Cover-Bild Die Schlange von Essex
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24,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Eichborn
  • Themenbereich: Belletristik - Liebesroman: historisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 496
  • Ersterscheinung: 29.09.2017
  • ISBN: 9783847900306
  • Empfohlenes Alter: ab 16 Jahren
Sarah Perry

Die Schlange von Essex

Eva Bonné (Übersetzer)

London im Jahr 1893. Nach dem Tod ihres Mannes verlässt Cora Seaborne die Hauptstadt und reist gemeinsam mit ihrem Sohn Francis in den Küstenort Aldwinter. Als Naturwissenschaftlerin und Anhängerin der provokanten Thesen Charles Darwins gerät sie dort mit dem Pfarrer William Ransome aneinander. Beide sind in rein gar nichts einer Meinung, beide fühlen sich unaufhaltsam zum anderen hingezogen.
Anmutig und intelligent erzählt dieser Roman - noch vor allem anderen - von der Liebe und den unzähligen Verkleidungen, in denen sie uns gegenübertritt."

Ein wundervoller Roman über das Leben, die Liebe und den Glauben, über Wissenschaft und Religion, Geheimnisse und die komplizierten und unerwarteten Wandlungen des menschlichen Herzens. So gut, dass die Seiten von innen heraus leuchten."
Helen MacDonald

"Wäre der große viktorianische Roman gemeinsam von Charles Dickens und Bram Stoker geschrieben worden, hätte er es wohl vollbracht, Die Schlange von Essex übertreffen zu können? Sarah Perry schreibt sich mit diesem Roman in die Riege der besten zeitgenössischen Autoren Englands."
John Burnside

"Die wunderbarste Protagonistin seit Elizabeth Bennet in Stolz und Vorurteil "
Washington Post

"Einer der unvergesslichsten historischen Romane der letzten zehn Jahre."
Sunday Times

"Sie werden dieses Jahr keinen besseren Roman finden."
Waterstones, Buch des Jahres 2016

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.10.2017

Wunderbarer Lesegenuss

1

Dieser Roman stellt für mich ein kleines Gesamtkunstwerk dar. Die wunderschöne, an den Künstler William Morris erinernde Optik des Buchumschlages fiel mir schon lange vor dem Erscheinen des Buches ins ...

Dieser Roman stellt für mich ein kleines Gesamtkunstwerk dar. Die wunderschöne, an den Künstler William Morris erinernde Optik des Buchumschlages fiel mir schon lange vor dem Erscheinen des Buches ins Auge. Erst auf den zweiten Blick entdeckte ich die titelgebende Schlange, die sich durch das Meer aus Blütenranken windet.

Ausgezeichnet wurde "Die Schlange von Essex" mit dem Britischen Buchpreis für den besten Roman des Jahres. Oft sind solche Vorschusslorbeeren nicht hilfreich, weil sie bei mir zu hohe Erwartungen wecken. Hier wurde ich jedoch nicht enttäuscht!

Angesiedelt Ende des 19. Jahrhunderts in Essex und London, passt sich Sarah Perry stilistisch dem viktorianischen Zeitalter an. So mancher Leser mit kürzerer Aufmerksamkeitsspanne mag sich hier erst einlesen müssen. Ich dagegen habe Satz für Satz von Beginn an genossen. Perry schreibt perfektionistisch, bildhaft, ja beinahe poetisch.

Eine weitere Stärke des Romans sind die plastischen, zuweilen fast ans Skurrile grenzenden Charaktere, allen voran die junge Witwe Cora Seaborne (was für ein herrlich bildhafter Name!), die nach dem Tod ihres gewalttätigen Ehemannes ihrer Liebe zur Wissenschaft nachgehen möchte. Das Rätsel eines angeblichen gefährlichen Seeungeheuers lockt Cora, ihren autistischen Sohn Frances und ihre Freundin Martha nach Aldwinter/Essex. Dort begegnet sie dem Pfarrer William und seiner kranken Frau Stella. William und Cora fühlen sich auf vielschichtige Weise zueinander hingezogen. Doch auch Luke Garrett, der Arzt von Coras verstorbenen Mann, hegt starke Gefühle für Cora und gibt so leicht nicht auf.

Lange Zeit spielte die Autorin raffiniert mit meinen Erwartungen, wie sich Handlung und Beziehungen entwickeln würden, um mich dann stets aufs Neue zu überraschen. Bis ins kleinste Detail wurde dieses Muster ausgearbeitet. So beginnt der Roman in der Neujahrsnacht, um Monat für Monat durchs Jahr zu reisen, schließt dann aber ab mit dem Monat November.

