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Veröffentlicht am 25.11.2023

Im Namen der Kunst

Lichtspiel
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Zur Zeit der großen Stummfilme hat er sich einen Namen gemacht, der österreichische Filmregisseur G. W. Pabst. Während der Machtergreifung der Nazis hatten er und seine Familie das Glück, gerade in Frankreich ...

Zur Zeit der großen Stummfilme hat er sich einen Namen gemacht, der österreichische Filmregisseur G. W. Pabst. Während der Machtergreifung der Nazis hatten er und seine Familie das Glück, gerade in Frankreich zu drehen. Sie schafften es von dort nach Los Angeles. Doch die Stadt der Engel und der Filmschaffenden in Amerika verlangten etwas, dem sich Pabst nicht fügen konnte. Auf einen Hilferuf der Mutter reist die Familie zurück nach Österreich, zwar mit dem Plan wieder auszureisen, aber mit dem Pech wegen eines Unfalls nicht sofort wegzukönnen und dann vom Krieg überrascht zu werden. Als dann das Propaganda-Ministerium seine Klauen nach Pabst ausstreckt, sieht Pabst keinen anderen Weg als sich mit dem System zu arrangieren.

Wenn vor dem Krieg einer der rote Pabst genannt wurde, erstaunt so ein Sinneswandel schon. Doch wie geraten der Regisseur und seine Familie in die Fänge der Nazis? Gerade er, der die Garbo zum Ruhm gebracht hat, der mit vielen bekannten Schauspielern gedreht hat. Die Familie hatte es doch nach Amerika geschafft. Doch Pabst tut sich schwer. Das ewige Lächeln in Amerika, hinter dem doch eine knallharte Geschäftstüchtigkeit steckt. Den Einfluss, den er zu haben glaubt, müsste er sich erst erarbeiten. Der einzige Film, den er machen darf, ist ein Flop. Pabst sieht keine Chance im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Insgeheim hofft er, in Europa an alte Erfolge anknüpfen zu können.

Die Beschreibung des Lebensweges des Regisseurs G. W. Pabst, der zeitweilig in einem Atemzug mit Lubitsch, Lang und ähnlichen Größen genannt wurde, wird hier von Daniel Kehlmann herausragend zu einem Roman komponiert. Sein Scheitern in Amerika, der Wunsch der Mutter zu helfen, führen geradewegs in die Arme der Nazis. Kann man aus heutiger Sicht nachvollziehen, wie sich ein Roter mit den Nazis arrangieren kann? Man spürt die Beklemmung, das Kafkaeske, und traut doch seinen Augen kaum. Ein Mensch hängt jedoch am Leben, nach der Rückkehr in eine andere Heimat, bestand wohl kaum eine Chance, wieder zu entkommen. Also blieb wohl nur, sich zu beugen und dennoch eigene Filme zu drehen. Wie weit geht er dabei? Man kann diesen Roman nicht einfach so durchlesen, man muss das eine oder andere Mal absetzen. Und doch kann man nicht von dem Buch lassen und liest weiter mit Schrecken über dieses üble System, dass das Unterste zu Oberst kehrte. So wie schon erwähnt kafkaesk agierende Menschen sollten wirklich nie wieder an die Macht kommen. Es schüttelt einen und aufgerüttelt legt man diesen besonderen Roman beiseite, mit der Empfehlung, ihn unbedingt zu lesen.

Veröffentlicht am 14.07.2023

Devotion - Hingabe

Die Sammlerin der verlorenen Wörter
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Noch bevor sie lesen kann darf Esme mit ins Scriptorium. Ihre Mutter ist schon verstorben und wird von ihrem Vater immer noch vermisst. Doch er unternimmt alles, damit es seiner kleinen Esme an nichts ...

