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Veröffentlicht am 14.02.2021

Die Vergangenheit schläft nie

Die Schwimmerin
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Gina Mayer's neuer Roman "Die Schwimmerin" gebührt weit mehr Beachtung, als ich bisher in den Medien darüber gelesen und gesehen habe. Titel und Cover stimmen zwar überein und das Schwimmen spielt auch ...

Gina Mayer's neuer Roman "Die Schwimmerin" gebührt weit mehr Beachtung, als ich bisher in den Medien darüber gelesen und gesehen habe. Titel und Cover stimmen zwar überein und das Schwimmen spielt auch eine Rolle in diesem Roman, aber nicht so, wie man vor der Lektüre denken mag.

Der Roman wird auf zwei Zeitebenen erzählt und beginnt im Jahre 1962 in Essen. Betty steht kurz vor ihrer Hochzeit mit Martin Riessel, der bei Krupp einen gutbezahlten Job gefunden hat. Sie ist glücklich und freut sich auf ihre neue Wohnung, die sogar eine dieser modernen Einbauküchen hat. Wie es in den Sechziger Jahren gang und gäbe war, gibt sie ihren Beruf in der naheliegenden Bäckerei auf und bleibt als Hausfrau zuhause. Bald schon fühlt sie sich einsam und unterfordert. Sie freundet sich mit ihrer Nachbarin an und beginnt wieder zu schwimmen. Die Stunden im Schwimmbad tun ihr gut. Hier fühlt sie sich wohl und sie kann ihre Vergangenheit ausblenden, die nicht einmal ihr Ehemann kennt. Bis eines Tages ein Mädchen vor ihr steht und ihr mitteilt, dass sie weiß, was sie getan hat und Betty mit ihrem Wissen erpresst.....

Im zweiten Handlungsstrang befinden wir uns in den Jahren von 1942-1946 in Düsseldorf und danach im schwäbischen Weilerbach. Dort auf dem Land kommen Elisabeth und ihre Mutter an, nachdem der Vater im Krieg gefallen und ihr Haus ausgebombt wurde. Sie sind Flüchtlinge im eigenen Land. Während Elisabeths überängstliche Mutter in Depressionen verfällt, muss Elisabeth wohl oder übel sich selbst versorgen. Die gute Schülerin ist in der Dorfschule unterfordert und wird auf das naheliegende Gymnasium geschickt. Gemeinsam mit der Pfarrerstochter Susanne, mit der sie sich anfreundet und deren Familie sie unterstützt und liebevoll umsorgt, lebt sie anfangs noch unbeschwert in der ländlichen Umgebung. Sie verliebt sich in Susannes Bruder Rüdiger, mit dem sie die Liebe zur Literatur verbindet, der jedoch in den Krieg eingezogen wird. Doch der Krieg holt Elisabeth auch auf dem Lande ein und ihre Mutter lässt ihre Tochter postwendend im Stich.....

Gina Mayer erzählt abwechselnd aus den beiden Zeitebenen. Die bildhafte Sprache der Autorin habe ich bereits in einem anderen Roman kennengelernt, der mich ebenfalls überzeugt hat. Gina Meyer gelingt es meisterhaft die Spannung fortlaufend anzuheben. Die Geschichte gewinnt sowohl in der Vergangenheit, als auch in der Gegenwart immer mehr an Fahrt. Ich konnte den Roman nur schwer aus der Hand legen, denn ich wollte wissen um welches Geheimnis es sich dreht und wie und ob Betty/Elisabeth aus dem Dilemma und der Erpressung wohl herauskommen wird.

Betty/Elisabeth ist eine sehr interessante Protagonistin. Als junges Mädchen ist sie unbeschwert und intelligent. Sie ist eine Kämpferin und lässt sich auch von den furchtbaren Kriegserlebnissen nicht unterkriegen. Sie lehnt sich auf und versucht das Beste aus ihrer Situation zu machen. Bis sie an eine Grenze stößt, die sie zerbrechen lässt....
Danach verschließt sie die Erlebnisse und versucht nach vorne zu blicken und sich ihr Glück selbst zu nehmen, was ihr jedoch nicht gelingt.

Ihre Gefühlswelt hat die Autorin sehr authentisch und gekonnt dargestellt. Ich habe mit Betty gelitten, aber auch manchmal voller Unverständnis den Kopf geschüttelt. Betreffend dem Geheimnis in der Vergangenheit möchte ich nicht allzu viel preisgeben, aber meiner Meinung nach hat die Autorin die Leser mit den schlimmsten Grausamkeiten verschont. Wenn man zu diesem Thema allerdings noch nichts gelesen hat, wird man schockiert sein.