Ich bin stets auf der Suche nach ungewöhnlichen Büchern, die sich jeder Genre-Klassifizierung entziehen. Hier bin ich fündig geworden. Ein Buch, das man noch lange im Gedächtnis behält und immer wieder zur Hand nehmen wird. Herausragend!

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Veröffentlicht am 29.09.2017

So viel mehr als nur eine Liebesgeschichte!

1

Dieser Roman wir beworben als eine Liebesgeschichte vor einem historischen Hintergrund im viktorianischen England. Das alleine reicht aus, um mein Interesse zu wecken, auch wenn ich eher noch ein Stück ...

Dieser Roman wir beworben als eine Liebesgeschichte vor einem historischen Hintergrund im viktorianischen England. Das alleine reicht aus, um mein Interesse zu wecken, auch wenn ich eher noch ein Stück weiter zurück in der Geschichte gehen würde, eher an den Anfang des 19. Jahrhunderts, um rundum glücklich zu sein. Doch auch der Beginn der Industrialisierung hat seinen Reiz. Und für eine Liebesgeschichte ist der historische Rahmen eh meist eher nebensächlich.



Schräge, aber genau deswegen liebenswerte Charaktere

So zumindest dachte ich, als ich dieses Buch das erste Mal in die Hand genommen habe. Mit gerunzelter Stirn las ich die ersten Seiten und war mir noch nicht sicher, was ich von der Fülle an Figuren, die dem Leser direkt präsentiert werden, halten soll, zumal sie alle auf den ersten Blick mehr als unsympathisch wirken. Doch irgendwie hatte das auch seinen Charme, es war erfrischend anders, der ganze Schreibstil war spannend. Also habe ich weitergelesen.

Mit jeder Seite, die wir sowohl Cora als auch Will besser kennenlernen, werden die beiden sympathischer. Sie sind umgeben von einer Reihe weiterer Personen, die ebenfalls in ihren Eigenarten schwer zu lieben sind: Da ist der zukunftsgewandte Arzt Luke, der eine schwierige äußerliche Erscheinung hat und im Umgang eher spröde wirkt. Die Ehefrau Stella, die so perfekt und gutaussehend ist, dass sie kaum menschlich wirkt. Das Kindermädchen Martha, das zur besten Freundin von Cora geworden ist, die immer nur grummelig, unzufrieden und auf Provokation ausscheint. Sogar die Kinder, zum Beispiel Coras Sohn Francis, sind so seltsam, dass man nur schwer mit ihnen warm wird.

Doch genau darin liegt die Stärke dieses Buches. Wir lernen echte Charaktere kennen. Wir lernen, dass der erste Eindruck täuscht. Allesamt sind sie schnell mit ihren Urteilen über die anderen, allesamt kommen zu einem derart negativen Eindruck der anderen Figuren, noch ehe sie ein Wort mit ihnen gewechselt haben, dass man sich fragt, warum all diese Menschen so negativ und misstrauisch sind. Dann, langsam, lernen sie einander kennen. Sie sind gezwungen, die guten Seiten in den anderen zu sehen, oder auch nur, dass die anderen in ihnen selbst ihre guten Seiten hervorbringen. Und so geht es uns auch als Leser: Unweigerlich verliebt man sich in jede einzelne der Figuren. Ihre seltsamen Macken werden liebenswert und machen sie zu echten Menschen mit Ecken und Kanten. Man wünscht ihnen alles Glück im Leben, während man gleichzeitig spürt, dass es unmöglich ist, dass am Ende alle glücklich werden.



Packende Geschichten vor historischer Kulisse

Zeitgleich fällt ein Schatten über das kleine Städtchen, in dem diese Geschichte spielt. Man erzählt sich Legenden von der Schlange von Essex, einem Monster, das wohl Ähnlichkeiten mit dem Monster von Loch Ness hat. Es kommt im Nebel aus dem Fluss und bringt Tod und verderben. Mehrere Menschen sterben, andere werden krank oder verschwinden. Die einfachen Leute fangen an, an ihrem Hirten zu zweifeln und der Pastor Will hat alle Hände voll damit zu tun, ihren Glauben zu wahren. Immer wieder kehrt die Handlung zu dieser Schlange zurück. So, wie Cora und Will darum streiten, ob im Glauben an Gott oder in der Befolgung der Theorien Darwins die Vernunft liegt, so kämpft die Bevölkerung gegen den Aberglauben an, dem sie schließlich doch verfällt. Immer wieder wird der Kampf zwischen rationaler Vernunft und irrationalem Glauben, aber auch zwischen rationalem Glauben und irrationaler Vernunft zum Thema.

