Veröffentlicht am 14.06.2020

Ende und Anfang in Holt

TochterAlice

"Kostbar", das bedeutet für jeden Akteur in diesem Roman etwas anderes: für die Familie Lewis: Vater Dad, Mutter Mary und Tochter Lorraine, die über ihre besten Jahre bereits hinaus ist, erleben ihre letzten Monate, Wochen oder auch nur Tage als Familie, denn bei Dad wurde Krebs im Endstadium festgestellt. Lorraine kehrt aus diesem Grund zurück ins Elternhaus - es ist ein warmherziger Umgang, den die Drei miteinanander pflegen, auch wenn nicht alles in der Familie eitel Sonnenschein war, denn Sohn Frank ist seit Jahrzehnten abgängig, niemand weiß, wo er sich befindet.

Dad Lewis ist ganz klar die Hauptperson in diesem Roman, er lässt sein Leben Revue passieren, zum Ende des Romans und seines Lebens hin wird der Leser auch Zeuge seiner Halluzinationen. Diese werden mit der Haruf eigenen Klarheit und einer gewissen Reduziertheit dargestellt, die diesen Vorgang zumindest aus meiner Sicht durchaus realistisch wirken lässt.

Doch gibt es weitere Handlungsstränge, den um die kleine Alice, die gerade ihre Mutter verloren hat - ebenfalls an den Krebs - und nun von ihrer Großmutter, der direkten Nachbarin der Lewis' aufgenommen wird. Für sie bedeutet Holt also einen Neubeginn. Lorraine kümmert sich ebenso wie zwei weitere Bürgerinnen der Stadt; Mutter und Tochter Johnson, intensiv um sie und schnell wird deutlich, dass alle drei Frauen durch den Umgang mit dem Kind eine große Bereicherung erfahren. Als absolutes Highlight habe ich eine Badeszene der vier weiblichen Wesen (Alice kann man ja noch nicht als Frau bezeichnen) in einem Wassertrog auf der Weide empfunden, die für alle vier etwas Neues, ein ganz besonderes Erlebnis darstellt. Ein anderer handelt vom neuen Pfarrer Reverend Lyle, der es nicht gerade leicht hat - vielmehr macht er es sich selbst unendlich schwer. Und all diese Figuren wie auch eine mehr finden sich im Hause Lewis zusammen.

Kent Haruf erzählt mit einer gewissen Distanz, dennoch mit Wärme von seinen Helden des Alltags und immer wieder ist es ganz schön starker Tobak, den sie da durchmachen müssen. Doch immer wieder sind es Momente des Zusammenhalts, der Hilfsbereitschaft, der gegenseitigen Wertschätzung, die eine Wendung bringen und so klappt der Leser - zumindest ich - am Ende das Buch mit einem sehr warmen, wohligen Gefühl im Bauch zu.

Es ist ein leises Buch, aber dennoch eines mit Schwung, eines, in dem ordentlich Handlung drin vorkommt, man sollte nur bereit sein, sich darauf einzulassen. Mit seinem Roman über Helden des Alltags in Nordamerika stellte sich der Autor Kent Haruf - leider bereits 2014 verstorben - in eine Reihe mit Autorinnnen wie Anne Tyler, deren Romane alle in Baltimore spielen oder auch der kanadischen Nobelpreisträgerin Alice Munro, deren Erzählungen ebenfalls an einem Ort angesiedelt sind. Ein Schriftsteller, der etwas zu sagen hat und den es sich kennenzulernen lohnt!

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