Fazit:
Ein wunderbarer Roman, den ich sehr gerne gelesen habe. Ich bin durch die Geschichte gerauscht, denn ich konnte sie nur sehr schwer aus der Hand legen. Ein Frauenschicksal, das zu dieser Zeit leider nicht ungewöhnlich war - gefühlvoll erzählt. Ich empfehle diesen Roman sehr gerne weiter!

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Veröffentlicht am 12.02.2021

Erinnerungen sind trübe

Das Geburtstagsfest
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Bereits im Spätherbst 2019 war ich bei der Lesung von Judith W.Taschler, als sie ihren Roman "Das Geburtstagsfest" in St. Pölten vorstellte, zu Gast. Hier könnt ihr darüber nachlesen. Es war sehr interessant, ...

Bereits im Spätherbst 2019 war ich bei der Lesung von Judith W.Taschler, als sie ihren Roman "Das Geburtstagsfest" in St. Pölten vorstellte, zu Gast. Hier könnt ihr darüber nachlesen. Es war sehr interessant, vorallem weil die Autorin selbst mit einer kambodschanischen Flüchtlingsfamilie im Haus aufgewachsen ist.

Kim und Tevi sind vierzehn und zwölf Jahre alt, als sie in den frühen Achziger Jahren als Flüchtlinge über Thailand nach Österreich kommen. Sie finden bei Monika und ihrer Tochter Ines ein neues Zuhause. Während Tevi das Land später wieder verlässt, bleibt Kim in Österreich, wird Architekt und heiratet Ines. Zum 50. Geburtstag möchte ihm sein jüngster Sohn Jonas eine ganz besondere Überraschung schenken. Er sucht nach Tevi und lädt sie zum Geburtstagsfest zu sich nach Hause ein. In all den Jahren wurde den Kindern erzählt, dass ihr Vater damals dem Mädchen das Leben gerettet hat. Kim selbst mag allerdings über seine Vergangenheit nicht sprechen. Jonas hofft mit seiner Einladung seinen Vater endlich aus der Reserve zu locken und endlich mehr über seine Kindheit zu erfahren.
Damit beginnt eine grandiose Geschichte, die den Leser an die Seiten fesselt. Die gut gemeinte Einladung der "Flüchtlingsschwester" Tevi lassen bei Kim alte Wunden aufbrechen. Die furchtbaren Gräueltaten der Roten Khmer, die beide gerade noch überlebt, aber nicht vergessen haben, kommen wieder hoch und das Fest wird zur Katastrophe....

Ich muss zugeben, dass ich zwar mit den Namen Pol Pot und Rote Khmer etwas anfangen konnte, aber das war es dann auch schon wieder. Ich bin genauso alt wie Kim im Roman und habe als Kind gar nichts davon mitbekommen, was sich in Kambodscha Schreckliches abgespielt hat, dabei wurden damals rund zwei Millionen Menschen umgebracht.Während Tevi ihre Kindheit immer und immer wieder heraufbeschwört, setzt Kim auf totale Verdrängung. Bis alles zusammenbricht.

Die Geschichte spielt auf meherern Zeitebenen. 2016 feiert Kim Mey seinen 50. Geburtsag. In Rückblenden, die sich immer mit dem Gegenwartstrang abwechseln, erfahren wir mehr über seine ärmliche Kindheit, aber auch über die Familie Tevis, die der oberen Schicht angehörte. Als es in den späten 70iger Jahren unter der Schreckensherrschaft von Pol Pot und den Roten Khmer in Kambodscha zu einem regelrechten Abschlachten der höher gebildeten Menschen kommt, finden viele Kinder Unterschlupf und werden als Kindersoldaten ausgebildet. Im dritten Strang sind Kim und Tevi als Flüchtlingskinder in Österreich gelandet und finden bei Monika und Iris eine Pflegefamilie. Die krassen Gegensätze haben mich sehr nachdenklich gemacht.

