Cover-Bild Vergesst unsere Namen nicht
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22,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Eichborn
  • Themenbereich: Biografien, Literatur, Literaturwissenschaft
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 352
  • Ersterscheinung: 30.08.2019
  • ISBN: 9783847906667
  • Empfohlenes Alter: ab 16 Jahren
Simon Stranger

Vergesst unsere Namen nicht

Roman
Thorsten Alms (Übersetzer)

Eine wahre Familiengeschichte, die zeigt, wie nah Dunkelheit und Hoffnung beieinanderliegen können

In der jüdischen Tradition heißt es, dass ein Mensch zwei Mal stirbt. Das erste Mal, wenn das Herz aufhört zu schlagen und die Synapsen im Gehirn erlöschen wie das Licht in einer Stadt, in der der Strom ausfällt. Das zweite Mal, wenn der Name des Toten zum letzten Mal gesagt, gelesen oder gedacht wird, fünfzig oder hundert oder vierhundert Jahre später. Erst dann ist der Betroffene wirklich verschwunden, aus dem irdischen Leben gestrichen.

Ein auf wahren Begebenheiten basierender Roman, der achtzig Jahre Geschichte und vier Generationen umfasst. Eine Erzählung über den Holocaust, über Familiengeheimnisse und über die Geschichten, die wir an unsere Kinder weitergeben.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 11.09.2019

Gelungener Balanceakt zwischen Realität und Fiktion, Licht und Schatten

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Der Norweger Simon Stranger hat sich mit seinem Roman „Vergesst unsere Namen nicht“ einiges vorgenommen – und schafft das auch: Er arbeitet die jüdische Familiengeschichte seiner Ehefrau auf. Er setzt ...

Der Norweger Simon Stranger hat sich mit seinem Roman „Vergesst unsere Namen nicht“ einiges vorgenommen – und schafft das auch: Er arbeitet die jüdische Familiengeschichte seiner Ehefrau auf. Er setzt den von den Nazis während der deutschen Besatzung ermordeten norwegischen Juden und Widerstandskämpfern ein Denkmal. Und er führt vor Augen, zu welchen Gräueltaten Menschen fähig sind. Letzteres wird am Beispiel der Trondheimer Rinnan-Bande gezeigt, die, angeführt vom Norweger Henry Rinnan, im Auftrag der Nationalsozialisten die eigenen Landsleute ausspionierte, erpresste, folterte und auch tötete. Henry Rinnan konnte nach dem Zweiten Weltkrieg der Prozess gemacht werden; er endete mit seinem Todesurteil. Seine Taten sind gut dokumentiert, im Gegensatz zu den Leben seiner Opfern, die deportiert, ins Gefängnis geschafft oder ermordet wurden.
Während der Besatzung Norwegens wurde auch Hirsch Komissar erschossen – der Urgroßvater von Simon Strangers Ehefrau, ein Jude, an den ein Stolperstein in Trondheim erinnert. Eine direkte Verbindung von Rinnan zu ihm lässt sich nicht nachweisen, doch sie lebten zur gleichen Zeit in der gleichen Stadt. Zu Beginn seines Buches berichtet Stranger, dass der jüdischen Tradition nach ein Mensch erst dann wirklich tot ist, wenn sich niemand mehr an seinen Namen erinnert. Für die Erinnerung an Hirsch Komissar sorgen außer dem Stolperstein des Künstlers Gunter Demnig, der seit 1992 bereits über 70.000 kleine Gedenktafeln verlegt hat, Komissars Nachkommen – und außerdem dieses Buch, das immer wieder von seinem Leben und Sterben erzählt.

Den Fakten will Stranger möglichst gerecht zu werden. Zeiten und Orte sind belegt, die geschilderten Gedanken und Gefühle aber natürlich nicht. Sein gesamtes Buch über balanciert der Autor zwischen Historie und Roman, was ihm überraschend gut glückt. Täter Rinnan wird dabei mehr Raum gegeben als Hirsch Komissar, was an der unterschiedlichen Quellenlage liegt. Stranger hat nichtfiktives und fiktives Material äußerst behutsam miteinander verwoben. Weniger behutsam, sondern zum Teil unerträglich sind dagegen die – geschichtlich belegten – Gewaltexzesse im Bandenquartier von Rinnan, der seine Oper eigenhändig gefoltert hat. Hier konnte ich einige der expliziten Beschreibungen nur überfliegen.

