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Veröffentlicht am 26.10.2020

Ein ungleiches Ermittlerteam

Die Krieger
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Nach dem Tod seiner Frau fällt Kommissar Nick Marzek in eine Lebenskrise und lässt sich von Berlin in das Münchner Morddezernat versetzen. Doch 1984 ist es mit der erhofften bayerischen Gemütlichkeit vorbei, ...

Nach dem Tod seiner Frau fällt Kommissar Nick Marzek in eine Lebenskrise und lässt sich von Berlin in das Münchner Morddezernat versetzen. Doch 1984 ist es mit der erhofften bayerischen Gemütlichkeit vorbei, denn ein brutaler Brandanschlag auf die Diskothek Liverpool erschüttert die Stadt. Was anfangs noch nach Revierkämpfen und Bandenkriminalität mit Balkan-Machenschaften im Rotlichtmilieu aussieht, entpuppt sich nach einem italienischen Bekennerschreiben als ein brisanter Fall mit politischer Schlagkraft, denn die fanatische und terroristische Gruppe LUDWIG bekennt sich zu dem Anschlag.

In „Die Krieger“ schickt Martin Maurer den neuen Ermittler Nick nun nach in Italien, wo das Terrornetzwerk die Menschen in Atem hält und schon mehrere bestialische Morde zu verbuchen hat. Zusammen mit der Putzfrau Graziella, die ad hoc als Übersetzerin einspringt, versucht Marzek in Italien das Puzzle der LUDWIG-Gruppe zusammenzufügen. Das ungleiche Ermittlerpaar hat anfängliche Schwierigkeiten miteinander, doch Graziella entpuppt sich als kluge und vor allem ortsnahe Terrainführerin und die beiden manövrieren sich durch Akten, Zeugenaussagen und Ermittlungen in Norditalien – bis zum spannenden Showdown.

„Die Krieger“ ist ein atmosphärischer, klug durchdachter Thriller, der wahre Begebenheiten um die Gruppe LUDWIG mit Fiktionalem ausschmückt und dadurch wichtige Zeitgeschichte wieder zum Leben erweckt. Der ernste Kern wird mit etwas Humor aufgelockert und durch die verschiedenen Handlungsstränge und das 80er-Jahre-Flair nie langweilig. Nach und nach deckt er das kranke Weltbild der radikalen Gruppe auf, die Menschen ermorden, die von ihrer „Weltanschauung“ abschweifen - aber auch mit offenem Strang, denn nicht alles kann - wie auch in der Realität - gelöst werden. Martin Maurer spricht im Nachwort von seinem Anlass für den Thriller - waren die Täter Abel und Furlan alleine oder stand hinter ihnen ein komplexes Netzwerk, das bis heute im Dunkeln liegt? Das ist erschreckend und zugleich von aktueller Brisanz. Mich hat "Die Krieger" dazu bewegt, mehr über die LUDWIG-Machenschaften zu recherchieren und hoffentlich gibt es eine Fortsetzung rund um Nick Marzek.

„Vorausgesetzt, es gibt den Serienmörder LUDWIG wirklich, also eine oder mehrere Personen aus Fleisch und Blut, die sowohl sämtliche Morde begangen als auch die Bekennschreiben verfasst haben, wie müssen wir uns solche Täter dann vorstellen?“ S. 270

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Veröffentlicht am 14.10.2020

Menschen verbinden & verwöhnen

Uri Buri - meine Küche
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Dies ist mehr als eine Rezeptesammlung von Israels legendärem Fischkoch Uri Jeremias - "Meine Küche" ist eine Hommage an die Weltoffenheit, der Koexistenz von Kulturen und an die kulinarischen Schätze, ...

Dies ist mehr als eine Rezeptesammlung von Israels legendärem Fischkoch Uri Jeremias - "Meine Küche" ist eine Hommage an die Weltoffenheit, der Koexistenz von Kulturen und an die kulinarischen Schätze, die das Meer uns bietet. Niemand kommt in der Altstadt Akko an seinem weit über die Landesgrenzen berühmten Restaurant vorbei - hier verbindet der Genussmensch Juden mit Arabern und gibt jungen Menschen ohne Ausbildung, aber mit leuchtenden Augen eine Chance in seiner Küche - mit Erfolg. Das absolut hochwertige Kochbuch widmet dem sympathischen und hyperaktiven Uri fast 60 Seiten über seine faszinierende Welt - und die lohnen sich, denn Uri hat schon einiges in seinem Leben erlebt und auf die Beine gestellt. Hervorzuheben sind auf den knapp 290 Seiten die wunderschönen Fotografien von Vivi D'Angelo - hochwertig, mediterran, stimmig im Bildaufbau, ein optischer Hochgenuss.

Nach dem umfangreichen Küchenpraxisteil über das Kaufen von frischem Fisch und Seafood, die Verarbeitung und die Grundlagen der verschiedenen Zubereitungsarten kommt der große Teil von Uris Rezepten. Uris Kernkonzept lautet: die Gerichte schmecken Uri selbst, alles auf dem Teller mit maximal neun superfrischen Zutaten ist essbar, die Teller sind flach und ästhetisch arrangiert sowie nicht überladen. Anstatt zuviel Salz wird viel mit Gewürzen gearbeitet.

