Cover-Bild Ein Lied für die Vermissten
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22,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Berlin Verlag
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 464
  • Ersterscheinung: 02.03.2020
  • ISBN: 9783827013651
Pierre Jarawan

Ein Lied für die Vermissten

Roman

»Schon ein Sandkorn genügt, um eine große Geschichte daraus zu machen.«

Als 2011 der Arabische Frühling voll entfacht ist, löst der Fund zweier Leichen auch in Beirut erste Unruhen aus. Während schon Häuser brennen, schreibt Amin seine Erinnerungen nieder: an das Jahr 1994, als er als Jugendlicher mit seiner Großmutter in den Libanon zurückkehrte – zwölf Jahre nach dem Tod seiner Eltern. An seine Freundschaft mit dem gleichaltrigen Jafar, mit dem er diese verschwiegene Nachkriegswelt durchstreifte. Und daran, wie er schmerzhaft lernen musste, dass es in diesem Land nie Gewissheit geben wird – weder über die Vergangenheit seines Freundes, noch über die Geschichte seiner Familie.
Nach dem internationalen Bestseller Am Ende bleiben die Zedern führt auch Pierre Jarawans neuer Roman in eine Welt voller unvergesslicher Figuren, sinnlicher Eindrücke und Emotionen, einfühlsam, spannend und virtuos verknüpft mit der bewegten Geschichte des Nahen Ostens.

»Pierre Jarawan schreibt temporeich und klar und mit einer erzählerischen Souveränität, die den Leser vorantreibt.« The Guardian

»Pierre Jarawan ist ein Hakawati, ein Geschichtenerzähler. Seine expressive Bildsprache, schwelgerisch durchzogen von Melancholie, lässt fremde Welten spürbar werden.« Lalena Hoffschildt/Hugendubel am Stachus, München

»Mit beeindruckender Leichtigkeit entwirft Pierre Jarawan eine Geschichte, die so lebendig aus den Seiten strahlt, dass ich mich beim Lesen tief eingehüllt gefühlt habe in diese besondere Atmosphäre aus Stimmen, Duft und Licht. Eine Welt, aus der man gar nicht mehr auftauchen möchte – eine Welt voller Figuren, denen man bis zum letzten Absatz folgen will. Scheinbar mühelos verbindet er dabei persönliches Erleben seiner Charaktere mit weltgeschichtlich Großem, verwebt wundersam Märchenhaftes mit politisch Hochbrisantem. 'Ein Lied für die Vermissten' ist soghaft spannend und atmosphärisch berauschend – und all das in einer Sprache, die wundervoll klar ist und genau meint, was sie sagt. Was für ein begnadeter Erzähler!« Maria-Christina Piwowarski/Buchhandlung ocelot, Berlin

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.05.2020

Gegen das Vergessen

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Klappentext:
»Schon ein Sandkorn genügt, um eine große Geschichte daraus zu machen.«

Als 2011 der Arabische Frühling voll entfacht ist, löst der Fund zweier Leichen auch in Beirut erste Unruhen aus. ...


Klappentext:
»Schon ein Sandkorn genügt, um eine große Geschichte daraus zu machen.«

Als 2011 der Arabische Frühling voll entfacht ist, löst der Fund zweier Leichen auch in Beirut erste Unruhen aus. Während schon Häuser brennen, schreibt Amin seine Erinnerungen nieder: an das Jahr 1994, als er als Jugendlicher mit seiner Großmutter in den Libanon zurückkehrte – zwölf Jahre nach dem Tod seiner Eltern. An seine Freundschaft mit dem gleichaltrigen Jafar, mit dem er diese verschwiegene Nachkriegswelt durchstreifte. Und daran, wie er schmerzhaft lernen musste, dass es in diesem Land nie Gewissheit geben wird – weder über die Vergangenheit seines Freundes, noch über die Geschichte seiner Familie.
Nach dem internationalen Bestseller Am Ende bleiben die Zedern führt auch Pierre Jarawans neuer Roman in eine Welt voller unvergesslicher Figuren, sinnlicher Eindrücke und Emotionen, einfühlsam, spannend und virtuos verknüpft mit der bewegten Geschichte des Nahen Ostens.

Fazit:

Eine Rezension zu diesem Buch zu schreiben ist eine echte Herausforderung, da es mir schwer fällt, die Gedanken und Emotionen in Worte zu fassen.

