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Veröffentlicht am 15.09.2016

Auf den Spuren der Vergangenheit

Das Haus der verlorenen Kinder
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Dieser Roman schlägt ein düsteres, den meisten wie mir bis dato sicherlich unbekanntes Kapitel deutscher Geschichte auf und führt uns nach Norwegen in die Zeit der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg. ...

Dieser Roman schlägt ein düsteres, den meisten wie mir bis dato sicherlich unbekanntes Kapitel deutscher Geschichte auf und führt uns nach Norwegen in die Zeit der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Dort gab es von der SS gegründete sog. Lebensbornvereine, die aus rassen- und bevölkerungspolitischen Gründen norwegische Frauen unterstützten, welche von deutschen Soldaten geschwängert wurden. Entweder wurden finanzielle Hilfen geleistet oder die Kinder in Heimen bzw. Adoptionsfamilien in Deutschland untergebracht. Die Norwegerinnen waren bei ihren Landsleuten als Deutschenmädchen gebrandmarkt, selbst noch geraume Zeit nach Kriegsende. Zwei von ihnen sind die Freundinnen Lisbeth und Oda, aus deren Liebesbeziehungen zu deutschen Soldaten ihre beiden Töchter hervorgehen. Während Odas Siri nach dem tragischen Tod ihrer Mutter, in den Lisbeth involviert ist, in ein Kinderheim verbracht wird, nimmt man Lisbeth ihre Lieselotte als Strafe für deren Bemühen um Siris Schutz weg und gibt sie in ein Kinderheim in Deutschland, wo nach späterer Umwidmung zum Altersheim Lisbeth im Alter wohnt, ohne jemals ihre Tochter wiedergesehen zu haben. In der Gegenwart im Jahr 2005 suchen die Enkel von Lisbeth und Oda nach ihren Wurzeln und treffen aufeinander.

Wie schon angedeutet, zeichnet sich der Roman durch fundierte historische Kenntnisvermittlung aus. Die Autorin hat sehr gut recherchiert. Auch wird ersichtlich, dass sie sich zu diesem Zweck nach Norwegen begeben hat. Über Land und Leute sind viele interessante Informationen zu erhalten. Die Darstellung der historischen Zusammenhänge erfolgt dabei keineswegs trocken, sondern eingebettet in eine fesselnde, unterhaltende und berührende Liebesgeschichte, die während und nach dem Zweiten Weltkrieg als verpönt galt. Dass die Geschichte abwechselnd in zwei Zeitsträngen spielt, die am Ende zusammengeführt werden, hält die Spannung gut aufrecht.

Ein Buch, das ich unbedingt empfehlen kann.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Es gibt immer ein Gestern

Als die Liebe endlich war
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Wer an dem Schicksal der Juden während des Nationalsozialismus interessiert ist, dem sei dieses Buch wärmstens ans Herz gelegt.
Der Halbjude Carl flüchtet im Alter von 12 Jahren im Frühjahr 1938 mit Mutter ...


Wer an dem Schicksal der Juden während des Nationalsozialismus interessiert ist, dem sei dieses Buch wärmstens ans Herz gelegt.
Der Halbjude Carl flüchtet im Alter von 12 Jahren im Frühjahr 1938 mit Mutter und Schwester aus seiner Heimat Regensburg nach Shanghai. Nach Kriegsende wandert er nach New York aus und heiratet die ebenfalls aus Deutschland stammende Emmi. Über 60 Jahre hindurch spielt ihre Vergangenheit für beide keine Rolle. Erst als eine Nachbarin Carl bittet, Unterlagen aus dem Nachlass ihres jüdischen Mannes zu übersetzen, stößt er auf eine Verbindung zwischen Emmi und dem KZ Dachau, die ihn vor die Frage stellt, wer Emmi eigentlich ist.