Neben den fantastischen Fischgerichten kommen auch Beilagen und Vor-/Nachspeisen nicht zu kurz, was mich sehr gefreut hat - klassischer Hummus, Falafel, Spinatsalat, gelber Reis, Bruschetta-Variationen, Blumenkohl-Taboulé, Pilzcreme- sowie Kiwisuppe etc. Sehr ansprechend sind bei allen Rezepten die kurzen Einleitungssätze und Erläuterungen zur Tradition und Tipps&Tricks zum Gericht.

Fazit: Ein fesselnd schönes und authentisches Kochbuch eines außergewöhnlichen Menschens, dem die Liebe zum Beruf, der Respekt vor Menschen und Speisen auf jeder Seite anzusehen sind. Eine gelunge Expedition in ein Land, in kulinarische Genüsse und in Uris vielseitige und liebenswürdige Persönlichkeit. Falls ich mal in Akko sein sollte, wäre es mir ein Vergnügen, den Menschen und eines der besten Fisch-Restaurants Israels kennenzulernen!

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Veröffentlicht am 12.10.2020

Harte Anführerin mit Grips

Capitana
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Lola Vasquez ist zwar klein, aber sie zeigt skrupellose Größe, wenn es darum geht, ihr aufgebautes Drogengeschäft im südlichen Los Angeles am Laufen zu halten. Als Anführerin der Crenshaw Six-Bande ist ...

Lola Vasquez ist zwar klein, aber sie zeigt skrupellose Größe, wenn es darum geht, ihr aufgebautes Drogengeschäft im südlichen Los Angeles am Laufen zu halten. Als Anführerin der Crenshaw Six-Bande ist sie Herrin über das florierende Heroingeschäft in ihrem Bezirk - eine Einnahme, die ihr und ihrer Adoptivtocher Lucy ein sorgenfreies Leben sichert. Und sie hat mit der Staatsanwältin Andrea eine neue Partnerin im Drogenhandel gefunden. Lola kümmert sich um ihre Nachbarn und hat ein Herz für misshandelte Frauen und Kinder - eine sensible Geste, die aus ihrer schwierigen Kindheit stammt. Doch gerade eine dieser Hilfsaktionen zettelt einen großen Bandenkrieg an, denn unwissend hat sie sich mit einem mexikanischen Kartell angelegt. Nun gehts für Lola um alles, was sie sich aufgebaut hat und um vieles mehr - denn Verrat im engsten Umfeld liegt in der Luft.

Melissa Scrivner Love hat eine hartgesottene, treibende und originelle Fortsetzung ihrer Narco-Reihe rund um die klug-nervöse Lola entworfen - dichte Story, prägnante Dialoge, harte Sprache und ein rasantes Tempo bis zum obligatorischen Showdown. Die Tochter eines Polizisten und einer Gerichtsstenografin wechselt in "Capitana" gekonnt die Perspektive, denn der Leser findet eine Frau symphatisch, die eine Verbrecherin ist und die wir eigentlich aus der Strafverfolgungsseite sehen sollten. Mit Härte, aber auch mit Mitgefühl und Verstand setzt sich Lola in einer von Männern und Machos, in einer von sozialer Ungleichheit und extremen Gewalt dominierten Welt durch. Als Leser muss man in dieser wendungsreichen und düsteren Welt voller Machtkämpfe immer aufmerksam sein - es lohnt sich!

"Hatte sie in dieser eingebildeten Zukunft Schüsse gehört, oder hatte ihr Wunschbild das Viertel in eine Gegend verwandelt, in dem Kinder vor Vergnügen schrien statt vor Schmerz, in dem ihr Blut aus Kratzern und Schrammen vom Spielen stammte und die Narben der Kindheit nicht von Gewalt und Missbrauch herrührten?" S. 108

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Veröffentlicht am 10.09.2020

Suche nach Wahrheit und Identität

Das lügenhafte Leben der Erwachsenen
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„Sie kommt nun ganz nach Vittoria.“ - Ein Satz, der die rückblickende Ich-Erzählerin Giovanna mit 13 Jahren, mitten in der Pubertät, in eine Identitätskrise stürzt. Ansonsten wohlbehütet in einer intellektuellen ...