Mit dem inzwischen erwachsenen Amin ging ich auf die Reise in seine Vergangenheit, um die Geheimnisse seines Heimatlandes und seiner Familie zu entschlüsseln. Auf dieser Reise lernte ich einige prägende Charaktere kennen und rätselte häufig, was sie vor Amin verschweigen.

Da ist zuerst die Großmutter von Amin, die mit Amin nach Deutschland auswanderte, als seine Eltern nach einem tragischen Unfall ums Leben kamen und die über die Vergangenheit schweigt. Nach zwölf Jahren kehrt seine Großmutter mit Amin in den Libanon zurück und sie blüht in ihrer Heimat regelrecht auf, als sie sich ihren Traum erfüllen kann. Doch da gibt es den Schatten der Vergangenheit, über den sie weiterhin schweigt.

Für Amin beginnt eine aufregende Zeit in dieser für ihn fremden Kultur, mit dieser belastenden Vergangenheit. Gut, dass er schnell einen Freund findet, der ihm hilft zu verstehen. Doch kann diese Freundschaft bestehen?
Auch die Erwachsenen, denen Amin begegnet, geben ihm Rätsel auf und er scheitert oft an deren Verschwiegenheit.

Obwohl der Krieg im Libanon endlich vorbei ist, hat er noch immer einen starken Einfluss auf die Menschen. Ich durfte tief in ihre Gedanken und Gefühle abtauchen und lernte auch ihre immer noch vorhandenen Ängste kennen. Wortgewaltig und in bildhafter Sprache gelang es dem Autor, mich schon sehr schnell in dieses unbekannte Land mitzunehmen und mir die Kultur und die Bewohner näher zu bringen. Der Autor ist ein echter Geschichtenerzähler, der seine Leser oder Zuhörer in seinen Bann zieht. Ich war schnell in der Geschichte gefangen und wollte die Rätsel lösen, die sich lange Zeit verbargen. Anfangs bekam ich nur vage Andeutungen, die mich auf die Vergangenheit von verschiedenen Charakteren neugierig machten und gleichzeitig eine unglaubliche Spannung aufbauten. Stück für Stück konnte ich das Puzzle zusammensetzen und vor meinen Augen entstand langsam ein komplettes Bild.

Dieses Buch erzählt vom Leben in den unterschiedlichen Kulturen, dem Schweigen, den Folgen des Bürgerkriegs, dem Verlust der Familie, einer Freundschaft und deckt so manches gut gehütete Geheimnis auf. Trotz der vielen Zeitsprünge, die mir anfangs noch Schwierigkeiten bereiteten, konnte ich tief in diese Geschichte abtauchen.

Die Geschichte fordert die ganze Aufmerksamkeit und Konzentration des Lesers, damit er die vielen Fäden am Ende sinnvoll verknüpfen kann. Mich hat „das Lied für die Vermissten“ tief berührt und nachdenklich zurückgelassen. In diesem Roman wird auf das Schicksal der vielen Vermissten im Libanon, als Kriegsfolge, aufmerksam gemacht und so sorgt er dafür, dass diese Menschen nicht vergessen werden. Die Aufklärung über diese Schicksale erfolgte leider bisher nicht.

Von mir eine absolute Leseempfehlung für dieses eindringliche Buch, für alle Leser die anspruchsvollere Kost lieben.

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Veröffentlicht am 29.04.2020

Der Libanon - ein zerrissenes Land

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Von diesem Buch chronologisch zu berichten, ist eine kleine Herausforderung. Denn der Ich-Erzähler Amin erzählt ausgehend vom Jahr 2011 von seinem Leben, dem seiner Großeltern, seines besten Freundes Jafar, ...

