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Veröffentlicht am 25.01.2018

Kabarett á la Andreas Rebers

Anarchophobie - Die Angst vor Spinnern
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„Vielleicht leidet ein Schalke-Fan viel mehr als ein Flüchtling, der ertrinkt, weil das Leid beim Schalke-Fan schon viel länger anhält — als der Flüchtling die Luft.“ Philip Simon liebt es, zu provozieren. ...

„Vielleicht leidet ein Schalke-Fan viel mehr als ein Flüchtling, der ertrinkt, weil das Leid beim Schalke-Fan schon viel länger anhält — als der Flüchtling die Luft.“ Philip Simon liebt es, zu provozieren. Monologartig nimmt er in seinem Programm „Anarchophobie“ das politische Geschehen aufs Korn.

Dabei repräsentiert er das moralische Kabarett im Stil eines Andreas Rebers. Philip Simon ist ein wenig zynisch, ein wenig ironisch, aber immer politisch. Auch wenn einem manchmal das Lachen im Halse stecken bleibt wie bei dem anfangs zitierten Vergleich: zum Nachdenken regt Simon allemal an. Nicht nur, weil Simon Zahlen nennt (z.B. 350 Frauenhäuser in Deutschland), bevor er das Frauenbild von Nordafrikanern mit dem des Bachelors vergleicht.

An einigen Stellen gelingt es Philip Simon freilich nicht, das Niveau eines Andreas Rebers zu halten. Zum Beispiel, wenn er das Lied „Ich geh mit meiner Laterne“ umformuliert zu „Ich geh mit meiner Granate“. Das ist genauso wenig witzig wie sein Gag, dass Bildzeitungsleser immer weiterscrollen würden, wenn am Ende der Bild-Internetseite nicht stehen würde „Sie haben das Ende der Seite erreicht“.

Zu den Stärken von Simons Programm gehören die Ausführungen zu Flüchtlingen, Klimawandel und Bio-Wahn. Wenn Simon sagt, es werde in Europa ein Pfandflaschensystem für Flüchtlinge installiert, dann trifft er in Blick auf das Dubliner Abkommen den Nagel auf den Kopf. Wenn Simon hinterfragt, warum im Landkreis Dachau die Tafeln kein Essen für Flüchtlinge ausgeben wollen, wo es doch gar keine entsprechende Nachfrage gebe, erkennt Simon einen – vorherrschenden – Ton der Fremdenfeindlichkeit. Nur selten wird er dabei zum echauffierten Oppositions-Politiker.

Zu Philip Simons Programm gehört es, dass man nicht alles, was er sagt, gut finden kann. Einmal, weil einem das Lachen im Hals stecken bleibt, aber auch, weil man nicht alles richtig finden kann, was Simon provozierend in die Welt setzt. Philip Simon will anecken, keine Frage. Und immer wieder gelingt ihm das auch.

Mich hat an Simons Programm vor allem fasziniert, wie es ihm immer wieder gelingt, die großen Themen runterzubrechen auf die Welt im Kleinen und wie er immer wieder seinen Zuhörern zumutet, die Perspektive zu wechseln, wenn er etwa von der Angst von Muslimen spricht, die sich in christliche Länder trauen. Da verzeiht man Philip Simon auch manche wenig gelungene Albernheit.

Veröffentlicht am 03.01.2018

Für junge Leser geschrieben

Ikarus fliegt
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„Ikarus fliegt“ von Sally Christie hat eine große Stärke: es ist für 12-Jährige aus der Sicht eines Zwölfjährigen erzählt. Keine abgehobene Erwachsenenperspektive prägt das Buch. Alex, die Hauptfigur, ...

„Ikarus fliegt“ von Sally Christie hat eine große Stärke: es ist für 12-Jährige aus der Sicht eines Zwölfjährigen erzählt. Keine abgehobene Erwachsenenperspektive prägt das Buch. Alex, die Hauptfigur, schildert seine Sicht der Dinge, und dazu gehört auch, dass er selten so richtig den Durchblick hat.

Während man am Anfang bei „Ikarus fliegt“ noch den Eindruck hat, es handle sich um eine typische Anti-Mobbing-Geschichte, weil Alex ständig darüber philosophiert, auf welche Art und Weise man nicht zum Opfer in der Klasse wird, entwickelt sich das Buch immer mehr zu einer Geschichte um Freundschaft und Mut. Denn ein Mitschüler aus Alex‘ Klasse verteilt heimlich Zettel, die sagen: Ein Junge wird fliegen, wie Ikarus. Und schnell wird klar: Alex‘ Strategie, möglichst nicht aufzufallen, kann bald nicht mehr funktionieren.