„Vergesst unsere Namen nicht“ ist assoziativ erzählt – der Autor springt zwischen Zeiten, Orten und Personen hin und her. Als Orientierungspunkt dient hier das Alphabet; von A bis Z werden meist mehrere Stichwörter pro Buchstabe aufgegriffen. So wirkt der Roman anfangs wie eine ungeordnete Anekdotensammlung, was meinen Lesefluss jedoch nicht gestört hat. Im Gegenteil: Er machte die Lektüre erträglicher, auf Schreckliches folgten Alltag oder Gedanken zu Reue, Vergebung und Versöhnung. Und so ist dieses Buch wirklich ein "Lexikon von Licht und Schatten", wie es auch im besser gewählten Originaltitel heißt. Stranger ist eine besondere Komposition gelungen, die vielleicht wegen des ungewöhnlichen Aufbaus noch mehr nachwirkt als andere Bücher zu diesem Thema. Am Ende verspricht der Autor dem Ahnen seiner Kinder: „Wir werden weiter Deinen Namen sagen.“ Und auch der Leser wird ihn nach der Lektüre dieses Buches nicht mehr vergessen.


Ich habe dieses E-Book als Rezensionsexemplar erhalten.

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Veröffentlicht am 23.09.2019

Mit dem Wissen über die Vergangenheit in die Zukunft schauen!

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Rezension „Vergesst unsere Namen nicht“ von Simon Stranger

Zum Inhalt „Vergesst unsere Namen nicht“

Vergesst unsere Namen nicht“ von Simon Stranger ist nicht nur eine Familiengeschichte, sondern auch ...

Rezension „Vergesst unsere Namen nicht“ von Simon Stranger

Zum Inhalt „Vergesst unsere Namen nicht“

Vergesst unsere Namen nicht“ von Simon Stranger ist nicht nur eine Familiengeschichte, sondern auch das Psychogramm eines brutalen Kriegsverbrechers. Es zeigt die Zeit von ca. 1920 bis heute und es spielt in Norwegen. Es ist vor allem die Geschichte der deutschen Besatzung in Trondheim während des Zweiten Weltkriegs.

Das Schlimmste an diesem Buch ist, dass es auf Fakten beruht und keine Fiktion ist. Es ist ein historischer Roman, der mit abscheulichen Fakten hinterlegt ist. Deswegen habe ich in der rechten Spalten historischen Fakten aus den genannten Wikipedia Artikeln beigefügt.

Simon Stranger und „Vergesst unsere Namen nicht!“

„Wir leben in einer Welt der verbalen Auseinandersetzungen. Lass diesen Roman lieber eine Aufforderung sein, nach vorn zu sehen. Lass ihn lieber eine Möglichkeit zur Versöhnung sein und für Vergebung“, ...Seite 320

Dieser Aufruf kam von Simon Strangers Frau Rikke, deren Mutter Grete als Kind im Bandenkloster gewohnt hat und das, obwohl Ihre Familie durch den Holocaust Opfer zu beklagen hatte.

Das Buch ist für Simon Stranger eine sehr persönliche Angelegenheit. Es ist ein Teil seiner Geschichte oder genauer gesagt, es ist die Familiengeschichte seiner Frau.

Dieser Roman möchte nicht anklagen, er verwirklicht Rikke Strangers Aufforderung.

Historische Fakten zu „Vergesst unsere Namen nicht“
Norwegen unter deutscher Besatzung

Die Besetzung Norwegens durch die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg begann mit dem Unternehmen Weserübung am 9. April 1940 und endete am 8. Mai 1945, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht.

Aus deutscher Sicht wurde die Invasion als „Inschutznahme“ gegen britische Operationen in norwegischen Gewässern verteidigt. Der bisherige NSDAP-Gauleiter von Essen, Josef Terboven, wurde von Hitler unter Abkehr von einer an die völkerrechtlichen Regeln gebundenen Besatzungsherrschaft einer Militärverwaltung, zum Reichskommissar für Norwegen ernannt und sollte die „Norweger als Freunde gewinnen“.

Nach der Besetzung lebten im Lande rund 2100 jüdische Norweger und Flüchtlinge aus Mitteleuropa, deren Situation sich ab Sommer 1941 verschlechterte. In Nordnorwegen verhafteten die deutschen Besatzer alle jüdischen Männer, in anderen Landesteilen nur die staatenlosen Juden.

