Cover-Bild Vergesst unsere Namen nicht
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22,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Eichborn
  • Themenbereich: Biografien, Literatur, Literaturwissenschaft
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 352
  • Ersterscheinung: 30.08.2019
  • ISBN: 9783847906667
  • Empfohlenes Alter: ab 16 Jahren
Simon Stranger

Vergesst unsere Namen nicht

Roman
Thorsten Alms (Übersetzer)

Eine wahre Familiengeschichte, die zeigt, wie nah Dunkelheit und Hoffnung beieinanderliegen können

In der jüdischen Tradition heißt es, dass ein Mensch zwei Mal stirbt. Das erste Mal, wenn das Herz aufhört zu schlagen und die Synapsen im Gehirn erlöschen wie das Licht in einer Stadt, in der der Strom ausfällt. Das zweite Mal, wenn der Name des Toten zum letzten Mal gesagt, gelesen oder gedacht wird, fünfzig oder hundert oder vierhundert Jahre später. Erst dann ist der Betroffene wirklich verschwunden, aus dem irdischen Leben gestrichen.

Ein auf wahren Begebenheiten basierender Roman, der achtzig Jahre Geschichte und vier Generationen umfasst. Eine Erzählung über den Holocaust, über Familiengeheimnisse und über die Geschichten, die wir an unsere Kinder weitergeben.

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.09.2019

Ein bewegender literarischer "Stolperstein" aus Norwegen

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Dieser wichtige literarische "Stolperstein", der in diesem Falle Hirsch Komissar gewidmet wurde und von dessen Leben und seinen Peinigern im besetzten Norwegen (ab 1940) der Nationalsozialisten handelt, ...

Dieser wichtige literarische "Stolperstein", der in diesem Falle Hirsch Komissar gewidmet wurde und von dessen Leben und seinen Peinigern im besetzten Norwegen (ab 1940) der Nationalsozialisten handelt, erschien im Eichborn-Verlag, August 2019. Es ist inhaltlich keine leichte Kost und lässt den Leser - gerade in der heutigen Zeit, im Erstarken von Populisten in ganz Europa - sehr nachdenklich zurück; aber das Lesen dieses ungewöhnlich geschriebenen Romans lohnt sich für historisch interessierte LeserInnen sehr!

"In der jüdischen Tradition heißt es, dass ein Mensch zwei Mal stirbt. Das erste Mal, wenn das Herz aufhört zu schlagen und die Synapsen im Gehirn erlöschen wie das Licht in einer Stadt, in der der Strom ausfällt. Das zweite Mal, wenn der Name des Toten zum letzten Mal gesagt, gelesen oder gedacht wird, fünfzig oder hundert oder vierhundert Jahre später. Erst dann ist der Betroffene wirklich verschwunden, aus dem irdischen Leben gestrichen.

Ein auf wahren Begebenheiten basierender Roman, der achtzig Jahre Geschichte und vier Generationen umfasst. Eine Erzählung über den Holocaust, über Familiengeheimnisse und über die Geschichten, die wir an unsere Kinder weitergeben." (Quelle: Verlagstext)

Ausgangspunkt des Romans und der Aufarbeitung einer Familienchronik ist ein Stolperstein (Steine der Erinnerung, die vor dem jeweiligen Haus platziert wurden, in dem eine oder mehrere jüdische Familien vor dem 2. Weltkrieg und dem Holocaust wohnten). Es ist der im Roman vom Verfasser mit "du" angesprochenen Hirsch Komissar, der mit seinen Eltern einst aus Russland emigrieren musste und in Norwegen mit seiner Frau Marie einen Textilladen aus dem "Nichts" erschuf. Der Familie geht es gut, bis Norwegen von den Deutschen besetzt wird und der Vater von Gerson und Lillemor denunziert und verhaftet wird. Kurzzeitig wird er als Dolmetscher, des Russischen mächtig, in Nordnorwegen eingesetzt, um dann wieder nach Falstad, einem Gefangenenlager der Nazis, verbracht zu werden. Im Zuge eines Vergeltungsschlages wegen eines Angriffes des norwegischen Widerstands wird Hirsch Komissar mit 9 weiteren unschuldigen Gefangenen im Oktober 1942 erschossen.