Formal ist dieser Roman in drei Abschnitte unterteilt. Der erste widmet sich Carls Flucht und Ankunft in Shanghai, der zweite schildert eine scheinbar ohne Zusammenhang hierzu stehende Geschichte über die junge Erna, die unmittelbar vor und während des Krieges bei ihrer Tante in München wohnt und arbeitet, der dritte handelt von den ersten Jahren Carls in Shanghai. Jedem Abschnitt ist dann ein im Jahr 2010 in einem New Yorker Vorort spielender Teil angehängt, in dem es um den nunmehr 84jährigen Carl und seine Ehefrau Emmi geht. Welche Verbindungen es zwischen dem mittleren Teil und dem Rest gibt, erschließt sich erst spät, was das Lesen umso spannender macht. Wenn auch das Schicksal von Carl und seiner Familie im Nationalsozialismus dem vieler anderer Juden ähnelt und schon Thema vieler anderer Romane war, so ist es dennoch sehr individuell und berührt sehr. Ich fand vor allem die Schilderung des Exil-Lebens in Shanghai sehr informativ, da mir nicht bewusst war, dass auch in China viele Juden Zuflucht gesucht haben. Neben all dem vermittelten historischen Wissen kommt auch die Unterhaltung nicht zu kurz. Vor allem der im Alter zum Grantler gewordene Carl verleitet so manches Mal zum Schmunzeln.

Dieses Buch kann ich uneingeschränkt empfehlen.

Veröffentlicht am 03.04.2024

Eine Dreiecksbeziehung besonderer Art

Mit den Jahren
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Dieser zwar nachdenklich geschriebene und ebenso stimmende Roman liest sich dennoch flüssig, vielleicht weil er ein Thema behandelt, das so manchen Leser auch betrifft – drei Personen sind in der Mitte ...

Dieser zwar nachdenklich geschriebene und ebenso stimmende Roman liest sich dennoch flüssig, vielleicht weil er ein Thema behandelt, das so manchen Leser auch betrifft – drei Personen sind in der Mitte ihres Lebens an einem Punkt angelangt, an dem sie sich fragen, ob sie an ihrer bisherigen Lebensform festhalten wollen oder sie alles ändern wollen. Es handelt sich um die Protagonisten Lukas, Eva und Jette. Erstere sind ein „altes Ehepaar“, er erfolgreicher Künstler aus gutem Hamburger Hause, sie in Ostdeutschland aufgewachsene Gymnasiallehrerin, letztere eine lesbische Möchte-gern-Schriftstellerin. Zwischen Jette und Lukas sowie zwischen Jette und Eva entstehen parallel Beziehungen, die dem jeweils anderen Ehepartner lange verborgen bleiben, bis es am Ende zu einer überraschend wirkenden Konstellation kommt. Alles in allem ein interessanter Beziehungsroman, in dem es für meine Begriffe allerdings zu viele Sexszenen gibt und die Beteiligten zu oft zu Alkohol greifen.

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Veröffentlicht am 02.03.2024

Einblicke in eine fundamentalistische Glaubensgemeinschaft

Der rechte Pfad
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Zugegebenermaßen ist mir der Einstieg in die Lektüre am Anfang etwas schwer gefallen. Das mag an dem stetigen und nicht immer deutlich gemachten Wechsel zwischen den Gegebenheiten in der Gegenwart und ...

