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Veröffentlicht am 25.04.2017

Eine wundersame "Verkettung von Umständen"

Und jetzt lass uns tanzen
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"Und jetzt lass uns tanzen" von Karine Lambert ist im Diana-Verlag 2017 (HC, gebunden) erschienen. Übersetzt wurde der Roman aus dem Französischen von Pauline Kurbasik.Es ist der zweite Roman der Autorin, ...

"Und jetzt lass uns tanzen" von Karine Lambert ist im Diana-Verlag 2017 (HC, gebunden) erschienen. Übersetzt wurde der Roman aus dem Französischen von Pauline Kurbasik.Es ist der zweite Roman der Autorin, die in Frankreich bereits Erfolge erzielen konnte und nun erstmals ins Deutsche übersetzt wurde.Es handelt sich um einen Roman über 'späte Liebe', aber auch über Selbstbestimmung seines Lebens bis ins hohe Alter hinein, das mit sehr sanften und äußerst sensiblen Klängen literarisch brilliert.

"Beinahe wären sie einander nie begegnet. Marcel, der den Sternenhimmel liebt, und Marguerite, die nur dem Tag Schönheit abgewinnen kann. Er, für den nur die Freiheit zählt, und sie, die ausnahmslos allen Regeln folgt. Doch dann verlieren beide ihre langjährigen Ehepartner. An diesem Wendepunkt in ihrem Leben treffen sie aufeinander und stellen überrascht fest, dass sie über die gleichen Dinge lachen. Wagen sie es auch, noch einmal zu lieben?"(Quelle: Buchrückentext)

Meine Meinung:

Die beiden Hauptprotagonisten Marguerite und Marcel sind mir auf Anhieb sympathisch; der Autorin gelingt es in sehr sensibler Weise, beide Charaktere zu beschreiben:

Marguerite, deren Leben durch ihren Mann, einem Notar, sehr vorbestimmt war und die sich zeitlebens seinen Regeln unterwarf, überlegt nun im hohen Alter von 78 Jahren nach seiner Beerdigung, was sie mit ihrem restlichen Leben anfangen solle.... Sie vertraut sich ihrem Hausarzt an, der ihr eine Thermalkur in den Pyrenäen verschreibt... Ihr Sohn Frédéric, selbst verheiratet mit Carole, reagiert mit Unverständnis und nicht nur im beruflichen Leben ist er das Abbild seines gestrengen Vaters. Dennoch fährt Marguerite, die sich mit ihrem Enkel Ludovic bestens versteht; die Beziehung zu ihrem Sohn allerdings ist schwieriger...

Marcel, der als Kind mit seiner Familie aus Algerien nach Frankreich emigrierte und Nora, eine Nachbarstochter, die sich ihnen anschließen, ist von Kindertagen an in Nora verliebt und die beiden werden ein glückliches Paar; in späten Jahren verreisen sie oft mit dem Scrabble-Club, dem sie beide mit Leidenschaft angehören. Auf einer Reise nach Nizza wird Nora durch einen tragischen Unfall Marcel nun jäh entrissen....
Die Fassungslosigkeit Marcels, die sich nach einem solchen Verlust in einem Menschen abzeichnet, ist von Karine Lambert wunderbar beschrieben worden; ebenso die Tatsache, dass Marguerite sich auch erleichtert fühlt, und noch immer an ihre Schwester Hélène denkt, die sie sehr liebte - und die dem Leben zugewandt war, bis ein Unfall sie früh aus dem Leben riss....

Marguerite und Marcel treffen nun in einer Thermalbad-Kur aufeinander und begegnen sich zufällig auf der Terrasse: Sie stellen fest, dass sie über die gleichen Dinge lachen können und sofort ist eine gewisse Sympathie füreinander da. Marcel lädt Marguerite ein, nach der Kur noch einige Tage gemeinsam zu verbringen und die beiden alten Menschen kommen sich näher...