Überzeugend ist dabei vor allem die Darstellung, wie zaghaft Freundschaft entsteht. Denn Alex findet heraus, von wem der Zettel stammt und will bei dem Abenteuer Ikarus mitmachen und zwischen den beiden Jungen entsteht nach und nach eine zaghafte Freundschaft. Die Gefahr sieht Alex zunächst nicht.

Dass am Schluss des Buches noch aus einer zweiten Perspektive erzählt wird, um die Handlung zu einer guten Auflösung zu bringen, ist schade. So braucht es doch den deus ex machina, der in die Handlung eingreift. Dabei ist es gerade die Frage, ob der Flug des „Ikarus“ nun gut ausgeht, die für Spannung sorgt. Da bleibt es nicht aus, dass man als Leser ein wenig enttäuscht zurückbleibt.

Fazit: Ein Buch, das für junge Leser bis 12 spannend ist, älteren dürfte die Handlung zu konstruiert und die Charaktere nicht nah genug sein.

Veröffentlicht am 23.12.2017

Sträter eben

Als ich in meinem Alter war
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Es ist, als ob man Torsten Sträter lesen hört, wenn man in seinem neuen Buch liest. Die Pausen. Die abgehackten Pointen. Das abrupte Hineinrutschen ins Groteske. Das Lakonische.

„Als ich in meinem Alter ...

Es ist, als ob man Torsten Sträter lesen hört, wenn man in seinem neuen Buch liest. Die Pausen. Die abgehackten Pointen. Das abrupte Hineinrutschen ins Groteske. Das Lakonische.

„Als ich in meinem Alter war“ enthält Sträter-Texte, die teilweise schon etwas älter sind. Viele der Texte dürften eingefleischten Sträter-Fans also schon bekannt sein. Allen voran der Klassiker „Fleischwurst“, in dem Sträter grandios erzählt, wie man ohne Geld eine Fleischwurst kaufen kann und wie man ein Kind in eine Spielhalle schmuggelt.

Sträters Texte sind zumeist durchkomponiert, mit – mindestens – einer Pointe und Querverweisen innerhalb des Textes. Dabei sagt Sträter über sich: „Wissen Sie, ich bin ein ganz schlichter Vogel. Grade was Komik angeht.“ Der trockene Humor Sträters und die Mischung von Komik und Kabarett machen ihn so lesens- und vor allem hörenswert.

Allerdings verliert das Buch im zweiten Teil etwas. Die hohe Qualität der Texte ist hier nicht mehr durchgängig da. Vor allem die Texte zum Thema Sport sind nicht so recht gelungen, und die Qualität der Texte sinkt manchmal vom abstrus Komischen zum Albernen ab. Auch seine Texte als „Pressesprecher“ haben bei mir oft nur ein leichtes Lächeln hervorgerufen. Das wird allerdings im Buch ausgeglichen durch überraschend ernsthafte Texte mit einem Anliegen wie zum Beispiel die Texte „Darmspiegelung“, „Flüchtlingsgesetz“ und „Pegida“ („nichts weiter als eine Butterfahrt des Hasses“) aus dem Jahr 2015.

„Als ich in meinem Alter war“ bietet eine gute Mischung an Texten Sträters, die sich zwischen Alltagsproblemen und Weltkrisen bewegen. Wenn auch nicht alle Texte gleichermaßen ausgefeilt sind: lesenswert.

Veröffentlicht am 25.12.2023

Sneha sucht die Liebe

All dies könnte anders sein
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Sneha heißt die Hauptfigur aus Sarah Thankam Mathews Roman „All dies könnte anders sein„. Und Sneha bedeutet übersetzt „Liebe'“. Dass Sneha ihren Namen so gar nicht mag, führt direkt zum Thema des Buches: ...

Sneha heißt die Hauptfigur aus Sarah Thankam Mathews Roman „All dies könnte anders sein„. Und Sneha bedeutet übersetzt „Liebe'“. Dass Sneha ihren Namen so gar nicht mag, führt direkt zum Thema des Buches: Weder fühlt sie sich liebenswert, noch fühlt sie sich in der Lage, jemanden zu lieben.

Sneha ist Anfang 20, ist aus Indien in die USA gekommen und geblieben, während ihre Eltern wieder zurück nach Indien sind. In Milwaukee hat sie ihren ersten Job, mitten in der Wirtschaftskrise.

Ihren Eltern gegenüber fühlt sich Sneha zutiefst verpflichtet. Selbst dann, wenn es ihr schlecht geht, schickt sie ihnen Geld. Überhaupt ist Sneha der Typ Mensch, der sich unterordnet und nicht sehr entscheidungsfreudig ist. Gute Freundinnen sind ihr wichtiger als Beziehungen.