Von diesem Buch chronologisch zu berichten, ist eine kleine Herausforderung. Denn der Ich-Erzähler Amin erzählt ausgehend vom Jahr 2011 von seinem Leben, dem seiner Großeltern, seines besten Freundes Jafar, dem Libanon und vielem mehr. Dabei wechselt er Zeit und Raum derart schnell und häufig, dass ich zumindest zu Beginn etwas Schwierigkeiten hatte, ihm zu folgen.
Amins Großmutter Yara verließ mit ihm nach dem Tod seiner Eltern den Libanon, wohin sie knapp 13 Jahre später zurückkehren. Sie eröffnet ein Café in Beirut, wo sie auch mit Amin wohnt. Obwohl er weiß, dass sie ihn liebt, spürt er, dass sie ebenso wie die vielen Gäste bei ihnen zuhause etwas vor ihm verbergen. Und auch Jafar, sein bester Freund, scheint ihm gegenüber nicht ganz offen zu sein. Amin fühlt sich häufig als Außenstehender.
So chronologisch dies klingen mag, so wenig folgt die Geschichte tatsächlich einem Zeitablauf. Erlebnissen mit Jafar folgen Beschreibungen der Zeit in Deutschland; nach Zwischenfällen in Yaras Café 1994 kommt eine Episode aus dem Jahr 2004; Briefe seiner Mutter aus dem Jahr 1976 wechseln ab mit der Sichtung der Unterlagen der vor kurzem gestorbenen Yara 2006. Es mag kompliziert klingen und fordert zu Beginn sicherlich auch mehr Konzentration als manch andere Lektüre. Doch da die Zahl der Personen überschaubar bleibt und sie schnell unverwechselbar werden, stellen diese Sprünge in Zeit und Raum bald keine Schwierigkeit mehr dar.
Aufgeteilt sind die fast 450 Seiten in drei Teile bzw. Strophen. Auf mich machte es den Eindruck, als dominierte im ersten Teil die Absicht, die Atmosphäre im Libanon wie auch in Deutschland darzustellen. Die große Liebe Yaras zu ihrem Heimatland, die sie im Exil praktisch depressiv werden ließ. Ihr Wiederaufleben nach ihrer Rückkehr, das Lebensgefühl im Libanon, diesem zerrütteten, aber voller Lebensfreude und Hoffnung steckenden Land.
Bei Teil zwei stehen mehr die Personen im Vordergrund, wie sie zu den Menschen geworden sind, die der 13, 14jährige Amin kennt. Und in Teil drei wird klar, wieso, weshalb und was warum geschah - nur wenig bleibt offen, was mich jedoch nicht störte.
Es ist eine Lektüre, die den orientalischen Einfluss nicht verleugnen kann: die vielen kleinen Geschichten, die nah an der Realität und doch so phantastisch sind. Und die bildhaften Beschreibungen, die der Phantasie jede Menge Raum bieten.
Ein schönes, ein trauriges Buch, das eine Realität aufzeigt, die es in vielen Ländern gibt und nicht nur im Libanon lange totgeschwiegen wurde. Dass noch zusätzlich das Thema der unterdrückten und misshandelten Frauen aufgenommen wurde, hätte es nicht bedurft - darüber kann man doch gut ein weiteres Buch schreiben.

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Veröffentlicht am 28.04.2020

Ein Buch wie ein Puzzle

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Jarawans zweiter Streich.

Nachdem ich nach dem Lesen seines Romandebüts vor vier Jahren ein großer Fan des Schreibstils des Autors wurde, konnte mich Pierre Jarawan mit seinem Nachfolgebuch wieder in ...

Jarawans zweiter Streich.

Nachdem ich nach dem Lesen seines Romandebüts vor vier Jahren ein großer Fan des Schreibstils des Autors wurde, konnte mich Pierre Jarawan mit seinem Nachfolgebuch wieder in seinen Bann ziehen. Wieder geht es um den Libanon, wieder geht es um Geheimnisse, die entschlüsselt gehören, und um Menschen, die plötzlich verschwinden. Aber dieses Buch ist doch anders als der Zedern-Roman.

Der Hauptcharakter Amin schreibt hier über sein Leben. Er flüchtet als Baby mit seiner Großmutter vor dem Bürgerkrieg aus dem Libanon nach Deutschland, nach mehr als zehn Jahren kehren sie wieder zurück. Hier setzt die Geschichte an. Der Krieg ist vorbei, doch die Menschen und das Land wurden von ihm sehr geprägt. In Rückblenden erzählt der erwachsene Amin über seine Jugendzeit in einem neuen Land, Freundschaft, Familie, Glück sowie Verrat und das auf eine Art und Weise, die ich faszinierend fand.