Währenddessen tobt in London in den Armenvierteln der Kampf um Arbeiterbefreiung. Die Thesen von Marx sind in der Welt, der Sozialismus ist bekannt, das Leid der Industriearbeiter ist unermesslich. Obwohl nur wenige Szenen hier spielen, schildert Perry diesen Aspekt des Fortschritts doch sehr eindringlich. Dass sie auch ihre Hauptpersonen in diesen Konflikt eintreten lässt, einige mit ehrenwerten Ansichten, einige eher weniger, gibt der Geschichte eine weitere spannende Dimension.



Eine komplexe Schau auf das Leben

Vor dem historischen Hintergrund und seinen ganz besonderen Herausforderungen ist eine Liebesgeschichte zwischen einer Witwe und einem verheirateten Pastor keine leichte Angelegenheit. Doch es ist nicht einfach nur romantische Liebe, von der wir hier lesen. Es entwickeln sich Freundschaften, die beinahe noch tiefer gehen, als jede Liebe es jemals könnte. Wir sehen Familien, Beziehungen zwischen Eltern und ihren Kindern, die so problematisch und so voller ungewollter Verletzungen sind, dass man unwillkürlich mit allen Beteiligten mitleidet. Die ganze Facette menschlicher Emotionen, menschlicher Beleidigungen und Zerwürfnisse spielt sich in diesem beinahe 500 Seiten langen Buch ab – und am Ende musste ich wirklich mit den Tränen kämpfen.




Fazit:

Der Roman „Die Schlange von Essex“ von Sarah Perry ist die berührende Geschichte eines ausgewählten Ensembles von Menschen, die füreinander da sein wollen, aber es am Ende doch kaum können. Vor dem Hintergrund der Industrialisierung, des Siegeszuges der Naturwissenschaften über die Kirche, aber auch im Angesicht von beharrlichem Aberglauben kämpfen die Hauptfiguren darum, Liebe und Freundschaft zu finden, ihre Stolz zu behalten und einen Sinn im Leben zu finden. Die tief berührende Geschichte von Cora, Will, Luke, Martha und all den anderen ist ein Meisterwerk, das uns gekonnt Einblicke in die Empfindsamkeit der menschlichen Seele gibt.

Veröffentlicht am 29.09.2017

Leise Töne, außergewöhnliche Charaktere, atmosphärische Landschaften und eine seltsam-gute Stimmung

1

Allgemeines:

Titel: Die Schlange von Essex
Autor: Sarah Perry
Verlag: Eichborn Verlag, Imprint der Bastei Lübbe AG (29. September 2017)
Genre: Historischer Roman
ISBN-10: 3847900307
ISBN-13: 978-3847900306
ASIN: ...

Allgemeines:

Titel: Die Schlange von Essex
Autor: Sarah Perry
Verlag: Eichborn Verlag, Imprint der Bastei Lübbe AG (29. September 2017)
Genre: Historischer Roman
ISBN-10: 3847900307
ISBN-13: 978-3847900306
ASIN: B07143NJZZ
Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 16 Jahren
Originaltitel: The Essex Serpent
Seitenzahl: 496 Seiten
Preis: 24€ (gebundene Ausgabe)
17,99€ (Kindle-Edition)
Link: Hier klicken!
!Britischer Buchpreis für den besten Roman des Jahres 2016!



Inhalt:

London im Jahr 1893:

Nach dem Tod ihres Mannes verlässt Cora Seaborne die Hauptstadt und reist gemeinsam mit ihrem Sohn Francis in den Küstenort Aldwinter. Als Cora Seaborne vom Gerücht hört, der mythische Lindwurm von Essex sei zurückgekehrt und fordere die ersten Menschenleben, muss sie sich das unbedingt ansehen. Cora, eine Anhängerin der provokanten Thesen Charles Darwins, vermutet hinter dem Sagengeschöpf eine bislang unbekannte Tierart. Auch der Vikar von Aldwinter, William Ransome, glaubt den Gerüchten nicht, und versucht, seine Gemeinde zu beruhigen. Zwischen Cora und Will entspinnt sich eine besondere Beziehung und obwohl sie in rein gar nichts einer Meinung sind, fühlen sie sich unausweichlich zueinander hingezogen...