Noch bevor sie lesen kann darf Esme mit ins Scriptorium. Ihre Mutter ist schon verstorben und wird von ihrem Vater immer noch vermisst. Doch er unternimmt alles, damit es seiner kleinen Esme an nichts fehlt. Oft sitzt sie unter dem Schreibtisch und beobachtet die Schuhe ihres Vaters und seiner Kollegen. Diese arbeiten daran, das neue Oxford Englisch Dictionary zusammenzustellen. Eine schier unendliche Aufgabe, denn die Worte werden mit ihren unterschiedlichen Bedeutungen erklärt, ihre Herkunft erläutert und es werden Zitate als Beleg ihrer Existenz gegeben. So findet Esme schon früh zu den Wörtern, aber sie merkt auch, dass manche Wörter einfach verloren gehen.

Ein Denkmal für ein Wörterbuch, welch ein schönes Thema, wenn man selbst den Wörtern und Worten verbunden ist. Einen großen Teil ihrer Kindheit verbringt Esme am Arbeitsplatz ihres Vaters, sie kennt die Männer, die über die Wörter bestimmen, die ins Dictionary dürfen. Es kann aber auch sein, dass ein Wort, welches auf seinem Belegzettel zu Boden fällt, in ihrer geheimen Truhe landet. Dort bewahrt Esme im Laufe ihres Lebens die verlorenen Wörter auf, aber auch Wörter, die sie selbst sucht, und Frauenwörter, die es wohl nie ins Wörterbuch schaffen werden. Esme hat ein behütetes Leben, aber um den Wechsel des 19. auf das 20. Jahrhundert bemerkt auch sie, wie sich die Welt ändert.

Man möchte aufhören, wenn es am Schönsten ist. Immer langsamer wendet man die Seiten, weil man möchte, dass die Zeit für Esme stehen bleibt. Ihr Leben mit den Wörtern berührt und ihr Leben mit den Menschen macht manchmal traurig, ist manchmal lehrreich und machmal süß. Esme hätte viel mehr von der Süße des Lebens verdient. Doch ihre verlorenen Wörter werden überdauern, wenn vielleicht auch nicht in der Realität, so doch im Herzen der Leser. Vielleicht hat ja auch das eine oder andere Wort inzwischen auch ins ehemals so von Männern geprägte Oxford Englisch Dictionary geschafft. Die web.site des OED kann gerne empfohlen werden, ein Lesezeichen ist schnell gesetzt. Ein wunderbares Buch über eine beeindruckende Frau, eine ereignisreiche Zeit und eine Hommage an die Wörter. Einfach klasse.

Veröffentlicht am 23.04.2023

Baustellenmord

Die Macht der Wölfe
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Leiter der Mordkommission Düsseldorf Vincent Veih ermittelt in einem Mordfall, bei dem Leichenteile auf einer Baustelle in der Mitte der Stadt gefunden wurden. Der Baumagnat und Milliardär Osterkamp will ...

Leiter der Mordkommission Düsseldorf Vincent Veih ermittelt in einem Mordfall, bei dem Leichenteile auf einer Baustelle in der Mitte der Stadt gefunden wurden. Der Baumagnat und Milliardär Osterkamp will hier die neue Oper errichten. Vincents Freundin Melia Adan soll auf Bitte ihres Vaters der Bundeskanzlerin in einer Angelegenheit helfen, die sorgsam zu handeln ist. Ansonsten könnte die Position der Kanzlerin gefährdet sein und das in Zeiten, wo Fakten nichts mehr gelten und Propagandisten immer mehr Einfluss gewinnen. Seltsamerweise gibt es eine Verbindung von dem Toten zu einem bekannten Talkshow-Host. Der tote hatte eine längere Haftstrafe und der Medienmann leistete eine Zeugenaussage.

