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Veröffentlicht am 01.09.2021

Ein zäher Sommer

Zikadensommer
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Nachdem ihre Eltern verstorben sind, reist die 40-Jährige Mia in ihre Geburtsstadt Athen. Dort bringt sie Ordnung in die Wohnung ihrer Eltern, die sie nun geerbt hat und trifft sich mit Freunden und Bekannten. ...

Nachdem ihre Eltern verstorben sind, reist die 40-Jährige Mia in ihre Geburtsstadt Athen. Dort bringt sie Ordnung in die Wohnung ihrer Eltern, die sie nun geerbt hat und trifft sich mit Freunden und Bekannten. Mit dem neuen Nachbarn, genannt „der Kapitän“, trifft sie sich allabendlich auf dem Balkon, wobei sie beide durch eine Trennwand bedingt nur die Stimme des anderen hören. Über einen langen Sommer hinweg hat Mia viele Begegnungen, die sie nachdenklich stimmen.

„Zikadensommer“ von Natalie Bakopoulos ist ein Roman mit einem außergewöhnlichen, für mich sehr gewöhnungsbedürftigen Stil. Er wird abwechselnd aus der Sichtweise der Protagonisten Mira und dem „Kapitän“ erzählt und spielt im Sommer. Dabei lässt er jedoch leider jegliche Leichtigkeit eines Sommertages vermissen. Inhaltlich werden insbesondere die Themen Migration, Identität, Zugehörigkeitsgefühl und Rassismus neben einem Beziehungsdrama behandelt. Diese Themen werden jedoch konfus durcheinandergewirbelt und teilweise in Dialogen lose in den Raum gestellt, ohne dass ich einen Zusammenhang erkennen konnte. Darüber hinaus werden die Themen nur oberflächlich behandelt. Hierdurch hatte ich das Gefühl, dem Roman fehlt, obwohl er Melancholie und Schwere vermittelt, eine tiefere Sinnebene. Die Szenen rund um Identität und den Umgang der Griechen mit der Flüchtlingskrise empfand ich eigentlich als sehr spannend, aber die Geschichte wirkte auf mich trotzdem so zerfahren, dass ich bis zuletzt keinen roten Faden entdecken konnte. Beim Lesen kam bei mir eine Trägheit auf und für jede Seite brauchte ich gefühlt ewig. Die abgebrochenen Dialoge ohne Zusammenhang und wiederkehrende Situationen aus dem Nichts heraus haben bei mir darüber hinaus viel Verwirrung hervorgerufen. Den Schreibstil empfand ich als sehr sachlich und sperrig. Es wirkte auf mich oft wie ein Arztbericht/Verlaufsbericht eines Psychiaters. Abgesehen von Rami konnte ich mich mit den Romanfiguren leider nicht identifizieren und auch keine Sympathie entwickeln. Schade, denn die Grundidee des Romans ist sehr interessant und die Themen politisch sehr relevant. Das Potential des Romans bleibt meiner Meinung nach jedoch unausgeschöpft.

Zusammenfassend fühlte ich mich wie an einem extrem heißen, klebrigen Sommertag, den man einfach hinter sich bringen möchte. Gepaart mit Verwirrung und Melancholie konnte der Roman mich leider nicht überzeugen.

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Veröffentlicht am 02.04.2021

Sommerfabel

Sommerfabel
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In der „Sommerfabel“ folgen wir der Protagonistin Josephine durch einen sehr heißen Sommertag. Hierbei verliert sie sich unentwegt in intensiven Tagträumereien, die sehr entrückt und fantasievoll sind. ...

In der „Sommerfabel“ folgen wir der Protagonistin Josephine durch einen sehr heißen Sommertag. Hierbei verliert sie sich unentwegt in intensiven Tagträumereien, die sehr entrückt und fantasievoll sind. Einige dieser Tagträumereien sind einem schon selbst vorgekommen, andere sind humorvoll beschrieben und lassen einen schmunzeln. Mehrfach habe ich jedoch den Faden verloren und musste Absätze wiederholt lesen, weil die Tagträumereien ins Fantastische, nahezu ins Absurde ausgeartet sind. Das haben Tagträumereien zwar generell so an sich, es entspricht aber nicht meinem Geschmack und war durch die Omnipräsenz für mich oft schwer zu ertragen. Ferner liegt die Aufmerksamkeit bei den kleinen Dingen des Alltags, die sonst wenig Beachtung finden. Jedoch driften auch diese sehr oft in aufwendige Gedankenkonstrukte ab. Der Fokus auf Josephines zum Teil abstruse Gedankenwelt führt dazu, dass die Geschichte – vermutlich beabsichtigt - an Aktionen, Schärfe und Spannung kaum bis keinen Inhalt bietet.

