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Veröffentlicht am 30.08.2023

Eine eindrückliche Offenbarung einer Künstlerpersönlichkeit

De profundis
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Historischer Hintergrund zu „De profundis“: Seit 1891 hatte Oscar Wilde eine Beziehung mit dem britischen Aristokraten Lord Alfred Douglas. Douglas‘ Vater, John Douglas, war mit dieser Beziehung nicht ...

Historischer Hintergrund zu „De profundis“: Seit 1891 hatte Oscar Wilde eine Beziehung mit dem britischen Aristokraten Lord Alfred Douglas. Douglas‘ Vater, John Douglas, war mit dieser Beziehung nicht einverstanden, weshalb er Wilde auf perfide Weise mit Beleidigungen provozierte, die 1895 in einen Gerichtsprozess mündeten. In diesem wurden Wilde wegen „Unzucht“ zu einer zweijährigen Haft mit Zwangsarbeit verurteilt. Kurz vor seiner Entlassung, von Januar bis März 1897, schrieb Wilde einen Brief, den er an Alfred Douglas adressierte. Denn: Obwohl Douglas mehrfach in der Öffentlichkeit über Wildes Inhaftierung redete, besuchte er Wilde nie im Gefängnis. Dieser Brief wurde 1905 – etwas mehr als vier Jahre nach Wildes Tod – unter dem Titel „De profundis“ veröffentlicht.

Persönliche Meinung: „De profundis“ setzt sich thematisch mit zwei Schwerpunkten auseinander. Der erste Schwerpunkt ist die Beziehung, die Wilde und Douglas geführt haben. Wilde charakterisiert diese als hochgradig toxisch: Douglas habe Wilde permanent vom künstlerischen Schaffen abgehalten und ihn in parasitärer Weise finanziell sowie mental ausgebeutet. Mehrfach habe Wilde sich trennen wollen, doch es aus verschiedenen Gründen nicht geschafft. Dieser Part liest sich über weite Strecken wie eine Abrechnung, geht aber darüber hinaus: Wilde gibt nicht Douglas allein die Schuld an dem Defizitären der gemeinsamen Beziehung, sondern reflektiert im Laufe des Briefes auch seine eigenen Fehler. Der Ton des Briefes ist – trotz aller Schonungslosigkeit – tendenziell von Freundlichkeit geprägt. Der zweite Part des Briefes setzt sich mit dem künstlerischen Selbstverständnis Wildes auseinander, das sich durch die zweijährige Haft verändert hat. Wilde wolle sich der Demut zuwenden und den hedonistischen Lebensstil ablegen (auch Ideen für zukünftige schriftstellerische Projekte diskutiert Wilde hier). Zudem vergleicht er in einem Analogieverfahren das Leben Jesu mit dem eines Künstlers: Jesus wird in der Vorstellung Wildes zu einem romantischen, individualistischen Dichter. Durchzogen ist der Brief von Anspielungen auf und Zitation aus Werke(n) der Weltliteratur, deren Herkunft in der Diogenes-Ausgabe in einem Stellenkommentar geklärt wird. Der Erzählstil von „De profundis“ gleicht einem Monolog: Wilde schreibt seine Gedanken nieder, denkt aber immer eine (potenzielle) Erwiderung Douglas‘ mit. Abgerundet wird die Diogenes-Ausgabe durch ein Vorwort der Lyrikerin/Musikerin Patti Smith, in dem sie sich Oscar Wilde auf einer persönlichen Ebene annähert. Insgesamt ist „De profundis“ eine eindrückliche Offenbarung einer Künstlerpersönlichkeit – eine Offenbarung, die nicht nur aus der Tiefe des Gefängnisses, sondern auch aus derjenigen der Gefühlswelt stammt.

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Veröffentlicht am 28.08.2023

Ein spannender Mysteryroman über ein Familiengeheimnis

Der See der verlorenen Träume
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Inhalt: Nachdem die Lyra, die als Regieassistentin am Royal Opera Haus in London arbeitet, erfahren hat, dass ihr Partner sie betrügt, ist sie am Boden zerstört. Um Abstand zu der Situation zu gewinnen, ...

