Veröffentlicht am 14.09.2020

Unterhaltsam, aber ein wenig übertrieben

Viv29

Ein Buch, dessen erste Worte „Teufel und Hurenarsch“ sind, macht schon mal neugierig und der im positiven Sinne farbige Schreibstil setzt sich durch das ganze Buch hinweg fort. Langweilig wurde es bei „Das Schicksal der Henkerin“ wirklich nie.

Das Buch ist der dritte Teil einer Serie um die Erlebnisse Melisandes, die uns vom gelungen reduzierten Titelbild ansieht. Ich habe die ersten beiden Teile nicht gelesen, das tat dem Leseerlebnis aber keinen Abbruch. Wichtige Informationen werden gut vermittelt, so daß sich auch Neueinsteiger gleich in die im Jahre 1340 spielende Geschichte hineinfinden können. Ab und an gibt es Verweise auf vorherige Erlebnisse, die erfahrenere Leser vielleicht besser verstehen und es wird auch nicht viel Zeit auf die Einführung der Charaktere verwendet, dies ist für ein drittes Buch einer Reihe aber auch absolut passend.

Wir tauchen gleich mitten in die Geschehnisse ein und können als Leser bis zum Ende des Buches kaum Atem holen. Das Erzähltempo ist flüssig und flott, für meine Verhältnisse aber auch zu dramatisch. Melisande ist von Anfang bis Ende des Buches fast ständig in lebensgefährlichen Situationen, ihr Mann und ihre Kinder (die leider auch unter Berücksichtigung der historischen Epoche nicht altersgemäß dargestellt werden) sind es ebenfalls, dazu noch diverse andere Charaktere. Es passte teilweise eher zu einem Thriller als zu einem historischen Roman, wie hier eine gefährliche Situation der andere folgte. Wer spannende Bücher mag, wird voll auf seine Kosten kommen, denn das Autorenduo hat sich eine Menge einfallen lassen. Langweilig wird es nicht. Angenehm ist auch, daß hier sehr selten der Zufall zur Hilfe kommt. Gerade Melisande löst Situationen durch Können und Einfallsreichtum und manchmal geht auch etwas schief. Allerdings war mir dies alles nach einer Weile zu übertrieben. Insbesondere im mittleren Teil des Buches verliert man sich in Fluchten, Kämpfen, Angriffen und ähnlichem. Das Geschehen wechselt hier sehr schnell zwischen den drei Hauptparteien hin und her und jeder Abschnitt endet mit einem Cliffhanger. Alle paar Seiten blickt jemand entsetzt, lauscht jemand erschrocken einem Geräusch, taucht jemand unerwartet auf, etc. Das nutzt sich sehr schnell ab und irgendwann führten die ständigen Cliffhanger dann bei mir nicht mehr zu Spannung, sondern eher zu entnervtem Verdrehen der Augen. Hier wurde durch den fast krampfhaft wirkenden Versuch, so viel Spannung wie möglich hineinzuquetschen, der Geschichte eher geschadet.

Die historischen Details sind gut eingearbeitet und interessant. Soweit ich es beurteilen kann, wurde sorgfältig recherchiert und auch das Lokalkolorit stimmt absolut. Gerade die Szenen, in denen man ein wenig zum Atemholen kommt und in diese farbig kreierte Welt eintauchen kann, sind m.E. die besten des Buches. Eine schöne Idee ist auch die ansprechend gestaltete Landkarte vorne im Buch, die einen Überblick über die Gegend gibt. Im Taschenbuch waren leider einige Ortsnamen durch den kleinen Druck und die verschnörkelte Schrift (die aber gut zum Buch paßt – nur größer hätte sie teilweise sein dürfen) für mich nicht lesbar, obwohl ich keine Sehprobleme habe.

Die Geschichte selbst ist durchaus ausgefeilt und bietet einige Überraschungen. Man fiebert mit, gerade auch mit Melisande, die eine sympathische Protagonistin ist. Manchmal ist es ein wenig konstruiert und eine Wendung warf Fragen hinsichtlich der Plausibilität auf. Auch erscheint ein Sinneswandel eines Charakters in letzter Minute wenig glaubhaft und zu praktisch. Insgesamt aber findet man viel Abwechslung, eine erfreuliche Themenvielfalt und reichlich Interessantes. Mir hat diese mittelalterliche Welt gefallen, die die Autoren hier geschaffen haben.

So ist „Das Schicksal der Henkerin“ ein facettenreicher historischer Roman, der sich von anderen Büchern des Genres durch seine temporeiche Erzählweise abhebt und historische Fakten gut in eine abwechslungsreiche Geschichte einbettet. Mir hätte es gefallen, wenn die Autoren den Grundsatz „weniger ist mehr“ beachtet hätten – weniger Cliffhanger, weniger Dramatik und auch ein weniger zuckerwattiges Ende. Aber ein Lesevergnügen und ein farbiger Ausflug in das 14. Jahrhundert war es allemal.

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