Schon die ersten Seiten erzeugen einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Der Autor ist ein echter Hakawati, ein Geschichtenerzähler, der mit seinen Sätzen eine wahnsinnige Stimmung erzeugen kann und die einen mitten ins Geschehen ziehen. Gefühle und Emotionen werden (be)greifbar und Charaktere zum Leben erweckt. Die Geschichte ist wie ein Puzzle, das sich nach und nach zu einem großen Bild zusammensetzt. Bis zur Mitte des Romans macht Jarawan viele Andeutungen, was passiert sein könnte, hört mitten im Erzählen auf - meistens an den spannendsten Stellen - und fängt woanders wieder an, springt in der Zeit und fügt Erinnerungen zusammen. So verwirrend das auch klingen mag, so ist es das nicht. Es hält vielmehr die Spannung lange aufrecht und die einzelnen Erzählstränge ergänzen sich wunderbar.

In der Mitte schleicht sich dann leider eine kleine Flaute ein, die bei mir das Bedürfnis nach der Auflösung und Enthüllung der Geheimnisse nur noch größer gemacht hat. Das Ende jedoch ist sehr befriedigend und stimmig, aber auch aufwühlend, alle Erzählstränge finden einen Schluss. Jarawan verknüpft mühelos Alltagsszenen mit hoch brisanten politischen Themen und geschichtlichen Ereignissen. Was hier erzählt wird, ist keine leichte Kost. Dieses Buch kann man nicht mal so nebenbei lesen, da es sehr komplex ist und zum Mit- und Nachdenken anregt. Auch die behandelten Themen lasten schwerer auf dem Gemüt als gedacht, nicht nur bei Amin, sondern auch bei mir als Leserin.



Fazit

"Ein Lied für die Vermissten" ist eine eindringliche Lektüre, die den Libanon und seine Menschen zu begreifen versucht, die Politisches mit Alltäglichem verknüpft und durch eine sog- und bildhafte Sprache wunderbare Szenen und Charaktere erschafft. Lest es!

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Veröffentlicht am 18.04.2020

Bewegender Roman

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„...Es gibt das Erzählen, und es gibt das Schweigen. Und es gibt die Fragen dazwischen...“

Wir schreiben das Jahr 2006. Während israelische Bomben auf Beirut fallen, lebt Amin zwei Autostunden entfernt. ...

„...Es gibt das Erzählen, und es gibt das Schweigen. Und es gibt die Fragen dazwischen...“

Wir schreiben das Jahr 2006. Während israelische Bomben auf Beirut fallen, lebt Amin zwei Autostunden entfernt. Dort erreicht ihn die Nachricht, dass seine Großmutter gestorben ist. Amins Gedanken gehen viele Jahre zurück.
Der Autor hat einen beeindruckenden Roman geschrieben. Er ermöglicht mir einen Einblick in die Geschichte des Libanon.
Der Schriftstil ist sehr abwechslungsreich. Das Besondere ist, dass die Geschehnisse nicht chronologisch erzählt werden. Das verlangt entsprechende Konzentration.
Amin hatte seine Kindheit in Deutschland verbracht. Er war Waise. 1994 kehrt die Großmutter mit ihm nach Libanon zurück in ein für ihn fremdes Land.
Es gibt sehr poetische Stellen im Buch.

„...Den Vogel nahm ich wahr, weil er mich blendete. Er saß auf den obersten Ast des Apfelbaums, seine Federn reflektierten das Sonnenlicht...“

Zwei Personen prägen Amins Leben. Das sind seine Großmutter und Jafar, eine Junge aus Beirut, der in der Schule Kontakt zu Amin sucht. Beide Beziehungen sind nicht einfach. Seine Großmutter bezieht Amin kaum in ihr Leben ein. Es dauert, bis er hinter ihr Geheimnis kommt. Offen bleibt, warum es zum Bruch zwischen beiden kam.
Jafar ist ein brillanter Erzähler. Zusammen mit Amin heckt er manche Dummheit aus, um an Geld zu kommen. Doch immer ist er der Gebende. Amin schaut zu ihm auf. Seine Vergangenheit bleibt lange geheimnisvoll. Die langsame Trennung zwischen den beiden Jungen ist schmerzhaft spürbar.
Bei der Großmutter immer gegenwärtig ist Abbas. Er erscheint selbst zu ungewöhnlichen Zeiten.