Auch wenn Simon Stranger einem sehr eigenwilligen Stil folgt: Seine kurzen Kapitel beginnen in alphabetischer Reihenfolge, denen jedoch entsprechende Worte vorangehen, die - wenn auch zeitlich sprunghaft - jedem Kapitel sinngemäß voranstehen, versteht er es sehr prätentiös und eindringlich, zuweilen auch beklemmend, etwaige Gedankengänge, aber auch real Erlebtes von Komissar (wie vielen weiteren unschuldig Inhaftierten) immer wieder in den Roman einfließen zu lassen. Der Hauptprotagonist ist jedoch ein Mann namens Henry Oliver Rinnan, dessen Lebensgeschichte so bizarr klingt wie das Ausmaß seiner Grausamkeiten, nachdem er es schaffte, zum Schlimmsten aller norwegischen Nazis zu werden, mit den Deutschen zu kollaborieren (dadurch die von ihm längst ersehnte "Anerkennung" zu finden),und im Jonsvannsveien 46, dem sog. "Bandenkloster" zahlreiche Menschen, die des Verrats oder des Widerstands gegen die Nazis beschuldigt wurden, grausam folterte und ermordete.

Gibt dem Leser bereits die Kindheit und Jugendzeit dieses Verbrechers sehr zu denken, der bedingt durch seine Körpergröße von 161 cm Probleme hat, sich durchzusetzen, "unauffällig" bleibt und dennoch immer mehr Gewaltpotential, Wut und Hass in sich zu mehren, so ist man im Erwachsenenalter von Rinnan zuweilen an der Grenze der eigenen Belastbarkeit, die Zeilen über seine Macht- und Gewaltfantasien, die bald in die Realität umgesetzt werden können, zu lesen: Er ist skrupellos und bar aller Gefühle, ebenso wie sein Handlanger Karl Dolmen: Mit einigen anderen versuchen sie, die Netzwerke des Widerstands zu infiltrieren, Waffen aufzuspüren und - sich gegen die eigenen Landsleute wendend - diese aufs Grausamste zu foltern und auch zu ermorden. Das Haus im Jonsvannsveien 46, das leider im Internet nur Informationen auf norwegischer Sprache preisgibt, nicht aber auf deutschen Seiten, hat eine sehr dunkle Epoche erlebt: So wundert es nicht, dass Ellen, die Frau Gersons, in diesem Haus immer mehr erschaudert und eigentlich eine andere Wohnung finden möchte, ihr Mann dies aber herunterspielt und nicht erkennt, wie sehr seine sensible Frau leidet. In diesem Zusammenhang konnte ich die Gefühle und das Verhalten von Ellen sehr gut nachvollziehen, jedoch Marie, die Frau des ermordeten Hirsch Komissar, missfiel mir sehr: Egozentrisch und leichtfertig vermittelte sie ihnen dieses Haus der Folter und der Angst, um ihren Sohn Gerson im Laden zur Hilfe zu haben.
Es geht um Flucht (nach Schweden) und um Fluchthelfer, die gerade jüdischen Flüchtlingen halfen, über die Grenze zu kommen und oft ihr eigenes Leben damit aufs Spiel setzten. Es geht um Angst der Flüchtenden (auch heute ein aktuelles Thema, denn seit dem Ende des 2. Weltkrieges gab es nicht mehr so viele Flüchtlinge auf der Welt wie seit einigen Jahren), aber auch um das Überleben. Das Weiterleben, wobei dem Leser nach dieser auf Wahrheit basierenden Lektüre sehr bewusst wird, wie viele Leben durch den Krieg zerstört wurden - und Lebenswege, Möglichkeiten sich für immer veränderten. Er ruft letztendlich dazu auf, zu verzeihen, da dies der Weg in die Zukunft sei.