Bewertung:

DISCLAIMER: Vielen Dank an die Verlagsgruppe Lübbe für das Bereitstellen eines Vorableseexemplars!!!

Seltsam! Das war das Wort, das mir schon beim Betrachten des Covers durch den Kopf ging, sich während des Lesens des ersten Satzes bestätigt und mich durch das ganze Buch hinweg begleitet hat. Dabei wechselten sich gleichermaßen in positiven wie auch negativem Sinne interessant-seltsame, gruselig-seltsame sowie nervig-seltsame Situationen ab, die aber insgesamt ein so stimmiges und spezielles Gesamtbild ergeben, sodass ich nicht wirklich weiß, wie ich diesen Roman bewerten soll.

Denn dies ist absolut kein Buch, dass man einfach für Zwischendurch mal schnell lesen kann - teilweise ist das Vorrankommen schon fast Arbeit und ich habe auch über zwei Wochen an den gerade mal 500 Seiten gelesen, was für mich eine ellenlange Zeit ist. Um nicht den Anschluss in den poetischen, verschnörkelten Darstellungen zu verlieren, muss man ganz genau aufpassen, zwischen den Zeilen lesen und viel darüber nachdenken, wie etwas gemeint sein könnte. Dabei gehen schillernde Außergewöhnlichkeit und atmosphärische Widersprüche so einzigartig einher, dass man von all den Eindrücken geradezu erschlagen wird. Gerade dafür hat das englischsprachige Original den Preis für das beste Buch des Jahres bekommen und die deutsche Leserschaft erwartet die Veröffentlichung am heutigen Tag gespannt. Ich bin noch am Überlegen, ob ich dieses Werk nun wirklich genial und des Preises würdig sehen oder als mir persönlich zu seltsam abtun soll, doch Genialität und Verrücktheit liegen ja oft sehr nah beieinander...


Erster Satz: "Ein junger Mann geht unter dem kalten Vollmond am Ufer des Blackwaters spazieren."


Doch beginnen wir wie immer mit dem Cover, dass mit seinem wilden, einzigartigen und doch irgendwie friedlich wirkendem Muster perfekt ins Gesamtbild passt. Ich würde es nicht wirklich als schön bezeichnen - mit den orangenen Pflanzen und der grünen Schlange auf dem schwarzen Untergrund wirkt es mir irgendwie zu unruhig - doch es hat etwas hypnotisierendes, etwas einzigartiges, was auch das Buch an sich hat. Man fühlt sich sofort an die rauen Salzwiesen Aldwinters erinnert, an das Ungeheuer, das dort droht. Es ist dem englischen Original und allen anderen Übersetzungen sehr ähnlich gestaltet. Auch der Titel passt sehr gut und ist dem englischen direkt nachempfunden. Unter dem bedruckten Schutzumschlag der gebundenen Ausgabe findet man einen dunkelgrünen Buchdeckel mit geriffeltem Schlangenmuster zusehen, wenn man das buch in der Hand hält, kann man die einzelnen Schuppen spüren. Unterstrichen wird der Gesamteindruck dann noch durch das orangene Lesebändchen und die weißen Blumenranken auf orangenem Untergrund, die ähnlich denen auf dem Cover, die Innenseite des Buches verzieren. Eine wirklich wunderbar runde und besondere Gestaltung! Ob so etwas sein muss, damit das Buch dann 24€ kosten darf, ist eine andere Frage, über die man diskutieren könnte...