Inhalt: Nachdem die Lyra, die als Regieassistentin am Royal Opera Haus in London arbeitet, erfahren hat, dass ihr Partner sie betrügt, ist sie am Boden zerstört. Um Abstand zu der Situation zu gewinnen, schlägt ihre Großmutter Millie vor, dass Lyra ihre drei Großtanten in Kanada besucht – ein Zweig der Familie, bei dem Millie einen Teil ihrer Jugend verbracht hat, der Lyra aber völlig unbekannt ist. In Kanada könnte es nicht schöner sein: Ihre Großtanten heißen Lyra freudig willkommen; ihr Anwesen, Evergreen Hall, ist wunderschön – doch nachts hört Lyra ein seltsames Kratzen im Haus, das sie auf die Spur eines wohlgehüteten Familiengeheimnisses bringt…

Persönliche Meinung: „Der See der verlorenen Träume“ ist ein Mysteryroman von Josephine Katharina Groß, der sich um ein Familiengeheimnis dreht. Erzählt wird die Handlung aus den Perspektiven verschiedener Familienmitglieder auf drei unterschiedlichen Zeitebenen. Während der erste Handlungsstrang 1996 spielt, aus Lyras Perspektive erzählt wird und die Aufklärung des Familiengeheimnisses behandelt, spielt ein weiterer Erzählstrang zwischen 1939 und 1945. Dieser wird teils aus der Perspektive Millies, teils aus derjenigen Violets (einer Großtante) erzählt. Hier wird die Kindheit und das Erwachsenwerden von Lyras Großmutter und -tanten in Kanada thematisiert, wobei dieser Handlungsstrang von Coming of Age-Elementen durchzogen ist (besonders die (erste) Liebe und die Findung des eigenen Selbst spielen eine große Rolle). Zu dem dritten Handlungsstrang, der zeitlich zwischen den beiden genannten spielt, möchte ich mich lieber ausschweigen; die Spoilergefahr ist zu groß 🙃. Die drei unterschiedlichen Stränge werden im Wechsel erzählt, wobei dieser Wechsel (und die abschließende Zusammenführung) schön und stimmig komponiert ist. Neben Mystery, Coming of Age und Liebesgeschichte findet sich zudem in „Der See der verlorenen Träume“ mehrfach ein latenter Grusel: Dieser ist zwar eher leicht; es wird aber trotzdem eine Atmosphäre erzeugt, die bis ins Mark geht. Der Schreibstil von Josephine Katharina Groß ist anschaulich, bildhaft und lässt sich sehr flüssig lesen. Zudem ist „Der See der verlorenen Träume“ mit einigen schön atmosphärischen Illustrationen ausgestattet, die die handelnden Figuren sowie die Szenerie veranschaulichen. Insgesamt ist „Der See der verlorenen Träume“ ein spannender Mysteryroman, bei dem auch Lesende, die Coming of Age, Liebesgeschichten und Grusel mögen, nicht zu kurz kommen werden.

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Veröffentlicht am 23.08.2023

Ein spannender wie twistreicher Thriller

DAS ENDE – Dein letzter Tag ist gekommen
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Inhalt: Die Europol-Ermittler Inga Björk und Christian Brand sehen sich mit einem neuen Fall konfrontiert: Auf einer dubiosen Internetseite erscheinen nach und nach Livestreams, in denen Menschen – ihnen ...

Inhalt: Die Europol-Ermittler Inga Björk und Christian Brand sehen sich mit einem neuen Fall konfrontiert: Auf einer dubiosen Internetseite erscheinen nach und nach Livestreams, in denen Menschen – ihnen scheinbar nicht bewusst – bei Verrichtung ihres Alltags gefilmt werden. Kurze Zeit, nachdem die Streams online gegangen sind, wird die erste dort gefilmte Person vor laufender Kamera ermordet. Björk und Brand müssen in ihrem neuen Fall allerdings nicht nur die Frage nach dem Täter klären – auch die Identität der Opfer birgt Rätsel…