„...So ist das im Libanon […] Gäste kommen immer dann auf eine Tasse Kaffee vorbei, wenn man gerade tausend Dinge zu tun hat...“

Die Großmutter versorgt Amin eine Stelle im Nationalmuseum, damit er von der Straße wegkommt. Doch taucht Amin in die Welt der Bücher ein. Gleichzeitig lernt er Menschen kennen, die die orientalische Tradition der Märchenerzähler pflegen. Sabir Mounir lehrt ihn, selbst aus den zerstörten Büchern zu lesen.

„...Heute glaube ich, dass auch die Arbeit im Museum ihren Teil dazu beitrug, dass ich genauer hinzusehen begann. Dass ich sogar dort nach Antworten suchte, wo zunächst nicht einmal Fragen waren...“

Eingebettet in das Buch sind die Geschichten vieler Menschen. Doch welche davon sind wahr? Das wird nicht immer deutlich.
Ein Thema allerdings durchzieht das Buch wie ein roter Faden. Wo sind die vielen im Bürgerkrieg Vermissten?
Amins Mutter hatte in Paris studiert. Eines ihrer Bilder trägt den Titel „Ein Lied für die Vermissten“.
Das Buch enthält eine Menge an Informationen über das Leben im Libanon. Nach 1994 war es noch kein friedliches Land. Die Fragen der Vergangenheit harrten einer Antwort. Wer aufbegehrte, hatte mit Schikanen zu rechnen.

„...Dieses Land war schon immer in der Hand mehrerer mächtiger Familien. Was das angeht, sind wir im Mittelalter stehen geblieben. Die Mörder, die ganz oben wohnen, sind heute unsere Politiker. Im Krieg haben sie Milizen angeführt, die sich bekämpft haben. Jetzt machen sie die Gesetze. Sie verhindern die Aufarbeitung und das Erinnern...“

Nach und nach begreift Amin, wie tief die politischen Verhältnisse in das Leben seiner Vorfahren eingegriffen haben. Sehr berührend sind manche seiner Gespräche mit Jafar. Hier arbeiten sie ihre Sorgen und Ängste ab.
Das Schweigen seiner Großmutter ist für Amin nur schwer erträglich. Später wird er formulieren:

„...Anzunehmen, dass Schweigen nachfolgende Generationen schützt, ist ein großer Irrtum. Das Gegenteil ist der Fall...“

Da weiß er schon, dass auch seine Eltern zu den Vermissten gehörten und dass die Reise der Großmutter mit ihm nach Deutschland als Baby eine Flucht war.
Das Buch hat wesentlich mehr Facetten, als ich je in dieser Rezension unterbringen kann. Eine weitere zeigt sich bei Betrachtung der Wohnungen. Hier erkennt Amin, warum Flüchtlinge sich so einrichten, wie sie sich einrichten. Es ist immer nur als Heim auf Zeit geplant.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es ist eine Lektüre, für die man sich Zeit nehmen muss, wenn man in ihre Tiefen eindringen will.

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Veröffentlicht am 18.04.2020

Ein Haus mit vielen Gesichtern

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Der Einstieg in diesen Roman von Pierre Jarawan ist mir nicht leicht gefallen. Man braucht vorallem Zeit, Konzentration und sollte nicht parallel lesen, wenn man sein neues Buch "Ein Lied für die Vergessenen" ...

Der Einstieg in diesen Roman von Pierre Jarawan ist mir nicht leicht gefallen. Man braucht vorallem Zeit, Konzentration und sollte nicht parallel lesen, wenn man sein neues Buch "Ein Lied für die Vergessenen" zur Hand nimmt.
Pierre Jarawan erzählt in seiner wundervollen poetischen Sprache vom Schicksal des heranwachsenden Amin, der nach dem Tod seiner Eltern bei seiner Großmutter in Deutschland aufwächst. 1994 kehrt sie mit ihm in den Libanon zurück und eröffnet in Beirut ein Café. Er streift zuerst alleine durch die Straßen und Gassen der Stadt, bis er in Jafar einen Freund findet. Amin sieht sich einer Kultur und Herkunft gegenüber, die er in Europa nur teilweise kennengelernt hat. Vorallem aber fehlt ihm der Bezug zum Bürgerkrieg und der Geschichte der Besetzung des Libanons durch die Syrier. Eines weiß er aber mit der Zeit, nämlich dass es in diesem Land nie eine Gewissheit gibt - weder über die Geschichte seiner Familie, noch über die Vergangenheit seines Freundes Jafar....