Ein interessanter und nachdenklich stimmender Einblick hat der interessierte Leser auch auf die antisemitischen Anfänge bis in die heutige Zeit; die historischen Hintergründe sind gut recherchiert worden und beginnen bereits in der römischen Zeit durch die ersten Judenpogrome. Der Roman beleuchtet wie ein Scheinwerfer die Angriffe auf jüdische Siedlungen, etwa auch im russischen Zarenreich, weshalb die Familie unseres Protagonisten, dessen Name nicht vergessen werden sollte, auch die Flucht aus Russland nach Norwegen antreten musste. Man bedauert, dass die Familie während des 2. Weltkriegs nicht im sicheren Schweden verblieb (wie die Schwester von Gerson, Lillemor) und die Geschichte dieser Familie sich durch ihre Rückkehr nach Norwegen für immer veränderte...

Manche Bücher müssen weh tun, mit solch' einem haben wir es hier zu tun: Dennoch sollte man sie - oder gerade deswegen - lesen, um die Menschen und Schicksale, die hinter den bisher insgesamt 67.000 in europäischen Städten eingelassenen "Stolpersteinen" stehen, niemals zu vergessen. Und nicht nur das: Um Sorge zu tragen, dass sich solch eine dunkle Zeit weder in Deutschland noch in Europa niemals wiederholen darf! Hart an der Schmerzgrenze, aber - oder gerade deswegen - 4,5* und ein Dank an den Autor Simon Stranger, der diesen Stolperstein umgedreht und ihm eine (Roman)form gegeben hat.

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Veröffentlicht am 22.09.2019

Verzeihen, aber nicht vergessen

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An einem Wintermorgen 1942 erhält Hirsch Komissar, der jüdische Besitzer eines Modegeschäfts in der norwegischen Stadt Trondheim, einen Anruf, der sein bisheriges Leben auf den Kopf stellen und dazu führen ...

An einem Wintermorgen 1942 erhält Hirsch Komissar, der jüdische Besitzer eines Modegeschäfts in der norwegischen Stadt Trondheim, einen Anruf, der sein bisheriges Leben auf den Kopf stellen und dazu führen wird, dass dieses vorzeitig endet. Er bekommt eine Vorladung von der Gestapo, wird nach einem kurzen Verhör festgenommen und anschließend in das Gefangenenlager Falstad gebracht, wo er neun Monate später von den Nazis ermordet wird.

So sachlich und lapidar könnte man die letzten Monate im Leben eines Menschen zusammenfassen. Sich damit abfinden, dass er – wie so viele andere, deren Existenz im Holocaust ausgelöscht wurde – von jetzt auf gleich alles verlassen musste, was ihm lieb und teuer war. Dass man ihn seines Besitzes, seiner Familie, seiner Freiheit und seiner Würde beraubte. Und dass er am Ende einen sinnlosen Tod sterben musste, nur weil die grausame Diktatur und die rücksichtslose Willkür einer vergleichsweise kleinen Gruppe von Menschen das so entschieden haben. Es wäre vermutlich für viele einfacher, dieses dunkle Kapitel der Geschichte zu vergessen, die unzähligen Opfer auf Zahlen in einer trockenen Statistik zu reduzieren und sich ausschließlich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Man hat ja genug Sorgen und Probleme. Und es sind doch 80 Jahre vergangen, es wird Zeit, dass man die alten Geschichten hinter sich und die Toten ruhen lässt.