Mit viel Feingefühl und leisen Tönen erzählt dieser Roman von der Entwicklung zweier alter Menschen, die einen Verlust erlitten haben, jedoch hier nicht für den Rest ihres Lebens in eine Art Schockstarre verfallen, sondern sich ganz langsam aufeinander zu bewegen (das Cover porträtiert dies sehr treffend). Es sind sanfte, aber zuweilen auch sehr herzergreifende Töne, die das Alter und Älterwerden beschreiben; Marguerite und Marcel lernen sich kennen - und mögen. Marguerite kürzt ihr Haar und lässt den strengen Knoten - und damit ihr altes Leben - im Frisiersalon, bevor sie Marcel wiedertrifft. Hierin liegt auch ein gewisser Mut, das Leben nochmals neu zu beginnen. Während Marcel eher Unterstützung in seiner Tochter findet, die Liaison zu Marguerite betreffend, stellt Frédéric hier für Marguerite eine große Herausforderung dar:
Besonders gut gefallen mir die detaillierten Beschreibungen, wo sich die Rollen/Beziehungen von Eltern und Kinder oftmals ins Gegenteil verkehren und besorgte Kinder, die auch überreagieren, ihren Eltern alles verbieten möchten, was Spaß und Freude machen könnte, dies hat sicher einen sehr realen Hintergrund ("in Wirklichkeit will er nur an Dein Tafelsilber" - O-Ton Frédéric). Letztendlich lernt der Sohn durch die Mutter, mal die Krawatte und die Steifheit seines Lebens abzulegen ;)
Es gibt wunderschöne Sätze über das Älterwerden "den neuen Rhythmus annehmen" (Zitat S. 141) und den zentralen, zeitlosen Satz:

"Manche Begegnungen begleiten einen bis ans Lebensende".

Marguerite und Marcel haben durch viel Mut und die Fähigkeit, erneut zu lieben, noch viele schöne Jahre miteinander, die sie mit Reisen verbringen, so oft sich ihnen die Möglichkeit bietet.

Fazit:
Ein wunderschöner Roman mit leisen Tönen voller Ehrfurcht vor dem Leben selbst, über das Älterwerden, den Verlust und auch den möglichen Neubeginn. Eine feinsinnige, teils humorvolle und poetisch geschilderte "Verkettung von Umständen" mit lebensbejahenden und mutigen Auswirkungen auf die beiden liebenswerten Protagonisten; auch ein Beweis in Romanform, dass Liebe kein Alter kennt. Von mir eine unbedingte Leseempfehlung und 5 Sterne!

Veröffentlicht am 22.03.2017

Von einem, der auszog - und vielen Kinderemigranten der frühen 60er Jahre in Italien seine Stimme gibt!

Das Leben wartet nicht
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"Das Leben wartet nicht" von Marco Balzano (in der Übersetzung von Maja Pflug aus dem Italienischen) erschien 2017 im Diogenes-Verlag, Zürich (HC, gebunden).

"Ninetto war noch ein Kind, als er allein ...

"Das Leben wartet nicht" von Marco Balzano (in der Übersetzung von Maja Pflug aus dem Italienischen) erschien 2017 im Diogenes-Verlag, Zürich (HC, gebunden).

"Ninetto war noch ein Kind, als er allein von Sizilien nach Mailand kam, um Arbeit zu suchen. Ein furchtloser Junge mit der Sonne des Südens im Herzen. Obwohl er noch zu klein war für das Fahrrad, fand er sogleich eine Anstellung als Bote.
Heute, über fünfzig Jahre später, erkennt sich Ninetto in den Neuankömmlingen aus China und Nordafrika wieder. Sie haben dieselben Träume wie er damals. Und setzen alles daran, sie zu verwirklichen." (Quelle: Buchrückentext)

Der Roman beginnt mit einem vermeintlichen Wiedersehen eines Mannes auf dem Gefängnishof, den Ninetto von seiner Zelle aus beobachtet - und der ihn an seinen früheren Lehrer Vincenzo in San Cono, Sizilien, wo er aufwuchs, erinnert.....

