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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.07.2020

Portrait eines Ausnahmemusikers

Der letzte Satz
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Das Thema Tod und Sterben scheint Seethaler umzutreiben. Nach „Das Feld“ widmet er sich ihm nun erneut.
Seethaler erstellt ein gelungenes, knappes Porträt des zu Beginn des 20. Jahrhunderts berühmten ...

Das Thema Tod und Sterben scheint Seethaler umzutreiben. Nach „Das Feld“ widmet er sich ihm nun erneut.
Seethaler erstellt ein gelungenes, knappes Porträt des zu Beginn des 20. Jahrhunderts berühmten Komponisten und Dirigenten Gustav Mahler, der – inzwischen todkrank – sich auf seiner letzten Schiffsreise von New York nach Europa befindet. Wehmütig erinnert er sich an schöne und traurige Momente in seinem Leben: seine gefeierte Arbeit an der Wiener Hofoper und der New Yorker Met; seine wunderschöne Frau, die trotz Hinwendung zu einem anderen Mann wegen seiner Krankheit bei ihm bleibt; den Tod seiner kleinen Tochter. Immer wieder spricht aus den Zeilen Mahlers Bedauern, nicht intensiver gelebt zu haben und stattdessen so versessen von seiner Arbeit gewesen zu sein. Somit passt auch gut der melancholische Grundton des Romans.
Das Buch ist sehr informativ und ein Anreiz, sich mit Mahlers Musik zu beschäftigen.

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Veröffentlicht am 09.07.2020

Warmherziger Familienroman mit Bezug zur alten Sowjetunion

Die Listensammlerin
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An diesem Buch stimmt einfach alles – Aufbau, Erzählstil, Sprache, Inhalt, Figuren. Eigentlich ist die Geschichte das Buch, das die neurotische, weil unentwegt ihrer Leidenschaft zum Anfertigen der unmöglichsten ...

An diesem Buch stimmt einfach alles – Aufbau, Erzählstil, Sprache, Inhalt, Figuren. Eigentlich ist die Geschichte das Buch, das die neurotische, weil unentwegt ihrer Leidenschaft zum Anfertigen der unmöglichsten Listen nachgehend, Protagonistin Sofia, eine Schriftstellerin, nach langer Schreibblockade schreibt. Es ist die ihr bis vor kurzem noch unbekannte eigene Familiengeschichte. Diese beginnt in den 1950er Jahren in Moskau, wo Sofias Mutter Anna mit ihrem Bruder aufwächst. Grischa ist Künstler, homosexuell, Dissident, wodurch er seine gesamte Familie in Gefahr bringt. Das führt letztlich zur Flucht von Mutter und Schwester mit deren inzwischen geborener Tochter Sofia in die Bundesrepublik mit Hilfe von Sofias späterem Adoptivvater. In deren gegenwärtigem Leben (ca. 2010) herrscht Unordnung – die betagte Oma ist schwer an Alzheimer erkrankt und Sofias kleine herzkranke Tochter steht vor einer alles entscheidenden Operation. Erst jetzt erfährt Sofia durch zufällig in der von ihr aufgelösten Wohnung ihrer Oma gefundene Listen von ihrem Onkel Grischa und der Familienvergangenheit.
Die Autorin arbeitet wunderbar mit Worten und stellt die Romanfiguren gelungen und sehr bildhaft dar. Sehr schön ist, dass wir die wichtigsten Familienmitglieder in unterschiedlichen Phasen ihres Lebens kennenlernen. Trotz des Ernstes mancher angesprochener Themen überwiegt ein humorvoller, versöhnlicher Ton. Der historische Bezug zu dem freiheitsbeschränkenden Leben in der alten Sowjetunion war sehr interessant und lehrreich.
Ich habe das Buch gerne gelesen und mich stört nicht, dass einiges fragmentarisch und unbeantwortet bleibt.

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Veröffentlicht am 06.07.2020

Der soziale Abstieg eines Paares

Die Glücklichen
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Anhand des Ehepaares Isabell und Georg wird aufgezeigt, dass die in einem angesagten Viertel Hamburgs wohnenden Leute nicht unbedingt erfolgreich und finanziell abgesichert leben, eben glücklicher als ...

Anhand des Ehepaares Isabell und Georg wird aufgezeigt, dass die in einem angesagten Viertel Hamburgs wohnenden Leute nicht unbedingt erfolgreich und finanziell abgesichert leben, eben glücklicher als die anderen. Sie hat es bis zur Cellistin in einem Musical-Theater geschafft, er bis zum Zeitungsredakteur. Kleinkind Matti perfektioniert ihr Glück. Ihr Leben gerät in eine Krise, als sie aufgrund von Auftrittsängsten nicht mehr Cello spielen kann und ihr Engagement verliert und seine Zeitung verkauft und er entlassen wird. Sie geraten in Existenzängste. Statt näher zusammenzurücken, reagieren sie völlig unterschiedlich und reden nicht miteinander, wodurch die Familie zu zerbrechen droht. Sehr trefflich wird dargestellt, was die speziellen Probleme der Generation der 40jährigen sind, die einen hohen Anspruch an sich selbst stellen, der in einer Krisensituation nicht bedient werden kann. Sehr schön sind die Perspektivwechsel der beiden Protagonisten, die dem Leser all das Wissen vermitteln, das Isabell und Georg eigentlich gemeinsam erörtern sollten. Am Ende weckt dann ein besonderes Vorkommnis innerhalb der Familie die beiden aus ihrer Lethargie und zeigt ihnen einen künftigen Weg auf.