Der norwegische Schriftsteller Simon Stranger sieht das zum Glück anders. Mit seinem Roman greift er die Idee auf, die auch dem künstlerischen Projekt der sogenannten „Stolpersteine“ des Künstlers Gunter Demnig zugrunde liegt: Wir sollten uns an das Schicksal der ermordeten Menschen erinnern, ihrer Namen gedenken und den Opfern dadurch zumindest ein kleines Stückchen ihrer Identität und ihrer Würde zurückgeben. Indem wir ihre Namen in Erinnerung behalten, lassen wir sie ganz im Sinne der jüdischen Tradition nicht das zweite Mal sterben. Genau das scheint die Schreibmotivation von Simon Stranger zu sein. Sein Buch ist ein Versuch, die Geschichte seiner angeheirateten Familie zu rekonstruieren, ausgehend von dem tragischen Tod Hirsch Komissars, dem Urgroßvater seiner Ehefrau. Es ist allerdings keine Biographie, sondern eine Verbindung aus historischen Fakten, die der Autor im Zuge seiner Recherchen erfahren hat und der dichterischen Vorstellungskraft, die Stranger gekonnt und sehr einfühlsam einsetzt, um die fehlenden Details im Leben des Betroffenen zu ergänzen. Indem er in mehreren Passagen die „Du“- Form anwendet, versucht er, die Ereignisse, die sich vermutlich so oder ähnlich zugetragen haben, aus der Sicht von Hirsch Komissar zu sehen, seine Perspektive anzunehmen. Sein Protagonist wird dadurch präsenter und dessen Geschichte persönlicher, ergreifender. Auch wir Leser können ihn uns besser vorstellen und uns vielleicht sogar ein Stück mit ihm identifizieren. Zumindest mir ging es so: Ich konnte die Angst von Hirsch Komissar nach seinem Telefongespräch mit der Gestapo fast körperlich spüren. Seine wachsende Unruhe, seine schlimme Vorahnung... Wie schrecklich ist die Vorstellung, dass es unzähligen Menschen damals so gegangen sein musste! Dass sie ähnlich plötzlich aus ihrem Leben herausgerissen wurden, mitten im Alltag...

Strangers Aufmerksamkeit gilt aber nicht nur den Opfern. Im Fokus seines Romans steht auch einer der Täter: Henry Oliver Rinnan, ein berüchtigter norwegischer Nazi-Kollaborateur. Ähnlich wie bei Komissar schildert der Schriftsteller in einer Mischung aus Fakten und Fiktion den Werdegang Rinnans und zeigt auf, wie ein unscheinbarer, an Komplexen leidender und oft gemobbter Junge nach und nach zu einem skrupellosen Mörder wird, der vor kaum etwas zurückschreckt. Dabei versucht Stranger nicht, Rinnan zu rechtfertigen. Die Darstellung von ihm und seiner Gräueltaten ist eher nüchtern, sachlich und ging mir bei der Lektüre vielleicht gerade deshalb enorm unter die Haut. Manche Passagen verlangen dem Leser wirklich viel ab.

Genauso wenig wie er Rinnans Verhalten rechtfertigt, stellt Stranger ihn an den Pranger. Er verurteilt nicht und fordert auch keine Rache. Statt dessen wird am Beispiel der Figur Julius Paltiel aufgezeigt, dass man trotz der schlimmen Holocaust-Vergangenheit nicht zwingend als gebrochener und verbitterter, Hass auf die Täter schürender Mensch leben muss. Verzeihung und Versöhnung ist der bessere Weg. Die gleiche Haltung vertritt Strangers Frau Rikke und er selbst. „ Nicht zu verurteilen, zu verfolgen und anzuklagen, sondern zu vergeben, nach vorn zu schauen“ (Zitat S. 320), aber dabei auch nicht zu vergessen ist die Botschaft des Romans.

Ich möchte noch kurz auf die interessante und originelle Erzählweise eingehen, die mir in dieser Form noch nicht begegnet ist. Die einzelnen Kapitel werden nicht mit Zahlen, sondern mit Buchstaben in alphabetischer Reihenfolge überschrieben. Diese sind in jedem Kapitel die Anfangsbuchstaben von Stichwörtern, mit deren Hilfe der Autor seine Geschichte erzählt. Es sind streng genommen mehrere Geschichten, die sich wie Puzzle-Teile wunderbar zusammenfügen. Zugegeben, der häufige Wechsel von Handlungssträngen, Zeitebenen und Erzählperspektiven mag am Anfang der Lektüre verwirrend sein, stört aber bald nicht mehr, im Gegenteil: Der Autor verleiht damit dem Roman eine ganz besondere Atmosphäre und erzeugt beim Leser in kürzester Zeit unterschiedliche Stimmungen.

