Veröffentlicht am 04.10.2019

Grandioser Blick zurück in die frühere Geschichte der Waringhams zur Zeit von Richard Löwenherz und John Ohneland

Klusi

Dies ist der sechste Band von Rebecca Gablés Waringham-Saga. Im Gegensatz zu den vorherigen Bänden schließt sich die Handlung diesmal aber nicht chronologisch an, sondern sie spielt fast zweihundert Jahre früher als „Das Lächeln der Fortuna“. Genau genommen erleben wir die letzten Jahre der Regierungszeit von Richard Löwenherz und im Anschluss die Krönung und Herrschaft seines Bruders John „Ohneland“. Ein zweites Brüderpaar steht im Mittelpunkt des Romans, und das sind Guillaume und Yvain of Waringham. Im Gegensatz zu den königlichen Brüdern, die mehr oder weniger verfeindet sind, ist die Beziehung der Waringham-Brüder von Zuneigung geprägt, obwohl sie verschiedenen Seiten dienen. Während der ältere Guillaume seinen Herrn, Richard Löwenherz, auf einem Kreuzzug begleitet hat und sehr betroffen über Richards Gefangennahme kurz nach der Rückkehr aus dem heiligen Land ist, steht dem jüngeren Yvain etwas ganz anderes bevor, denn sein Vater, Lord Jocelyn of Waringham, hat für ihn eine Laufbahn bei den Templern vorgesehen. Doch es kommt alles ganz anders, denn er tritt bei Prinz John seinen Dienst als Knappe an. Fortan stehen Yvain und Guillaume auf verschiedenen Seiten, was durchaus zu kritischen Situationen und sogar zu einem Zerwürfnis führen könnte, aber die Brüder schließen einen Pakt, dass, ganz egal was zwischen König Richard und Prinz John geschehen wird, dies nicht zu einer Fehde zwischen ihnen selbst führen soll. Und doch gibt es eines, was die Brüder einerseits gemeinsam haben, was auch einen Keil zwischen sie treiben könnte, und das ist die Liebe zur selben Frau.

Zur Handlung, die sich von 1193 über die folgenden 23 Jahre erstreckt, möchte ich gar nicht allzu viel sagen, denn die Ereignisse sind so vielfältig, umfangreich und fesselnd, dass ich dem nicht in wenigen Sätzen gerecht werden könnte. Es wäre auch gar nicht Sinn der Sache, viel zu verraten, denn gerade das Buch selbst zu lesen und gefühlsmäßig mittendrin zu sein, ist eine Erfahrung, die jeder für sich machen sollte. Vieles was geschildert wird, gerade die unglaublichsten Ereignisse, sind wirklich passiert. Realität und Fiktion hat Rebecca Gablé auch in diesem Buch kunstgerecht verschmolzen. Die Grenzen zwischen Wahrheit und erfundener Geschichte sind fließend, und es fasziniert mich immer wieder aufs Neue, wie es der Autorin gelingt, stets die richtigen Worte zu finden und ihre Leser mitzureißen. Auch dieses Buch ist wieder eine tolle Mischung aus englischer Geschichte, Abenteuer, Ritterleben und Romantik. Bei einigen wichtigen historischen Ereignissen hat man das Gefühl, selbst dabei zu sein, so plastisch und lebendig sind sie erzählt, beispielsweise erlebt man die Entstehung der Magna Carta hautnah mit.

Neben ihrem fundierten Wissen und dem packenden Erzählstil sind es die vielschichtigen Charaktere, die mir an Rebecca Gablés Büchern besonders gefallen. Mit Yvain of Waringham hat sie auch diesem Roman einen charmanten, sympathischen Protagonisten gegeben, der über viele ritterliche Tugenden verfügt, zugleich aber das Herz auf der Zunge trägt und sich manchmal dadurch selbst in Gefahr bringt. Yvain ist einerseits ein tapferer Held, der viele Schlachten zu schlagen hat, wobei ich nicht nur die mit dem Schwert meine, bei denen er für den König kämpft. Sehr oft gewährt uns die Autorin aber auch einen tiefen Blick in seine Gedanken und seine Seele, und da wird schnell klar, dass sich hinter seiner harten Schale ein sensibles Herz verbirgt und dass auch dieser tapfere Ritter nicht gegen Angst und Sorgen gefeit ist. Viele von Yvains Eigenschaften und Vorlieben erkennt man wieder, wenn man die Waringham-Saga von Anfang an verfolgt hat, denn der Ritter und seine Familie haben ihren Nachfahren so manches vererbt, sei es die besondere Liebe zu Pferden oder die „gläsernen Träume“, ganz besonders aber die unerschütterliche Loyalität ihren weltlichen Herrschern gegenüber. Bei Yvain ist das König John, der seinem Bruder Richard, nach dessen Tod, auf den Thron folgt. John ist eine facettenreiche Persönlichkeit, die ich hier noch einmal neu kennengelernt habe. Während sein Bruder Richard Löwenherz stets als Held gefeiert wird, ist John meist als abgrundtief böse dargestellt.

Wie es damals wirklich war, welche Charaktereigenschaften und welches Verhältnis zueinander die königlichen Brüder hatten, können wir heutzutage nur vermuten bzw. uns auf die Überlieferungen stützen. Letztendlich müssen wir uns aus den vorhandenen Fakten selbst ein Bild zurechtlegen. Die Eindrücke, die ich von Richard Löwenherz und seinem Bruder John bisher hatte, haben durch Rebecca Gablés Roman viele neue Facetten dazu bekommen, denn hier wird gezeigt, dass auch Richard ein brutaler Herrscher war und falsche Entscheidungen traf und dass auch John, trotz seiner vielen negativen Eigenschaften, durchaus auch menschliche Regungen zeigen konnte, wenn auch eher selten.

Ich könnte hier noch ewig so weiter erzählen, denn es gäbe noch so viel zu erwähnen, was bei einem Roman mit über 900 Seiten nicht verwundert. Zum Abschluss bleibt mir eigentlich nur zu sagen, dass es wieder ein wundervoller, lebendiger und mitreißender Roman ist, der seinen Vorgängern in nichts nachsteht.

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