Die Protagonistin selbst ist in ihrer Art schräg, verschroben und weltentrückt. Sie hängt einer alten Liebe noch nach und sinniert vor sich hin. Sie ist zudem sehr herzlich und hilfsbereit anderen Menschen gegenüber, was sie mir sympathisch macht. Ihre Begegnungen mit Bekannten oder Freunden verlaufen ebenfalls fremdartig. Auch hier schweift Josephine oft in ihre Gedankenwelt ab. Dialoge sind daher nur sehr selten anzutreffen und die Begegnung mit anderen Figuren wie z.B. ihrer gemütlichen Freundin Henriette sind oft nur von kurzer Dauer. Am besten gefallen hat mir Josephines Zugreise, die ich zwar als skurril, aber unterhaltsam und belustigend empfand.

Die Stimmung der Geschichte wird vom Autor gut transportiert. So ruft sie sowohl Entschleunigung an einem heißen Sommertag als auch zeitweise innere Zerrissenheit, Belustigung und Nachdenklichkeit hervor. Trotz seiner Entschleunigung überkam mich während des Lesens mehrmalig ein Gefühl von Schwermut. Dies passt zu einem heißen Sommertag, rief bei mir jedoch nicht die mit Entschleunigung gewünscht einhergehende Entspannung oder Leichtigkeit hervor.

Der Sprachstil erscheint elaboriert und es finden sich viele amüsante Wortkreationen wie schmetterlingsflügelleicht oder flussverzaubert. Die detailreichen Schilderungen der Tagträumereien waren mir allerdings insgesamt zu überbordend und wirkten häufig zu bemüht auf mich. Wenn sie geringer dosiert worden wären, hätte es mich sicherlich eher angesprochen. Auch wurden viele Wortkreationen zu oft wild aneinandergereiht – dies wirkte auf mich wie ein unvollendetes Brainstorming der Adjektive und störte meinen Lesefluss. Neben den vielen Tagträumen fand sich auch ein Potpourri aus Floskeln und Binsenweisheiten. Zudem wurden hin und wieder Vorurteile eingestreut, die vermutlich (oder hoffentlich) ironisch gemeint sind, bei denen mir aber ein ironischer Unterton fehlte. So ließen mich der Sprachstil und -rhythmus in all ihrer Bemühung leider Leichtigkeit und Unbeschwertheit vermissen.

Nicht zuletzt muss ich leider erwähnen, dass ich den Titel „Sommerfabel“ als irreführend empfunden habe, da eine Fabel meines Schulwissens nach eine kürzere Erzählung mit belehrender Absicht ist. Einen Roman mit 240 Seiten hatte ich daher nicht erwartet.

Zusammenfassend liegt die „Sommerfabel“ mit ihrer speziellen, sehr verträumten Art jenseits meiner gewohnten Lese-Comfortzone und lässt mich zwiegespalten zurück. Ich habe es mir mit meiner Bewertung nicht leicht gemacht, doch der Funke ist für mich leider nicht so richtig übergesprungen. Die diversen, abstrusen Tagträumereien an einem heißen Sommertag passen als Kontrast vermutlich gut in eine hektische Welt wie diese und bewirken möglicherweise entspannende Relaxation und genießerisches Wohlgefühl, wenn man diese zum Ausspannen in der Sommersonne liest und keine Kurzgeschichte („Fabel“) erwartet. Aufgrund der derzeit desolaten Situation mit einer Pandemie, die einen in die Isolation und Passivität zwingt, wodurch es oft an Anregung mangelt, ruft die „Sommerfabel“ mit ihrem eigentlichen Reiz der gedankenversunkenen Entschleunigung gegenwärtig leider keine ausufernden Begeisterungsstürme meinerseits hervor. Im Gegenteil musste ich mich bedauerlicherweise zu oft durch Abschnitte mit aneinandergereihten Klischees oder auch Adjektiven mühen. Dennoch bin ich dankbar, dass ich diese Erfahrung machen durfte und das Buch als Rezensionsexemplar lesen konnte. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich mich im Sommer immer mal wieder an die verträumte Josephine zurückerinnern und schmunzeln werde. Vielleicht ist ja dann auch der ein oder andere Tagtraum dabei…

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