Persönliche Meinung: „Das Ende – Dein letzter Tag ist gekommen“ ist ein Thriller von Jan Beck. Es handelt sich um den vierten Teil der „Björk und Brand“-Reihe. Da die Handlung des Thrillers in sich abgeschlossen ist, kann man mit diesem Band auch quer in die Reihe einsteigen (besonders für ein besseres Verständnis der Beziehung zwischen Björk und Brand ist es aber natürlich sinnvoll, die Bände chronologisch zu lesen). Erzählt wird „Das Ende“ aus einer Vielzahl unterschiedlicher personaler Perspektiven in mehreren Handlungssträngen. Den Haupthandlungsstrang bilden dabei die Ermittlungen im „Livestream“-Fall. Wechselweise wird hier aus den Perspektiven von Björk und Brand erzählt. Eine besondere Brisanz erhält dieser Handlungsstrang durch personale Veränderungen innerhalb Europols: Björk und Brand bekommen eine neue Chefin, die durch ihre spezielle Art die Arbeit der beiden Europol-Ermittler torpediert. Ein weiterer Handlungsstrang spielt in Köln: Eine Frau ist verunfallt; kurz zuvor hatte sie dem Polizisten Gregor Born noch auf verstörende Weise erzählt, ihr Sohn sei verschwunden. Im Präsidium stößt dies auf taube Ohren, sodass Born sich allein auf die Suche nach dem Jungen begibt (wie dieser Handlungsstrang mit Björk und Brand zusammenhängt, bleibt lange Zeit offen. Die Querverbindung ist aber ein kleines Meisterstück). Neben diesen beiden Handlungssträngen existieren noch mehrere kürzere Stränge, die ich aber hier nicht spoilern möchte. Nur so viel: Die unterschiedlichen Handlungsstränge sorgen dafür, dass „Das Ende“ ein undurchsichtiges Vexierspiel voller Spannung und Wendungen (die einen zudem eiskalt erwischen) wird. Die Handlungsorte des Thrillers sind auf ganz Europa verteilt; quantitativ wie qualitativ sticht allerdings Köln hervor. Der Handlungsort Köln wird so authentisch und anschaulich beschrieben, dass man bei einem Besuch der Rheinmetropole die konkreten Orte des Geschehens ablaufen könnte. Mein einziger Wermutstropfen in Bezug auf den vierten Fall von Björk und Brand: Das Ende von „Das Ende“. Zwar ist es im Großen und Ganzen stimmig und alle wichtigen Fragen werden geklärt, doch existieren letztlich ein paar kleinere, offengebliebene Fragen, deren Antwort ich gerne erfahren hätte. Wie schon die zuvor erscheinen Björk und Brand-Thriller lässt sich auch „Das Ende“ sehr flüssig und angenehm lesen, sodass man nur so durch die Seiten des Buches fliegt. Insgesamt ist „Das Ende“ ein rasanter, spannender sowie twistreicher Thriller, der sich sehr flüssig lesen lässt; die Auflösung der Handlung hätte für mich noch ein bisschen ausführlicher sein können, aber das ist wirklich meckern auf hohem Niveau.

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Veröffentlicht am 20.08.2023

Ein solider Krimi

Mord auf der Insel Gokumon
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Inhalt: Um den letzten Wunsch eines verstorbenen Freundes zu erfüllen, reist der Privatdetektiv Kosuke Kindaichi auf die abgelegene Insel Gokumon. Sein Freund, ein Mitglied der führenden Familie Gokumons, ...

Inhalt: Um den letzten Wunsch eines verstorbenen Freundes zu erfüllen, reist der Privatdetektiv Kosuke Kindaichi auf die abgelegene Insel Gokumon. Sein Freund, ein Mitglied der führenden Familie Gokumons, war sich sicher, dass nun, nach seinem Tod, das Leben seiner Schwestern in Gefahr sei. Kosuke solle alles daransetzen, diese zu beschützen. Tatsächlich begegnet Kosuke auf Gokumon einer verschworenen Gemeinschaft – und die Erfüllung des Wunsches ist schwieriger als gedacht…