(Entnommen aus Wikipedia Artikel „Norwegen unter deutscher Besatzung“

Worum geht es?

Simon Stranger erzählt das Schicksal der Familie Komissar. Familie Komissar steht als Juden auf der Seite der Verfolgten und gleichzeitig stellvertretend für alle Opfer.

Er erzählt auch die Geschichte Henry Oliver Rinnans. Ein Kriegsverbrecher, der als Kollaborateur, Spion, Folterer und Handlanger der Nazis auf Seiten der Täter steht, stellvertretend für alle Täter.

Es handelt sich zwar konkret um diese Familiengeschichte, aber Simon Stranger weist immer wieder darauf hin, dass seine Familie nur eine und der vielen Opferfamilien ist. Der Leser erfährt in diesem Zusammenhang auch einiges über die „Stolpersteine“, dem Kunstprojekt für Europa von Gunter Demnig.

Meine Gedanken zu Henry Oliver Rinnan

Rinnan wird zum Täter, ohne wirklich ein Nazi zu sein. Er war ein Psychopath, der im Nationalsozialismus, das System fand, in dem er seine Bedürfnisse befriedigen konnte, seine Rachegelüste ausleben konnte und das ihn anerkannte. Er war jemand! Er hatte es Allen gezeigt. Er hatte das Kommando!

Rinnan, nur 1.60 m groß, von den Anderen als Kind schon verspottet, wollte schon immer hoch hinaus. Empathie kannte er nicht. Der Autor erzählt eine Geschichte aus der Kindheit Rinnan, in der er großes Mitgefühl und hohe Sensibilität zeigte. Aber anscheinend hat ihm das Leben diese Seite abgewöhnt. Er wurde in der norwegischen Armee nicht angenommen. Und diese Erfahrung wiederholte sich. Jede Zurückweisung setzte bei ihm weitere kriminelle Energie frei. Schon früh zeigt sich, dass er über kein Unrechtsbewusstsein verfügt. Ich würde das schon als einen Napoleon-Komplex bezeichnen. Er versuchte durch scheinbare Erfolge, seine Körpergröße zu kompensieren.

„S - wie der Spruch der Rinnan zugeschrieben wird und den er zu neuen Gefangenen gesagt haben soll, wenn sie ins Bandenkloster kamen: Willkommen am einzigen Ort in Trondheim, an dem die Wahrheit gesagt wird.“, ...Seite 301

Historische Fakten zu Henry Oliver Rinnan
Henry Oliver Rinnan (14. Mai 1915 – 1. Februar 1947) war ein berüchtigter norwegischer Gestapo- Agent während des Zweiten Weltkriegs (1940 – 1945). Er leitete eine Gruppe namens Sonderabteilung Lola. Diese Gruppe, unter Norwegern als Rinnanbanden bekannt, hatte 50 bekannte Mitglieder.

Ab September 1943 hatten die Rinnanbanden ihren Sitz in Trondheim, bekannt als Bandeklosteret . Rinnan arbeitete eng mit der deutschen Sicherheitspolizei in Trondheim zusammen. Während des Krieges wurde Rinnan zum SS – Untersturmführer der Reserve ernannt und erhielt 1944 das Eiserne Kreuz der 2. Klasse.

Rinnan wurde wegen persönlicher Ermordung von dreizehn Personen verurteilt, aber die tatsächliche Zahl könnte höher sein, hingerichtet. Er wurde eingeäschert und später inoffiziell auf dem Levanger-Friedhof in einem nicht gekennzeichneten Grab beigesetzt.

Vierzig Prozent der Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg wegen norwegischer Kriegsverbrechen hingerichtet wurden, waren mit der Sonderabteilung Lola verbunden.

(Entnommen Norwegischer ins Deutsche übersetzte Wikipedia Artikel zu Henry Oliver Rinnan)

Sprachstil

Simon Stranger erzählt in vier Zeitebenen und Handlungssträngen.:

1. Handlungsstrang: Hirsch Komissar (während der Besatzung). Im Buch die 1. Generation der Familie Komissar.

2. Handlungsstrang: Gerson Komissar und seine Familie (nach der Besatzung) 2. Generation.

3. Handlungsstrang: In der Gegenwart – der Autor erzählt von seiner Familie und der Entstehungsgeschichte von „Vergesst unsere Namen nicht“. 3., 4. und 5. Generation der Familie.