Die Autorin hält sich mit grausamen Beschreibungen durch die Roten Khmer nicht wirklich zurück. Oftmals muss man Pausen einlegen - auf der anderen Seite fesselt die Geschichte jedoch so extrem, dass man einfach immer weiterlesen möchte.
Die Autorin schafft es berührend zu schreiben, ohne rührselig zu werden. Sie zeigt auf, wie unterschiedlich sich die beiden Hauptcharaktere auf die Zeit in kambodschanischen Bürgerkrieg zurückerinnern. Man stellt sich die Frage, wer der Wahrheit näher kommt: Kim oder Tevi? Die seelischen Wunden, die beide als Kinder erfahren haben, sind auch in der Gegenwart spürbar.

Für ihre fiktive und vielschichtige Geschichte hat die Autorin nicht nur eine Reise durch Kambodscha gemacht, sondern sie wuchs selbst in ihrem Elternhaus mit einer kambodschanische Füchtlingsfamilie auf. Die Menschen dieses Landes stehen ihr sehr nahe und das merkt man in jeder Zeile ihres Romans.

Ein vielschichtiges Drama über Schuld, Lebenslügen und Verdrängung. Die unterschiedlichen Blickwinkel ergeben langsam ein Ganzes...doch nicht immer sind die Dinge wie sie scheinen, denn die eigenen Erinnerungen können täuschen.....

Fazit:
Eine intensive Geschichte über die Herrschaft der Roten Khmer in Kambodscha in den 1970iger Jahren. In ihrem Roman stellt die Autorin die Erlebnisse zweier mittlerweile erwachsener Menschen, die in Österreich bzw. den USA eine neue Heimat gefunden haben, ins Rampenlicht - stellvertretend für viele andere Flüchtlinge. Ein Buch, das noch lange nachhallt und das ich gerne weiterempfehle!

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Veröffentlicht am 10.02.2021

Interessantes Ermittlerduo

Grenzfall - Der Tod in ihren Augen
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Was war ich gespannt auf den den ersten Fall von Alexa Jahn und Bernhard Krammer aus der Feder von Anna Schneider. Ich habe von der Autorin bereits die beiden Krimis/Thriller "Verborgen" und "Seelentot" ...

Was war ich gespannt auf den den ersten Fall von Alexa Jahn und Bernhard Krammer aus der Feder von Anna Schneider. Ich habe von der Autorin bereits die beiden Krimis/Thriller "Verborgen" und "Seelentot" über die Gefängnisärztin Eva, die sie unter ihrem Pseudonym Anna Simons geschrieben hat, gelesen und geliebt. Ich kann euch diese wirklich ans Herz legen!

Die neue Reihe aus dem Fischer Verlag spielt in Lenggries in Oberbayern. Die junge Oberkommissarin Alexa Jahn tritt ihre neue Stelle bei der Kripo Weilheim an. Die Aschaffenburgerin ist nicht unbedingt ein Fan der Berge, doch in Weilheim soll die Frauenquote angehiben werden. Kaum angekommen wird Alexa direkt an einen Leichenfundort mitgenommen. Auf einem Wanderweg wurde ein Rucksack gefunden - von dem Besitzer oder der Besitzerin fehlt jede Spur. Diese wird wenig später an einer Felswand hängend gefunden und weist ein ganz besonderes Merkmal auf: ihr fehlt der Unterkörper. Wenig später wird dieser im angrenzenden Österreich im Achensee gefunden. Bis die beiden Polizeidirektionen zusammenfinden dauert es ein bisschen, denn Alexa's Chef Brandl verletzt sich schwer und fällt aus. Er bestimmt Alexa für die Leitung des Falles, was allerdings Florian Huber, der bisher die Vertretung des Chefs war, gar nicht schmeckt. Auch das Team steht ihr noch skeptisch gegenüber... Der österreichische Kommissar Bernhard Krammer hat zwar weniger Probleme mit Alexa, aber der desillusionierte und kurz vor der Rente stehende Chefinspektor, sieht den Fall nicht wirklich als lösbar an.

Spannend und atmosphärisch wird der Kriminalfall von Anna Schneider erzählt. Ihr Ermittlerduo ist eine interessante Mischung, die mir sehr gut gefallen hat.
Alexa ist eine sympathische junge Frau, die sich in ihrem neuen Job zu behaupten versteht. Sie hat Ehrgeiz und ist motiviert. Trotzdem tritt sie immer wieder ins Fettnäpfchen und prescht alleine los. Das ist auch einer der Kritikpunkte am spannenden Krimi....diese Alleingänge der Figuren, sowohl in Büchern, als auch im TV. Man möchte am liebsten schreien und kann wieder nur den Kopf schütteln, dass man schon wieder eine dieser Figuren vor sich hat...
Krammer ist ein erfahrener Kriminalbeamter, der auf sein Bauchgefühl vertraut. Er hat schon zu viel erlebt und ist von seinem Beruf desillusioniert.

