Cover-Bild Das flüssige Land
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10,99
inkl. MwSt
  • Verlag: Klett-Cotta
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Ersterscheinung: 17.08.2019
  • ISBN: 9783608191967
Raphaela Edelbauer

Das flüssige Land

Roman
»Unheimlich, spannend, aberwitzig und kaum zu fassen – einfach fantastische Literatur«
Jurybegründung Deutscher Buchpreis (Shortlist)
Ein Ort, der nicht gefunden werden will. Eine österreichische Gräfin, die über die Erinnerungen einer ganzen Gemeinde regiert. Ein Loch im Erdreich, das die Bewohner in die Tiefe zu reißen droht. In ihrem schwindelerregenden Debütroman geht Raphaela Edelbauer der verdrängten Geschichte auf den Grund.
Der Unfalltod ihrer Eltern stellt die Wiener Physikerin Ruth vor ein nahezu unlösbares Paradox. Ihre Eltern haben verfügt, im Ort ihrer Kindheit begraben zu werden, doch Groß-Einland verbirgt sich beharrlich vor den Blicken Fremder. Als Ruth endlich dort eintrifft, macht sie eine erstaunliche Entdeckung. Unter dem Ort erstreckt sich ein riesiger Hohlraum, der das Leben der Bewohner von Groß-Einland auf merkwürdige Weise zu bestimmen scheint. Überall finden sich versteckte Hinweise auf das Loch und seine wechselhafte Historie, doch keiner will darüber sprechen. Nicht einmal, als klar ist, dass die Statik des gesamten Ortes bedroht ist.
Wird das Schweigen von der einflussreichen Gräfin der Gemeinde gesteuert? Und welche Rolle spielt eigentlich Ruths eigene Familiengeschichte? Je stärker sie in die Verwicklungen Groß-Einlands zur Zeit des Nationalsozialismus dringt, desto vehementer bekommt Ruth den Widerstand der Bewohner zu spüren. Doch sie gräbt tiefer und ahnt bald, dass die geheimnisvollen Strukturen im Ort ohne die Geschichte des Loches nicht zu entschlüsseln sind.
»Raphaela Edelbauer überschreitet Grenzen und rückt in unerforschte Gebiete der Literatur vor.«
Jurybegründung Rauriser Literaturpreis

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Veröffentlicht am 23.09.2019

Eine Reise zu sich selbst (?)

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Unversehens wird die Physikerin Ruth – labil, tablettenabhängig, seit Jahren in der Forschung zu ihrer Habilitationsschrift feststeckend – mit dem Unfalltod ihrer Eltern konfrontiert. Sie haben verfügt, ...

Unversehens wird die Physikerin Ruth – labil, tablettenabhängig, seit Jahren in der Forschung zu ihrer Habilitationsschrift feststeckend – mit dem Unfalltod ihrer Eltern konfrontiert. Sie haben verfügt, in ihrem Heimatort Groß-Einland bestattet zu werden, ein Wunsch, den Ruth ihnen selbstverständlich erfüllen will. Doch Groß-Einland findet sich auf keiner Landkarte, in keinem Navigationssystem, in keinem Katasteramt: In ganz Österreich findet sich kein Groß-Einland. Ruth macht sich dennoch auf die Suche nach diesem scheinbar nicht existenten Ort, geleitet von den Erinnerungen an die Erzählungen ihrer Eltern. Da gab es doch diesen Heurigen mit der tausendjährigen Eiche, von dem ihr Vater erzählte, und man konnte mit einer Leiter in den Untergrund steigen, wie ihr die Mutter berichtete … Tatsächlich findet Ruth den Ort, dessen Einwohner seltsam und freundlich zugleich sind, verschlossen und willkommen heißend, tatkräftig und gleichzeitig verängstigt. Die pittoreske Kleinstadt wird von der undurchsichtigen ‚Gräfin‘ beherrscht, die die Regeln und Gesetze aufstellt, der alle gehorchen, bei der alle Fäden – die persönlichen, geschäftlichen, finanziellen, geschichtlichen – zusammenlaufen. Sie bietet Ruth an, im Ort zu bleiben, im Haus ihrer Eltern. Ruth soll ihr dabei helfen, das größte Problem Groß-Einlands in den Griff zu bekommen: Unter dem Ort erstreckt sich ein gigantischer Hohlraum, dessen Ursprung Jahrhunderte zurückreicht und dessen Ausmaß niemand erfassen kann. Ruth nimmt das Angebot an und verliert sich alsbald in diesem traumartigen, unwirklichen Ort, der sie immer weiter von ihrem alten Leben und der Realität entfernt und dabei zusehends verfällt …

Das flüssige Land ist ein faszinierender, vielschichtiger Roman, der aus meiner Sicht vollkommen zu Recht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises steht. Raphaela Edelbauer bedient sich zahlreicher Erzählmotive, die man eigentlich aus anderen Epochen oder Genres kennt: aus dem mittelalterlichen Heldenepos, der schwarzen Romantik, aus Märchen und Legenden: Der unbedarfte, uneingeweihte Held – bzw. in diesem Fall die Heldin – wird mit einer Aufgabe betraut, die nur sie bewältigen kann. Dazu muss sie sich nach dem einen oder anderen Irrweg und durch höchst unwegsames Gelände an einen geheimnisvollen, verborgenen Ort begeben, der der wirklichen Welt ähnelt, aber doch deutliche Züge einer Anderswelt trägt, an der eigene Gesetze herrschen, die Zeit in einem anderen Tempo vergeht und die von einer omnipotenten Antagonistin beherrscht wird. Diese Anderswelt sieht sich einer Bedrohung ausgesetzt, die nun von der Protagonistin bekämpft werden soll. Doch diese muss sich letztlich die Frage stellen, wen oder was sie eigentlich retten will: ihre neue, vom Verfall bedrohte Heimat oder doch lieber sich selbst?

Gleichzeitig lässt sich der Roman mit seinen Bezügen zur Vergangenheit, insbesondere zur NS-Zeit als Parabel für einen unzureichenden, misslungenen, halbherzig rechtfertigenden Umgang mit der eigenen Geschichte lesen. Oder als Parodie auf all den Unrat, der lieber unter den Teppich gekehrt bzw. in das alles verschlingende Loch gekippt wird, um die adretten Fassaden nicht zu beeinträchtigen, der früher oder später aber doch jede Fassade zum Einsturz bringt, mag man auch noch so viele Korrekturen und Makulaturen vornehmen.

Es war für mich ein echtes Erlebnis, diesen vielfältigen, sprachlich bemerkenswerten Roman zu lesen: als wandele man durch einen Traum, von dem man nicht weiß, ob man schläft oder wach ist, ob es ein schöner Traum, ein Alp- oder Fiebertraum ist. Und das ist, wie ich mir gut vorstellen könnte, nicht jedermanns Sache. Wer Romane und Erzählungen mag, in der die Realität unwirkliche Züge annimmt, wird Das Flüssige Land gewiss ebenso mögen wie ich. Wer Traum und Wirklichkeit lieber fein voneinander getrennt hat und alles andere achselzuckend als Spinnerei abtut, wird sich vermutlich schwertun.