4. Handlungsstrang: Henry Oliver Rinnen – vor und während der Besatzung.

Der Autor schildert das Geschehen ohne Affektheischerei. Es sind Vorkommnisse, die man beim Lesen kaum ertragen kann. Das Wissen, dass es sich dabei um keine Horrorfiktion handelt, sondern um unsere deutsche Geschichte, ist der eigentliche Horror.

Besonders gut hat mir die Kapitelbezeichnung und Aufteilung gefallen. Simon Stranger hat das Alphabet mit Bespielen als Nummerierung genommen. Ich zitiere:

„A wie Anklage
A wie Aussage
A wie Arrest“
Ich fand das sehr aussagekräftig. Er fand für jeden einzelnen Buchstaben des Alphabets, passende Schlagwörter. Es ist keine bequeme Lektüre. Es ist Literatur gegen das Vergessen.

Das Hörbuch

Die ungekürzte Hörbuchfassung wird exklusiv von Audible und ausschließlich als Download präsentiert. Das Hörbuch hat eine Länge von 10 Stunden und 9 Minuten und ist ebenfalls am 30.08.2019 erschienen.

Uwe Teschner liest das Buch sensibel und zurückhaltend. Mir hat die Stimme und das Sprachverhalten sehr gut gefallen.

Meine abschließenden Gedanken zu „Vergesst unsere Namen nicht“

Das Buch wurde mir über die Blogger-News von Bastei Lübbe, der Eichborn Verlag gehört zu Bastei Lübbe, angeboten. Obwohl mein Stapel ungelesener Bücher schon sehr hoch ist und ich zudem Rezensionen für September und Oktober zugesagt hatte, konnte ich, wegen folgender Zeilen aus dem Klappentext, nicht widerstehen, die ich gerne rezitieren möchte:

„In der jüdischen Tradition heißt es, dass ein Mensch zwei Mal stirbt. Das erste Mal, wenn das Herz aufhört zu schlagen und die Synapsen im Gehirn erlöschen wie das Licht in einer Stadt, in der der Strom ausfällt. Das zweite Mal, wenn der Name des Toten zum letzten Mal gesagt, gelesen oder gedacht wird, fünfzig oder hundert oder vierhundert Jahre später. Erst dann ist der Betroffene wirklich verschwunden, aus dem irdischen Leben gestrichen.“Seite 6 und Klappentext

Ich finde das einen sehr schönen Gedanken des Talmuds, der auch einer der Entstehungsgründe der „Stolpersteine“ ist. Ich wollte mit der Veröffentlichung meiner Rezension einen kleinen Beitrag dazu leisten, deswegen habe ich dieses Rezensionsexemplar angefragt.

Ja! Ich schäme mich, dass wir Deutschen diese Gräueltaten begingen und zugelassen haben. Ich schäme mich, dass wir weggeschaut haben. Und trotz des Wissens über diese abscheulichen Verbrechen des Nationalsozialismus, ruckt Europa nach rechts und die Rechten marschieren wieder. Sie marschieren zwar nicht generell, aber immer wieder. In einigen Bundesländern konnte die AfD 25 % erreichen. Wie ist so etwas möglich? Hat uns die Zeit so desensibilisiert und alles vergessen lassen? Haben wir gar nichts aus unserer Geschichte gelernt?

Einige meiner Leser wissen, dass ich eine große Anhängerin Hannah Arendts bin. Eine großartige Philosophin, die selbst Jüdin, aber noch rechtzeitig mit ihrem zweiten Mann, Heinrich Blücher, ins Exil in die USA flüchten konnte. Walter Benjamin hat sich 1942, aus Angst vor den Verfolgern, in Paris das Leben genommen.

Ich benenne hier Hannah Arendt, weil Simon Strangers Frau Rikke, den Aufruf zur Versöhnung einbrachte. Auch Hannah Arendt wollte Versöhnung und keineswegs Rache oder Vergeltung.

Davor habe ich große Achtung. Ich bezweifle, dass ich diese Größe hätte.