Sizilien, 50er Jahre: Ninetto wächst wie viele andere seiner Generation als Einzelkind in ärmlichen Verhältnissen auf und muss die Schule verlassen, als seine Mutter einen Schlaganfall erleidet: Fortan muss er mit dem Vater auf dem Feld arbeiten, doch es reicht kaum zum Leben, Hunger und Perspektivlosigkeit sowie der gesundheitliche Zustand der Mutter machen der kleinen Familie zu schaffen. So wird er - wie viele andere Jungen aus Süditalien, wo es kaum Arbeit gibt - mit einem Feldarbeiter, Giuvá, nach Mailand geschickt, um Arbeit zu finden und nicht Hungers zu sterben...
Ein Tagebuch, das ihm sein Lehrer schenkte und die Erinnerung an die Schulstunden, in denen er Gedichten lauschte und auch Erzählungen fürs Leben, die den Schülern von Vincenzo nahegebracht wurden, war in seinem Gepäck: Er wollte Dichter werden. Vor seiner Abreise steckt er das Springmesser seines Vaters vorsorglich in seine Tasche...

Doch das Leben, das zuweilen eine andere Melodie spielt als die des Herzens der Menschen, holte ihn bereits im Alter von knapp 10 Jahren ab: Er findet durch seine Klugheit und seine Willenskraft schnell eine Stelle als Laufbursche und fährt für eine Wäscherei Wäsche aus: Schon da erlebt er die große Stadt Milano schrecklich und märchenhaft zugleich; er hat einen scharfen Verstand und eine messerscharfe Beobachtungsgabe.

Marco Balzano lässt nun Ninetto, der hier exemplarisch für Tausende von Kinderemigranten steht, die zwischen 1959 und 1962 gezwungen waren, vom Süden Italiens vorwiegend in die Industriestädte Milano, Turin und Genua zu ziehen; zumeist mit Familienangehörigen oder Freunden, sein Leben erzählen und quasi Revue passieren:

Er entkommt dem "Bienenstock", einem völlig überbelegten Arbeiterblock in Milano, wo er in der Küche übernachten muss und wohnt fortan bei Antonio, der Musikkünstler werden möchte und mit Männern aus den Abruzzen in einer Herberge wohnt: Hier hat er erstmals in seinem Leben das Gefühl, noch Kind sein zu dürfen und wird von den meist Älteren fürsorglich behandelt. Er arbeitet auf dem Bau und verliebt sich in Maddalena, die ebenfalls mit einem Onkel aus Kalabrien kam und in einer Bäckereifabrik arbeitet...

Wie viele andere gründet er sehr früh eine Familie und heiratet Maddalena, bekommt eine Tochter mit ihr. Um seine Familie zu beschützen, trägt er das Messer noch immer in seiner Tasche. Er arbeitet inzwischen im Autowerk von Alfa Romeo am Band und wir erfahren, welch geistlose Tätigkeiten Menschen gezwungen werden, zu tun. Ninetto machte einen großen Fehler in seinem Leben, eine Situation, die er völlig falsch einschätzte und fehl interpretierte - und als Folge 10 Jahre Gefängnis für ihn bedeutete.

Lange wird dem Leser die Geschichte, wie es dazu kam, vorenthalten und Ninetto so facettenreich und als ein eigentlich sehr guter Mensch, der es sehr schwer hatte und seiner Kindheit beraubt wurde, beschrieben, dass es schwerfällt, sich überhaupt solch eine Tat vorzustellen, die ihn ins Gefängnis brachte. Nach dieser Zeit ist nichts mehr so, wie es zuvor war - das Leben hat nicht auf ihn gewartet und manche Züge sind verpasst...

Gerne möchte er seine Tochter und Enkeltochter sehen und zum Schluss nimmt dieser Roman, dem es an Tragik, an Sozialkritik, an Emotionen nicht fehlt, noch eine zaghaft positive Wendung in Richtung Hoffnung, die ihm die Enkeltochter Lisa gibt....

Marco Balzano schreibt schnörkellos und geradlinig; er leuchtet sowohl Ninetto, der stellvertretend für die Generation der Kinderemigranten des südlichen Italiens steht, in vielerlei Hinsicht aus und findet für Vorgänge, die größer sind als Menschen und die diese zuweilen trennen, in wenigen Worten eine ungeheure Aussagekraft.

