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Veröffentlicht am 05.04.2018

Die Gartenfee

Hortensiensommer
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Mein zweites Buch von Ulike Sosnitza (nach "Novemberschokolade"), das wieder mit einem unglaublich tollen Cover aufwarten kann. Das unbeschwerte Bild mit Kirschen, Eiscreme und einer Hortensienblüte, sowie ...

Mein zweites Buch von Ulike Sosnitza (nach "Novemberschokolade"), das wieder mit einem unglaublich tollen Cover aufwarten kann. Das unbeschwerte Bild mit Kirschen, Eiscreme und einer Hortensienblüte, sowie der Titel "Hortensiensommer" lassen wieder locker-leichte Lektüre vermuten, doch diesmal versteckt sich sehr viel Schwermut dahinter.

Auch wenn der Roman beschwingt und eher leicht beginnt, da Johanna ihren "Love-Interest" bereits auf den ersten Seiten kennenlernt, geht der Roman viel tiefer, als er vermuten lässt. Denn Johanna hat einige sehr schwere Jahre hinter sich - eine Tragödie, die sie bis in die Gegenwart nicht verarbeitet und verdrängt hat. Eine tiefe Traurigkeit umgibt sie Tag und Nacht. Ihre ganze Liebe widmet sie den Pflanzen. Nach der Scheidung von ihrem Mann hat sie sich selbstständig gemacht. Mit ihrem grünen Bus mit der Aufschrift "Die Gartenfee - mobile Gartenpflege" übernimmt sie Arbeiten in fremden Gärten und gibt auf ihrem Blog Hilfe bei Problemen mit Pflanzen für Menschen ohne grünen Daumen - wie mich ;) Sie lebt allein in einem viel zu großen Haus mit Garten. Nach einem bösen Reinfall mit ihrer letzten Mieterin ist sie auf der Suche nach einem neuen Untermieter für die kleine Einliegerwohnung. Ihre Wahl fällt auf den alleinstehenden Mathematiklehrer Philipp. Nach und nach wird eine Freundschaft daraus, die allerdings bald auf eine harte Probe gestellt wird....

Johanna ist keine einfache Protagonistin. Sie lebt in ihrem Schneckenhaus und ist anderen Menschen gegenüber sehr distanziert. Dabei umgibt sie immer eine Aura von Traurigkeit. Der Leser kann sich zwar bald denken, warum sie trauert, doch Näheres erfahren wir erst im letzen Drittel des Buches. Manche Aktionen von Johanna konnte ich nicht ganz nachvollziehen, aber sehr viele. Ihr großes Problem ist, dass sie sich mit ihren Schicksalsschlag bis heute nicht wirklich auseinandergesetzt hat. Alles wurde verdrängt, nicht einmal die Eltern und ihre Schwester Franzi durften darüber reden. Zusätzlich vermeidet Johanna jeglichen Umgang mit Menschen, die sie an ihr Schicksal erinnern. Dass dies nicht gutgehen kann, ist vorauszusehen. Als sie sich mit Philipp immer mehr anfreundet, scheint sie auf dem rechten Weg zu sein und langsam ins Leben zurück zu finden. Doch dann entdeckt Johanna, dass ihr Philipp etwas verheimlicht hat....
Nicht nur Johanna, sondern auch der Leser erlebt ein Wechselbad der Gefühle, jedoch nicht wie erwartet wegen einer Lovestory, sondern durch bestimmte Ereignisse aus Johannas Vergangenheit.

Die Erzählperspektiven wechseln zwischen Johanna und Philipp und lassen den Leser an ihrer jeweiligen Gefühlswelt teilhaben. Jeder erzählt aus der Ich-Perspektive. Die Themen sind nicht immer leicht, aber Ulrike Sosnitza hat genau den richtigen Ton getroffen und das richtige Gespür wie sie den Leser begeistern kann. Es wird weder kitschig, noch zu melodramatisch. Ich habe den Roman in einem Rutsch durchgelesen und konnte mich nur schwer von der Geschichte trennen.

Die Charaktere sind sehr gut gezeichnet. Johanna ist etwas distanziert dargestellt, wie sie sich im Roman auch den anderen Menschen gegenüber verhält. Nicht alle ihre Verhaltensweise konnte ich gutheißen.
Philipp ist ein sehr warmherziger und geduldiger Mann. Das muss er auch, um die Freundschaft mit Johanna nicht zu gefährden. Er bemüht sich sehr und will Johanna überzeugen, dass sie sich ihrer Vergangenheit stellen muss, damit sie zwar nicht vergessen, aber abschließen kann.
Mit Franzi, der Schwester von Johanna, hat die Autorin einen wunderbaren Charakter erschaffen. Sie ist eine liebevolle Schwester, die ihre eigenen Probleme hinten anstellt, aber trotzdem ihren Weg geht.