Schade, dass die Politik Benjamin Netanjahus, keine Toleranz gegenüber der anderen Seite hat und eine Siedlungspolitik verfolgt, die keine Rücksicht auf die Palästinenser nimmt. Man kann nur hoffen, dass die nach der Wahl beabsichtigte „Großen Koalition“ unter Benny Gantz und ohne Netanjahu kommt. Aber selbst dann, gibt es noch genügend Hardliner, die auf der Regierungsbank sitzen.

Simon Stranger ist dem Aufruf seiner Frau gefolgt. Er schrieb ein Buch, das nicht wertet, sondern berichtet und erzählt. Er versucht, Gründe zu finden, wie ein Mensch zu einem der größten Kriegsverbrecher Norwegens wurde. Die Geschichte ist nicht schwarz/weiß, sondern hat viele Grautöne. Der Leser selbst darf das Geschehen werten

Veröffentlicht am 09.09.2019

Intensiver, aufwühlender und nachdenklich stimmender Roman

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"Vergesst unsere Namen nicht" von dem norwegischen Autor Simon Stranger ist ein intensiver, aufwühlender und nachdenklich stimmender Roman. Ein wichtiges und wertvolles Buch, das glücklicherweise nun auch ...

"Vergesst unsere Namen nicht" von dem norwegischen Autor Simon Stranger ist ein intensiver, aufwühlender und nachdenklich stimmender Roman. Ein wichtiges und wertvolles Buch, das glücklicherweise nun auch auf Deutsch erschienen ist. Ich bin sehr froh, dass ich "Vergesst unsere Namen nicht" lesen durfte, da es ein besonderes und außergewöhnliches Werk ist, das bei mir noch lange nachhallen wird.

Eine Besonderheit des Romans besteht darin, dass der Autor Simon Stranger die Inspiration für sein Werk in der eigenen Familiengeschichte gefunden hat. In umfangreichen Recherchen hat er versucht Quellen zu finden und historische Ereignisse möglichst genau zu beschreiben. Die Qualität und Intensität dieser Recherchen werden in "Vergesst unsere Namen nicht" sehr deutlich. Neben fiktiven Erzählungen gibt es auch immer wieder Passagen, die historische Ereignisse sehr detailliert aufgreifen, so dass ich noch einige Details erfahren habe, die mir bisher nicht bekannt waren.

Eine weitere Besonderheit des Romans besteht darin, dass die Kapitel mit Buchstaben des Alphabets eingeteilt werden und dann Begriffe zu den jeweiligen Buchstaben aufgreifen. Für jeden Buchstaben des Alphabets gibt es ein Kapitel. In dem jeweiligen Kapitel wird dann mit Einschüben, z. B. "C wie...", der Text gegliedert, nach jedem dieser Einschübe wechselt sich die Perspektive oder die handelnden Personen. Das gefällt mir ausgesprochen gut und habe ich so auch noch bei keinem Werk erlebt.
 
Der Schreibstil hat mich von Anfang an gefesselt und es schwer gemacht das Buch wegzulegen. Es gefällt mir gut, dass aus drei Perspektiven geschrieben wird ("Du", "Ich", "Er"). Dadurch werden die verschiedenen handelnden Personen und die verschiedenen Zeitebenen voneinander klar abgegrenzt und es ist jeweils deutlich, welcher Handlungsstrang gerade fortgeführt wird.
Zudem wird sehr eindringlich, bildhaft und bewegend geschrieben. Ich hatte gleich ein klares Bild der handelnden Personen und der Orte und war emotional von Anfang an von der Handlung ergriffen. Simon Stranger schreibt nicht reißerisch oder übertrieben, trifft jedoch trotzdem direkt ins Herz.

Mich haben einige Passagen sehr aufgewühlt. Insbesondere der folgende Dialog: 

"Warum wurde er ermordet, Papa? 
"Weil er Jude war. " 
"Ja, aber warum?" 

In diesem kurzen Gespräch wird so gut die Sinnlosigkeit der damaligen Propaganda und der damit verbundenen Gräueltaten deutlich. Ich kann nur schwer bis gar nicht nachvollziehen, wie es mit dem Nationalsozialismus so weit kommen konnte. Da ist es für mich besonders interessant zu sehen, wie der Autor versucht, Henry Oliver Rinnan - wohl einer der extremsten Nationalsozialisten Norwegens - als Person und dessen Entwicklung aufzuarbeiten.
Als Gegenbild stellt der Autor Julius Paltiel vor, ein Vorfahr der trotz Konzentrationslager und Todesmarsch vollkommen in sich ruht, keinen Hass schürt. 
 