„Sie kommt nun ganz nach Vittoria.“ - Ein Satz, der die rückblickende Ich-Erzählerin Giovanna mit 13 Jahren, mitten in der Pubertät, in eine Identitätskrise stürzt. Ansonsten wohlbehütet in einer intellektuellen Lehrerfamilie in Neapels besserem und höchsten Viertel Rione Alto aufgewachsen, möchte sie nun wissen, wie diese verstoßene Schwester Vittoria ihres Vaters lebt. Diese ist derb, sagt was sie denkt, lebt wie sie will und arbeitet als Putzfrau im niederen Viertel Neapels – wo sich einst auch Giovannas Vater herausgearbeitet hat und ins Bildungsbürgertum aufgestiegen ist.
Giovanna steht nicht zu ihrem sich verändernden Körper und möchte nicht so werden wie ihre scheinheilige Familie. Sie sucht Vittoria auf, die in ihrer Familie als Inbegriff von Verdorbenheit gilt und nimmt bei den Aufeinandertreffen immer mehr Eigenarten von ihr an. Sie entdeckt eine Welt mit Extrem-Emotionen, Sex, Dialekt und Anzüglichkeit. Aber auch einer mit mystischen wie religiösen Erscheinungen. Giovanna pendelt nun zwischen ihrer Familie, in der es viel Scheinmoral und Lügen gibt (der Vater geht fremd) und der schmutzigen Gegend unterhalb des Vomero. Vittoria ist hart und dramatisch, erzählt ihr vom wilden Sex. Giovanna ist fasziniert, analysiert anhand von Tonlagen ihre Gegenüber und macht eigene sexuelle Erfahrungen, die nicht immer gewaltfrei sind. Später wird sie in einem jungen Theologen eine neue Bezugsperson und Liebschaft finden und die Tante hinter sich lassen. Ihre Familie dagegen driftet auseinander, die schöne Fassade des Bildungsbürgertums blättert langsam ab, aber um die vielen Lügen und Abgründe herum versucht jeder, seine Identität und sein Leben als das Wahre herauszustellen.

So hat die Bestseller-Autorin Elena Ferrante gleich mehrere Themen in ihrem neuen Werk clever und sprachgewaltig verstrickt: das Zerbrechen einer Familienfassade, eine feinfühlige und intensive „Coming-of-Age“ einer Frau und die gesellschaftlichen Schichtenunterschiede mit ihren jeweiligen Mustern, Wahrheiten und Lügen. Sehr schön sind viele literarische Bezüge eingewoben – Giovanna liest viel und lässt ihre Gedanken aus den Büchern in das Setting miteinfließen und reflektiert sich dabei ständig selbst, lotet ihre Grenzen aus. Kraftvoll, sinnlich und ehrlich lässt uns Ferrante tief in die Gefühle und Entwicklungen einer Frau gleiten – mit scharfer psychologischer Beobachtung von Mensch und angeblicher Moral. Hoffentlich gibt es eine Fortsetzung.

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Veröffentlicht am 03.09.2020

Mann mit Hut

Kalmann
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Der in Island lebende Autor Joachim B. Schmidt hat mit "Kalmann" einen rührendkomischen Roman mit kriminalistischen Anleihen geschrieben. Der 33-jährige Protagonist und Ich-Erzähler lebt in seiner eigenen, ...

Der in Island lebende Autor Joachim B. Schmidt hat mit "Kalmann" einen rührendkomischen Roman mit kriminalistischen Anleihen geschrieben. Der 33-jährige Protagonist und Ich-Erzähler lebt in seiner eigenen, fast autistischen und etwas zurückgebliebenen Welt, weiß aber dennoch viel: "Wenn man unter einen Eisbär zu liegenkommt, wird es dunkel und warm." Von seinem Großvater hat er das Haifischen und vieles mehr im Leben gelernt, er bleibt auch in Erinnerungen sein Wegweiser - nur ist dieser jetzt sehr schwach im Pflegeheim untergebracht. Kalmann hat keinen Bezug zu Frauen, ist es gewohnt, der Dorftrottel zu sein, stellt aber vorzüglichen Gammelhai her und sieht sich als Sheriff in dem maroden Hafendorf Raufarhöfn - einst hat es vom Fischfang gelebt, aber diese goldene Zeiten sind nach der Umverteilung der Fischfangquoten längst vorbei.

Bei einen seiner Streifzügen und auf der Jagd nach einem Polarfuchs entdeckt Kalmann eine Blutlache - könnte das Blut von dem vermissten, reichen und snobbigen Hotelier stammen? Kalmann geht ausgestattet mit Cowboyhut, Sheriffstern und Pistole zwischen den Journalisten, Polizisten und der litauischen Mafia auf Spurensuche - und scheint ein Geheimnis zu bergen.

"Kalmann" ist kein Krimi im herkömmlichen Sinne, sondern ein sonderbarer, aber flüssig zu lesender Trip in die detaillierte Gedanken- und Gefühlswelt eines isländischen Eigenbrötlers mit gelegentlichen Wutausbrüchen, der einfach anders tickt. Aber warum nicht mal die Perspektive wechseln und sich in den Bann eines schrägen Typens mit gutmütigem Herzen begeben? Obendrein leuchten schroffe und irrsinnig schöne Landschaftsbeschreibungen in dem Buch, wenn Kalmann endlos in der Natur zu wandern scheint. Ein packender Kerl mit Hut, dieser Kalmann! Und seine Gedanken sind gar nicht so zurückgeblieben, wie es anfangs scheint. Manche Einsichten sind weise und komplex - und lakonische Einwürfe garantiert.

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