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Veröffentlicht am 14.11.2021

Kein Plädoyer fürs Alleinsein

Allein
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Was hat Corona mit uns gemacht? Daniel Schreiber schildert in seinem Buch „Allein“ wie die Corona-Zeit mit all ihren Einschränkungen ihn zum Nachdenken über das Alleinsein gebracht hat. Ein Nachdenken, ...

Was hat Corona mit uns gemacht? Daniel Schreiber schildert in seinem Buch „Allein“ wie die Corona-Zeit mit all ihren Einschränkungen ihn zum Nachdenken über das Alleinsein gebracht hat. Ein Nachdenken, das er mit seinen Lesern nun teilt.

Denn – das muss vorab gesagt sein! – mehr als ein Nachdenken ist Daniel Schreibers Buch nicht. Es ist kein thesenhaftes Plädoyer für das Alleinsein, keine empathische Streitschrift, kein „Empört euch!“. Am ehesten wirkt das Buch wie der Versuch einer Selbsttherapie. Dass die Therapeuten, die herangezogen werden, Philosophen, Psychologen und Soziologen sind, gehört zur Besonderheit dieses Buches.

Was hat Corona mit Daniel Schreiber gemacht? Es hat ihn auf sich selbst zurückgeworfen, Freundschaften waren plötzlich ausgesetzt, weil jeder mit sich selbst zu tun hatte, berufliche Unsicherheiten wuchsen, ein spürbarer Sinnverlust durch das „Ineinanderfallen der Zeit“ entstand.

Daniel Schreiber schreibt zu Beginn seines Buches, allein zu leben sei keine bewusste Entscheidung von ihm gewesen. Wer somit ein Plädoyer für das Allein-Leben erwartet, wird enttäuscht. Vielmehr ist „Allein“ ein Buch, das über weite Strecken biographische Selbstanalyse und -therapie präsentiert, den Versuch, sich selbst aus der Depression zu befreien.

Als Alternative wird in der ersten Hälfte des Buches die Möglichkeit, statt in einer Beziehung in Freundschaften zu leben, diskutiert. Der Autor geht dabei immer von seinen eigenen Erfahrungen aus, sodass man bald den Eindruck hat, dass das Buch auf der Stelle tritt. Da ein argumentativer Schreibstil durch diesen Zugang vermieden wird, muss man sich schon sehr für die literarischen Bezüge interessieren, um dem Kreisen ums selbe Thema gespannt zu folgen. Irgendwann hat man den Eindruck, das Ganze schon einmal gehört zu haben. Nur ist es dieses Mal eben mit einem anderen literarischen Verweis versehen. Hinzu kommen recht zusammenhangslos biographische Überlegungen wie etwa zum Gefühl, nicht liebenswert zu sein, Stricken als Selbsttherapie oder zum Umgang mit dem Tod eines Freundes.

Ich habe von dem Buch etwas anderes erwartet: ein provokatives Plädoyer dafür, allein zu leben. Aber auch als literarisches Essay hat mich das Buch nicht überzeugt.

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Veröffentlicht am 01.05.2021

Hat mich nicht überzeugt

Erzähl mir was Schönes
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Lioba Werrelmanns Buch „Erzähl mir was Schönes“ stellt zwei ganz unterschiedliche Frauen gegenüber: Isabelle, die Forsche ist konservativ und reich – Julia, die Linke, ist dagegen zurückhaltend und arm. ...

Lioba Werrelmanns Buch „Erzähl mir was Schönes“ stellt zwei ganz unterschiedliche Frauen gegenüber: Isabelle, die Forsche ist konservativ und reich – Julia, die Linke, ist dagegen zurückhaltend und arm. Beide verbindet seit ihrer Studienzeit eine Freundschaft. Eine beständige Freundschaft, die auf ihre Art zumindest in den ersten Jahren innig ist. An anderen Stellen fragt man sich dagegen, was die beiden Freudinnen überhaupt noch zusammenhält.