In ihrem vierten Auftritt müssen Melia Adan und Vincent Veih ihre Beziehung geheim halten. Es geht des Gerücht, Melia könnte die neue Leiterin der Kriminalinspektion werden, dann wäre sie allerdings Vincents Vorgesetzte und das wird in der Behörde nicht gerne gesehen. Doch noch können sie ihre Kräfte bündeln. Die Ermittlungen in dem Mordfall erweisen sich als schwierig, die Spuren scheinen überall und nirgends hinzuführen. Auch in der Sache, die die Bundeskanzlerin betrifft, gibt es unerwartete Probleme. Da erscheint es beinahe nebensächlich, was der Selfmade-TV-Mann Christoph Urban plant und obwohl sich Melia Gedanken über die Ambitionen ihres Vaters macht, musst das erstmal zurückstehen.

Ach, wie gerne hätte man die alten langweiligen Zeiten zurück, wo das Wort noch galt und man sich auf Fakten einigermaßen verlassen konnte, wo man nicht mit Staunen sehen musste, wie im durchaus negativen Sinne erstaunliche Menschen erstaunliche Positionen erreichten. Es ist, als schaufele die Gesellschaft sich ihr eigenes Grab. Und wie soll die Entwicklung gestoppt werden? Leider kann der Roman da keine Antwort gegen, denn viele Wahrheiten erweisen sich als trügerisch. Immerhin kommen Vincent und Melia Zusammenhängen auf die Spur. Wobei der Leser eher einen Blick aufs große Ganze hat und dieser Blick lässt einen schaudern, wirkt er doch allzu sehr im Bereich des Möglichen. Dieser Polit-Thriller ist geradezu atemberaubend und man kann nicht anders als ihn zu inhalieren. Dass die Sicht auf das Geschehen eher pessimistisch aussieht, gibt dem Roman einen großen Realitätsbezug.

Veröffentlicht am 08.09.2021

Die Totenfrau

Mitgift
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Gerda Derking hat im Dorf lange Jahre als Totenfrau gearbeitet. Nun im August 1962 meint sie, es sei an der Zeit, die Tätigkeit den Bestattern zu überlassen. Doch als Bauer Leeb von nebenan sie bittet, ...

Gerda Derking hat im Dorf lange Jahre als Totenfrau gearbeitet. Nun im August 1962 meint sie, es sei an der Zeit, die Tätigkeit den Bestattern zu überlassen. Doch als Bauer Leeb von nebenan sie bittet, ein letztes Mal ihres Amtes zu walten, sagt sie nicht nein. Sie ahnt voller Trauer, wer verstorben sein könnte. Zunächst jedoch heißt es warten. Gleichzeitig wird über mehrere Generationen die Familiengeschichte der Familie Leeb erzählt. Ein besonderer Akzent auf den beiden Weltkriegsgenerationen und der Generation der Kinder liegt. Wie in vielen Familien gibt es auch in dieser Streit und Zwietracht und ihre Mitglieder sind doch den familiären Zwängen gefolgt.

Nicht immer in chronologischer Reihenfolge erzählt, aber doch beginnend mit dem Bau der jetzt noch genutzten Hofgebäude, bietet dieser Roman einen mitreißenden Abriss über das Familiengefüge der Leebs. Welcher Druck lastete auf dem Hoferben, nicht alle strebten danach, ihr Dasein als Bauern zu fristen. Allerdings ging die Familienräson regelmäßig vor und Träume mussten begraben werden. Dass Wilhelm Leeb als Nazi in den Krieg zog und als Nazi wiederkehrte, hat das Leben auf dem Hof nicht einfacher gemacht. Seine drei Kinder leiden unter ihm und jedes reagiert anders auf seinen Despotismus. Käthe, die Frau, erweckt den Eindruck, als habe sie sich schon lange aufgegeben.

