Veröffentlicht am 25.05.2021

Ein Quell an Gefühlen - authentisch und bewegend!

Scratchy_loves_books

In „Die Tänzerin vom Moulin Rouge“ geht es um Louise Webers Leben und Schaffen und wir begleiten Louise auf ihrem Weg zum Erfolg und darüber hinaus.

Ich mag dabei besonders, dass Tanja Steinlechner nahe an der Biografie Louise Webers geblieben ist und ihr mit einer ganz besonderen und künstlerischen Ausgestaltung wieder Leben eingehaucht hat.

Ich stelle mir das Aufbereiten einer Biografie vor wie eine Restaurierung einer nicht mehr vollständig erhaltenen Skulptur, der man die fehlenden Teile ohne Bildmaterial so passend wie möglich nachbaut. Und ich finde, dass dies Tanja Steinlechner auf eine raffinierte Weise gelungen ist.

Ich kann mir gut vorstellen, dass die Roman-Louise der einstmals echten Louise ziemliche nahe kommt. Mir ist wichtig zu erwähnen, dass ich mich in dieser Rezension aber immer auf die Louise aus dem Roman beziehe.

Für mich dreht sich das Buch nicht nur um Louise, es IST regelrecht Louise. Das Werk ist in sich stimmig, geradezu künstlerisch. Es sind dabei nicht nur die schönen Formulierungen und Sätze, die ich in der Art vorher noch nicht las. Sondern auch das Spiel mit der Perspektive und der zeitlichen Gestaltung, wodurch das Leben und die Persönlichkeit der „Goulue“ durch das Buch regelrecht gefühlt werden kann.

„Wer leben wollte, was er wirklich war, musste einen Ort in der Welt finden, wo er sich nicht erklären musste, wo Ausreden nichts galten und ein Herz zum anderen sprach.“

Man lernt Louise als Jugendliche kennen, eine sympathische, blutjunge Frau mit Träumen vom Tanzen, von Freiheit und dem Wunsch aus dem verarmten Viertel mit der verstockten Gesellschaft auszubrechen. Man ist nah an Louises Gefühlswelt, spürt ihren Lebensdurst, den Überdruss, die jugendliche Kraft und auch Leichtsinn.

Nachdem sie Renoir kennengelernt hat und mit ihm zu Paul Bacard gelangt ist, beginnt eine Phase in der die Autorin eine Distanz zu Louises Gefühlswelt aufbaut. Man wird mitgenommen zu den ersten Erlebnissen in Louises neuer Welt, taucht mit ihr in das schillernde Nachtleben ein und sieht zu, wie sie das Leben bei den Hörnern packt, ohne dabei viel über ihr Innenleben zu erfahren.

Dieses Gefühl der Distanz wurde im Fortschreiten der Geschichte noch verstärkt. Gleichzeitig fand ich mich mitten im pulsierenden Leben des Montmartre und spürte den stürmischen, haltlosen Einfluss dieses Lebens. Menschen zogen vorbei – davon auch verschiedene bekannte Personen aus der Zeit.
Unzählige Eindrücke wirkten ein, Konkurrenzdruck baute sich auf, Grenzen verschoben sich, stabile oder tiefere Beziehungen waren nebensächlich, Alkoholgenuss wurde zelebriert. Lust und Genuß, Spaß und vermeintliche Freiheit, Anerkennung und Ruhm waren Louises Lebensinhalt und das ohne Rücksicht auf Verluste. Auch nicht bei ihr selbst...

„Nur Idioten kosten das Leben nicht in allen Facetten aus. Anmaßend ist, wer Maß hält und langweilig, wer nie Grenzen überschreitet.“

Und so ziehen die Jahre, Menschen und Ereignisse vorbei bis wir uns, nach Jahren voll schillerndem Rausch aber auch voller harter Arbeit, mitten in der Welt des Moulin Rouge befinden. Ab dort taucht Tanja Steinlechner wieder tiefer in Louises Gefühls- und Gedankenwelt. Szenen werden nun zeitlich detaillierter dargestellt und wir steuern ungebremst auf den Höhepunkt zu. Der nicht angenehm ist, kein schönes Gefühl hinterlässt; nah und authentisch am Leben – die Komplexität dessen erfassend.

Ich fühlte mich hilflos, machtlos. Wünschte mir Louise an den Schultern packen oder an die Hand nehmen zu können. Auch jetzt noch, lange nach der Lektüre, bin ich zutiefst berührt von diesem Leben.

Im Dritten Teil des Buches, der direkt an den Höhepunkt anschließt, wurde ich überrumpelt mit Ereignissen, die wie aus heiterem Himmel wirkten. Ich war fassungslos, wie es soweit kam. Gleichzeitig war alles was zuvor geschah Erklärung genug.

Ich war anfangs unzufrieden über die plötzliche und langanhaltende emotionale Distanz, über die scheinbar wenig ausgearbeiteten Teile der Handlung. Und auch im dritten Teil kommt es zu einer zeitlichen Raffung, in der der Leser nur noch punktuell etwas mehr Einblick bekommt und Figuren, die Teil der Handlung waren, gänzlich verschwanden.

Doch genau DAS war Louises Leben und Persönlichkeit, wie sie von Tanja Steinlechner auf Grundlage der wenigen Überlieferungen interpretiert wurden. Und mit Abschluss des Buches gab alles, was ich vorher als Kritikpunkte empfand, einen Sinn, musste so sein.
Dadurch war es nicht einfach nur eine Erzählung, sondern transportierte die Gefühle, die das Leben und die Persönlichkeit der Gefräßigen ausmachten. Packend, sehnsuchtsvoll, verstörend, berührend, hoffnungsvoll, abstoßend sind dabei einige der Eigenschaften des Buches, die man auch auf Louise übertragen könnte.

Fazit:

Dieses Buch ist absolut kein Wohlfühlroman, sondern ein knallharter schonungsloser Roman, mit biografischen Anteilen, der mir sehr nahe ging. Für mich war dieses Buch ein Quell an Gefühlen, die größtenteils nicht angenehm waren. Und dennoch war es einfach grandios.
Packend und absolut mitreißend verschlingt dieses Buch seinen Leser, wie „La Goulue“ ihr Publikum verschlang.

Ich kann das Buch jedem empfehlen, der ohne Happy End klar kommt, sich gerne mit der Komplexität der menschlichen Psyche befasst und damit leben kann, dass die Protagonistin kein Sympathieträger ist und nicht alles einen Abschluss findet. Ganz so wie es im Leben auch allzuoft läuft.
Für dieses authentische, bewegende Werk gebe ich fünf Sterne!

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