Ein sehr empfehlenswertes Buch.

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Veröffentlicht am 22.06.2020

Liebe in mehreren Facetten

Lempi, das heißt Liebe
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Dieser Roman ist ein Liebesroman einer ganz besonderen Art.
Im Mittelpunkt steht die Finnin Lempi, deren Name übersetzt Liebe bedeutet. Von Anfang an wissen wir, dass sie nicht mehr am Leben ist. Drei ...

Dieser Roman ist ein Liebesroman einer ganz besonderen Art.
Im Mittelpunkt steht die Finnin Lempi, deren Name übersetzt Liebe bedeutet. Von Anfang an wissen wir, dass sie nicht mehr am Leben ist. Drei Personen aus ihrem Umfeld erzählen in direkt an sie gerichteter Ansprache von ihrer Beziehung zu ihr.
Im ersten Teil kommt der Bauer Viljami zu Wort. Für ihn war die gebildete und aus einer Kaufmannsfamilie abstammende Lempi die Liebe seines Lebens und er hat sie sehr überstürzt geheiratet und zu sich auf den Hof geholt. Nur wenige gemeinsame Monate waren ihnen vergönnt, bis er als Soldat im Zweiten Weltkrieg einberufen wird. Ihm wird dann zugetragen, dass Lempi mit einem Deutschen fortgegangen sein und verstorben sein soll. Nach seiner Rückkehr auf den Hof ist er voll der Trauer und des Unverständnisses.
Es schließt sich die Sicht der Magd Elli an, die voller Missgunst gegenüber der von ihr für unpraktisch veranlagt und versnobbt gehaltenen Lempi ist und die selbst gerne die Rolle der Bäurin an Viljamis Seite hätte. Sie streut Gerüchte und hat mit Lempis Verschwinden zu tun.
Als letztes erzählt Lempis Zwillingsschwester Sisko über ihre innige Beziehung zueinander und ebenso über ihr eigenes schweres Los. Sie geht mit einem deutschen Wehrmachtsoffizier nach Deutschland, wird dort aber sitzen gelassen. Zurück in ihrer Heimat Finnland gilt sie lange Jahre als Landesverräterin und Hure und wird diskriminiert. Sie richtet ihr Leben so aus, wie sie meint, es Lempi schuldig zu sein.
Alle drei Perspektiven fügen sich zu einem Ganzen, wenngleich viele Fragen nicht abschließend beantwortet werden und manches vage bleibt. Sprachlich ist in jedem Teil ein anderer Stil vorzufinden, passend zum jeweiligen Erzähler. Viljamis Teil ist sehr gefühlvoll geschrieben, Ellis schlicht und wütend, Siskos eher sachlich. Für mich selbst war die Geschichte geschichtlich sehr lehrreich, weil mir die Rolle Finnlands und sein Verhältnis zu Deutschland im Zweiten Weltkrieg bislang nicht so bewusst waren.


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Veröffentlicht am 20.06.2020

Geschichtlich äußerst interessant

Ich bleibe hier
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Für Touristen ist er ein beliebtes Fotomotiv, der halb im Reschensee in Südtirol befindliche Kirchturm, der auch das Covermotiv darstellt. Doch wissen sie um die Geschichtsträchtigkeit der Gegend? Von ...

Für Touristen ist er ein beliebtes Fotomotiv, der halb im Reschensee in Südtirol befindliche Kirchturm, der auch das Covermotiv darstellt. Doch wissen sie um die Geschichtsträchtigkeit der Gegend? Von mir muss ich eingestehen, dass mir über Südtirol bislang eigentlich nur bekannt war, dass dort deutsch gesprochen wird. Dank dieses wunderbaren, wirklich lesenswerten Romans verfüge ich jetzt aber über weitaus fundiertere Kenntnisse.
In dem Buch lässt der Autor die fiktive Trina aus dem Bergdorf Graun in einem Notizbuch an ihre verloren geglaubte Tochter ihr Leben seit Anfang der 1920er bis hin zu Anfang der 1950er Jahre schildern. Sachlich, emotionslos, dem harten Leben der Bergbauern angepasst spannt Trina den Bogen von den wenigen Jahren nach Ende des Ersten Weltkriegs, als sie noch hoffen durfte, später als Lehrerin arbeiten zu können, über die Zeit nach der Machtergreifung Mussolinis, in der alles Deutsche in Südtirol unerwünscht war, sowie die ersten Jahre des Zweiten Weltkriegs, als sich die Leute für eine Auswanderung ins Deutsche Reich oder ihren rechtlosen Verbleib in Italien entscheiden mussten, bis hin zur Realisierung eines gewaltigen Staudammprojekts nach dem Krieg, das Graun und andere Dörfer dem Boden gleich machte. Trina und ihr späterer Ehemann sind heimatverbunden und vorbildlich in ihrem Widerstand gegen alle Repressalien. Doch gelingt es ihnen, sich immer durchzusetzen gegen die Mächtigen aus Politik und Wirtschaft? Wir werden es erfahren. Offen bleibt hingegen, was aus der Tochter geworden ist, die als Kind heimlich (oder unfreiwillig?) mit Verwandten ins Reich ausgewandert ist. Insoweit hätte ich gerne noch mehr erfahren.

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