschlossene Kapitel, aber auch wunderbare Erinnerungen. Jeder geht auf seine Weise mit dem eigenen Leben um, verarbeitet es oder vergräbt es.

Auch am anderen Ende der Welt, in Alexandria Bay ist es so. Dort hat Mae ihre Kindheit verbracht, ihre erste große Liebe kennengelernt und die Tage im Hotel ihrer Großeltern verbracht. Als sie nun nach einer gescheiterten Beziehung zurück in ihre alte Heimat kehrt, bleibt ihr nichts Anderes übrig als sich mit den Geistern der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Da sind ihre Großeltern, die sich überraschend getrennt haben – macht man so etwas noch im hohen Alter? Und dann ist da auch noch Gabe, ihre Jugendliebe. Er war wie ein Bruder, ein Verbündeter und die erste Person, die sie geliebt hat. Auch er ist auf einmal wieder am St. Lorenz-Strom und hat genauso viel aufzuarbeiten.

Marissa Stapleys verarbeitet in ihrem Roman „Das Glück an Regentagen“ die Bürde einer Familie, die viel erlebt hat und trotzdem zusammenhalten muss. Was ist, wenn die Frau unter Alzheimer leidet? Wenn du ganz genau weißt, dass deine Enkelin nicht blutsverwandt mit dir ist? Was wenn dein Verlobter eine Scheinfirma hatte und mit all dem Investorengeld abgehauen ist? Was, wenn du immer noch im Schatten deines alkoholkranken Vaters stehst und aus Angst so zu werden wie er, immer mehr wirst wie er? Was, wenn deine einzig wahre Liebe auf einmal vor dir steht, aber da soviel Ballast ist?

„Das Glück an Regentagen“ ist ein kleines, feines Buch. Schnell gelesen, mit einem angenehmen Schreibstil. Stapleys Worte fließen leicht über die Seiten, leider zu leicht. Denn auch nach 301 Seiten, die rasant vorbei waren, kann trotzdem kein Verbundenheitsgefühl aufkommen. Zu oberflächlich bleiben Marissa Stapleys Figuren, zu wenig kann man Gabe oder Mae nochvollziehen. Denn ihre Geschichten sind da, jedoch wirken sie nicht ausgereift, als würde ihnen jede Tiefe fehlen. Die Rahmenbedinungen sind schnell geklärt. Man findet sich schnell in Alexandria Bay ein, doch nicht in das Leben der Hauptfiguren. Dabei ist die Grundidee der dementen Großmutter oder der verflossenen großen Liebe wunderbar, die einzelnen Geschichten geben eine Menge Potential. Was aber nicht genutzt wird. So plätschert die Geschichte Seite für Seite vor sich hin. Auch die Unterteilung in drei Abschnitte wirkt nicht stimmig, zu oberflächlich sind die Geschehnisse dort drin. Leider wirken weder Mae noch Gabe als würden sie wirklich Fortschritte machen, da die Tiefgründigkeit ihrer Beziehung auf den Seite verloren geht. Daher wirkt ihr erneutes Liebesaufflammen eher wie eine Verzweiflungstat statt wie ein Happy End. Der Einzige, der mit Emotionen und Geschichte ausgestattet wird ist George. Großvater, Ehemann, Verlassener und Betrogener. Seine Taten werden erläutert, plausibel erklärt und er bekommt als Einziger zwar kein Happy End, aber die Gunst des Lesers.

Daher bleibt das „Das Glück an Regentagen“ ein solider Roman für zwischendurch. Marissa Stapley weiß durchaus ein angenehmes Klima zu erschaffen, jedoch nicht den Leser noch nachhaltig zu fordern, zu beschäftigen und zu begeistern. Ein typisches Buch für den Urlaub oder für einen kalten, regnerischen Tag auf der Couch – ohne Anspruch.

Veröffentlicht am 16.10.2017

Stiller Stillstand

Und Marx stand still in Darwins Garten
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Man stelle sich vor – zwei bedeutende Denker hätten die Möglichkeit sich an einen Tisch setzen und über ihre Theorien zu plaudern. Genau das hat Ilona Jerger in ihrem Buch „Und Marx stand still in Darwins ...