Die bildhafte Umgebung rund um das fränkische Weindorf Sommerhausen bringt viel Lokalkolorit mit sich. Auch die Beschreibung der Pflanzen, welche Eigenschaften sie haben und wo man sie am Besten pflanzt, wurde wunderbar beschrieben. Ich verspürte noch mehr Sehnsucht nach dem Frühling, um endlich meinen Garten aus dem Winterschlaf zu holen.

Schreibstil:
Ulrike Sosnitza schreibt wunderbar einfühlsam, lebendig und flüssig. Der Schreibstil ist sehr dialoglastig. Die bildhaften Beschreibungen der Pflanzen, Blumen und auch der Landschaft sind wunderbar eingefangen und man sieht sich beim Lesen selbst in einer grüner Oase. oder zwischen den Weinbergen wandeln...

Fazit:
Cover und Titel lassen auf einen leichten und lockeren Sommerroman schließen. Dahinter steckt jedoch eine melancholische Geschichte über Verlust und Trauer, aber auch über Neuanfang und einem Leben, das so bunt und vielfältig wie ein Sommerstrauß sein kann.

Veröffentlicht am 04.04.2018

Wohlfühlroman mit ein paar zu vielen Themen

Die kleine Inselbuchhandlung
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Ich liebe die Bücher von Janne Mommsen, die mich immer wieder nach Friesland und an die Nordsee entführen. Mit dem Titel seines neues Romanes "Die kleine Inselbuchhandlung" lässt der Autor die Herzen ...

Ich liebe die Bücher von Janne Mommsen, die mich immer wieder nach Friesland und an die Nordsee entführen. Mit dem Titel seines neues Romanes "Die kleine Inselbuchhandlung" lässt der Autor die Herzen aller Bücherwürmer schneller schlagen. Wer liebt sie nicht, die Romane, die von Bücher und Buchhandlungen handeln?

Die fast 40-jährige Greta ist Stewardess und klappt plötzlich vor dem Start im Cockpit zusammen. Eine Panikattacke. Greta soll sich ein paar Tage erholen und beschließt ihre Tante Hille auf einer kleiner Nordseeinsel zu besuchen und ein bisschen auszuspannen. Tante Hille und ihre Freundin Karen sind allerdings gerade beim Bücher ausmistenm, wo Greta gleich mitanpackt. Die drei Tage vergehen viel zu schnell und als Greta auf die Fähre, die sie zurück aufs Festland bringen soll wartet, ereilt sie neuerlich eine Panikattacke. Sie beschließt vorerst zu bleiben. Nach einem kurzen Besuch beim Inselarzt, wird sie für weitere zwei Wochen krank geschrieben. Greta bleibt gerne. Sie trifft auf ihren Kinderfreund Claas und sogar ihr Love-Interest Florian, ein Pilot, besucht sie auf der Insel. Auch das Ausmisten der Bücher macht großen Spaß. Ihr Großvater, Vater und auch ihre Tante Hille waren leidenschaftliche Bücherwürmer und haben jahrelang Bücher gesammelt. Die Meisten sollen nun weg und so startet Greta einen Bücherflohmarkt, der auf der Insel gut angenommen wird. Da dieser mehr Erfolg hat, als sie dachte, reift in Greta der Gedanke eine kleine Inselbuchhandlung aufzumachen. Doch was ist mit ihrem Job als Stewardess? Und lohnt sich das überhaupt, wenn im Winter keine Touristen kommen?

Die Verbindung zwischen Greta und ihrer Tante ist herzlich. Trotzdem verschließt sich Tante Hille, als Greta Gedichte und Liebeserklärungen in einigen Büchern findet, die anscheinend an ihrem Großvater gerichtet sind und von "dein Papillon" unterschrieben sind. Wer ist diese ominöse Papillon"?

Niemand versteht es so großartig das Flair der Nordsee und der Inseln so bildgewaltig und lebendig zu beschreiben wie Janne Mommsen. Man sieht die Dünenlandschaft vor sich, hört die Wellen an den Strand schlagen, die Möwen krächzen....und mein Wunsch endlich an die Nordsee zu fliegen wird immer größer...
Auch die Figuren sind voller Leben, die Dialoge unterhaltsam und es steckt sehr viel Lokalkolorit in jedem Inselroman des Autors.