Der Stil des Autors ist überragend, da er es schafft, durch eine nahe Figurenzeichnung wie in einem Bild durch die Geschichte zu wandern, tiefe Eindrücke über das Verstummen Ninettos und so manche Ungerechtigkeiten des Lebens nicht einfach hinnehmen zu wollen, sondern mit ihm zu erkennen. So wundert es nicht, dass er sich in den chinesischen Einwanderern, die ein Café betreiben, selbst sieht - und ihnen helfen will. Ich bin überzeugt, er wäre ein hervorragender Dichter geworden, hätte ihn das Leben nicht mit all seiner Härte bereits im Alter von 9 Jahren "abgeholt".

Das Nachwort des Autors geht ebenfalls sehr zu Herzen und seine Intention, diesen Kinderemigranten eine Stimme zu geben, ist ihm nach meinem Dafürhalten zu 100% gelungen; auch sehe ich Parallelen zur heutigen politischen Situation, in der die Zahl der Emigranten so hoch ist, wie nach dem 2. Weltkrieg nicht mehr.

Mit einem Chapeau danke ich Marco Balzano für diesen berührenden und aufwühlenden, nachdenklich stimmenden - und zuweilen humorvoll aufblitzenden Roman. Mich hat Ninettos Geschichte sehr ergriffen und aufgewühlt, besonders was die Schattenseiten der globalen Weltwirtschaft betrifft. Ich spreche eine absolute Leseempfehlung aus und vergebe sehr gerne 5 Sterne.

Veröffentlicht am 22.03.2017

Ein mysteriöses Erbe in einer sagenumwobenen Landschaft - Wales!

Das Erbe von Carreg Cottage
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"Das Erbe von Carreg Cottage" von Constanze Wilken erschien als 4. Roman der "Wales-Reihe" als TB im Goldmann-Verlag, 2017.Das 'sagenhaft' schöne Cover verspricht nicht zu viel, sondern passt wundervoll ...

"Das Erbe von Carreg Cottage" von Constanze Wilken erschien als 4. Roman der "Wales-Reihe" als TB im Goldmann-Verlag, 2017.Das 'sagenhaft' schöne Cover verspricht nicht zu viel, sondern passt wundervoll zu diesem historischen Liebesroman, der dieses Mal auf der Halbinsel Lyn verortet ist: Mit Blick auf die Pilgerinsel Ynys Enlli - auf englisch Bardsey Island; einer Pilgerinsel mit einer langen Geschichte...

"Die 35-jährige Lili Gray steht vor dem Nichts, als sie ihr Café in einem kleinen schottischen Küstenort schließen muss. Doch dann vermacht ihr ein Unbekannter ein altes Haus auf der Halbinsel Lyn in Nordwales. Die leicht verfallene Pilgerraststätte und der Garten an den Klippen ziehen Lili sofort in ihren Bann. Von dort blickt sie auf die Insel Bardsey (Ynys Enlli), die eine unerklärliche Faszination auf sie ausübt. Aber Lilis Anwesenheit scheint jemanden zu stören. Und die junge Frau ahnt nicht, wie sehr die Geschichte des Pilgerortes mit ihrer eigenen - und der des unbekannten Gönners - verbunden ist."(Quelle: Buchrückentext)
Im Prolog des Romans geht es um eine schwangere, sehr unglückliche junge Frau, die sich in ein Kloster flüchtete und suizidgefährdet ist. Die Schwester hält sie jedoch davon ab und segnet sie....
Constanze Wilken verwebt sehr gekonnt und sprachgewaltig sowie dennoch höchst sensibel zwei Erzählstränge miteinander:

Nordwales, 614 n.Chr.:
Lileas, die Tochter des Druiden Ruan, hat "das zweite Gesicht", sieht dunkle Zeiten in ihren Visionen. Die Familie befindet sich bereits seit längerer Zeit auf der Flucht, da missionarische Priester den alten Glauben der Druiden verstoßen, Gefahr droht...
Cadeyrn, der Sohn eines Adligen, intelligent und der Sprachenkunde des Lateinischen sowie des Griechischen mächtig, muss vor Alpin fliehen, da König Edwin der Überzeugung ist, dass Cadeyrn für den Tod dessen Sohnes verantwortlich ist und ihn zur Rechenschaft ziehen will.
Lileas flieht als einzige Überlebende, als ihre Familie ermordet wird und Cadeyrn wird von seinem Vater in einem Kloster auf Ynys Enlli untergebracht, wo er fortan darauf hofft, die alten Schriften übersetzen zu können, wäre da nicht ein Neider...
Lileas, die sich nach der Flucht Meara nennt, ist heilkundig und als Cadeyrn schwer verletzt wird, treffen sich ihre Wege und Meara pflegt ihn mit dem Wissen der Druiden und der Heilkunst der Kräuter gesund - beide empfinden große Zuneigung füreinander, wohlwissend, dass der unterschiedliche Glaube sie trennt. Ob es ihnen gelingt, sie aufgrund ihrer starken Liebe füreinander zu überwinden?

Halbinsel Lyn, April 2016:
Lilian, die Hauptprotagonistin in der Gegenwart, erbt nach dem Verlust ihres kleinen Cafés in Schottland ein altes Cottage mit der Bedingung, dort für mindestens ein Jahr zu leben und es wieder instand zusetzen. Sie erhält Hilfe von Collen, der im "Zentrum für walisische Geschichte und Sprache" arbeitet und Historiker ist sowie von Marcus, der eine kleine Renovierungsfirma hat und sich als mehr als nur ein 'Allrounder' in Renovierungsaufträgen erweist - beide Männer helfen Lili, sich in dem ihr noch fremden Wales einzugewöhnen und einer von ihnen verliebt sich unsterblich in sie...
Lili spürt, dass Carreg Cottage der Ort ist, wo sie hingehört und entdeckt einen Stein, der ihr Interesse weckt: Durch Visionen, die sie hat, tritt sie kurzweilig in Verbindung mit der Vergangenheit - in längst vergangene Zeiten...
Mit Marcus und seinem Gehilfen Jo gelingt es ihr immer mehr, das Cottage in den Zustand zu versetzen, der ihr vorschwebt: Auch den Garten sieht sie bereits in ihrer Phantasie ausgestaltet und freut sich über jede Weiterentwicklung. Wären da nur nicht die seltsamen Vorkommnisse, die ihr das Leben erschweren - und sie nicht weiß, wem sie trauen kann....

Constanze Wilken hat diese teils historische, teils in der Gegenwart spielende Geschichte sehr gekonnt und voller Spannung aufgebaut: Als Leser macht man eine Zeitreise und taucht immer wieder in der Jetzt-Zeit im Cottage auf, was ich sehr genossen habe! Die Protagonisten sind sehr facettenreich und sympathisch, allen voran Meara und Cadeyrn, Lilian und Collen, Marcus - besonders gut gelingt es der Autorin, auch die Nebenfiguren sehr ausdrucksstark und nah zu zeichnen; auch sie sind in jedem Roman sehr wichtig. Zum Ende des Romans nimmt die Spannung zu und auf beiden Zeitebenen erlebt der Leser eine Dramatik, die es schwermacht, das Buch beiseite zu legen.

Besonders angenehm empfand ich die historischen Begebenheiten und Beschreibungen, die hier gut recherchiert über das Keltentum, die Druiden und ihren Glauben informieren: Erklärungen zur Mystik der Kelten, deren Symbole (unendliche Knoten z.B.), die Bedeutung, die die Natur hat; die Sonne, die Sterne, die Bedeutung des Mondes und natürlich der Heilkraft der Pflanzen, die die Erde uns schenkt.