Die Bergwelt rund um das Karwendelgebirge an der deutsch-österreichischen Grenze und die Naturbeschreibungen werden sehr bildhaft dargestellt. Ich befand mich mit Alexa auf dem Berg oder beim Wirten bei einem Teller Kaiserschmarrn. Der fesselnde Schreibstil konnte mich von Anfang an begeistern, wie auch schon in den anderen Krimis der Autorin. Die kurzen Kapitel verführten mich immer wieder zum Weiterlesen, auch wenn der Wecker in der Früh ungnädig piepste. Überraschende Wendungen haben die Spannung zusätzlich erhöht und mich rätseln lassen, wer der Täter sein könnte. Kommissar Zufall spielt dabei im letzten Viertel eine große Rolle und hat mich nicht ganz überzeugt. Der Plot ist komplex und vorallem zum Ende hin wird es rasant und explosiv.
Eine zusätzliche (private) Wende am Schluss fand ich jedoch fast überzogen. Trotzdem ein sehr gelungener Auftakt einer neuen Krimireihe, die mit Spannung und Regionalität punkten kann.

Fazit:
Spannende Ermittlungen in der Bergwelt Oberbayerns und facettenreiche Charaktere machen den Reihenauftakt zu einem gelungenen Krimi, der mich fesseln konnte. Einige wenige Kritikpunkte habe ich zwar doch gefunden, aber der nächste Band wird schon sehnlichst erwartet.

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Veröffentlicht am 07.02.2021

Das ist der Lauf der Zeit

Die Welt war eine Murmel
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Herbert Dutzler hat mich bereits mit seinen beiden Thrillern "Am Ende bist du still" und "Die Einsamkeit des Bösen" begeistert. Außerdem lese ich auch seine Kriminalreihe rund um den schrulligen Altausser ...

Herbert Dutzler hat mich bereits mit seinen beiden Thrillern "Am Ende bist du still" und "Die Einsamkeit des Bösen" begeistert. Außerdem lese ich auch seine Kriminalreihe rund um den schrulligen Altausser Polizisten Franz Gasperlmaier, die ein bisschen an Rita Falks Eberhofer-Saga erinnert. Mit seinem neuen Roman geht er einen völlig neuen Weg und führt seine Leser zurück in seine Kindheit in die späten 1960iger Jahre. Der stark autobiografische Roman erzählt vom zehnjährigen Sigi, der mit seiner jüngeren Schwester und seinen Eltern in einem kleinen Dorf in Österreich lebt.

Obwohl ich zu dieser Zeit erst geboren wurde, haben mich bereits die ersten Seiten zurück in meine Kindheit katapultiert. Das passiert auch dem erwachsenen Sigi, der nach dem Tod der Mutter die Wohnung auflöst. Dabei findet er Kartons mit alten Erinnerungsstücken und schweift mit seinen Gedanken bald ab. Er erinnert sich an seine Kindheit und sein damaliges zehnjähriges Alter Ego; an seinen ersten Italienurlaub mit den Eltern und an die Aufnahmeprüfung aufs Gymnasium in der nächsten größeren Stadt, wo er von seinen Mitschülern verdroschen wurde.

Ich habe mich zurückerinnert an die Zeiten, als nur einige Leute im Dorf ein Festnetztelefon hatten, welches auch noch mit jemanden geteilt wurde, d.h. wenn einer der beiden Haushalte telefonieret ging beim anderen gar nichts. Noch schlimmer war es, wenn man ein Vierteltelefon hatte...dann musste man seinen Telefonanschluss mit noch drei anderen Haushalten teilen. Heute unvorstellbar, wo meistens jeder in der Familie ein Handy besitzt.