Nun zwei Punkte Kritik:

Zum einen ist die graphische Gestaltung des Buches aus meiner Sicht nicht wirklich gelungen. Zwar ist das Kinderbild auf dem Cover sehr schön und passt symbolisch sehr gut zu der Idee, nach vorne zu schauen und aus der Zerstörung etwas Neues aufzubauen, ich persönlich fände es aber passender – gerade im Hinblick auf den deutschen Romantitel – wenn dort ein Foto einer jüdischen Familie zu sehen wäre, quasi stellvertretend für alle Opfer, die nicht vergessen werden dürfen.

Zum anderen hatte ich bei der Lektüre den Eindruck, dass der Autor dem Nazi-Schergen Rinnan, der so viel Leid verursacht und so viele Opfer auf dem Gewissen hatte, deutlich mehr Aufmerksamkeit schenkt als den Opfern selbst. Rinnans Vorgeschichte, seine Gedanken und Taten werden sehr ausführlich dargestellt (was an sich nicht schlimm ist, weil sein Fall durchaus wichtig und seine Entwicklung psychologisch betrachtet sehr interessant ist), während die Gestalt von Hirsch Komissar fast schon am Rande behandelt wird. Das finde ich schade. Es hat mir aber gut gefallen, dass der Schluss des Romans ihm und anderen Menschen gilt, die von den Nazis ermordet wurden. Es ist ein sehr schönes und bewegendes Ende.

Alles in allem ist „Vergesst unsere Namen nicht“ ein originell geschriebener und ergreifender Roman mit einer wichtiger Botschaft. Ich hoffe, dass dieses in Norwegen bereits preisgekrönte Buch trotz des schwierigen Themas auch in Deutschland zahlreiche Leser finden und positiv aufgenommen wird.







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Veröffentlicht am 21.09.2019

A wie das Alphabet des Bösen

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Der aus meiner Sicht sehr ergreifende Roman "Vergesst unsere Namen nicht" erinnert an das Schicksal einiger norwegischer Familien im Rahmen des Zweiten Weltkrieges. So wird ein Licht auf die Opfer, aber ...

Der aus meiner Sicht sehr ergreifende Roman "Vergesst unsere Namen nicht" erinnert an das Schicksal einiger norwegischer Familien im Rahmen des Zweiten Weltkrieges. So wird ein Licht auf die Opfer, aber auch auf die Täter geworfen. Wie ist es ihnen in der Zeit ergangen, was hat sie zu ihren Handlungen bewegt und was geschah zu der Zeit in ihrem Umfeld.

Der für den Roman ausgezeichnete Autor Simon Stranger erzählt die Geschichten in einem manchmal sehr nüchternen und unverblümten Schreibstil, der die grausamen Geschehnisse der Vergangenheit noch erschreckender erscheinen lässt. Besonderes Augenmerk richtet er dabei auf die Person Henry Rinnan, einen in seiner Kindheit oftmals gehänselten Jungen, der in der Nazizeit seine Zeit gekommen sieht, eine andere Stellung in der Gesellschaft einzunehmen. Getrieben von dem Wunsch nach Anerkennung für sein Tun, begibt er sich in die Hände der deutschen Nazis und verrät, foltert und tötet mit kalt-blütiger Präzision seine Landesgenossen. Die Tatsache, dass es sich hierbei um keine fiktive Person handelt, ließ mich als Leser immer wieder fassungslos zurück. Geschickt erzählt Simon Stranger die damaligen Geschehnisse aber auch aus anderen Perspektiven und spickt das Ganze mit rationalen Fakten der damaligen Zeit. Eine beeindruckende Mischung, die beim Leser nicht spurlos vorübergeht.
Bemerkenswert war für mich die interessante Strukturierung der sich der Autor bedient. Er hangelt sich in seinen Erzählungen durch das Alphabet und nimmt so Stichpunkte mit dem jeweiligen Anfangs-buchstaben auf, um die Verbindung zwischen seinen Erzählsträngen herzustellen.