Die zwei ganz und gar unterschiedlichen Freundinnen bescheren dem Leser freilich Dialoge, die einem die Haare zu Berge stehen lassen:

„Aber Isabelle“, ruft Julia aus, „die Todesstrafe ist zutiefst unmenschlich! Niemand hat das Recht, jemand anders zu töten!“
„Aber klar doch, selbstverständlich! Wenn einer einen anderen Menschen umbringt, hat er das Recht zu leben verwirkt.“
„Nein!“, beharrt Julia. „Das Recht auf Leben ist universell und immer gültig! Und die Todesstrafe ist grausam.“

Später heißt es dann:

Sie fragt Isabelle nicht, ob sie mitkommt zur Demo gegen den Paragrafen 218. Isabelle findet den Paragrafen 218 nämlich ganz prima.

Ganz prima? Die allzu plump präsentierten Argumente (wenn man sie überhaupt so nennen will) kann man noch den Figuren des Buches in die Schuhe schieben, nicht aber die allzu plumpe Darstellung des Dialogs.

So sehr man sich bei der nüchternen Sprache der Autorin über Metaphern freut: auch diese wirken manchmal sehr gewollt, manchmal sehr, sehr schräg. Das Herz schlägt Julia „bis zum Halse heraus„, Isabelle wird herausgeholt „aus dem grauen Schlauch„. Allzu nüchtern dagegen können die Landschaftsbeschreibungen sein: „Dieselbe Straße. Eng. So viele Kurven. Wiesen, Kühe, noch mehr Wiesen. Am Horizont die Berge. Plötzlich Dunkel. Der Wald.“

Vielleicht auch, weil mir die Sprache des Buches so gar nicht zugesagt hat, sind mir die Figuren beim Lesen fremd geblieben. Da half auch nicht, dass die Handlung immer wieder durch Rückblenden ganz geschickt unterbrochen ist.

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Veröffentlicht am 04.01.2018

Äußerst schwer lesbar

Kultur
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Was ist Kultur? Was soll Kultur sein? Wie entwickelt sie sich? Terry Eagleton geht in seinem Buch „Kultur“ diesen Fragen nach. Ich muss zugeben: ich habe mir etwas anderes von diesem Buch erwartet. Eine ...

Was ist Kultur? Was soll Kultur sein? Wie entwickelt sie sich? Terry Eagleton geht in seinem Buch „Kultur“ diesen Fragen nach. Ich muss zugeben: ich habe mir etwas anderes von diesem Buch erwartet. Eine Streitschrift, ein Plädoyer. Doch „Kultur“ ist nichts anderes als eine essayistisch verfasste wissenschaftliche Abhandlung, die zudem äußerst schwer lesbar ist.

Bräsig kommt sie an vielen Stellen daher. Die vielen flapsigen Beispiele, die Eagleton, teilweise wohl um zu provozieren, anführt, machen das Buch nur an wenigen Stellen lesenswerter. Was fehlt, ist eine rote Linie, die durch das Buch führt. Es gibt allenfalls Stichwortverknüpfungen an manchen Stellen, eine ausgefuchste Argumentation ist Fehlanzeige. Bei all den Ausführungen, die in die Breite gehen, ist es überhaupt schwer, in „Kultur“ eine Argumentationslinie zu finden.

Da sieht Eagleton kulturpessimistisch den Tod der Geisteswissenschaften am Horizont, unterstellt dem Kapitalismus „Hybridität“, also Vermischung und Pluralität zu forcieren, und kommt zu dem Schluss, dass die Kultur ihre Unschuld verloren habe. Doch was er selbst bei all dem, was er von anderen zitiert und reflektiert dagegensetzt, bleibt verschwommen. Er legt wert darauf, dass es auch eine Notwendigkeit der Einheitlichkeit bzw. Gemeinsamkeit zur Identitätsfindung bedarf, kritisiert die fehlende Diskussion über Solidarität und Gerechtigkeit. In seiner Argumentation gegenüber den romantischen Nationalisten ist Eagleton dann plötzlich die Vielfalt wieder wichtig. Dann hangelt er sich an Edmund Burke, Johann Gottfried Herder und Oscar Wilde entlang, um einen Kulturbegriff des „sozialen Unbewussten“ zu manifestieren, spricht auch von der harmonisierenden Wirkung der Kultur. In den letzten beiden Kapiteln will Eagleton schließlich ein modernes Kulturkonzept beleuchten – doch modern ist daran wenig. Überwiegend geht es um die Industrialisierung und die damit einhergehende Angst vor Kulturverlust.

