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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.08.2018

Wunderschön erzählt

Reise zwischen Nacht und Morgen
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Eigentlich ist sein Zirkus am Ende, denkt Valentin Samani. Nach einem verheerenden Brand ist der inzwischen sechzigjährige Zirkusdirektor hoch verschuldet. Da bringt ihm die Postbotin Pia den Brief seines ...

Eigentlich ist sein Zirkus am Ende, denkt Valentin Samani. Nach einem verheerenden Brand ist der inzwischen sechzigjährige Zirkusdirektor hoch verschuldet. Da bringt ihm die Postbotin Pia den Brief seines alten zu Reichtum gekommenen Freundes Nabil Schahin, den er vor Jahrzehnten in Arabien getroffen hat. Dieser ist unheilbar erkrankt und wünscht sich nichts sehnlicher, als die ihm verbleibende Zeit mit Valentin und seinem Zirkus zu verbringen, und verspricht, alle entstehenden Kosten zu übernehmen. Nicht nur der großzügigen Unterstützung wegen geht Valentin gern auf diesen Handel ein und unternimmt die lange, spannende Reise in den Orient.
Wie ein arabischer Geschichtenerzähler präsentiert Rafik Schami seinen Roman. In eindrucksvollen Bildern erlebt der Leser die bunte Zirkuswelt und vollzieht die Freuden und Probleme der Reisenden mit. Ebenso lebendig beschreibt der Autor die Atmosphäre der orientalischen Umgebung; mit leisem Humor und überaus farbig versteht er es, die Stadt Ulania und ihre Bewohner zu schildern - aber auch die Schattenseiten werden nicht verheimlicht. Schnelle Wechsel politischer Systeme und die Macht des Militärs kennt Rafik Schami aus eigenem Erleben. Bereits in den Siebziger Jahren gelangte er als politisch Verfolgter nach Deutschland.
Die „Reise zwischen Nacht und Morgen“ ist ein Roman, in dem Melancholie und Humor eng miteinander verwoben sind; ein Buch, das den Leser auf eine unvergessliche Orientreise mitnimmt.

Veröffentlicht am 12.07.2018

Viel mehr als ein Kriminalroman

Immer Ärger mit Harry
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Ein Toter, den niemand vermisst oder gar betrauert, dafür aber gleich mehrere potentielle Mörder - da ist der Ärger mit Harrys Leichnam vorprogrammiert. Wer Harry zu Lebzeiten gewesen ist, erfährt der ...

Ein Toter, den niemand vermisst oder gar betrauert, dafür aber gleich mehrere potentielle Mörder - da ist der Ärger mit Harrys Leichnam vorprogrammiert. Wer Harry zu Lebzeiten gewesen ist, erfährt der Leser nur am Rande; viel wichtiger ist es dem Autor, die Charaktere der Lebenden zu beleuchten. Und die anscheinend ehrbaren Einwohner von Sparrowswick haben so ihre Geheimnisse.
Jack Trevor Story (1917 – 1991) treibt ein makabres Spiel : so leicht und locker seine Erzählweise den Leser zu fesseln vermag, so dunkel und abgründig präsentiert er die menschliche Seele. „Wir sind alle nett …Ich verstehe gar nicht, wie jemand uns nicht mögen kann“ lässt Trevor einen der Bürger äußern. Mit tiefschwarzem Humor enthüllt er nach und nach, wie diese netten Leute planen, ein vermeintliches Verbrechen unter den Teppich zu kehren. Es liest sich amüsant, aber auch erschreckend: welcher Kontrast zu ihrem alltäglichen Leben offenbart sich hier! Story treibt das Thema satirisch auf die Spitze und stellt dem geradezu grotesken Geschehen um den toten Harry äußerst „lebendige“ Themen gegenüber, die von größerer Bedeutung scheinen. So etwa entstehen durch die Probleme um Harrys Leiche gleich zwei Liebesbeziehungen.
Übrigens handelt es sich bei Miriam Mandelkows Übersetzung um die erste Übertragung des (bereits 1949 in England erschienenen) Romans ins Deutsche. Sie gibt die Intentionen des Autors treffend wieder: Ein sarkastischer Blick auf menschliche Eigenschaften, viel mehr als nur ein Kriminalroman!

Veröffentlicht am 13.06.2018

Scheinbar unscheinbar

Ein ganzes Leben
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Ein hartes Leben ist es, das Andreas Egger in einem Tal, irgendwo in Österreichs Bergen führt. Als Waisenkind einem hartherzigen Verwandten anvertraut, der Andreas nur als Arbeitskraft betrachtet, ist ...

Ein hartes Leben ist es, das Andreas Egger in einem Tal, irgendwo in Österreichs Bergen führt. Als Waisenkind einem hartherzigen Verwandten anvertraut, der Andreas nur als Arbeitskraft betrachtet, ist er es gewohnt, ein karges Außenseiterdasein zu fristen. Dass es Liebe gibt, erfährt er zum ersten (und einzigen) Mal, als er Marie trifft. Gemeinsam bauen sie ein einfaches Leben auf, zufrieden mit dem Wenigen, was sie erreichen. Doch das Schicksal will es anders - wie so oft in Andreas´ Leben.
Seethalers Roman beginnt um 1902 und reicht bis in die Siebziger Jahre. Er umfasst eine turbulente Zeitperiode, voller politischer und industrieller Umwälzungen. Im Gegensatz dazu steht Andreas´ Leben, das sich (oberflächlich gesehen) eher unscheinbar an einem entlegenen Winkel der Welt abspielt. Der Fortschritt berührt ihn nicht sehr, er lebt von und mit der Natur, liebt die Stille und Majestät der Berge. Man hat den Eindruck, er wird eher von Veränderungen mitgezogen, als dass er aktiv wird. Geduldig, ohne aufzubegehren, nimmt er die Ereignisse wie sie kommen. Dabei wird weder Pathos sichtbar noch große Dramatik. Überhaupt bedient sich Robert Seethaler einer schlichten, ruhigen Sprache, die wunderbar zu Andreas´ Charakter passt. Leicht und fließend liest sich die Geschichte, wie eigentlich alle Bücher, die der Autor geschrieben hat. Er hat einen dichten, aussagekräftigen Roman geschaffen, der ein ganzes Menschenleben erzählt, zusammengesetzt aus vielen eindrucksvollen Szenen - still und zurückhaltend wie sein Held Andreas Egger.