"Vergesst unsere Namen nicht" ist ein Buch, welches den Leser nicht mehr so schnell loslässt. Die schrecklichen Geschehnisse dieser Zeit sind zwar bekannt, aber wenn die Opfer und Täter Namen erhalten, wirkt alles noch viel unfassbarer. Ein wichtiges Buch, welches ich für äußerst lesenswert halte, so dass ich es sehr gerne weiterempfehle und mit den vollen fünf von fünf Sternen bewerte.

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Veröffentlicht am 20.09.2019

Ein eindrucksvoller Einblick in die norwegische Nazizeit

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In diesem Buch geht es um die Judenverfolgung rund um den zweiten Weltkrieg in Norwegen. Der Klappentext verspricht uns eine Familiengeschichte, die achtzig Jahre Geschichte und vier Generationen umfasst. ...

In diesem Buch geht es um die Judenverfolgung rund um den zweiten Weltkrieg in Norwegen. Der Klappentext verspricht uns eine Familiengeschichte, die achtzig Jahre Geschichte und vier Generationen umfasst. Im ersten Kapitel startet diese Familiengeschichte damit, dass der Sohn des Autors am Stolperstein des Urgroßvaters Fragen zur Familiengeschichte stellt. Durch diese Fragen wird der Autor gezwungen sich mit der Familiengeschichte zu beschäftigen und diese aufzuarbeiten. Dabei stößt der Autor zwangsläufig auf Henry Oliver Rinnan, einen der schlimmsten norwegischen Nazi-Verbrecher. Da die Familien in derselben Gegend leben, können diese Biografien nur zusammen betrachtet werden.
Leider nimmt in meinen Augen die Biografie von Rinnan im Vergleich zur Familienbiografie des jüdischen Vorfahren „Hirsch Kommissar“ einen zu großen Stellenwert ein. Für mich ist die Darstellung der Biografie und Entwicklung von Rinnan und seiner Bande sehr interessant umgesetzt und müsste auch nicht gekürzt werden. Allerdings hätte ich mir einen dementsprechend ebenbürtigen Einblick in die jüdische Familliengeschichte gewünscht. Hier hätte ich mir noch mehr Details erhofft.
Wahrscheinlich ist diese Dysbalance entstanden, da der Autor sich bemüht hat, nah an den historischen Fakten zu bleiben. Die Recherchen zu Rinnan ergaben dabei eventuell deutlich mehr historische Fakten, als er zur eigenen Familiengeschichte finden konnte.
Da sich Titel und Klappentext allerdings auf die Familiengeschichte beziehen, hatte ich eine prozentual andere Verteilung erwartet.
Der Schreibstil von Simon Stranger gefällt mir sehr gut. Eine sehr originelle und spannende Idee ist es in meinen Augen, die einzelnen Kapitel nach dem A-Z mit passenden Stichworten zu beginnen, die den Kapitelinhalt faszinierend auf den Punkt bringen (auch die deutsche Übersetzung lindert diesen Effekt keineswegs). Innerhalb der Kapitel gibt es häufig Wechsel der Erzählerperspektiven, der Zeitebenen und der Handlungsstränge. Zwischendurch kann dies verwirren, allerdings hält es auch die Spannung konstant auf einem sehr hohen Level.
Ich kann dieses Buch nur weiterempfehlen, denn auch wenn man über die Rinnan Bande mehr erfährt als über die Familiengeschichte von Hirsch Kommissar, bekommt man als Leser einen eindrucksvollen, bedrückenden Einblick in die norwegische Lebenssituation unter den Nazis.
Da das Buch großartig geschrieben ist, wollte ich es trotz des sehr bedrückenden Themas eigentlich gar nicht mehr aus den Händen legen. Von mir eine klare Empfehlung.

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Veröffentlicht am 20.09.2019

Interessante Opfer-Täter Konstellation

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„In einer jüdischen Tradition heißt es, dass ein Mensch zweimal stirbt. Das erste Mal, wenn sein Herz aufhört zu schlagen und die Synapsen im Gehirn erlöschen wie in einer Stadt, in der der Strom ausfällt. ...