Wenn man als Leser oder Leserin die Wirren des vermaledeiten zweiten Weltkrieges eher aus Geschichtsbüchern kennt, weil in den Familien wenig darüber geredet wurde, ist dieser Roman wie eine kleine Offenbarung. Gerade als hätte der Autor zusammenrecherchiert, was Eltern, Großeltern oder gar Urgroßeltern nicht erzählen wollten. Natürlich ist es eine spezielle Familiengeschichte, die erzählt wird, aber sicher kann sie für viele stehen. Die Brüche der Familie, die Zwänge, denen man sich gebeugt hat, es wird auf irgendeine Art dazu geführt haben, dass Wilhelm Leeb der wurde. Auch er musste sich beugen, doch er hat keine Demut entwickelt. Er hat Schuld auf sich geladen und seine Wut an den Schwachen ausgelassen. Wieso waren sie so, wieso hat sich keiner gewehrt. Solche Fragen sind sicher in etlichen Familien aufgetaucht. Beantworten kann sie ein Roman nicht, aber er gibt ein authentisches Bild, wie es in den Familien bis in die frühen Nachkriegsjahre gelaufen sein könnte. Ein packender Roman, dessen Lektüre nur empfohlen werden kann.

Veröffentlicht am 06.09.2021

Stellenbosch

Todsünde
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Man glaubt es kaum Bennie Griessel und sein Partner Vaughn Cupido sind nach einem Disziplinarverfahren degradiert worden und zur Strafe werden sie von der Valke zur Polizei nach Stellenbosch versetzt, ...

Man glaubt es kaum Bennie Griessel und sein Partner Vaughn Cupido sind nach einem Disziplinarverfahren degradiert worden und zur Strafe werden sie von der Valke zur Polizei nach Stellenbosch versetzt, ein liebliches Städtchen in der Nähe von Kapstadt. Sie hatten Schlimmeres befürchtet. Kaum sind sie an ihrer neuen Wirkungsstätte, wo den Kollegen klar ist, dass die Neuen nicht ganz freiwillig da sind, kommt schon ein neuer Fall herein. Ein junger Student ist verschwunden, dessen Mutter sehr besorgt ist. Der Vorgesetzte der Beiden will den Fall erst nicht aufnehmen, Studenten sind schließlich mal unterwegs, doch schließlich entscheidet er, die Neuen müssen ja mit irgendwas beschäftigt werden.

Zum achten Mal ermittelt Bennie Griessel. Es lief alles so gut, seine Position, seine Beziehung zu Alexa, sogar seinem Sohn hat er sich wieder angenähert und trocken ist er auch schon eine Weile. Und nun das, degradiert und strafversetzt. Und Cupido hat er auch mit reingezogen. Doch nun ist alles halb so wild. Natürlich wollen sie in diesem Vermisstenfall ordentlich ermitteln. Kurz darauf verschwindet ein ehemals angesehener Geschäftsmann, von dem sich herausgestellt hat, dass er wahrscheinlich nichts weiter als ein Betrüger ist. Doch seine Frau ist sicher, er wäre nie unpünktlich gewesen und sie waren verabredet.

Der Name des Autors ist fast schon eine Garantie für eine packende Lektüre. Ein besonders gutes Beispiel dafür ist seine Reihe um Bennie Griessel, der mit sich und seiner Alkoholsucht kämpft, dem auch mal eine gute Phase vergönnt ist und der immer der herausragende Polizist bleibt, weil er es eben so will. Fast schon genial, wie hier zwei Handlungsstränge eine ganze Weile nebeneinanderher mäandern, nur um in einem bestimmten Moment aufs Packendste zusammenzuprallen. Fein gesponnen ist jeder Teil der Handlung, sowohl was das Private angeht als auch was das Berufliche betrifft. Die Besorgnis der Mutter und auch die Schwierigkeiten bei der Tätigkeit als Immobilienmaklerin sind so treffend beschrieben, dass man in jedem Moment förmlich in diesen beiden sehr unterschiedlichen Frauen zu sitzen vermeint. Natürlich kann man hier die Lebensumstände in Südafrika nicht so kennen wie die hiesigen, aber der Autor versteht es einfach, seinen Lesern ein lebendiges Bild von seinem Land zu zeichnen. Diese Reihe könnte, wenn es nach der Leserin geht, noch ewig weitergehen.