Doch diesmal konnte mich der neue Roman des Autors nicht gänzlich überzeugen. Zu viele Themen wurden nur angerissen und nicht vertieft. Vieles blieb an der Oberfläche und hinterließ bei mir ein etwas schales Gefühl.
Der Grund warum Greta eine kleine Auszeit benötigt ist nur anfangs ein Thema. Danach wird kaum mehr darüber gesprochen bzw. unternimmt Greta nicht wirklich etwas, um ihrem Problem entgegenzuwirken. Auch der Aufbau der Buchhandlung ging mir viel zu schnell. Nicht nur von Gretas Entscheidung her, sondern vorallem vom Organisatorischen. Als es dann tatsächlich Schwierigkeiten gibt, werden diese in kurzen Sätzen gelöst.
Die zwei Männer, die sich um Greta bemühen, sind zwar beide sehr sympathisch, aber die großen Gefühle fehlten mir hier komplett. Ich mag es nicht kitschig oder schnulzig, aber diesmal ich konnte ich kein Knistern spüren. Es fehlte einfach etwas....ich kann es nicht genau benennen, aber ich konnte keine Verliebtheit fühlen.

Das hört sich jetzt alles ziemlich negativ an, aber ich mag die Romane von janne Mommsen sehr und habe diesmal einfach die Empfindung, dass der Autor zu viele Themen auf zu wenige Seiten pressen wollte. Dabei bleiben die meisten Handlungsstränge zu sehr an der Oberfläche.

Schreibstil:
Locker, leicht...wie eine frische Meeresbrise...so könnte man den Schreibstil des Autors beschreiben. Man fliegt förmlich durch die Seiten und verspürt einfach den Wunsch genau dort zu sein, wo sich unsere Figuren in der Geschichte befinden. Diese sind wieder sehr lebendig gezeichnet und die Dialoge unterhaltsam. Einige Dialektwörter und das "Insulanerisch" das Greta und Claas sprechen, verstärken das Lokalkolorit. Die Kapitel sind kurz gehalten.

Fazit:
"Die kleine Inselbuchhandlung" hat mich leider ein bisschen enttäuscht zurück gelassen. Stimmung, Atmosphäre und Flair sind wieder wunderbar eingefangen, die Charaktere sehr lebendig. Jedoch waren mir zu viele Themen auf zu wenige Seiten, sodass sie nur angerissen und nicht richtig vertieft wurden. Das finde ich schade! Trotzdem freue ich mich schon auf den nächsten Inselroman von Janne Mommsen, der schon im Juli erscheinen wird.

Veröffentlicht am 03.04.2018

Zeit für Veränderungen

Tiefe Havel
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Im dritten Band rund um Hauptkommissar Toni Sanftleben steigen wir gleich direkt mit einem spannenden Prolog in die Geschichte ein. Als Leser ist man direkt dabei, als der Schiffskapitän Jürgen Seitz auf ...

Im dritten Band rund um Hauptkommissar Toni Sanftleben steigen wir gleich direkt mit einem spannenden Prolog in die Geschichte ein. Als Leser ist man direkt dabei, als der Schiffskapitän Jürgen Seitz auf seinem Schiff überfallen und getötet wird. Der Täter verschwindet so geheimnisvoll, wie er an Bord gegangen ist. Als der Potsdamer Hauptkommissar zum Tatort gerufen wird, stehen die Ermittler vorerst vor einem Rätsel. Wie kam der Mörder aufs Schiff? Warum wurde Jürgen Seitz, der Kapitän, der knapp vor seiner Rente steht, ermordert ?
Bald schon scheinen Geldprobleme als möglicher Grund auf, denn Seitz Enkeltochter ist schwer krank und benötigt eine kostspielige Therapie in den USA. War Seitz deswegen kurz vor seiner Pensionierung in krumme Geschäfte verwickelt?

Schon nach den ersten Zeilen war ich wieder mitten im Geschehen rund um Toni, Sofie, Gesa und Phong. Doch im dritten Band ist die Stimmung am Kommissariat anfangs nicht wirklich gut. Schmitz, Toni's unsympathischer Chef, wird immer ungemütlicher und arbeitet immer offensichtlicher gegen Toni. Auch Phong arbeitet eher lustlos am Fall, was ihm gar nicht ähnlich sieht. Toni kann das im Moment so gar nicht brauchen, denn auch im Privatleben spitzen sich die Probleme zu, die ihm schwer zu schaffen machen. Diese sind in diesem dritten Band der Reihe wieder deutlich mehr in den Vordergrund gerückt. Und auch seine Alkoholprobleme werden wieder aktuell...