Beide Erzählstränge bewegen sich aufeinander zu, bis sie sich treffen und miteinander verwoben, dem Leser sehr glückliche und spannende wie auch informative Lesestunden schenken; im Epilog wird dann so manches Rätsel gelöst und der mystische keltische Knoten erscheint in aller Deutlichkeit vor dem geistigen Auge: Ein Roman, der alles in sich trägt, um zeitweise in eine andere Welt, der Welt der Kelten, abzutauchen und mit einer zarten Liebesgeschichte verbunden ist.

Ein beeindruckendes Nachwort der Autorin, die gerne mehr Informationen über ihre HP über Wales gibt (oder auch mein-wales.de) lässt erkennen, dass Constanze Wilken in all ihren Wales-Romanen ihre Leidenschaft und ihre Liebe zu "Cymru" - der Landschaft, der Schönheit, der Poesie, der Sprache und Geschichte wie auch der Menschen von Wales wiederspiegelt - Romane, die man nicht so schnell vergisst!

Ich bedanke mich ganz herzlich für eine wundervoll begleitete Leserunde und für viele schöne Lesestunden in Wales! Mit einer absoluten Leseempfehlung und 5 Sternen freue ich mich bereits jetzt auf die Fortsetzung dieses Romans!

Veröffentlicht am 13.03.2017

"Message dans une bouteille" - für eine wundervolle bretonische Familie!

Ein geschenkter Anfang
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"Ein geschenkter Anfang" (Original: Entre ciel et Lou) von Lorraine Fouchet erschien als gebundenes Buch, HC im Atlantik-Verlag (2017). Es handelt sich um eine Familiengeschichte, die damit beginnt, dass ...

"Ein geschenkter Anfang" (Original: Entre ciel et Lou) von Lorraine Fouchet erschien als gebundenes Buch, HC im Atlantik-Verlag (2017). Es handelt sich um eine Familiengeschichte, die damit beginnt, dass Lou, die Hauptperson dieses Romans, Ehefrau von Jo und Mutter von Cyrian und Sarah sowie Großmutter der Enkeltöchter Pomme und Charlotte, beerdigt wird. Jo, der die von allen Inselbewohnern sehr geliebte Frau sehr vermisst, betrauert sie und fühlt sich verlassen und einsam; hatte er doch ein Leben voller Lachen und voller Liebe mit Lou....

Der Roman handelt nun von dem Vermächtnis in Form von 2 Briefen, in einer Champagnerflasche beim Notar hinterlegt, in dem Lou ihrem geliebten Jo, dem früheren Kardiologen, auferlegt, dass er - bevor er die Flasche öffnen darf - die Aufgabe hat, seine Kinder Cyrian und Sarah glücklich zu machen, ihnen 'ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern' - und Jo nimmt diese letzte Herausforderung an und lässt seinem Einfallsreichtum in dieser Sache zuweilen skurrile Ideen entspringen.... Man lernt die beiden Enkeltöchter, die Halbschwestern Pomme und Charlotte, kennen sowie deren Eltern; den erfolgreichen Cyrian, der Vater der beiden, der sich von der Insel löst und auf Jo zornig ist, in seiner Ehe mit der Pariserin Albane nicht sehr glücklich ist und dennoch einen aufrechten Charakter und das Herz am rechten Fleck zeigt. Sarah, seine Schwester, wird von einer Krankheit ereilt, die in jungen Jahren ihr Leben verändert: Da sie eine starke Persönlichkeit ist, macht sie jedoch das Allerbeste aus ihrem Leben, muss jedoch lernen, noch einmal einen Mann in ihr Leben treten zu lassen....

Jo, der in "Le Bourg" residiert, versucht nun, teils mit unlauteren Mitteln, die Kinder glücklich(er) zu machen und die Enkeltöchter verzehren sich ihrerseits nach Liebe und Aufmerksamkeit ihres Vaters. Albane, die Ehefrau, hat in diesem Roman ebenfalls eine Lektion fürs Leben zu lernen und durchlebt eine positive Wandlung...
In der Trauerzeit, den ersten Wochen nach Lou's Tod, wechselt die Erzählperspektive jedes einzelnen Familienmitglieds, was sich ungeheuer spannend, abwechslungsreich und hintergründig liest; dem Leser wird klar, dass sich hinter jedem Verhalten, jeder Geste, eine andere (oft unbekannte Geschichte, über die geschwiegen wird) steht. Dies macht diesen Roman sehr liebenswert.

