Veröffentlicht am 12.12.2016

Eine magische Reise zurück in die Vergangenheit

Carolina

"Harry Potter und das verwunschene Kind" beginnt dort, wo "Die Heiligtümer des Todes" aufgehört haben: 19 Jahre später an Gleis neundreiviertel. Das treue Fan-Herz schwillt an, die Stimmung ist nostalgisch. Was folgt ist ein Stück voller Höhen und Tiefen - sowohl was die inhaltliche Handlung als auch die Qualität dieses Drehbuchs betrifft. Ein Beispiel: Während einer hitzigen Diskussion mit seinem Sohn Albus sagt Harry: „Ich wünschte, du wärst nicht mein Sohn“. Was so gar nicht zu dem Helden unzähliger junger Menschen passen will, der trotz eigener verkorkster Kindheit immer zu Liebe und Mitgefühl fähig war, eben den Emotionen, durch die – wir erinnern uns zurück – Voldemort erst geschlagen werden konnte. Umso unwahrscheinlicher, dass er ausgerechnet jetzt damit anfängt, alte Traumata zu verarbeiten. Aber schließlich muss ein Theaterstück auch eine Handlung haben, die jetzt durch den verletzten Albus in Gang gebracht wird. Der will voller Wut auf seinen Vater einen seiner weit zurückliegenden Fehler wieder gut machen – in dem er mit seinem besten Freund Scorpius Malfoy (!) in die Vergangenheit reist, um den Tod von Cedric Diggory mit der Hilfe von dessen vermeintlicher Cousine Delphi zu verhindern, was natürlich erstmal schiefgeht.
Durch das Zeitreisen ändern die beiden ihre eigene Gegenwart und Zukunft, und landen folglich in verscheiden Was-wäre-wenn-Szenarien, die alle ihren besonderen Reiz haben. So landet Scorpius in einer Welt, in der Harry tatsächlich gestorben ist, folglich ohne Albus. Allein muss er sich Umbridge als Schulleiterin stellen und ruiniert dabei den alljährlichen „Voldemort-Tag“.
So weit, so irritierend. Wirklich schräg wird es dann als Harry, Ron, Hermine, Ginny und Draco so wie Albus und Scorpius zusammen ins Jahr 1981 reisen um zu verhindern, dass jemand Voldemort am Versuch hindert Harry zu töten - hier wird dem Leser einiges an Gedankenakrobatik abverlangt.
Die achte Geschichte um Harry Potter und seinen Sohn ist mit wilden Zeitreisen etwas wirr, die Persönlichkeiten der Protagonisten wirken nicht ganz authentisch und die altbekannte Zauberwelt scheint etwas anderen Regeln zu folgen, was sicherlich den Fremdeinflüssen durch Jack Thorne und John Tiffany zuzuschreiben ist. Aber es sind die kleinen Momente mit den bekannten Charakteren, die nostalgische Kindheitserinnerungen und das „Harry Potter-Gefühl“ hervorrufen. Die Dynamik zwischen Ron, Harry und Hermine ist auf den Punkt gebracht, und die Einblicke in Harrys und Ginnys Familienalltag sind wunderbar. Viele Fragen, die nach Ende des siebten Bandes offenblieben, werden endlich geklärt – von trivialen wie welche Berufe die Hauptakteure ausüben über das Schicksal von Draco Malfoy bis hin zum längst überfälligen Gespräch zwischen Harry und Dumbledore, das nicht nur für die Charaktere ziemlich tränenreich ausfällt. Insgesamt ist „Harry Potter und das verwunschene Kind“ am besten als Produkt diverser Autoren zu betrachten, und eben nicht als „offizielle“ Fortführung exklusiv aus der Feder von J.K. Rowling. Behält man dies im Hinterkopf, kann man eine durchaus magische Reise zurück in die Kindheit genießen. Und mal ehrlich: Als bekennender Harry Potter-Nerd hätte ich dieses Buch auch dann verschlungen, wenn Albus nur davon erzählt hätte, wie Harry sich die Brille putzt.

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