In einem zweiten Handlungsstrang lernen wir Sandro kennen. Er kommt aus dem Jugendknast und hat auf einem Bauernhof eine Stellung bekommen. Seine Liebe gilt dem Problempferd Bonita. In der Stute sieht er eine Seelenverwandte. Durch seine liebevolle Pflege wird Bonita zu einem beliebten Dressurpferd, das immer mehr Gewinne einheimst. Das entgeht auch dem geizigen Hofbesitzer und Pferdezüchter nicht....
Wie die beiden Erzählstränge zusammenhängen? Das müsst ihr selbst lesen! Eines kann ich euch aber verraten...es wird spannend!
Denn....der Spannungsbogen bleibt während der 288 Seiten dauerhaft oben und steigert sich am Ende noch zu einem großrartigen Showdown.

Schreibstil:
Wie schon in seinen Vorgängern hat mich Tim Pieper mit seinen rasanten und bildhaften Schreibstil gepackt. Trotz der gut durchleutenden Hintergrundgeschichte, die sich Stück für Stück zu einem Ganzen zusammensetzt, erzählt Pieper klar und aussagekräftig.
Auch diesmal gibt es wieder zwei Erzählstränge, wobei der rund um Toni und dem Ermittlerteam im Vordergrund stehen. Dazwischen gibt es einige kurze Kapitel aus der Sicht des Täters. Die Kapitel sind allgemein wieder kurz gehalten.

Fazit:
Auch der dritte Band rund um Hauptkommissar Toni Sanftleben konnte mich wieder überzeugen und hat mir einige spannende Stunden an der Havel beschert. Ich freue mich schon auf den Folgeband...

Veröffentlicht am 30.03.2018

Familiendrama vor und nach dem Mauerfall

Kranichland
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Mit ihrem Debütroman ist Anja Baumheier ein Volltreffer gelungen. Die Familiengeschichte der Groens, die sich über fast 80 Jahre erstreckt, beginnt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Der erst 16-jährige ...

Mit ihrem Debütroman ist Anja Baumheier ein Volltreffer gelungen. Die Familiengeschichte der Groens, die sich über fast 80 Jahre erstreckt, beginnt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Der erst 16-jährige Johannes Groen hat seine gesamte Familie verloren und landet nach seiner Flucht aus Schlesien in Rostock. In einem Flüchtlingslager trifft er auf den Russen Kolja, der der FDJ (Freie deutsche Jugend) angehört und ihm einen Arbeitsplatz verschafft. Obwohl Kolja nicht viel älter als Johannes ist, wird er zu Johannes "Vaterersatz" und sein bester Freund. Die beiden jungen Männer sind beim Aufbau der neuen deutschen demokratischen Republik von Anfang an dabei. Johannes glaubt an das System, das alle Menschen gleichstellen soll. Als er Elisabeth kennenlernt, heiraten die Beiden und leben im Haus von Elisabeths Mutter in Rostock, wo auch Töchterchen Charlotte geboren wird. Doch Kolja verhilft Johannes zu einer höheren Stelle in Berlin und die Familie muss umziehen. Elisabeth bekommt als Krankenschwester einen Platz in der Charité. Sie ist alles andere als glücklich, da Johannes in Berlin noch weniger Zeit für sie hat und eine tolle Karriere beim Ministerium für Staatssicherheit hinlegt. Nach Charlotte kommt Marlene zur Welt, doch während Charlotte der Augenstern ihres Vaters ist und im Sozialismus aufgeht, ist Marlene aufrührerisch und bezweifelt immer stärker die Politik des Landes....

Gegenwart. Theresa erhält von einer Anwaltskanzlei die Benachrichtigung, dass sie in Rostock gemeinsam mit einem gewissen Tom Halász ein Haus geerbt hat. Das Mysterische daran ist, dass sie es von ihrer Schwester Marlene vererbt bekommt, die vor ihrer Geburt mit 17 Jahren bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen ist. Wie kann das möglich sein ? Die Nachfrage bei ihrer Mutter bringt Theresa nicht wirklich weiter, denn Elisabeth leidet an Demenz. Auch ihre Schwester Charlotte kann sich nicht erklären, was hinter diesem Testament stecken könnte. Theresa und ihre Tochter Anna machen sich auf die Suche nach dem ominösen zweiten Begünstigten, Tom Halász....