Ich gebe ganz offen zu, dass ich mich beim Anfragen dieses Buches auf meinen ersten Eindruck und auf den erhaltenen Preis verlassen habe und nach dem ersten Drittel recht enttäuscht war.
Die Geschichte von Cora, William und der Schlange von Essex beginnt sehr langsam und wird in sehr ruhigen und intensiven Tönen erzählt. Zuerst befasst ich die Autorin damit, uns ihre sehr speziellen und einzigartigen (man kann auch "seltsamen" sagen) Charaktere nahezubringen, ohne sie uns jemals durchschauen zu lassen. Auch wenn der Einstieg durchaus gut gemacht ist, habe ich sehr lange gebraucht, bis ich wirklich in der Geschichte angekommen bin. Wir werden der starrsinnigen Witwe Cora Seaborne zur Seite gestellt, die versucht, sich nach dem Tod ihres Mannes selbst zu verwirklichen. Zusammen mit ihrer sozialistisch überzeugten Freundin und Haushälterin Martha und ihrem leicht autistischen Sohn zieht es sie aufs Land hinaus, wo sie ihre neuen Freiheiten zu genießen versucht. Als überzeugte Hobby- Paläontologin entpuppt sich Essex, bald als Goldgrube, denn dort wird ein Volksmärchen anscheinend lebendig: im Blackwater soll eine gruselige Kreatur hausen, die Kinder klaut, Männer ertränkt und die Bewohner von Aldwinter für ihre Sünden büßen lassen soll - die Schlange von Essex. Ganz zum Leiden des Aldwinter Pfarrers William Ransome, der diese Geschichte für Unfug hält und Cora anhält, seine Gemeinde nicht mit solchen Spinnereien zu verunsichern. Aus einer ersten Meinungsverschiedenheit entwickelt sich bald eine Beziehung in der redegewandten Opposition und unausgesprochenen Anziehungskraft miteinander ringen...

Durchaus spannend geht es nach dem Einstieg weiter - dabei hat dieser historische Roman nichts von einem Abenteuer, mehr von einem leisen Selbstfindungsbuch einer Frau, die nicht in die Gesellschaft passen zu scheint. Eigentlich nicht so ganz mein Genre - etwas hat mich aber so fasziniert, dass ich es trotzdem spannend fand. Diese sonderbare Art und Weise des Feingefühls, mit dem die Autorin Szenen kreiert, sodass sie gleichzeitig sehr fremd und fern, wie auch vertraut und berührend wirken, ist wirklich einzigartig. Durch die eigenwillige Erzählweise, in der die Szenen ineinander übergehen, die Perspektiven so fließend wechseln, große Zeitspannen schnell überbrückt werden und die Handlung so schnell vorbeizieht, dass man es gar nicht bemerkt, ist es sehr schwierig mit dem Lesen aufzuhören und nicht zu vermeiden, dass man dann irgendwie doch hinabgezogen wird, in die Dunkelheit Aldwinters und die geheimnisvollen Tiefen des Blackwaters. Das Buch lebt nicht von der packenden Handlung, sondern viel mehr von den sehr speziellen und einzigartigen Charakteren, die Sarah Perry mit sehr viel Liebe, Kreativität und Engagement erschaffen hat. Sarah Perry hat keinen wilden, spannungsgeladenen „Page Turner“ geschrieben, sondern einen sehr atmosphärischen und bisweilen düsteren, ungewöhnlichen historischen Roman, der einem noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

Der Schreibstil der Autorin ist wirklich einmalig und ich denke im englischen Original viel eindrucksvoller. So sind einige Kleinigkeiten etwas seltsam übersetzt und man stockt ein wenig, wenn von "die Strand" die Rede ist, was dann eine Straße meint oder irgendwelche Zeitkugeln herunterfallen. Ansonsten werden vor allem Landschaften sehr atmosphärisch beschrieben und zeitweise verdichtete schon poetisch anmutende Formulierungen entführen uns in das kleine Städtchen Aldwinter.


"Wichtig ist nicht, was ich sehe, sondern was ich fühle. Ich kann den Äther nicht sehen, und doch spüre ich ihn bei jedem Atemzug und brauche ihn zum Leben. Ich fühle es, da kommt etwas auf uns zu, früher oder später; merken Sie sich meine Worte. Es war schon einmal hier, wie Sie selbst wissen, und es wird sich wieder zeigen - wenn nicht zu meinen Lebzeiten, dann zu Ihren, oder denen Ihrer Kinder oder Kindeskinder; und deshalb werde ich mich rüsten, Hochwürden, und ich würde Ihnen raten, es mir gleichzutun."