Man stelle sich vor – zwei bedeutende Denker hätten die Möglichkeit sich an einen Tisch setzen und über ihre Theorien zu plaudern. Genau das hat Ilona Jerger in ihrem Buch „Und Marx stand still in Darwins Garten“ möglich gemacht. Sie hat die beiden Männer im Jahr 1881 an denselben Ort gebracht, London. Beide gebeutelt durchs Leben und durch Krankheit, haben sie den gemeinsamen Arzt Dr. Beckett, der immer wieder mit dem Gedanken spielt die zeternden, alten Herren in einen Raum zu kriegen.
Wirklich getroffen haben sich die beiden nie, doch Jerger versucht in ihrem Roman eine Mischung aus Fiktion und Fakten, ein Drahtseilakt, der ihr nur stellenweise gelingt. Die Grundidee, famos – zwei bedeutsame Männer, die damals wirklich so nah beieinander wohnten, miteinander zu verbinden, ihnen Raum zu geben und sich unterhalten zu lassen. Doch ist der Weg bis zu dem wirklichen Aufeinandertreffen eine schier endlose Einleitung. Seite um Seite vergeht, Darwin hadert, Marx zetert. Wirklich Neues erfährt man nicht. Man bekommt einen guten Einblick in die Leben der Beiden, in deren Sinnkrisen und deren Werke – aber auch nur oberflächlich. Das Treffen, auf das nach rund Hälfte des Buches nicht nur Doktor Beckett hin fiebert, verläuft hingegen fad. Zu kurz ist der Moment, in dem sich die brillanten Denker gegenüber stehen und noch kürzer der Moment, in dem sie sich wirklich unterhalten. Die Szene, in die beiden unter vier Augen Gedanken austauschen, schon durch Leseproben, Einleitungen und Kurzzusammenfassungen bekannt. Was das beim Leser auslöst? Vor allem Ernüchterung.
Trotzdem kann Ilona Jerger schreiben. Die Sätze sind leicht, schnell zu lesen, trotz der vermeintlichen Schwere des Inhaltes. Doch auch dieser Umstand hilft nicht über die Schwächen des Buches hinweg, denn wie man es dreht und wie man es wendet – die Erwartungshaltung war eine andere. Es ist viel mehr ein. Es ist viel mehr der Dialog Darwins und Marx‘ mit ihrem Arzt, als miteinander. Jerger hat viel mehr die beiden Genies als Romanfiguren erweckt, durch Briefe und Tagebücher eine Geschichte um sie herum konstruiert, leider hat sie dabei vergessen die Verbindungen zu knüpfen, zu stärken und ein bisschen mehr Spannung unterzumischen.
So bleibt am Ende ein guter Roman, mit Abstrichen. Ein Roman, der durch seinen wunderbaren Schreibstil überzeugt, aber durch die gelenkte Erwartungshaltung des Lesers den einen oder anderen verwirren, linken oder enttäuschen wird.

Veröffentlicht am 05.10.2017

teuflisch gut!

Als der Teufel aus dem Badezimmer kam
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Sophie macht das, was so viele gerne tun würden: etwas mit Medien. Doch ihre Aufträge bei der Zeitung sind zu wenig, die Kosten für das Leben doch stetig. Was also tun, wenn es noch zehn Tage bis zum Monatsende ...

Sophie macht das, was so viele gerne tun würden: etwas mit Medien. Doch ihre Aufträge bei der Zeitung sind zu wenig, die Kosten für das Leben doch stetig. Was also tun, wenn es noch zehn Tage bis zum Monatsende sind und man nur noch 40 Euro hat? Ausharren und ein Buch drüber schreiben.

Wortgewaltig, witzig und vor allem ehrlich erzählt Sophie Divry in „Als der Teufel aus dem Badezimmer kam“ über den Wahnsinn, den man durchlebt, wenn man das Geld bis zum Monatsende [oder länger] zusammen halten muss, jeden Cent umdreht und sich in der Zwickmühle der Sozialhilfe befindet. Denn Sophie will sich eigentlich nicht mit der Situation abfinden, denn sie selbst hat sich immer als eigenständige Künstlerin gesehen, die von ihrem Handwerk, in dem Falle das schreiben, leben kann. Doch die Nachzahlungen müssen überwiesen werden und schon steht sie mit weniger als nichts da. Auf einmal gibt es kein Kaffee beim Spaziergang, keine Schokolade und keine Zeitungen mehr. Stattdessen besucht sie Freunde, versucht sich unauffällig zum Essen einzuladen und ernährt sich zuhause von Brot und Nudeln.

Der Witz und Charme des Buches bestehen hauptsächlich aus Sophies inneren Monologen und ihrer Kreativität mit der schweren Situation umzugehen. Das verpackt in eine stilsichere Sprache, das macht jedem Spaß, nicht nur, wenn der eigene Berufsweg der einer Germanistin ist und man an vielen Stellen nur noch müde lächeln und nicken kann. Divry spielt mit einer Leichtigkeit mit der Sprache, schafft neue Wörter, durchbricht die Regeln jedes Standardromans und gewinnt Seite für Seite Sympathien dazu.
Auch die Aufmachung des Buches, verschobene Textelemente, in sich zusammenfallende Buchstaben – es ist wunderbar gemacht und unterstützt den Roman in seiner eigenen Art. Dabei ist „Als der Teufel aus dem Badezimmer kam“ sicherlich kein einfacher Roman, nicht für jedermann gedacht, aber für Liebhaber von Sprache, Witz und der französischen Leichtigkeit – lest es!