Als sie ihren Job verliert, bricht eine Welt für sie zusammen. Sie zieht sich zurück, verfällt in eine Depression und lässt ihre Wohnung vermüllen. Darum, dass der Vermieter ihre kaputte Heizung repariert, kümmert sie sich nicht. Mehrfach spricht Sneha von ihrer Zerbrechlichkeit, Dass sie sich dennoch entscheidet, nach Washington zu ziehen, als sie ein Job-Angebot erhält, überrascht und gibt der Handlung wieder etwas auftrieb. Es gilt, sich von den Freund
innen zu verabschieden, die Mutter kommt zu Besuch. Und die Beziehung mit Marina sollte auch wieder ins Lot gebracht werden. Allerdings: beim Besuch in Milwaukee am Ende des Buches tröpfelt die Handlung so langsam aus. Interessant ist schließlich nur noch die reparierte Beziehung zu ihren Eltern.

Mathews Roman hat mich nicht durchgängig in den Bann gezogen. Gerade in der ersten Hälfte dümpelt die Handlung nur so vor sich hin, Smalltalk der modernen Großstadt überwiegt. Dazu kommt sehr viel Slang wie „mein Dude“, „Du bist so ein Onkel“ oder auch Wörter wie „kanjoose“ oder „falthoo“. Freilich ist der Smalltalk auf der Höhe der Zeit Es geht um die Frage der Gender-Zuschreibung („Emily benutzt das They-Pronomen“) und deren Sinnhaftigkeit („elitärer linker amerikanischer Unsinn“) und darum, wie mit Differenzen umzugehen ist („Differenz wird nie als etwas gesehen, was einen Wert hat“, es ist „orientalisches Entertainment“).

Fazit: Der Roman bietet einige interessante Aspekte und greift postmoderne queere Beziehungsmuster auf, bietet aber nur sehr wenig Handlung, die einen mitzieht.

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Veröffentlicht am 22.07.2023

Short Stories aus der Zeit vor 1900

Die tristen Tage von Coney Island
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13 Kurzgeschichten von Stephen Crane sind in dem neuen Band „Die tristen Tage von Coney Island“ des Pendragon-Verlags erschienen.

Den Texten von Crane merkt man an, dass der US-Amerikaner Kriegsberichterstatter ...

13 Kurzgeschichten von Stephen Crane sind in dem neuen Band „Die tristen Tage von Coney Island“ des Pendragon-Verlags erschienen.

Den Texten von Crane merkt man an, dass der US-Amerikaner Kriegsberichterstatter und Journalist von Beruf war. Denn zum einen handeln die Texte davon, und zum anderen schreibt Crane zutiefst berichtend.

Oft sind Cranes Geschichten Momentaufnahmen: In „Männer im Sturm“ warten Obdachlose in einem Blizzard darauf, dass ihr Obdachlosenheim aufmacht, in „Gefesselt“ wird von einem Theaterbrand berichtet. Der Schriftsteller beobachtet, beschreibt was er sieht und hält sich mit Kommentaren zurück. Neben den Momentaufnahmen gibt es aber auch stärker erzählende Texte. Oft genug gleiten diese ins Groteske bzw. Skurrile ab, etwa die beiden Männer, die zunächst nur baden wollen, in Seenot geraten und dann mit dem Schiff, das sie aufgreift, bis nach New York mitfahren müssen.

Gerade wegen ihrem Hang zum Grotesken und ihren inhaltlichen Leerstellen, mochte ich manche der Geschichten von Stephen Crane sehr. Allerdings merkt man doch das Zeitbehaftete sehr. Die Texte der Kriegsberichterstattung wirken auf uns heute doch sehr befremdlich. Auffällig ist auch, dass es in Stephen Cranes Geschichten nie um Beziehungen, um Liebe oder Freundschaft geht. Es sind vielmehr fremde Menschen, die in den Texten von Crane aufeinandertreffen, oft sind Figuren auch nur als „der Fremde“ beschrieben. Zur Lebenswelt von Crane schien das nicht gehört zu haben – da er im Jahr 1900 bereits mit 28 Jahren an Tuberkulose starb (übrigens in Deutschland, weil er hier auf neue medizinische Erfolge hoffte), ist das sogar denkbar. Dennoch irritiert die eingeschränkte Themenwahl der Geschichten etwas.

Das Nachwort von Wolfgang Hochbruck empfand ich als zu ausführlich. Auf fast jede Geschichte wird Bezug genommen, allerdings ohne dass eine kritische Einordnung erfolgt. Hochbruck lobt alles, was Stephen Crane geschrieben hat, letztlich in den grünen Klee – da ist er mir deutlich zu subjektiv positiv.

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