Veröffentlicht am 24.05.2018

Frisch, fröhlich, fantasievoll

Storm oder Die Erfindung des Fußballs
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Wie wird aus einem Klosterschüler ein Fußballstürmer?
Storm ist ein gewitzter, aber nicht unbedingt braver Junger, der in einem nordenglischen Kloster erzogen wird. Doch er hat ganz andere Zukunftsvisionen: ...

Wie wird aus einem Klosterschüler ein Fußballstürmer?
Storm ist ein gewitzter, aber nicht unbedingt braver Junger, der in einem nordenglischen Kloster erzogen wird. Doch er hat ganz andere Zukunftsvisionen: er möchte ein großer Seefahrer und Krieger werden. Daher flüchtet er kurz entschlossen durch die Mönchstoilette in das darunter liegende Meer und rudert mit einem Boot auf die offene See hinaus - dem großen Abenteuer entgegen. Und das begegnet ihm schon sehr bald, in Gestalt eines riesigen Drachenkopfes …
Das allererste Fußballmatch und wie es zustande gekommen ist: eine originelle Idee, die Jan Birck schriftstellerisch und zeichnerisch in ein fröhlich- turbulentes Kinderbuch umsetzt. Mit viel Schwung und Esprit erzählt der Autor von Storms Erlebnissen während seiner Flucht und des anschließenden Aufenthaltes im fernen Reydarfjordurthofthier, einem Wikingerdorf. Sein flotter, lockerer Stil zieht junge Leser ab 8 Jahren mitten hinein ins mittelalterliche Leben. Storms sympathischer Charakter sorgt dafür, dass sie sich ohne Probleme mit ihm identifizieren können. Mit einem Augenzwinkern präsentiert Birck clevere Kinder, die den (in ihren Gewohnheiten festgefahrenen) Erwachsenen mit klugen Einfällen kreative Lösungsmöglichkeiten aufzeigen - in Wort und Bild. Die großzügigen, teils ganzseitigen Illustrationen sind ebenso fantasievoll und witzig angelegt wie der Text, ein wirklich amüsantes Gesamtwerk.
Ob Storm und seine Wikinger Adoptivfamilie weitere Abenteuer erleben? Wir freuen uns schon auf eine Fortsetzung!

Veröffentlicht am 23.05.2018

„Eine Kleinstadt wie tausend andere…“

Main Street
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Carol Kennicott ist total von sich überzeugt: nach ihrer Heirat mit Will, dem Arzt der Kleinstadt Gopher Prairie, wird sie die langweilige Hauptstraße des Städtchens nach ihren Plänen geschmackvoll umgestalten ...

Carol Kennicott ist total von sich überzeugt: nach ihrer Heirat mit Will, dem Arzt der Kleinstadt Gopher Prairie, wird sie die langweilige Hauptstraße des Städtchens nach ihren Plänen geschmackvoll umgestalten lassen. Doch als sie in die den Ton angebende Schicht der Provinzstadt eingeführt wird, gerät ihr Vorhaben ins Wanken; die Einwohner schätzen ihre Reformpläne nicht sehr. Carols Engagement wird schließlich eher durch die Interessen der Middle Class in andere Richtungen gelenkt und sie verschiebt ihr Vorhaben vorläufig. Wird sie sich durchsetzen oder wird sie von der „Gesellschaft“ vereinnahmt und verändert?
Im Original erschien der Roman „Main Street“ im Jahre 1920 - doch sein Thema, das Leben in der Provinz, das Festhalten an Traditionen, Intoleranz und Borniertheit vieler Zeitgenossen ist stets aktuell. Sinclair Lewis (1885 – 1951) verfügt über eine scharfe Beobachtungsgabe. Mit viel Witz und Esprit schildert er seine Charaktere, in erster Linie Vertreter des (selbstzufriedenen) Bürgertums. Sie wirken so lebendig wie in den Romanen Charles Dickens´, seinem großem Vorbild. Lewis nimmt ihre Schwächen und Fehler kritisch ins Visier und zeichnet in satirischer Manier ein facettenreiches Bild der Personen und des Handlungsortes. Gopher Prairie erscheint wie ein Abbild seiner eigenen Geburtsstadt in Minnesota und deren Einwohner. Vermutlich hatte Lewis, der übrigens als erster amerikanischer Schriftsteller Lewis im Jahr 1930 den Nobelpreis für Literatur erhielt, genügend Gelegenheit, sie genau zu beobachten. „Main Street“ , in gehobener Alltagssprache verfasst, liest sich einfach wunderbar erfrischend.
„Soviel zu unserer angenehmen Tradition und unserem festen Glauben. Würde sich da nicht als zynischer Fremdling entlarven, wer die Main Stret anders schildern oder ihre Bewohner mit Spekulationen darüber erschrecken wollte, ob es noch andere Bekenntnisse gibt?“