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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.09.2019

Der Exodus der Afro-Amerikaner

Ein anderer Takt
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Der Roman „Ein anderer Takt“ von William Melvin Kelley ist als deutsche Ausgabe 2019 im Hoffmann und Campe Verlag erschienen. Die Originalausgabe erschien bereits 1962 unter dem Titel „A Different Drummer“.
„Im ...

Der Roman „Ein anderer Takt“ von William Melvin Kelley ist als deutsche Ausgabe 2019 im Hoffmann und Campe Verlag erschienen. Die Originalausgabe erschien bereits 1962 unter dem Titel „A Different Drummer“.
„Im Juni 1957 verließen aus noch ungeklärten Gründen sämtliche Neger den Staat. Heute ist es der einzige Bundesstaat, unter dessen Einwohnern sich kein einziger Neger befindet.“
Der Farmer Caliban Tucker macht sein Land unfruchtbar und zerstört sein Haus. Ein Exodus der schwarzen Bevölkerung nimmt auf Caliban Tuckers Farm seinen Anfang. Die afro-amerikanischen BewohnerInnen des nicht genannten Bundesstaates im Süden der USA verlassen ihre Häuser und ziehen gegen Norden. Zurück bleibt eine verwirrte, weiße Bevölkerung, die nach Erklärungen für den Exodus sucht.
Es fällt mir schwer einen amerikanischen Klassiker zu bewerten. Dass man „A Different Drummer“, vor allem als afro-amerikanischer Mitbürger lesen muss, sollte allseits bekannt sein. Dass ein Buch, welches 1962 aktuell war, auch noch 2019 an Aktualität kaum zu überbieten ist, lässt mich traurig und nachdenklich zurück. Hervorheben möchte ich, dass „A Different Drummer“ anders als viele Bücher über Rassismus, von einem schwarzen Autor geschrieben wurde, der seine Erzählung aus der Sicht der weißen Bevölkerung schreibt, was das Buch zu etwas ganz Besonderem macht.

Veröffentlicht am 05.09.2019

Grandiose Sozialreportage über das Berliner Lumpenproletariat in der Zwischenkriegszeit

Menschen neben dem Leben
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Der Roman „Menschen neben dem Leben“ von Ulrich Alexander Boschwitz ist 2019 im Klett-Cotta Verlag erschienen. Es handelt sich dabei um den Debütroman des Autors, dessen Namen durch den Roman „Der Reisende“ ...

Der Roman „Menschen neben dem Leben“ von Ulrich Alexander Boschwitz ist 2019 im Klett-Cotta Verlag erschienen. Es handelt sich dabei um den Debütroman des Autors, dessen Namen durch den Roman „Der Reisende“ bekannt sein sollte.
Der Bettler Fundholz, sein durch ein Kindheitstrauma beeinträchtigter Freund Tönnchen und der Kleinkriminelle Grissmann sind die Hauptprotagonisten des Buches, welches Kriegsheimkehrer, Bettler, Prostituierte und Verrückte in den Mittelpunkt stellt. Hautnah erleben die LeserInnen die Gefühlswelt der ProtagonistInnen und deren täglichen Kampf ums Überleben. Abends wollen sie gemeinsam ihre Sorgen vergessen und ein paar freudige Stunden in einer Kneipe verbringen, bis an einem verhängnisvollen Abend im „Fröhlichen Waidmann“ die Frau des blinden Sonnenbergs mit Grissmann tanzt.
Ulrich Alexander Boschwitz hat mit „Menschen neben dem Leben“ ein authentisches Sittenbild über das Berliner Lumpenproletariat der Zwischenkriegsjahre geschaffen, ohne dabei mit erhobenem Zeigefinger zu zeigen oder die ProtagonistInnen ins Lächerliche zu ziehen und zu verurteilen. „Menschen neben dem Leben“ ist eine Hommage an das Heer der Arbeitslosen nach der Weltwirtschaftskrise, den zahllosen „Tipplern“ und „Bettlern“ die das Berliner Stadtbild in den 30er Jahren geprägt haben. Realitätsnah beschreibt er den Alltagskampf der ProtagonistInnen, zwischen der Suche nach der nächsten Mahlzeit und dem abendlichen Pfefferminzschnaps in der Lumpenkneipe und hat damit eine lesenswerte Sozialreportage geschaffen.

Veröffentlicht am 18.08.2019

Ein Reiseführer der Düsterheit

Vergessen & verdrängt
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Das Buch „Vergessen & verdrängt“ von Georg Lux und Helmuth Weichselbraun ist mit dem Untertitel „Dark Places im Alpen-Adria-Raum“ im Styria Verlag erschienen und kann wohl als Reiseführer für „Dark-Tourism“ ...

