Veröffentlicht am 07.09.2021

Unbedingt lesen!

LuLu2008

TRIGGERWARNUNG: Denn das Fehlen einer solchen ist das Einzige, was ich an diesem Buch bemängeln kann. Es beinhaltet eine ganze Reihe triggernder Inhalte, vor denen im Vorfeld nicht explizit gewarnt wird. Deswegen versuche ich mich am Ende dieser Rezension an einer Triggerwarnung für das Buch. Aber Achtung: Diese kann dann natürlich Spoiler für die ganze Story beinhalten.

Hiermit bitte ich jeden, derdie dazu (emotional) in der Lage ist, dieses Buch zu lesen. Adunnis Geschichte ist in meinen Augen die wichtigste, die ich je gelesen habe. Der Roman erzählt von einem jungen Mädchen, das mehr aus seinem Leben machen möchte. Von einem Mädchen, das einen Traum hat und an ihn glaubt. Von einem Mädchen, das bloß weiter zur Schule gehen möchte - nach der Grundschule. Eine Selbstverständlichkeit für uns, doch etwas außergewöhnliches für sie. Er erzählt von einem Mädchen, das seine Mutter verliert, die einzige Person, die für sie kämpft. Von einem Mädchen, das zwangsverheiratet und misshandelt wird. Von einem Mädchen, das davonläuft, den Tod erlebt und verfolgt wird. Von einem Mädchen, das weiterverkauft wird wie eine Ware und versklavt wie ein Vieh. Von einem Mädchen, das seinen Traum nicht aufgibt, unerwartete Unterstützung erhält und mehr erreicht, als so viele andere auf der Welt es können. Von einem Mädchen, dessen Geschichte leider überhaupt nicht so weit hergeholt und unrealistisch ist, wie man es gern hätte.

Adunni ist vierzehn Jahre alt, als wir sie kennenlernen. Ihre Mutter, die sie und die ganze Familie ernährt hat, ist vor einiger Zeit gestorben. Damals hatte Adunni noch gehofft, trotzdem weiter zur Schule gehen zu können. Doch ihr Vater hat bald kein Geld mehr, geht nicht arbeiten und ist zu schwach, um die Last zu tragen, die eigentlich seine ist. Als er also von einem alten Mann, der bereits zwei Frauen und zahlreiche Kinder hat, das Angebot bekommt, seine Tochter an ihn zu verheiraten / verkaufen, willigt er dankbar ein. Er wird sich von dem Geld nicht nur jede Menge zu Essen, sondern sogar einen Fernseher kaufen können! Und wenn dann der jüngste Sohn auch bald arbeiten geht - warum sollte man ihn zur Schule schicken, er ist doch schon bald ein Teenager - hat der Vater ausgesorgt. Soweit der Plan. In dem kleinen nigerianischen Dorf versteht niemand, warum Adunni nicht begeistert ist. Einen anständigen Mann heiraten, ihm Kinder schenken und damit die Familie versorgen, was will man als Frau mehr? Todunglücklich und ängstlich nimmt das bereits so erwachsene Mädchen also seine Verpflichtung wahr. Was ihr im Haus ihres Ehemannes alles widerfährt ist zu schrecklich, als dass ich es in meinen eigenen Worten wiedergeben könnte. Doch als ein furchtbares Ereignis sie zwingt, fortzulaufen, sieht Adunni ihre Chance. In das Dorf zurückkehren kann sie vorerst sowieso nicht, also kann sie genauso gut versuchen, anderswo Schulbildung und ein besseres Zuhause zu finden. Durch einen - mehr oder weniger - glücklichen Umstand gelangt Adunni also nach Lagos, die umwerfende, riesige, verwirrende Stadt, in der Wasser einfach aus dem Hahn und nicht aus dem Brunnen kommt und in der sie schnell neue Freunde, aber auch neue Probleme findet. Ob sie es schafft, sich aus dem Teufelskreis, in den sie hineingeboren wurde, zu befreien, wie es sich ihre Mutter einst für sie gewünscht hat, bleibt bis zum Schluss spannend...

Allein diese so authentische, traurige und zugleich mitreißende Storyline reicht eigentlich schon aus, um dieses Buch für mich bemerkenswert zu machen. Doch damit noch nicht genug: In die Geschichte werden durch Adunnis Erlebnisse selbst immer wieder belegte Fakten über Nigeria, das Leben und die Situation dort eingebracht. So wird die Handlung noch greifbarer und für jemand so weit außenstehenden wie mich auch deutlich verständlicher. Eine ähnliche Wirkung hat der außergewöhnliche Erzählstil: Er ist an Adunnis Bildungsstand angepasst und beinhaltet einige übliche Grammatik- und Wortbedeutungsfehler. Das ist zugegebenermaßen anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, bringt einen Adunni aber deutlich näher und verdeutlicht zudem ihre Entwicklung im Laufe der Geschichte, denn die Fehler werden zum Ende hin immer weniger. Mit diesem Stilmittel lässt sich auch der ungewöhnliche Titel des Buches erklären (Englisch: "The girl with the louding voice").

Letztendlich haben mir Adunni und ihre Geschichte zwei Dinge ganz eindeutig mit auf den Weg gegeben:
Erstens kann man im Leben beinahe alles erreichen, wenn man nur genug an sich selbst und diesen Traum glaubt und ihn wirklich so sehr verfolgt, wie man nur kann.
Zweitens haben wir alle eine Verantwortung in dieser Welt, der wir uns nur allzu gerne und leicht entziehen. Es ist nichts schlimmes, sich über die eine oder andere Kleinigkeit im Leben zu beschweren, solange einem bewusst ist, wie gut man es tatsächlich hat. Aber es gibt viele Mädchen wie Adunni da draußen. Kinder, die nicht zur Schule gehen können, weil sie zu teuer, zu gefährlich oder einfach zu weit weg ist. Mädchen und auch Jungen, die verkauft und misshandelt werden und deren Stimme eben nicht laut genug ist, um sich dagegen zu wehren. Natürlich ist es nicht leicht für uns, die wir ja auch häufig furchtbar weit weg sind, etwas für diese Menschen, die es nun mal nicht so unglaublich leicht im Leben haben wie wir, zu tun. Aber wir sollten es versuchen. Denn wenn wir ewig darauf warten, dass sie sich selbst so heldenhaft befreien wie Adunni es versucht, müssen wir eine unbeschreibliche Menge Leid verantworten. Und was uns allein unmöglich erscheint, wird gemeinsam sicher viel leichter. Denn wir alle stehen gemeinsam in dieser Verantwortung.

Also: Dieses Buch hat mich furchtbar wütend und zugleich hoffnungsvoll gemacht, aber vor allem hat es mich zu Tränen gerührt. Wenn ihr dazu bereit seid, dann lest es. Bitte.
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TRIGGERWARNUNG: Dieses Buch enthält potentiell triggernde Inhalte. Zu diesen gehören: Gewalt gegen Kinder, (sexuelle) Gewalt, Unterdrückung von Kindern und Frauen, Tod, Zwangsheirat, Sklaverei, Rassismus, gewalttätige religiöse Rituale, Verlust eines Kindes ....

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