Die Frage "Wie kann es sein, dass jemand stärker wird durch diesen Widerstand, durch all das Böse, das ihm zustößt, während andere sich beugen, zerbrechen, verkrüppeln, zerstört werden, eine dunkle Seele bekommen?" hat noch eine Weile bei mir nachgehallt. Dieser Roman lässt wirklich tief in menschliche Abgründe schauen, wühlt auf, bewegt und berührt. 

Dennoch möchte Simon Stranger mit seinem Roman nicht anklagen oder verurteilen. "Lass diesen Roman lieber eine Aufforderung sein, nach vorn zu sehen. Lass ihn lieber eine Möglichkeit zur Versöhnung sein und für Vergebung."

"Vergesst unsere Namen nicht" ist ein großes, wertvolles Werk, das sich zu lesen lohnt. Es ist passagenweise nichts für schwache Nerven und keine reine Unterhaltungslektüre, jedoch traurige Realität mit der man sich dennoch auseinander setzen sollte und die den Leser auch mit einem Hoffnungsschimmern zurück lässt.

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Veröffentlicht am 05.01.2020

O wie Offenbarung des Bösen, V wie Vergebung

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Während der norwegische Literaturzug mit dem Kronprinzenpaar und zahlreichen Autoren, unter ihnen auch Simon Stranger, seinem Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse entgegenrollt, habe ich mit ...

Während der norwegische Literaturzug mit dem Kronprinzenpaar und zahlreichen Autoren, unter ihnen auch Simon Stranger, seinem Gastlandauftritt auf der Frankfurter Buchmesse entgegenrollt, habe ich mit großer Anteilnahme Strangers Holocaust-Roman "Vergesst unsere Namen nicht" gelesen. Inspiriert vom Stolperstein für den Urgroßvater seiner Frau in Trondheim, hat er mit Familienangehörigen gesprochen, Handlungsorte aufgesucht und in Archiven recherchiert. Trotzdem ist sein Buch ein Roman, denn nicht alles ließ sich rekonstruieren und Lücken galt es mit Fantasie zu füllen.

J wie Jude
Einer jüdischen Tradition gemäß stirbt ein Mensch zwei Mal: wenn das Herz aufhört zu schlagen und wenn sein Name zum letzten Mal gesagt, gelesen oder gedacht wird. Genau wie der Künstler Gunter Demnig mit den von ihm erdachten Stolpersteinen möchte auch Stranger diesen zweiten Tod hinausschieben. „A“ bis „Z“ sind die 26 Kapitel überschrieben, jeder Buchstabe liefert Stichwörter, die sich zuletzt wie ein Puzzle zur ganzen Geschichte zusammenfügen.

S wie Stolperstein
Die Familie von Hirsch Komissar, dessen Stolperstein in Trondheim liegt, kam nach den Judenprogromen in den 1880er-Jahren aus Russland nach Norwegen. In Trondheim führte er ein Bekleidungsgeschäft. Am Tag der Besetzung Norwegens durch die Wehrmacht floh Hirsch Komissar mit seiner Frau und den drei Kindern nach Schweden, kehrte aber kurz darauf wieder zurück. Am 12.01.1942 wurde er verhaftet, zeitweise im Lager Falstad gefangen gehalten und am 07.10.1942 hingerichtet. Dass sein Sohn Gerson später zusammen mit seiner Frau Ellen und den beiden Töchtern, eine davon Strangers Schwiegermutter, ausgerechnet in das Haus zog, in dem so viele Gefangene der norwegischen Gestapo gefoltert und ermordet wurden, mutet angesichts dieser Familiengeschichte unglaublich an.

R wie Rinnan
Noch mehr als dem Opfer widmet sich Simon Stranger einem Täter, dem norwegischen Gestapo-Vertrauten Henry Oliver Rinnan (1915 – 1947), 1945 einer der meistgesuchten norwegischen Kriegsverbrecher. Beim Prozess gegen die sogenannte „Bande“ trug er die Nummer eins am Revers und ein Gutachten bescheinigte ihm große Intelligenz, Anomalien im Gefühlsleben und eine eigentümliche Macht über seine Mitmenschen. Erstaunt war ich, dass Rinnan, so wie Stranger ihn beschreibt, keinerlei politische Überzeugungen hatte. Triebfeder für seinen Verrat an Widerstandskämpfern und Juden sowie für erbarmungslose Folterungen, Gewaltexzesse und Tötungen im sogenannten „Bandenkloster“ waren Machtstreben und Eitelkeit dieses ob seiner geringen Körpergröße mit tiefen Minderwertigkeitskomplexen behafteten Mannes.