Das Geheimnis der Schlange in Essex nimmt leider nur eine gewisse Nebenrolle ein. Ich habe mich natürlich die ganze Zeit über gefragt, was es denn jetzt mit diesem mysteriösen Ungeheuer auf sich hat, das Cover, Titel und Klapptext so eindeutig beschreibt. Gibt es sie wirklich, oder ist sie nur ein Sinnbild für die Angst der Leute, die eine Erklärung für die Geschehnisse brauchen, die sie sich nicht erklären können. Seit der Entdeckung eines Ertrunkenen an Neujahr, fühlt sich das Dorf unsicher und unter Beobachtung. Warum ist die Schlange, die der Legende nach die Gegend schon 1669 mit seinen ledernen Flügeln und schnappendem Schnabel terrorisierte, nun zurückgekehrt? Was haben die Dorfbewohner falsch gemacht? Wo haben sie sich versündigt? An dieser Stelle nutzt Perry die symbolische Wirkung ihres Ungeheuers aus, um eine Gesellschaft zu zeichnen, die immer noch weit hinter der Aufklärung zurück hängt und charakterisiert durch die Reaktionen auf sie die Charaktere.

Für Cora, die gerne ein echtes Ungeheuer sehen würde, verkörpert die Schlange ein Wenig von der Überraschung, dem Entzücken, der Freiheit, der Entlassung aus der Welt, die nun durch den Tod ihres Mannes greifbar scheint. Für Will hingehen bedeutet die Schlange nur Ärger, ebenso wie die Wissenschaft. Menschen bräuchten die Sicherheit der Religion, oder sie beginnen, Dämonen zu erfinden - Geologie und Evolution seien nur in Mode, Theorien kommen und gehen, Gott bleibt. So ist es nicht verwunderlich, dass sie ständig aneinander geraten, der gläubige, gebildete Dorfpfarrer mit dem gesicherten Leben und die modern denkende Cora, die zwar reich und attraktiv ist, sich aber kleidet wie ein Mann und gerne im Dreck herumwühlt.

Ihre angeregten Konversationen und Diskussionen werden dem Leser zu einem großen Teil in Briefform präsentiert. Das verleiht der Handlung noch einmal einen sehr viel persönlicheren Charakter, und wir erfahren viel über Cora und ihre Person, da der Briefwechsel nicht nur zwischen William und ihr, sondern auch zwischen Cora und ihren anderen Freunden stattfindet. Dieser rege Briefwechsel ermöglicht es, größere Zeitspannen elegant zu überbrücken und zeigt außerdem, welchen Stellenwert Freundschaft einnehmen kann, wenn die Auffassungen grundverschieden sind. Denn trotz der vielen Diskussionen fliegen bald die Funken zwischen den beiden, wie wir natürlich von Anfang an geahnt hatten.


"Was suchen Sie hier?" "Das weiß ich noch nicht. Meine Freiheit vielleicht. Ich habe zu lange mit Hemmnissen gelebt. Sie fragen mich, warum ich im Schlamm wühle? Weil ich es aus meiner Kindheit kenne. Ich habe kaum jemals Schuhe getragen, ich habe Ginster für den Kräuterlikör gepflückt und Teiche gesehen, die vor Frösche brodelten. Aber dann kam Michael... (..) Aber jetzt bin ich frei!"


Gut gefallen hat mir, dass wir hier nicht die typische Liebesgeschichte präsentiert bekommen, denn Will ist glücklich verheiratet und auch Cora nicht gewillt eine Beziehung einzugehen - es ist von Anfang an klar, dass da nichts daraus werden kann.
In ihren verzweifelten Versuchen, die Anziehungskraft zwischen ihnen zu leugnen, bringen die beiden auch ihre Freunde durcheinander und immer wieder wird gezeigt, dass Liebe auch zerstören kann: Luke Garrett, Londons bester junger Chirurg, verliert in seiner verzweifelten Verliebtheit zu Cora seine operativen Fähigkeiten bei einem Unfall; George Spencer, der reiche Freund Lukes versucht, sich durch den Sozialismus Coras Begleiterin Martha zu nähern, deren Herz nur für die Gerechtigkeit schlägt; Williams schöne Ehefrau Stella, die an einer Krankheit sterbend die Herzen ihrer Familie bricht; Martha, die Cora auf eine gewisse Art liebt und Angst hat, sie als Freundin zu verlieren, Charles und Katherine Ambrose, die konservativen Freunde aus der High Society, die großzügig ihr Bestes tun, um ihren Freunden zu helfen und mitleiden müssen, Francis, Coras autistischer Sohn, der mit Liebe und Verständnis wenig anfangen kann und sich gerne mit seinen gesammelten Kostbarkeiten zurückzieht,... die verschiedenen Arten von Liebe, die hier in diesem Buch gezeigt werden sind vielfältig und haben doch alle etwas gemeinsam: sie verursachen viel Schmerz.