Man taucht ein in die orientalische Atmosphäre und den teilweise märchenhaften Erzählungen, die oftmals an 1001 Nacht erinnern...wäre da nicht der Krieg und die andauerne Furcht der Menschen. Amins Großmutter hat fast täglich Besuch von Personen, die Amin, mit Ausnahme von Abbas, dem Raupenzüchter, nicht kennt und denen sie mehr Zeit widmet, als ihren Enkelsohn. Ganz anders als in Deutschland, wo sie ein zurückgezogenese Leben führten - die Wohnung nur spärlich eingerichtet, wie eben erst angekommen - und kaum Besuch hatten, lernt Amin eine andere Seite seiner Großmutter kennen, die einmals eine gefeierte Malerin war. Sie schickt ihn ins Nationalmuseum, wo er mehr über die Geschichte des Libanons erfahren und bei den Aufräumarbeiten des zerstörten Gebäudes helfen soll. Dort lernt er Saber Mounir kennen, dem ehemaligen Verantwortlichen der Bibliothek. Von seinen Büchern blieb nur Staub übrig....doch auch darin kann er Geschichten lesen. Amin lernt die Kunst der Hakawati, der Straßenkünstler, die Geschichten erzählen, kennen. Diese Gabe des Geschichten erzählens hat auch Jafar, der damit am Flohmarkt seine Waren verkauft.

"Unser Land ist wie ein Haus mit vielen Gesichtern" - Zitat von Amins Großmutter, Seite 200

Pierre Jarawan erzählt nicht chronologisch, sondern springt in den Zeiten hin und her. Dies macht den Roman vorallem im ersten Teil etwas schwierig zu lesen, denn die Zeitensprünge sind nicht gekenntzeichnet und erfolgen oft wie spontan. Diese Erzählweise hatte ich erst vor kurzem auch bei Saša Stanišić in seinem Roman "Herkunft", wo es mir ebensolche Probleme bereitete. Ich lese zwar viele Romane mit verschiedenen Zeit- und Handlungsebenen und habe damit überhaupt keine Probleme, aber in diesen Geschichten sind sie immer gekenntzeichnet und die Zeitspannen sind länger. Hier wird oftmals auf wenigen Seiten in den Zeiten gewechselt, was ich mühsam fand.
Die Handlung entfaltet sich sehr langsam. Es werden Symbole eingeflochten und Themen angesprochen, die später wiederum aufgegrffen werden.

Wie ein roter Faden zieht sich auch ein besonderes Gemälde, das Amins Mutter während ihres Studiums in Paris gemalt hat, durch die gesamte Geschichte.
Thema ist ebenfalls immer wieder die politische Willkür, die noch immer herrscht. Das Land ist nach wie vor nicht zur Ruhe gekommen. Trotz der düsteren Grundstimmung findet man sich in einer eher märchenhaften Erzählung, die über Freundschaft, Familie und Geheimnisse erzählt.

Eine besondere Stimme gibt der Autor den tausenden Vermissten, dessen Verschwinden nie aufgeklärt wurde. Seit dem Bürgerkrieg sind 17.000 Menschen bis heute spurlos verschunden.

Schreibstil:
Der Schreibstil ist poetisch, erfordert aber höchste Konzentration. Trotz der etwas düsteren Grundstimmung ist die Geschichte vorallem durch ihre märchenhaften Erzählungen stimmig und voller Geheimnisse. Die Freundschaft zwischen Jafar und Amin gibt den Rahmen rund um die Geschichte.
Der Roman ist in drei Teile geteilt, die der Autor bezugnehmend auf den Titel "Ein Lied für die Vermissten" in die erste, zweite und dritte Strophe nennt.

Noch ein Wort zum wunderschönen Cover. Klappt man das Buch auf, kann man erahnen, dass das Gesicht auf dem Titelbild ein Gemälde auf einem Haus ist, das in Beirut steht.

Fazit:
Ein anspruchsvoller Roman über das Finden seiner eigenen Herkunft, von Geheimnissen, Freundschaft und ein Erinnern an die vergessenen Menschen des Bürgerkrieges im Libanon. Man benötigt Zeit und Konzentration für diese Geschichte, damit sie sich richtig entfalten kann. Auch wenn ich ab und zu meine Schwierigkeiten hatte, ist es ein Roman, der durch seine Besonderheit im Gedächtnis bleibt und den ich gerne gelesen habe.

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