Die beiden Erzählstränge wechseln sich ab und das Familiengeheimnis der Groens wird nach und nach aufgedeckt. Die Atmosphäre hat die Autorin dabei großartig eingefangen. Einige Dinge waren dabei ein bisschen vorhersehbar, was jedoch nicht weiter schlimm war. Einen Roman, der sich über fast 80 Jahre deutscher Zeitgeschichte spannt, ist dies "verziehen", denn hier war auch sehr viele Recherchearbeit der Autorin nötig. Zwar selbst in der DDR aufgewachsen, war sie Teil dieses Regimes, jedoch noch ein Kind. In diesem Alter nimmt man Dinge noch ganz anders wahr...

Als Österreicherin war ich zwar von kommunistischen Nachbarländern umgeben, aber sehr viel wusste ich damals als Kind und Jugendliche auch nicht darüber. In diesem Alter hat man auch meistens andere Dinge im Kopf, um sich mehr mit diesem Thema auseinderzusetzen. Ich hatte damals eine sehr nette Brieffreundin aus der DDR, Sylka, die sich aber kurz vor dem Mauerfall nicht mehr bei mir gemeldet hat. Gerne würde ich erfahren, was aus ihr geworden ist....
Dieses wichtige und sehr emotionale Ereignis habe ich damals im TV gesehen und freute mich über die Wiedervereinigung. In diesem Roman von Anja Baumheier habe ich nun hinter die Fassade der damaligen DDR geblickt und so einiges mehr erfahren. Die Bespitzelungen, die mit der Zeit immer schlimmer wurden und den Menschen kaum mehr ein "normales" Leben ermöglichte, lassen jeden, der es nicht selbst miterlebt hat, ungläubig den Kopf schütteln. Besonders grausam fand ich den Abschnitt über einen Gefängnisaufenthalt. Isolation, Schlafentzug und psychische Spielchen waren dort Alltag. Der Freikauf von Häflingen durch die BRD zeigt auch ein unseriöses Bild des Westens.
Auf den über 400 Seiten erlebt man nicht nur den Zerfall des ehemaligen Ostdeutschland, sondern auch den einer ganzen Familie...

Schreibstil:
Anja Baumheier erzählt in einem berührenden und flüssigen Schreibstil. Man kann sich schwer ihrer Erzählweise entziehen. Die Charaktere sind detailliert gezeichnet und im Kopf entstehen Bilder der einzelnen Figuren. Sie haben alle Ecken und Kanten und entwickeln sich weiter.
Die politischen Zusammenhänge wurden sehr gut erklärt. Die einzelnen Kapitel werden mit einer Ortsangabe und der Jahreszahl gekenntzeichnet. Toll fand ich den Zusatz bei den Seitenzahlen unten von "Damals" und "Heute".

Fazit:
Ein wirklich starkes Debüt! Ein Roman, der deutsche Zeitgeschichte über fast achzig Jahre lebendig macht und aufzeigt, wie eine Familie daran zerbrechen kann...und wieder aufstehen. Eine spannende Zeitreise, toll recherchiert und absolut lesenswert!

Veröffentlicht am 28.03.2018

Die Stille ist manchmal die schönste Musik

Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie
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Der neue Roman von Rachel Joyce spielt Ende der Achziger Jahre als Vinylplatten noch das Um und Auf waren um Musik außerhalb des Radios hören zu können. Ich kann mich noch gut erinnern und habe mir damals ...

Der neue Roman von Rachel Joyce spielt Ende der Achziger Jahre als Vinylplatten noch das Um und Auf waren um Musik außerhalb des Radios hören zu können. Ich kann mich noch gut erinnern und habe mir damals mit meinem ersten selbst verdienten Geld einen großen Wunsch erfüllt: eine Stereoanlage. Diese besitze ich noch heute - selbstverständlich mit jeder Menge Schallplatten dazu. Außer dem Kassettendeck funktioniert noch alles ?

Die Liebe zu den schwarzen Platten sind der rote Faden in diesem Roman und Franks große Leidenschaft. In seinem Schallplattenladen, in dem es keine CDs gibt, die gerade dabei sind den Markt zu erobern, findet er für jeden Kunden die richtige Schallplatte. Er entdeckt tief in den Menschen die Töne und Melodien, die dieser gerade braucht, um glücklich zu sein. Doch eines Tages steht eine junge Frau in einem grünen Mantel vor seiner Auslage und fällt in Ohnmacht. Als er einen Blick in ihr Gesicht wirft, hört er weder Töne noch Melodien, sondern nur Stille....