Im Mittelpunkt des Ganzen stehen also eindeutig Cora und ihre Beziehungen zu verschiedenen Leuten, die alle auf sehr verschiedene Art und Weisen intensiv sind. Cora an sich ist eine super Protagonistin - hier ein großes Lob an die Autorin, die es geschafft hat einen Charakter zu kreieren, der gleichzeitig echt, widersprüchlich, eigenwillig, liebenswert, seltsam, störrisch, schön, hässlich und einfach nur glaubwürdig erscheint. Ihre Vergangenheit ist höchst fragwürdig, es gibt einige Andeutungen, die aber nie ganz geklärt werden. Früh ist sie an einen älteren Mann geraten, der sie nach seinen Wünschen formen wollte und es sogar geschafft hat. Obwohl er Cora nicht gut behandelt hat, hat sie ihn auf ihre Art geliebt, was sie nicht davon abhält, eine gewisse Art der Erleichterung zu verspüren, als er verstirbt. Denn jetzt kann sie endlich sich selbst sein. Dass sie noch nicht so genau weiß, wer dieser neue Jemand sein soll, stellt man allzu bald fest, denn sich widerspricht ich ständig selbst, lässt sich nur von ihren Gefühlen leiten und bringt dadurch ihr ganzes Umfeld ganz schön durcheinander.

Auch die anderen Charaktere sind sehr gut und authentisch dargestellt, alle verkörpern ein kleines Stück der Mentalität dieser Zeit um 1893 herum - dem Viktorianischen Zeitalter. Immer wieder springt das Buch zwischen der Stadt London mit seinen zivilisierten Gesellschaftsregeln und Problemen und den Salzwiesen Aldwinters umher. Dabei wird medizinischer Fortschritt im Gegensatz zum Glauben thematisiert, Feminismus, aber auch die sozialistische Ideen, die nach der Industrialisierung entstanden. Man bekommt viele Armenviertel gezeigt, sieht dass die Beziehung zwischen Arbeiter und Unternehmer leidet, Wohnungen fehlen, hat aber auch einen Einblick in das Leben der reicheren und in ihre Gedanken. So redet zum Beispiel Charles Ambrose, der sonst ein anständiger Mann ist, von den niedrigen Wesen, die es zu nichts besserem gebracht haben, und eine andere Art behandelt zu werden gar nicht verdienen.


"Unvorstellbar, dass er jahrelang den ihm zugewiesenen Platz eingenommen und sich ohne zu Murren in die riesige malmende Maschinerie namens London eingefügt hatte. Wenn er heute um sich blickte, sah er einen kranken Körper in den letzten Fieberzuckungen - die Krankheit strömte durch Verkehrsadern zu Wasser und zu Lande, und in den Hallen und Fabriken sammelt sich das Gift. Nun war er aufgewacht."


Auch gesellschaftliche Strukturen, von denen Cora absolut kein Freund ist, werden thematisiert. Sehr interessant ist, dass Cora, die eigentlich offen gegen diese Strukturen und Rollenbilder rebelliert, indem sie unanständige Dinge tun, sich unweiblich kleidet, manchmal aber wieder davon eingeholt zu werden scheint und dann ein Seidenkleid trägt und Dinner Partys veranstaltet - sie also Anflüge von Scham empfindet, eben weil sie sich nicht verhält oder nicht so fühlt, wie von ihr erwartet wird. Und wie sie das wiederum dann so lächerlich findet, dass sie diese Gedanken wieder verwirft.

Insgesamt ergibt sich also ein vielfältiges Bild, die diese vergangene Zeit nicht nur als verklemmte und von Religion und Etikette versklavten Ära darstellt, sondern auch hervorhebt, dass es viele Menschen gab, die begonnen haben anders zu denken und einen Sinn für das Absonderliche entwickelt haben.

Und nur durch diesen Sinn für das Absonderliche muss ich schlussendlich auch sagen, dass ich das Buch doch faszinierend und empfehlenswert fand, auch wenn es wirklich seltsam ist. Gerade das sehr unkonventionelle Ende hat mir wieder sehr gut gefallen. Also zählt hier auch, was wir von den tausend komischen Schullektüren aus den vorherigen Jahrhunderten mitgenommen haben: Gute Literatur muss eben manchmal ein wenig abstrus sein!



Fazit:

Leise Töne, außergewöhnliche Charaktere, atmosphärische Landschaften und eine seltsam-gute Stimmung - eine etwas andere Darstellung des Viktorianischen Zeitalters, die ich nur jedem empfehlen kann!