M wie Machtlosigkeit
Ganz besonders interessant fand ich Strangers Gedanken zum Entzug der Menschlichkeit durch die Täter:

"Allen, die ermordet werden, muss die Menschlichkeit genommen werden… Alles, was an Persönlichkeit erinnert, muss verschwinden, um zu verhindern, dass die Henker sich in den Gesichtern ihrer Opfer selbst wiedererkennen. Diese notwendige Distanz ist die Voraussetzung. Ohne sie ist der nächste Schritt unmöglich, er wäre wie ein Angriff auf das eigene Spiegelbild."

Z wie Zukunft
Warum wurde in der Familie von Strangers Frau Rikke zu den Ereignissen des Krieges meist geschwiegen? „Es war der Wunsch zu vergeben und weiterzugehen… Dass wir etwas ändern können, das ist der Weg in die Zukunft.“ Und doch ist es wichtig, diesen Teil der Geschichte lebendig zu halten, nicht nur, um den zweiten Tod der Opfer hinauszuzögern, sondern auch, um der neuen Rechten entgegenzutreten und Außenseiter nicht zu Tätern werden lassen. Das Buch von Simon Stranger ist ein wertvoller Beitrag dazu.

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Veröffentlicht am 20.11.2019

Jonsvannsveien 46, Trondheim

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✿ Meine Meinung ✿
Der Autor Simon Stranger erzählt hier die Familiengeschichte seiner Frau Rikke nach und dadurch bekommt der Roman eine Intensität und Realität, die mich sehr betroffen gemacht hat. Wir ...

✿ Meine Meinung ✿
Der Autor Simon Stranger erzählt hier die Familiengeschichte seiner Frau Rikke nach und dadurch bekommt der Roman eine Intensität und Realität, die mich sehr betroffen gemacht hat. Wir alle kennen ja die "Stolpersteine", die in den Boden eingelassenen kleinen Mahnmale. Sie sollen an das Schicksal der Menschen erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet und deportiert wurden. In Trondheim gibt es die Tafel mit dem Namen "Hirsch Komissar" und dies ist der Urgroßvater von Rikke gewesen. Es werden Einblicke in sein Leben gewährt und der Werdegang der Familie wird weitererzählt. Als Gegenpart zur Familie bringt der Autor Henry Oliver Rinnan ins Spiel. Der Lebenslauf von Rinnan nimmt einen Großteil der Geschichte ein und hier kann man geteilter Meinung sein, entweder empfindet man das ihm zu viel Raum gegeben wird, oder man ist erschrocken darüber, wie aus einem kleinen, in der Jugend nicht ernst genommen Jungen, solche ein Monster werden konnte. Im Jonsvannsveien 46, ließ er damals Gefangene foltern und quälen, zudem fungierte er als "Agent" der deutschen Sicherheitspolizei und hat sich heuchlerisch, freundschaftlich und nett an die Menschen rangemacht, um ihre Meinung zur politischen Lage zu erfahren. Hatte er jemanden ausgemacht der sich engagierte und aufmuckte, hat er diese Leute verraten. Was denen dann blühte, kann man sich vorstellen. Rinnan, der Mann mit den zwei Gesichtern. Der Autor nimmt kein Blatt vor den Mund und haut dem Leser die damalige brutale Realität um die Ohren. Ich musst das Buch, an einigen Stellen, mehrmals zur Seite legen. Simon Stranger erzählt beeindrucken, manchmal sehr intensiv, manchmal aber auch etwas distanziert, eine wundervolle Mischung die seinen Schreibstil sehr lesenswert macht. Klasse recherchiert und sehr beeindrucken umgesetzt. Ein Roman, den man gelesen haben muss.
✿ Mein Fazit ✿
Eine wahre Familiengeschichte die mir Gänsehaut beschert hat und die mich nachträglich noch länger beschäftigen wird. Ein Roman gegen das Vergessen, einfach grandios geschrieben.