Das Buch „Vergessen & verdrängt“ von Georg Lux und Helmuth Weichselbraun ist mit dem Untertitel „Dark Places im Alpen-Adria-Raum“ im Styria Verlag erschienen und kann wohl als Reiseführer für „Dark-Tourism“ verstanden werden.
Lost Places machen einen ganz besonderen Reiz aus. Sie erscheinen fast so als würde man in die Vergangenheit eintauchen und Geheimnisse lüften. Georg Lux und Helmuth Weichselbraun zeigen genau solche Orte in Kärnten, Friaul-Julisch-Venetien (Italien), Slowenien und Kroatien auf und entführen uns LeserInnen auf eine düstere Reise in den Alpen-Adria-Raum. Schnell lernt man über Tatorte von noch immer ungeklärten Verbrechen, reist mit Diktatoren in alten Luxuszügen und besucht sogar ein Konzentrationslager, in dem Handy Spielen natürlich verboten ist.
„Vergessen & verdrängt“ ist kein Reiseführer für ausschließlich „Lost Places“, denn viele der beschriebenen Orte sind auch heute noch Museen oder Kulturorte, die man besuchen kann. Im Buch entdeckt man aber sehr viele Orte, abseits der typischen Touristenpfade und lernt so die Region besser kennen. Nach der Lektüre sind auch einige Orte auf meiner Besuchs-Wunschliste dazugekommen, so möchte ich auf meiner nächsten Italienreise gerne das von den Nazis geplante, aber nicht fertig umgesetzte Ossario in Pinzano al Tagliamento, ein Beinhaus, das den Überresten von 30.000 Soldaten, die im ersten Weltkrieg gefallen sind, Platz bieten sollte. Auch die Vajont-Stausee-Katastrophe hat mich betroffen gemacht, vor allem weil man im deutschsprachigen Raum kaum etwas über das „Tschernobyl der Wasserkraft“ von 1963 in Italien weiß.
Besonders hervorheben möchte ich auch die weitere Literatur, die im Quellenverzeichnis aufgelistet wurde. So haben sich tatsächlich ein paar Bücher auf meine Wunschliste geschummelt und einen triestinischen Blog habe ich seit dem Lesen des Buches auf meiner Favoritenliste gespeichert.
„Vergessen & verdrängt“ ist meiner Meinung nach eine absolute Leseempfehlung für geschichtsinteressierte Menschen, die gerne Orte fernab der typischen Pfade besuchen. Ein Reiseführer der Düsterheit.

Veröffentlicht am 09.08.2019

Phantastisches Kinderbuch, das auch ernste Themen aufgreift

Fitz Fups muss weg
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Das Kinderbuch für Kinder ab 9 Jahren „Fitz Fups muss weg“ von Lissa Evans ist im Mixtvision Verlag erschienen.
Phine fällt durch die Kellertreppe ins Land der Wimblis, kleine Gestalten, die in vielen ...

Das Kinderbuch für Kinder ab 9 Jahren „Fitz Fups muss weg“ von Lissa Evans ist im Mixtvision Verlag erschienen.
Phine fällt durch die Kellertreppe ins Land der Wimblis, kleine Gestalten, die in vielen Farben existieren und in Reimen sprechen. Das Wimbli-Land könnte so schön sein, wenn nicht ein böser Herrscher namens Fitz Fups sein Unwesen treiben würde. Damit Phine wieder nach Hause findet, muss sie das Rätsel der Prophezeiung lösen und das Wimbli-Land befreien. Zusammen mit ihrem Cousin Graham, einer sprechenden Platikkarotte (Dr. Karotte) und einem Plüschelefanten namens Ella macht sie sich auf die Suche nach einem Weg zurück.
Die Idee hinter dem Buch, Kindern auf kindgerechte Art und Weise beizubringen, jeden Menschen so zu akzeptieren, wie er ist, finde ich großartig. Lissa Evans hat es geschafft, Unterdrückung, Faschismus und Diktatur für Kinder zu erklären, ohne blutige Details zu verwenden. Das Buch besticht durch viel phantastischem Humor, aber auch ernsten Themen. „Fitz Fups muss weg“ ist ein humorvolles Plädoyer für Vielfalt und das Miteinander.

Veröffentlicht am 09.08.2019

Helikoptereltern und hochbegabte Kinder

Überflieger
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Der Roman „Überflieger“ von Karin Ernst ist im Droemer Verlag erschienen und kann wohl als Gesellschaftskritik über moderne Eltern aus der Mittelschicht verstanden werden.
Claire und ihr Mann Niko von ...

Der Roman „Überflieger“ von Karin Ernst ist im Droemer Verlag erschienen und kann wohl als Gesellschaftskritik über moderne Eltern aus der Mittelschicht verstanden werden.
Claire und ihr Mann Niko von Koppenstein wohnen mit ihren beiden Kindern, Cordelia und Raffi in einem Haus in München. Raffi konnte schon als Dreijähriger Lesen und Schreiben, weshalb die Eltern bei Schulantritt natürlich Großartiges von ihm erwarten und ihn deshalb auch so früh als möglich einschulen lassen. Doch mit der Schule kommen so einige Probleme auf die von Koppensteins zu.
„Überflieger“ erzählt auf humorvolle und vor allem herrlich sarkastische Weise, das passieren kann, wenn ein Kind doch nicht „hochbegabt“ ist. Und eignet sich meiner Meinung nach gut als Lektüre für Eltern, deren Kinder bald in die Schule kommen. Einzig und allein das offene Ende hat mir nicht so gut gefallen, irgendwie hätte ich mir ein Ende gut, alles gut Ende erwartet mit der Einsicht der von Koppensteins, dass es sich als „normale“ Familie doch besser lebt.