Unglaublich gut
Zwischen den Welten
Von iranischer Erzählliteratur kann ich nicht genug bekommen, aber den Sachbüchern wollte ich eigentlich keinen neuen Titel hinzufügen. Doch dann legte mir ein lieber Mensch, dem ich auch meinen Bookbeat-Account ...
Von iranischer Erzählliteratur kann ich nicht genug bekommen, aber den Sachbüchern wollte ich eigentlich keinen neuen Titel hinzufügen. Doch dann legte mir ein lieber Mensch, dem ich auch meinen Bookbeat-Account verdanke, das Hörbuch „Zwischen den Welten“ von Natalie Amiri ans Herz. Reinhören könnte ich ja mal, dachte ich während des Hundespaziergangs...und lief und lief und lief...
„Jede Geschichte, die ich erzählen wollte, war begleitet von Herzklopfen und dem Gefühl, dieses Mal holen sie dich, dieses Mal kommst du nicht davon. Dabei hoffte ich inständig, dass sich das Risiko lohnt, dass diejenigen, die mir im Westen zuhörten, den Iran nach meinen Berichten differenzierter sehen würden: Hört hin, schaut hin! [...] Hier gibt es Menschen, die darauf hoffen, dass ihr sie unterstützt. Dass ihr sie erkennt. Dass ihr ihren Durst nach Freiheit seht und begreift. Ihren Wunsch, ein anerkannter Teil dieser Welt zu sein.“
Von 2015 bis 2020 hat Natalie Amiri als leitende ARD-Korrespondentin aus Teheran berichtet. Bis es tatsächlich zu gefährlich wurde. Ihre Erfahrungen hat sie nun in einem fesselnden und sehr persönlichen Buch veröffentlicht. Geschrieben in einer Mischung aus professioneller Distanz und Herzblut, die samt fundierter Recherche und präziser Einordnung zu gutem Journalismus beiträgt. Dass sie außerdem eine stilsichere, brillante Erzählerin und trainierte Sprecherin ist, macht das Ganze zu einem großen Hörvergnügen.
Kapitel für Kapitel setzt die Journalistin das vielschichtige, funkelnde, herzzerreißende, absurde Mosaik des gegenwärtigen Iran zusammen. Differenziert, spannend, aus erster Hand. Solidarisch mit der Zivilgesellschaft, schonungslos gegenüber dem Mullah-Regime.
Natalie Amiri erzählt vom Alltag in einer nahezu schizophrenen Parallelgesellschaft, in die eine religiöse und brutale Tyrannei die Iraner zwingt und als Volk spaltet. Hinter deren verschlossenen Türen nicht nur freies Gedankengut blüht, sondern auch maßlos Alkohol und Drogen konsumiert werden und psychische Krankheiten wuchern wie sonst kaum irgendwo.
Unerträglich wird das ganze aber nie. Anekdoten wie die vom anrührenden Wiederfinden eines uralten Familienteppichs und persönliche Erlebnisse wechseln mit Reportagen über mutige Frauen, die Kraft der sozialen Medien, die Beziehungen zu Israel oder auch die abgelauschten Kniffe eines iranischen Geschäftsmannes.
Vor allem aber berichtet sie von der Sehnsucht nach Freiheit, nach ein bisschen Normalität in diesem zerrissenen und erschöpften Land.
Um ihre Geschichten und die Botschaften zwischen den Zeilen zu transportieren, riskieren Natalie Amiri und ihr Team nicht nur ihre Pressekarten, sondern auch ihre eigene Unversehrtheit.
Eher amüsant ist da noch die Szene, in der die Autorin während einer Reportage in einem Sumpf zu versinken droht, weil der iranische Producer ihr als Frau nicht die Hand reicht, um sie herauszuziehen. Das an beiden Enden gepackte Mikrofon ist schließlich die Rettung.
Das Buch steht inzwischen auch gedruckt in meinem Regal, zum Nachlesen und Verleihen, denn ich habe selten etwas Stimmigeres gehört.
Wer es gelesen hat, wird den Iran und seine Menschen in Farbe sehen können und keinen (Exil)-Iraner mehr in die vertrackte Lage bringen, die Verhältnisse in seiner Heimat relativieren, gar beschönigen oder zur Verteidigung auf 3000 Jahre Kulturgeschichte verweisen zu müssen.
Ihre Intention, den Menschen im Iran eine Stimme zu geben, hat Natalie Amiri meiner Meinung nach bestens umgesetzt.