"Die Musik spricht für sich allein. Vorausgesetzt, wir geben ihr eine Chance"? ? - Yehudi Menuhin (Geiger, Bratschist und Dirigent)

Franks Plattenladen befindet sich in einer entlegenen Einbahnstraße. Durch den Bau von großen Einkaufszentren in der Umgebung und dem allmählichen Aufkommen der CD werden die Kunden immer weniger. Das spüren auch die anderen Geschäfte in der Unity Street. Außer Franks Plattenladen haben sich noch ein Tattoo Studio, ein Beerdigungsinstitu, eine Bäckerei und ein christlicher Ramschladen gehalten. Die Zeiten sind schlecht und fast jeder der Geschäftsinhaber hat bereits einen Brief von einer Wohnbaufirma erhalten, die ihnen im Gegenzug für ihre Geschäftsräume neue Wohnräume anbieten. Doch Frank ist ein Idealist und er denkt gar nicht daran sein Leben in der Unity Street zu verändern. Er weigert sich auch hartnäckig CDs in seinen Laden aufzunehmen, selbst als ihm seine Händler mit Konsequenzen drohen.

Frank ist nicht nur ein fabelhafter Musikkenner. Er hört seinen Mitmenschen zu und versucht mit seinem besonderen Talent anderen zu helfen. Hat jemand Probleme kommt er zu Frank in den Schallplattenladen und verlässt diesen mit frohem Herzen wieder. Nur wenn es um Frank selbst geht, dann ist er völlig unbeholfen. Als er sich in die Fremde mit dem grünen Mantel verliebt, ist er vollkommen hilflos. Hat ihn doch schon seine Mutter eingetrichtert, dass die Liebe nur Schmerz bringt. So schlittert er von einem Missverständnis zum nächsten. Als das Geheimnis der Frau im grünen Mantel enthüllt wird, es ist für Frank und sie fast zu spät....

In einem weiteren Erzählstrang wird in die Vergangenheit von Frank zurückgeblendet. Man erfährt, wie unkoventionell er erzogen wurde. Seine Mutter brachte ihm die Musik näher, wie es sonst kaum jemand vermag. Auch wenn sie in der weiteren Erziehung versagte, war dies für Frank der Grundstein für seine Leidenschaft zur Musik und zu seinem ganz speziellen Einfühlungsvermögen.

Die Figuren in diesem Roman sind alle skurril und Außenseiter. Doch die Gemeinschaft in ihrer Straße wird groß geschrieben und gemeinsam stellen sie sich gegen den Verkauf ihrer Lebensexistenzen. Auch wenn Maud, Kit, Pater Anthony oder die Williams Brüder auf wenige Charakterzüge reduziert sind, sind sie liebevoll gezeichnet und man schließt sie im Laufe der Geschichte immer mehr ins Herz.

Der letzte Erzählstrang ist im Jahre 2009 angesiedelt. 21 Jahre später treffen wir wieder auf unsere Charaktere und die Geschichte findet ein etwas zu schnelles Ende....als ob man auf eine Taste drückt, die die Handlung schneller laufen lässt...

Der Roman ist sehr ruhig und hat in der Mitte ein paar kleine Längen. Die Liebesgeschichte konnte mich nicht wirklich überzeugen. Trotzdem besitzt der Roman einen gewissen Charme und man beginnt beim Lesen selbst über einige Dinge nachzudenken und sein Leben zu reflektieren. Außerdem hat man immer wieder den einen oder anderen Song im Ohr.
Am Ende sind alle erwähnten Lieder in einer Playlist zusammengefasst.

Schreibstil:
Rachel Joyce schreibt sehr gefühlvoll, poetisch, aber auch mit Humor. Die Geschichte liest sich flüssig und die Autorin versteht es perfekt Franks Talent zu beschreiben und selbst die Musik darzustellen. Das ist alles andere als einfach und wurde von Rachel Joye wirklich gekonnt veranschaulicht.Viele der Kapitel sind mit Songtitel beschrieben.

Fazit :
Eine märchenhafte Geschichte mit skurillen Charakteren rund um den Zauber der Musik. In der Mitte tritt die Handlung leider in bisschen auf der Stelle. Wer ruhige Geschichten mit kauzigen Figuren rund um das Thema Musik mag, dem kann ich das Buch ans Herz legen. Ein Roman, der zum Nachdenken anregt, ein Lächeln aufs Gesicht zaubert und mich wieder in alten Schallplatten kramen lässt.