Veröffentlicht am 21.12.2018

Spannender Blick auf eine geteilte Gesellschaft

Havers

Der Blick auf das Cover von „Die Essenz des Bösen“ lässt keinen Zweifel über den Handlungsort aufkommen: London, die Metropole an der Themse, Schmelztiegel der verschiedensten Nationalitäten und Wertevorstellungen. Und wie bereits in den in den vorangegangenen Bänden der Reihe um Detective Max Wolfe ist der Autor Tony Parsons auch hier wieder dicht an den Themen, die seine Leser umtreiben. Ging es in den Vorgängern um Pädophilie, Zwangsprostitution und Menschenhandel, steht jetzt das Thema Terrorismus und Fremdenfeindlichkeit im Mittelpunkt. Und wieder einmal mischt er gekonnt Gesellschaftspolitik mit dem Privatleben seiner Hauptfigur.

London, ein Einkaufszentrum im Westen der Stadt. Ein Hubschrauberabsturz verursacht immense Schäden, es gibt Tote und unzählige Verletzte, unter denen sich auch Max Wolfe befindet. Kein Zweifel, es handelt sich um einen Terroranschlag, denn die Nachforschungen ergeben, dass eine ferngesteuerte Drohne für den Absturz verantwortlich ist. Die Besitzer sind schnell ausfindig gemacht, es handelt sich um das Brüderpaar Asad und Adnan Khan. Militärisch ausgebildete und kampferfahrene Syrienrückkehrer, die bei ihren schon lange in London ansässigen Eltern im East End leben. Der Einsatz der Spezialeinheit läuft aus dem Ruder, die Leiterin des Zugriffteams wird getötet, aber auch die beiden Attentäter werden erschossen. Dennoch bleiben ungeklärte Fragen, die den Verantwortlichen reichlich Kopfzerbrechen bereiten. Wo sind die Handgranaten, die die Brüder gekauft haben? Trotz gründlicher Durchsuchung des Hauses ist keine Spur von ihnen zu finden. Und dann ist da auch noch die wütende Menge, die nicht vor dem Haus der Khans Aufstellung bezieht, sondern auch ihre Hasstiraden über die sozialen Netzwerke verbreitet, und so die Fremdenfeindlichkeit weiter anstachelt. Eine Menge Probleme, mit denen sich Wolfe und das Team konfrontiert sehen. Und auch in Wolfes Privatleben läuft es nicht rund, denn er sieht sich unvermittelt Situationen ausgesetzt, die ihn bis ins Innerste erschüttern…

Ich habe bisher sämtliche Bücher der Reihe gelesen und bin nach wie vor sehr angetan von der Art und Weise, wie der Autor eine spannende Story mit den Episoden aus dem Privatleben seiner Hauptfigur verbindet, auch wenn „Die Essenz des Bösen“ für mich nur am Rande die Frage nach dem Täter stellt. Vielmehr kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es Parsons hier vorrangig darum geht, zu ergründen, warum die involvierten Menschen nur so und nicht anders handeln können. Ganz gleich, ob das nun der Afghanistan-Veteran, der Hassprediger oder der/die Attentäter ist/sind, es ist die Frage nach dem Warum, die sich mir immer wieder bei der Lektüre aufgedrängt hat. Ein gelungener Ansatz, den ich bei dem Krimiautor so nicht erwartet hätte. Ein kritischer Punkt waren für mich allerdings die ausführlichen Beschreibungen der entsprechenden Spezialeinheiten und Waffengattungen, die ich als störend empfunden habe, da sie immer wieder den Lesefluss gestört und das Tempo gedrosselt haben.

„Die Essenz des Bösen“ ist für mich nicht das beste Buch in der Reihe, aber dennoch ein spannender Kriminalroman, der mehr als nur die genretypische Wer-ist-der-Täter Frage zu bieten hat. Parsons Ausgangsszenario ist realistisch, was die aktuellen Vorkommnisse am Londoner Flughafen Gatwick belegen, der vorgestern und gestern wegen Drohnen im Luftraum komplett geschlossen wurde. Er zeigt ebenfalls die Momentaufnahme einer westlichen Gesellschaft, die gar nicht in Betracht zieht, dass sie durch ihre Waffenlieferungen in politisch instabile Staaten für den Terror in der westlichen Welt mitverantwortlich ist und deshalb die tödlichen Konsequenzen fürchten und ertragen muss.

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