Persönliche Meinung: „Mord auf der Insel Gokumon“ ist ein Kriminalroman des japanischen Autors Seishi Yokomizo (zuerst erschienen 1947/48). Zwar handelt es sich um den zweiten Krimi der Reihe um den Privatdetektiv Kosuke Kindaichi, allerdings kann man „Mord auf der Insel Gokumon“ auch ohne Kenntnis des Vorgängers „Die rätselhaften Honjin-Morde“ lesen: Die Fälle sind jeweils in sich abgeschlossen, das Figurenpersonal der beiden Krimis ist – bis auf zwei Ausnahmen – völlig verschieden und zwischen den Handlungszeiten der Krimis liegen mehrere Jahre (Band 1 spielt 1937, Band 2 kurz nach dem Zweiten Weltkrieg). Erzählt wird die Handlung von einem anonymen Ich-Erzähler, der sich als Chronist der Fälle Kosuke Kindaichis ausgibt und meist in die Rolle einer auktorialen Erzählinstanz schlüpft. Die Handlung des Krimis folgt einer typischen Whodunnit-Struktur: Auf der Insel geschehen mehrere Morde, wobei Kosuke mithilfe seiner Ermittlungen versucht, die Täterfigur zu identifizieren. Dabei werden für die Lesenden – durch unterschiedliche Verdächtige – mehrfach falsche Fährten gelegt. Die Handlung beginnt zudem gemächlich: Es wird sich Zeit gelassen, die handelnden Figuren und den Handlungsort vorzustellen; spätestens ab dem ersten Mord gewinnt der Krimi aber an Spannung. Die Auflösung des Falls ist einerseits sehr überraschend, andererseits für mich aber auch ein Stück weit zu konstruiert. Spoilerfrei gesagt: Mir geschahen ein paar Dinge zu zufällig und trotz der im gesamten stimmigen Auflösung blieben für mich einzelne Lücken offen. Der Schreibstil von Seishi Yokomizo ist unaufgeregt und sacht, wodurch er sich angenehm lesen lässt. Insgesamt konnte „Mord auf der Insel Gokumon“ für mich – in Bezug auf Prägnanz, Logik und Stimmigkeit – nicht ganz an „Die rätselhaften Honjin-Morde“ heranreichen; es ist allerdings dennoch ein solider und kurzweiliger Krimi.

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Veröffentlicht am 18.08.2023

Ein atmosphärischer Roman über einen Sommer, der unendlich wirkt

Das Summen unter der Haut
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Inhalt: Der Sommer in Hamburg 1977. Der 14-jährige Julle verbringt die Zeit mit seinen Freundinnen im Freibad. Mit dabei ist auch Axel, der erst vor Kurzem neu in die Klasse gekommen ist und zu dem Julle ...

Inhalt: Der Sommer in Hamburg 1977. Der 14-jährige Julle verbringt die Zeit mit seinen Freundinnen im Freibad. Mit dabei ist auch Axel, der erst vor Kurzem neu in die Klasse gekommen ist und zu dem Julle sich hingezogen fühlt. Über den Sommer freunden sich Axel und Julle an – und entdecken ein Geheimnis, das sie zusammenschweißen wird: eine abgebrannte Hütte, deren Überbleibsel Rätsel aufgeben.

Persönliche Meinung: „Das Summen unter der Haut“ ist ein queerer Coming of Age-Roman von Stephan Lohse. Erzählt wird die Handlung aus der Ich-Perspektive von Julle. Im Roman spielt Julles Gedankenwelt eine große Rolle: Er ist sich seiner Homosexualität bewusst, doch fragt er sich permanent, ob diese von seinem Vater, seiner Mutter oder seinen Freund
innen akzeptiert werden wird, wenn er sich ihnen offenbart. Dieser innere Konflikt wird authentisch dargestellt sowie gefühlvoll und empfindsam nachgezeichnet. Daneben spielen auch weitere Themen des Erwachsenwerdens in „Das Summen unter der Haut“ eine Rolle. So werden u. a. die Bewusstwerdung/Wahrnehmung des Selbst mit all seinen Wünschen, der Umgang mit Trauer/Verlust, die (erste) Liebe und verschiedene Arten von Freundschaften thematisiert. Die Nebenhandlung um die abgebrannte Hütte erinnert ein Stück weit an „Die Leiche“ von Stephen King: Es handelt sich um das Abenteuer der Jugend, bei dem es weniger um die Klärung des Rätsels geht als vielmehr um den Weg (mit all seinen Implikationen), den die Freunde zur Klärung des Rätsels gehen. Das Handlungssetting des Romans, die 1970er Jahre, werden durch zeitgenössische Produkte und Verhaltensweise authentisch dargestellt. Sehr gut hat mir auch der angenehme und flüssige Schreibstil von Stephan Lohse gefallen: Genutzt werden eher kurze Sätze, die teilweise assoziativ – an einen Bewusstseinsstrom erinnernd – verbunden werden, sodass man den Gedanken und Gefühlen Julles eindrücklich nachspüren kann. Insgesamt ist „Das Summen unter der Haut“ ein atmosphärischer, mit einem Hauch Melancholie ausgestatteter Coming of Age-Roman über einen Sommer, der unendlich wirkt.

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