Tränen gelacht habe ich bei der Urlaubsreise von Sigi, seiner Schwester Uschi und den Eltern. Per Autobus - ein eigenes Auto hatten damals nur wenige - ging es in unser südliches Nachbarland und zum ersten Mal ans Meer. Im Autobus wurde geraucht und laufend wurde zur Pinkelpause oder wegen einem kleinen Imbisses bei vielen Wirtshäuser stehengeblieben. Das "ungewöhnliche" Essen war Sigis Eltern suspekt. Pizza und Spaghetti waren in Österreich noch völlig unbekannt. Blümchenbadehauben und eigene mitgebrachte "Umziehkabinen" (ein Stück Stoff mit einem Loch, das man über den Kopf zieht und sich darunter auszieht, damit man kein Stück Haut sehen kann) waren damals en vogue.
Das Familienleben und die Schulzeit waren für Sigi meistens kein Honigschlecken. Er, der den Deutschunterricht liebte und eine blühende Fantasie hat, schrieb gerne Aufsätze und verschlang ein Karl May Buch ums andere. Mit der dicken Hornbrille und dem Übergewicht war Sigi deshalb ein Außenseiter und wurde gehänselt. Sigi interessierte sich außerdem fürs Backen und Kochen, was seinem Vater sehr missfällt: Ein richtiger Mann hat sich für Fußball und Männerarbeit zu interessieren. Er hat Angst, dass sein Sohn womöglich schwul sein könnte und versucht so einiges, um ihn auf "die richtige Fährte" zu bringen. Dabei erlebt man als Leser so einige lustige Anekdoten, die vom Autor mit viel Humor erzählt werden.

Herbert Dutzler zeigt auf, welche gesellschaftlichen Einstellungen die Menschen damals hatten. Er spricht über die Angst des Vaters, der Sohn könnte dem eigenen Geschlecht eher zugetan sein und setzt sich auch mit dem gängigen Rollenbild auseinander: Der Mann schaffte das Geld an und die Frau hatte als Hausfrau zuhause zu bleiben. Auch meine Mutter gab ihren Beruf auf und sorgte anschließend für uns Kinder, wobei ich als Nachzügler mehr Zuneigung von meiner älteren Schwester bekam.
Körperliche Züchtigungen waren damals ebenso an der Tagesordnung, wie die ewigen Ängste, was die Nachbarn von einem denken. Der Vater und der ziemlich rassistische Großvater von Sigi hatten in der Familie das Sagen. Die Kinder hatten zu spuren, Zuneigung gab es kaum.

In kursiver Schrift hat Herbert Dutzler einige seiner Gedanken von heute zu damals kundgetan. Dabei stellt er die Vergangenheit dem Heute gegenübert. Interessant fand ich dabei, dass ein Leser in der Leserunde diese als (schlechte) Bewertung gegenüber der heutigen Jugend aufnahm und eine andere Leserin die Zeit damals traurig fand und froh ist, dass sie erst viel später geboren wurde. So unterschiedlich wurden diese Gedanken des Autoren aufgenommen, der eigentlich nur einen Vergleich zwischen damals und heute gezogen hat. Ich fand die Gegenüberstellung interessant - vorallem, wenn man bedenkt was sich wirklich in dieser kurzen Zeit von 50-60 Jahren - vorallem technisch - verändert hat. Das ist wirklich eine ganze Menge! Dabei gab es Verbesserungen, aber auch Verschlechterungen. Das ist der Lauf der Zeit......

Fazit:
Eine kleine Zeitreise zurück in meine eigene Kindheit mit einem liebenswerten Protagonisten und einem zwinkernden Auge des Autors. Nicht alles damals war gut, aber heute ist auch nicht alles besser....
Für alle LeserInnen, die in den 1960-iger und -70iger Jahren geboren wurden, ist dieser Roman eine Erinnerung an die eigene Kindheit. Für diese Generation gebe ich definitiv eine Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 05.02.2021

Wieder ein Lesevergnügen

Elsas Glück
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Im zweiten Band um die Familie Sonnstein begleiten wir Elsa, die Tochter von Lotte und Jakob. Sie ist in ganz anderen Verhältnissen als ihre Mutter aufgewachsen und studiert Psychologie und Pädagogik in ...

Im zweiten Band um die Familie Sonnstein begleiten wir Elsa, die Tochter von Lotte und Jakob. Sie ist in ganz anderen Verhältnissen als ihre Mutter aufgewachsen und studiert Psychologie und Pädagogik in Wien.

Elsa ist, wie ihre Mutter, eine aufgeschlossene junge Frau. Bezüglich ihres Lehramts-Studiums ist sie sich aber noch unsicher. Elsa sieht sich nicht wirklich als Lehrerin, möchte aber benachteiligten Kindern helfen. Sie bewundert und vertritt die modernen Erziehungsmethoden von August Aichorn und Maria Montessori. Deswegen meldet sie sich zusätzlich zu einem Seminar an, bei dem es um praxisbezogene Beobachtung von Kindern geht. Die Studenten besuchen dabei städtische Kindergärten und Kinderheime, um Kinder aus dem Arbeitermilieu zu beobachten. Elsa erhofft sich dadurch das Verhalten auffälliger Schüler besser verstehen zu können. Dabei lernt sie ihren Mitstudenten Moritz Grün und den Reporter Otto besser kennen, der sich politisch sehr engagiert.