Veröffentlicht am 29.09.2017

Liebe im Zeichen der Wissenschaft

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In außerordentlicher und höchst niveauvoller Sprache, die der historischen Zeit angepasst ist, hat die Autorin Sarah Perry ihren Roman verfasst. Sie besticht mit einem hervorragenden Schreibstil, der mich ...

In außerordentlicher und höchst niveauvoller Sprache, die der historischen Zeit angepasst ist, hat die Autorin Sarah Perry ihren Roman verfasst. Sie besticht mit einem hervorragenden Schreibstil, der mich fasziniert und zutiefst beeindruckt. Allein der Prolog ist die perfekte Kurzgeschichte, ein stilistisches Kleinod bis ins kleinste Detail gezeichnet. Im selben Perfektionismus sind auch die Figuren angelegt. Cora Seaborne, die Protagonistin des Buches, ist eine starke Frau mit großem Willen und brillantem Intellekt. Bei der Lektüre kann ich wunderbar eintauchen in die Zeit, in das Land und die Story reißt mich mit und hält mich gefangen. Die einzelnen Szenen sind beispiellos arrangiert und ich sehe das Buch wie einen Film vor meinen inneren Augen ablaufen.

Sarah Perry wurde 1979 in Chelmsford, England geboren und hat Kreatives Schreiben an der Royal Holloway University studiert und ihr Studium als Doctor of Philosophy abgeschlossen.

Sarah Perry legt mit "Die Schlange von Essex" ihre zweite Novell vor, die erste "After me comes the Flood" wurde bisher nicht ins Deutsche übersetzt. In Großbritannien ist die Autorin längst die Nummer eins in der Bestsellerliste und erhielt die Auszeichnung Waterstones Book of the Year 2016. "Die Schlange von Essex" wurde für acht weitere literarische Auszeichnungen nominiert, darunter ist der Costa Novel Award 2017 und der Bailey's Women's Prize for Fiction 2017. (Quelle: Wikipedia sowie die Homepage der Autorin)

Meine Bewertung: Klare fünf von fünf möglichen Sternen und eine absolute Leseempfehlung. Hier findet der Liebhaber historischer Romane alles was sein Herz begehrt: ein Bild der Zeit und das Leben Ende des 19. Jahrhunderts in England, die Rolle der Frau, die Revolution der Wissenschaft und natürlich Liebe und Passion.

Veröffentlicht am 15.04.2020

Anders als erwartet, aber empfehlenswert

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Cora Seabornes Mann stirbt und sie ist mit ihrem Sohn allein. Doch statt betrübt zu sein, beginnt die gut situierte Frau ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu leben. Ihr Interesse an wissenschaftlichen ...

Cora Seabornes Mann stirbt und sie ist mit ihrem Sohn allein. Doch statt betrübt zu sein, beginnt die gut situierte Frau ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu leben. Ihr Interesse an wissenschaftlichen Themen führt in das kleine Dorf Aldwinter, denn dort geht das Schauermärchen der Schlange von Essex um. Gibt es tatsächlich ein Ungeheuer oder lassen sich die Geschehnisse leicht erklären?

Man muss ein gewisses Interesse an der viktorianischen Zeit mitbringen und auch Interesse an den Charakteren entwickeln, um Freude an dem Buch zu entwickeln. Mir ist das weitgehend gelungen, unter anderem, weil mich nach einer gewissen Eingewöhnungszeit die gut aufgebauten Charaktere und ihre Entwicklung sehr interessierten. Besonders zu nennen sind hier Cora und ihr „Gegenpart“, der Pfarrer William. Darüber hinaus war auch die Frage nach der Schlange nicht uninteressant. Beeindruckt hat mich weiterhin, dass neben den zentralen Themen wie Wissenschaft und Religion so viele gesellschaftliche Themengebiete angeschnitten worden sind, wie beispielsweise die Wohnsituation der armen Bevölkerung. Natürlich kommt auch das Zwischenmenschliche nicht zu kurz von Freundschaften bis hin zur Liebe in jeglicher Form.
Herausragend ist der Schreibstil, der zum genussvollen Lesen einlädt und die Welt um einen herum auszuschalten scheint.

Unter dem Strich hat das Buch zwar nicht ganz meinen Erwartungen entsprochen, denn den Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft war nicht so zentral, wie ich das erwartet hatte, jedoch war ich trotzdem recht angetan.