Der Stil von Lorraine Fouchet hebt genau dies in emotionaler Weise ganz ausgezeichnet heraus: Man lernt zunehmend, die Charaktere zu verstehen - und dieses Verständnis führt auch zur Erkenntnis, dass oftmals Ängste oder verschwiegene Erlebnisse hinter der Fassade stecken und es sich lohnt, genauer dahinter zu sehen - und auch darüber zu sprechen. So spitzt sich der Roman am Ende dramatisch zu und mit Charlottes "Erwachen" kommen viele Wahrheiten ans Licht, die die Familie endlich wieder näherrücken lassen...Im Grunde bringen die beiden Mädchen Pomme und Charlotte durch ihren Wunsch, mehr Zeit miteinander zu verbringen, die Familie 'peu-à-peu' zusammen; die Annäherungsprozesse verdichten sich und Jo kann nun sein Versprechen einlösen und Lou's Flasche mit der letzten 'message' beim Notar abholen: Die Familie kann neu starten und Lou endlich ihre Ruhe finden. Sie muss sich nicht mehr einschalten von "dort, wo wir alle einmal hingehen"....

Lorraine Fouchet gelingt es sehr sensibel und mit der französischen 'Leichtigkeit', die dennoch in die emotionale Tiefe geht, ein sehr ernstes Thema anzugehen und Wege aufzuzeigen, wie Familien miteinander glücklich werden können, wenn sie offen und vertrauensvoll miteinander umgehen und kommunizieren. Humorvoll und poetisch wird dies dem Leser vor Augen geführt. Dafür ein 'chapeau' von mir!Im Anhang gibt es noch eine Musikliste sowie zwei bretonische Rezepte - die Liebe zur Ile de Groix ist während des gesamten Romans so sehr spürbar, dass man sie am liebsten sofort kennenlernen möchte.

Fazit:

Herzergreifend, sentimental, zornerfüllt, liebevoll - die ganze Skala menschlicher Gefühle in der Familie eines Kardiologen auf einer zauberhaften Insel in der Bretagne - der Ile de Groix. Von mir 4,5 Sterne und 92° mit einer absoluten Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 12.03.2017

Der letzte Überlebende - Gegen das Vergessen!

Der letzte Überlebende
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Bei Sam Pivnik's "Der letzte Überlebende" (erschienen bei Theiss, 2017) handelt es sich um eine bewegende, nein: erschütternde Autobiografie des Autors, der am 1. September 1926 in Loslau, Polen geboren ...

Bei Sam Pivnik's "Der letzte Überlebende" (erschienen bei Theiss, 2017) handelt es sich um eine bewegende, nein: erschütternde Autobiografie des Autors, der am 1. September 1926 in Loslau, Polen geboren wurde. Im Prolog beschreibt Sam Pivnik die Begegnung mit dem berüchtigten KZ-Arzt Josef Mengele im Lager Auschwitz-Birkenau...

In den 15 Kapiteln dieses zeitdokumentarisch sehr wichtigen Buches beschreibt Pivnik sein Leben. Seine Kindheit nennt er fortan "Der Garten Eden".Sam Pivnik wuchs als Sohn eines Schneiders mit vielen Geschwistern in einem liebevollen Elternhaus auf, An seinem 13. Geburtstag marschierten die Deutschen in Polen ein (1.9.1939) und der 2. WK begann; seither feierte Sam niemals mehr seinen Geburtstag...