„In einer jüdischen Tradition heißt es, dass ein Mensch zweimal stirbt. Das erste Mal, wenn sein Herz aufhört zu schlagen und die Synapsen im Gehirn erlöschen wie in einer Stadt, in der der Strom ausfällt. Das zweite Mal, wenn der Name des Toten zum letzten Mal gesagt, gelesen oder gedacht wird, fünfzig, hundert oder vierhundert Jahre später.“ Erst dann ist der Betroffene wirklich verschwunden, aus dem irdischen Leben gestrichen.“ (S. 6)

Es ist die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte der Familie Komissar, die Simon Stranger in „Vergesst unsere Namen nicht“ erzählt und mit seinen Fiktionen ergänzt. Das Buch ist am 30.08.2019 beim Eichborn Verlag erschienen.
Ich habe schon viele Bücher über den Holocaust gelesen. Doch erstmals lese ich von den dramatischen Ereignissen während der Besetzung Norwegens durch die Deutschen.

In der Stadt Trondheim erinnert ein Stolperstein an den Juden Hirsch Komissar, der am 07.10.1942 von den Nazis erschossen wurde.
Durch ihn inspiriert, beginnt der Buchautor mit seiner Recherche.
Es entsteht ein Roman, der nicht nur den Lebens- bzw. Leidensweg des Opfers - Hirsch Komissar aufzeichnet , sondern auch den des Täters - eines gewissen Henry Oliver Rinnan in Szene setzt. Interessante Konstellation.
Als Leser hat mich die Rinnan Geschichte schockiert.
Ich lerne einen Jungen kennen, der sich nach Freunden und vor allem nach Anerkennung und Liebe sehnt, die er leider erst im späteren Leben findet. Es sind die falschen Menschen. Sie manipulieren ihn und spannen ihn für ihre Zwecke ein. Endlich wird Rinnan wahrgenommen. Es ist die Geburtsstunde der Rinnan-Bande. Er wächst über sich hinaus, wird zum Scheusal, ein unheimlicher Täter, der seine Opfer gnadenlos ans Messer liefert.
Dann sehe ich den sympathischen Hirsch Komissar, einen Familienvater, der liebt und niemandem etwas Böses will. Er berührt mein Herz und ich leide mit der Familie, als Hirsch verhaftet, bzw. ermordet wird.
In einer dritten Handlungsebene, die nach dem Krieg spielt, werden die Hirschs Nachkommen erneut mit seiner Geschichte konfrontiert, denn sie wohnen in den einstigen Rinnan-Haus.

Simon Stranger hat einen außergewöhnlichen Roman geschaffen.
Das wird bereits bei der Einteilung der Kapitel deutlich. Üblicherweise nummerieren Autoren ihre Kapitel durch.
Stranger alphabetisiert sie. Vergleichbares habe ich bisher noch nicht gelesen. So beginnt der Roman mit A wie Anklage und endet bei Z wie die Form der brennenden Wunde auf dem Rücken eines Gefangenen. Originelle Idee!
Auch beim Schreibstil weicht der Buchautor von der Norm ab. Er wechselt die Erzählformen und wagt sich dabei in einem Handlungsstrang an die Du-Perspektive.
Obwohl Stranger über dramatische Ereignisse berichtet, schreibt er sachbuchartig nüchtern. Er schmückt nichts aus, dramatisiert nicht. Trotzdem erschüttert mich sein Roman zutiefst.
Ich habe mich schwer getan in die Geschichte zu finden, zumal die Ereignisse auch zeitlich schwer einzuordnen waren. Abschnittsweise wechselt der Autor von einem Erzählstrang in den nächsten, was anfänglich verwirrend auf mich wirkte. Ich fühle mich beim Lesen hin und hergerissen. Einige Passagen wirken langatmig. Besonders mit dem dritten Handlungsstrang um Hirschs Nachkommen - Ellen und Gerson- habe ich gehadert. Erst nach etwa der Hälfte des Buches bin ich mittendrin. Die Beschreibungen im Kapitel M sind kaum zu ertragen. Der letzte Abschnitt des Romans rührt mich zu Tränen.

Ein bewegender Roman gegen das Vergessen, bemerkenswert inszeniert!

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