Letztes Jahr hat mich der erste Band "Lottes Träume" richtig begeistert, vorallem weil es viel um das Skifahren ging und auch meine Gegend erwähnt wurde, wo die Geburtsstätte des Skilaufs liegt. Bei "Elsas Glück" geht es zwar auch um den Wintersport, der auch 1928 noch Neuland für die meisten Menschen war, aber nur am Rande.
Im Mittelpunkt steht diesmal die Pädagogik und die Politik zu dieser Zeit. Die Sozialdemokraten regieren Wien und schaffen neue Wohnungen und Kinderheimstätten, wie die KÜST - eine Kinderübernahmestelle. Hier werden sozial schwache, vernachlässigte oder auffällige Kinder aufgenommen. Sie bleiben einige Wochen in dieser Übernahmestelle und werden danach den entsprechenden Einrichtungen zugewiesen. Auch Elsa und ihr Studienkollege Moritz besuchen die KÜST im Rahmen ihrer Ausbildung, doch Elsa ist nicht wirklich überzeugt von der Einrichtung. Bei ihrem Besuch lernt sie den kleinen Werner kennen, der unter der Trennung seiner Mutter leidet, die obdachlos geworden ist und nicht mehr für ihren Sohn sorgen kann. Elsa nimmt sich Werner an und erfährt dabei mehr über die sozialen Missstände...

Jakob leidet hingegen an seinen Kriegserfahrungen und Lotte an seiner Wesensveränderung. Vorallem aber bekommt Elsa's Bruder Conrad seine Launen zu spüren, der nicht in die Fußstapfen des Vaters treten möchte. Er beendet zwar sein Arztstudium, möchte danach aber seinen eigenen Berufswunsch nachgehen. Unter der strengen Herrschaft von Mathilde, die sich nach dem alten Kaiserreich sehnt und ihre Schwiegertochter Lotte bis heute nicht wirklich anerkannt hat, braut sich ein Sturm im Hause Sonnstein zusammen. Als dann auch noch Elsa Wien verlässt und zu ihrer Tante an den Attersee reist, droht die Familie zu zerbrechen....

Wir treffen im zweiten Band wieder auf altbekannte Figuren, wie die Familie Sonnstein oder Mizzi Langer-Kauba, lernen aber auch neue kennen, wie Otto, ein Journalist und überzeugter Sozialdemokrat oder Elsa's Mitkommilitone Moritz Grün. Durch Otto erfahren wir mehr über die Bewegung der Sozialdemokraten und seine Ambitionen. Elsa findet sowohl an Moritz, als auch an Otto gefallen, und ist hin- und hergerissen.
Die Charaktere sind wieder wunderbar lebendig. Ich hatte sie alle vor Augen und fieberte mit ihnen mit. Der Schreibstil ist gewohnt flüssig und lässt sich toll lesen.

Beate Maly hat die Zwischenkriegszeit in Wien wunderbar eingefangen. Die wirtschaftliche Not, das Ende der Kaiserzeit, die manche Adelige, wie Mathilde Sonnstein noch immer nicht akzeptieren können und die politischen Umwälzungen werden besonders thematisiert. Die Stadt Wien wird sehr bildhaft beschrieben, genauso wie die ländliche Idylle am Attersee, wo Elsas lesbische Tante mit ihrer Freundin lebt. Die Autorin nimmt sich auch dem Thema der Behinderung und den traumatisierten Kriegsheimkehrern an. Das klingt fast nach zu vielen Themen, die Maly in ihrem Roman aufgreifen will, jedoch hat sie diese so geschickt in die Geschichte miteingewoben, dass es perfekt zur Handlung passt. Trotzdem wäre ein bisschen weniger etwas mehr gewesen. Am Ende bleiben dann noch ein paar Fragen offen - nichts Gravierendes, aber so viel, dass man auf eine weitere Fortsetzung hoffen kann.

Fazit:
Mir hat der erste Band zwar etwas besser gefallen, aber auch "Elsas Glück" hat mich wieder wunderbar unterhalten und mir wunderschöne Lesestunden gebracht. Ich freue mich schon auf einen weiteren Band, den es hoffentlich geben wird.

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