Als Leser bin ich ratlos zurückgeblieben. Was mir Eagleton sagen will: ich weiß es nicht. So gar nicht.

Sicher, ich bin mehr denn je mir bewusst, dass Kultur ein äußerst vielschichtiger Begriff ist, der kaum fassbar ist. Und ja, dass die Populärkultur zu kritisieren ist, inklusive der Anbindung an kapitalistische Kulturindustrie, ist nichts Neues. Aber was soll nun werden? Mehr Hochkultur will Eagleton nicht. Ein Verzicht auf Massenkultur ebenso wenig. Mehr Werte, ja. Mehr Gerechtigkeit. Vielleicht auch unbewusst im Sinne des „sozial Unbewussten“.

Mag sein, dass Eagletons Buch für Kulturwissenschaftler spannend zu lesen ist mit seiner Auseinandersetzung mit dem Kulturbegriff. Mich hat es nicht angesprochen.

Veröffentlicht am 19.10.2025

Nicht meins

Wenn unsere Welt kippt
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Jandy Nelsons Jugendbuch „Wenn unsere Welt kippt“ war so gar nicht meins.

Die Geschichte um die Familie Fall in Paradise Spring ist sehr opulent angelegt. Drei Geschwister stehen dabei im Zentrum: Dizzy ...

Jandy Nelsons Jugendbuch „Wenn unsere Welt kippt“ war so gar nicht meins.

Die Geschichte um die Familie Fall in Paradise Spring ist sehr opulent angelegt. Drei Geschwister stehen dabei im Zentrum: Dizzy Fall, 12, in der Schule eher eine Außenseiterin – sie kann die Ahnen der Falls sehen. Dann ist da ihr Bruder Miles, 17, der sein Coming out erlebt und so Gefahr läuft, von everybody’s darling, dem „vollkommenen“ Miles, zum alles andere als perfekten Miles zu werden. Und schließlich ist da noch sein 19-jährier Bruder Wynton. Er ist ein begnadeter Geigenvirtuose, der mit seinem Spiel die Menschen verzaubert.

Eigentlich bräuchte es nicht mehr Personen, denn die drei Geschwister haben nicht nur alle ihre Eigenarten, die beiden Brüder verstehen sich zudem auch so gar nicht. Diese Kain-und-Abel-Story zieht sich durch das Buch. Nichtsdestotrotz ist da noch die Mutter und der verschollene Vater wie auch ein geheimnisvolles Mädchen, das allen drei Geschwistern begegnet. Viel Zündstoff also für ein Buch.

Zündstoff meine ich hier im wörtlichen Sinn. Denn tatsächlich prägen Konflikte die Beziehungen, die auch körperlich ausgetragen werden. Zudem werden Grenzen ausgetestet mit wilden Partys, Drogen & Co.

Dizzy wirkt dagegen eher pflegeleicht. Ihr Hauptproblem ist, dass sie aussieht „wie ein Frosch mit Perücke“, Gespenster sieht und von ihrem ersten Freund Lizard verlassen wird.

Im Laufe des Jugendromans wandelt sich das Bild vom selbstlos-sozialen Miles, der entweder Bücher liest oder im Tierheim aushilft, und vom bösen Bruder Wynton, der sogar im Gefängnis landet. Hier ist es Jandy Nelson gelungen, ein paar überraschende Wendungen einzubauen.

Was so gar nicht meins war, ist die Mischung, die Jandy Nelsons Jugendbuch prägt. Übersinnliches spielt eine große Rolle, von der Geister sehenden Dizzy bis dahin, dass Miles mit seinem Hund reden kann (der zudem unsterblich ist!). Also: ein schräges Fantasy-Mixtape, zudem noch die Geschichte der Vorfahren, die fast wie ein Märchen erzählt wird.