Zugegebenermaßen ist mir der Einstieg in die Lektüre am Anfang etwas schwer gefallen. Das mag an dem stetigen und nicht immer deutlich gemachten Wechsel zwischen den Gegebenheiten in der Gegenwart und 25 Jahre zuvor gelegen haben, an der merkwürdigen, umgangssprachlich klingenden wörtlichen Rede (bei der Haushälterin sogar abgehackt) der Einheimischen des fiktiven nordrhein-westfälischen Dorfes Welsum und der häufig einen religiösen Bezug aufweisenden Kapitelüberschriften (die zugleich der am Buchende abgedruckten Playlist des Protagonisten Benjamin entsprechen). Nach und nach wurde mir die Geschichte aber zusehends zugänglicher und begann mich in ihren Bann zu ziehen, weil sie sich eines immer noch aktuellen Themas annimmt – Sekten in Deutschland, hier in Gestalt einer größeren Gruppe von Dorfbewohnern, die wohl als evangelikale Christen einzuordnen sind, also als Christen, die ihren Glauben stark betonen und ihren Alltag danach ausrichten. Als sehr bedrückend empfand ich es zu lesen, zum einen wie einzelne, besonders junge Mitglieder unter der Einstellung ihrer Gemeinschaft zu leiden haben, etwa weil sie homosexuell sind, was die Glaubensgemeinschaft verdammt, zum anderen, was für eine rechtsgerichtete Gesinnung sie haben. Da mir solche fundamentalistischen Ausrichtungen unbekannt sind, habe ich das Buch als gute Gelegenheit empfunden, mich einmal mit derartigen Denkweisen auseinanderzusetzen. Vermisst habe ich allerdings, Einzelheiten über das familiäre Umfeld des Protagonisten Benjamin zu erfahren. Insoweit war ich gezwungen, von dem stichwortartig Angedeuteten meine eigenen Vermutungen anzustellen. Ferner sollte man musikaffin sein und vielleicht die Songs der o.g. Playlist kennen, denn die Musik spielt für Benjamin und eine große Rolle.

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Veröffentlicht am 01.01.2024

Eine gelogene oder eine wahre Lebensgeschichte?

Das Philosophenschiff
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Von Michael Köhlmeier habe ich bislang nur seinen Roman „Frankie“ gelesen. Schon dieser hat mir gut gefallen; und jetzt erneut der vorliegende, obwohl er so ganz anders ist. Hier wird der Schriftsteller ...

Von Michael Köhlmeier habe ich bislang nur seinen Roman „Frankie“ gelesen. Schon dieser hat mir gut gefallen; und jetzt erneut der vorliegende, obwohl er so ganz anders ist. Hier wird der Schriftsteller Micha (der mit der Person des Autors identisch sein könnte) von einer 100jährigen Stararchitektin gebeten, deren bislang unbekannt gebliebene Lebensgeschichte in Romanform niederzuschreiben. Einige persönliche Treffen und die Recherchen des Auftragnehmers ergeben ein beachtliches Lebensportrait der Auftraggeberin: Sie wuchs als Kind intellektueller, mit den Revolutionären sympathisierender, jüdischer Eltern im bolschewistischen Russland auf, wo sie Terror und Hungersnöte miterlebte und schließlich mit ihrer Familie auf einem sog. Philosophenschiff auf Lenins Befehl nach Deutschland deportiert wurde. Auf dem Schiff befand sich Lenin persönlich, mit dem sie sich auf der Überfahrt anfreundete.
Der Roman vermittelt so viele historische Kenntnisse aus einer Zeit und einem Land, die nicht unbedingt jedem geläufig, aber äußerst interessant sind. Bei den vielen russischen Personen, die namentlich und ihrer Rolle im Bolschewismus nach – kurz – eingeführt werden, wären Erläuterungen in einem Fußnotentext zum besseren Verständnis hilfreich gewesen. Den Reiz des Romans macht die Mischung aus Fiktion und Wirklichkeit aus, die für den Leser mehr oder weniger leicht zu unterscheiden ist, z.B. hat es die Philosophenschiffe tatsächlich gegeben, während Lenin nicht durch einen Schubs von einem Schiff zu Tode gekommen ist. Dazu passt es gut und ist für mich das Tüpfelchen auf dem i, dass die Auftraggeberin sich gerade an Micha gewandt hat, weil er als ein Schriftsteller bekannt ist, dem man glaubt, wenn er lügt, und nicht glaubt, wenn er die Wahrheit sagt.
Anspruchsvolle, zu empfehlende Lektüre.

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