In den ersten Kapiteln wird deutlich, wie die Welt, die er kannte in Kindes- und Friedenszeiten, nach und nach zerbrach; der Druck auf die jüdische Bevölkerung und die antisemitischen Anweisungen aus Berlin immer größer wird: Wie Schindler gelingt es vorerst Alfons Rossner, den Vater und Sam als 'kriegswichtige' Arbeiter einzusetzen, um Uniformen zu nähen (1940/41). Bereits in der Besatzungszeit werden viele Juden deportiert (die offizielle Nazi-Variante lautete 'Umsiedlung in den Osten') und Familie Pivnik landet eines Tages wie die anderen jüdischen Familien in einem ehemaligen Steinbruch namens Kamionka; de facto all ihrer Habe beraubt. Aus Kamionka führt der Leidensweg von Sam und seiner Familie ins Lager Auschwitz-Birkenau. In dieser Hölle schubst ihn die geistesgegenwärtige Mutter (gibt es dafür überhaupt ein Wort in irgendeiner Sprache? Ich glaube eher nicht...) in die Reihe der 'arbeitsfähigen' Männer, zu dieser Zeit ist Sam 17 Jahre alt: Seine Familie sollte er nie mehr wieder sehen...

Dies ist nicht der erste Roman für mich, der sich mit dem Holocaust und der widerwärtigen, menschenverachtenden 'Endlösung', dem Mord an über 6 Millionen Juden während der Nazi-Diktatur Hitlers beschäftigt - aber er ist (mit dem Tagebuch von Anne Frank) einer der Authentischsten, da es die Erinnerungen eines heute 90jährigen Mannes widerspiegelt, der die Hölle, den Sadismus und die Brutalität der SS und Nazi-Schergen beschreibt, die er erleben musste.
Die Betroffenheit, das Fehlen von Wörtern, die dieses dunkelste Kapitel deutscher Geschichte in mir wachrufen wie auch das ungute Gefühl, dass in Deutschland wie auch anderen europäischen Staaten derzeit Populisten und Nationalisten abermals auf dem Wege sind, "Stimmen zu fangen", lässt sich kaum benennen.

Sam muss nach weiteren sog. "Selektionen", die nur die stärksten Häftlinge überlebten, auf der 'Rampe' arbeiten, wo er den hilflos Ankommenden (und unterwegs mangels Essen und Trinken sowie durch Entkräftung bereits Verstorbenen) gegenübertreten muss....
In der Mitte des Buches verstärken und ergänzen Fotos seiner Familie und aus dem Lager die Aussagekraft dieser Autobiografie. Auch die preussische Detailversessenheit, die Listenführungen und die teuflische Bürokratie des Nazi-Regimes wird gut beschrieben und anhand 2 Listen im Anhang deutlich gemacht.

Man ist als Leser mehr als bewegt, wenn man sich das spätere Zusammentreffen Sam's mit seinem Bruder Nathan vorstellt. Dafür gibt es wohl keine Worte, die dies emotional beschreiben könnten. Der Autor gibt auch viele Hintergrundinfo's zur Zeit, als sich der 2. WK dem Ende naht; allerdings beurteilt er die Schweizer positiver, als mir dies zu Ohren kam: Soviel ich weiß, wurden Juden, die sich in die neutrale Schweiz retten wollten (bis auf sehr wenige Ausnahmen mutiger Zollbeamter), von diesen zurück "ins Reich" und damit in den sicheren Tod geschickt wurden.

Er beschreibt die Nachkriegsjahre, seine Zeit in London, seine Zeit als Soldat um die Gründung des heutigen Israels (Staatsgründung 1949) und bedauert ebenso wie ich, dass Auseinandersetzungen und Kämpfe zwischen Palästina und Israelis bis heute andauern. Er kehrt nach London zurück (worüber er jedoch keine Gründe angeben möchte) und lebt heute in einem Altersheim. Quellen, Literaturhinweise, ein Anhang mit Tabellen und ein Register runden die Autobiografie ab.

Fazit:

Sam Pivnik ist mit der Veröffentlichung seiner Autobiografie und seinem Überlebenswillen im Holocaust, dem dunkelsten Kapitel jüngerer deutscher Geschichte, ein Denkmal und ein literarischer "Stolperstein" gelungen, der von jedem gelesen werden sollte. Ein Buch gegen das Vergessen; unbedingt lesens- und empfehlenswert!Ich vergebe 5 * und 100° auf der "Histo-Couch".