Dass die Erzählung einer Mutter, die ihr Kind extrem vernachlässigt, neben blumig ausgeschmückten Fantasy-Elementen steht, hat für mich überhaupt nicht zusammengepasst. Auch sprachlich stehen hier Welten gegeneinander. Sehr brutale Gewaltbeschreibungen („Ich schlage zu, bis mir die Knöchel bluten“) und obszöne Formulierungen („Was für ein Arschloch von Vater“; „ihr Name ist fucking Mary“) stehen neben humorvollen Lebensratschlägen („Das Leben ist eine nasse Socke, die man nicht ausziehen kann“) und kitschigen Küssen („Begehren pochte durch ihn durch“).

Auch gelingt es Jandy Nelson in ihrem Buch nicht, sich auf die Hauptfiguren zu konzentrieren. Alle möglichen Details werden auserzählt, auch bei Nebenfiguren. Erst auf den letzten Seiten ist der Autorin doch noch aufgefallen, dass sie doch irgendwann zum Ende kommen muss, und gibt Gas – vieles wie die langsame Erblindung einer Person, wird schnell so nebenher abgehandelt.

Fazit: Für mich war „Wenn unsere Welt kippt“ ein viel zu detailreich erzählter Schmöker, dem es nicht gelingt, furchtbare, realistische Lebensschicksale und märchenhaft erzählte Elemente in Einklang zu bringen. Es beißt sich ganz ordentlich in Jandy Nelsons neuem Jugendbuch.

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Veröffentlicht am 27.09.2025

Ungefällige Erinnerungen, für Wanda-Fans

Dass es uns überhaupt gegeben hat
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Warum schreibt jemand ein Buch? Weil man etwas zu sagen hat, wäre meine erste Antwort. Nun gibt es freilich Bücher, bei denen das nicht ohne weiteres zutrifft. Marco 'Wandas Buch "Dass es uns überhaupt ...

Warum schreibt jemand ein Buch? Weil man etwas zu sagen hat, wäre meine erste Antwort. Nun gibt es freilich Bücher, bei denen das nicht ohne weiteres zutrifft. Marco 'Wandas Buch "Dass es uns überhaupt gegeben hat" gehört dazu. 

Die Schwierigkeit beginnt schon damit, zu bestimmen, was "Dass es uns überhaupt gegeben hat" überhaupt ist. Ein Roman ist es nicht. Eine Bandgeschichte genausowenig. Eine Biographie? Mitnichten. Geständnisse eines Alkoholikers? Kaum. 

Das Buch wirkt wie der Abruf von Erinnerungen. Unbearbeitet, ohne Filter. Wie die Vorstufe zu einem Buch. Der Sänger der erfolgreichen österreichischen Band Wanda, der sich Marco Wanda nennt, beginnt seine Erinnerungen mit den Anfängen von Wanda, bis zur erfolgreichen Band der Gegenwart. 

Die Entstehung von manchen Liedtiteln und Musikvideos wird etwas beleuchtet, der Zusammenhalt in der Band, der Alltag auf Tour. Über allem aber steht der Alkohol. Er gehört immer dazu. Kein Konzert, schreibt er, habe er nüchtern gespielt. Selbst im Urlaub in Paris wird der Wein nicht gläser-, sondern flaschenweise getrunken. Zerlegte Hotelzimmer und Dörfer (naja, Bushaltestellen, Blumenkübel, ...) lässt Wanda nicht aus. 

Auf den letzten Seiten endet dann der Drogenrausch - fast spielend leicht scheint ihm der Ausstieg aus Alkohol, Kokain & Co. zu gelingen. 

Beim Lesen habe ich mich immer wieder gefragt, für wen das Buch denn geschrieben ist. Literarisch hat es nicht viel zu bieten, und wenn ist es metaphorisch abgedreht, wenn etwa "die Zelte in der Mitte der Wüste der Unwissenheit" aufgeschlagen werden. Die Bandgeschichte ist reduziert auf Alkoholexzesse. Für einen Ausstiegs-Bericht ist die Abkehr von den Drogen viel zu knapp erzählt. 

Wanda-Fans mögen Gefallen an diesem Buch haben. Für alle anderen gilt: Muss man nicht gelesen haben. 

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