Profilbild von Buchkomet

Buchkomet

Lesejury Profi
offline

Buchkomet ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Buchkomet über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.07.2025

Sehr emotional

Das Haus der Goldmanns
0

Was passiert, wenn du in das Haus deiner Kindheit zurückkehrst – und plötzlich die Vergangenheit aufbricht? In „Das Haus der Goldmanns“ von Claudia Kaufmann passiert das Britta, eine Frau, die mit ihrer ...

Was passiert, wenn du in das Haus deiner Kindheit zurückkehrst – und plötzlich die Vergangenheit aufbricht? In „Das Haus der Goldmanns“ von Claudia Kaufmann passiert das Britta, eine Frau, die mit ihrer Mutter schon lange abgeschlossen hat. Die alte Villa in München, in der ihre Mutter Margit noch immer lebt, wirkt heruntergekommen. Britta will sie schnell ins Heim bringen, die Villa verkaufen. Doch dann macht die Mutter, gezeichnet von Alzheimer, seltsame Bemerkungen. Und aus Ablehnung wird Neugier.

Was steckt hinter diesem Haus, das nie verkauft werden durfte? Und was verheimlicht Margit seit Jahrzehnten?

Mit klarem Blick und emotionaler Tiefe entfaltet Claudia Kaufmann eine Geschichte über drei Generationen – und darüber, wie das Schweigen einer Familie mit den Gräueltaten der Nazi-Zeit verbunden ist. In Rückblenden erleben wir Elisabeth, Brittas Großmutter, die sich 1932 in ihren jüdischen Nachbarn verliebt und ein für sich tödliches Geheimnis hütet, während ihr Mann sich radikalisiert und der SA anschließt. Das Haus, einst Eigentum der jüdischen Familie Goldmann, wird zum Symbol für Mitläufertum, für geraubte Leben und für das Schweigen, das bis in die Gegenwart reicht.

Kaufmann erzählt ohne Pathos, aber mit großer Wucht. Was wie eine kalte Mutter-Tochter-Geschichte beginnt, entwickelt sich zu einem tief bewegenden Roman über Schuld, Wahrheit, Verdrängung und späte Versöhnung. Die historischen Szenen sind bedrückend real, die emotionale Entwicklung der Figuren glaubwürdig und aufwühlend.

Fazit: Ein Buch, das nicht loslässt. Kein leichter Stoff, aber ein wichtiger. Wer sich darauf einlässt, wird belohnt – mit einer Geschichte, die unter die Haut geht und lange nachklingt.

10/10

Auf meinem Blog findet ihr eine ausführlichere Rezension: https://buchkomet.wordpress.com/2025/07/06/das-haus-der-goldmanns-von-claudia-kaufmann-eine-bewegende-familiengeschichte/

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
Veröffentlicht am 01.07.2025

Richtig stark

Shinwa. Stimmen der Nebelwälder
0

Manchmal lohnt sich ein Blick über den literarischen Tellerrand. Bücher zur japanischen Kultur und Geschichte sind hier auf dem Blog eher nicht zu finden. Doch als mich der Autor gefragt hat, ob ich sein ...

Manchmal lohnt sich ein Blick über den literarischen Tellerrand. Bücher zur japanischen Kultur und Geschichte sind hier auf dem Blog eher nicht zu finden. Doch als mich der Autor gefragt hat, ob ich sein Buch lesen will, habe ich direkt zugestimmt. Und es hat sich mehr als gelohnt. Nach ein paar Startschwierigkeiten hat mich das Buch komplett gepackt. Und zwar so richtig.

Die Geschichte spielt im Japan des 18. Jahrhunderts – ein Land voller Machtspiele, Ungerechtigkeit und starrer Hierarchien. Mittendrin: Aoi, eine Bauerntochter mit dem Traum, Geschichten zu erzählen. Nur leider ist Bildung für Mädchen wie sie so gut wie verboten. Und genau da fängt das Ganze an, spannend zu werden. Gerhard erzählt von Aufbruch, Verlust, Mut, Verrat und der Kraft von Worten. Als ein Vulkan ausbricht und Aois Dorf zerstört, wird aus dem leisen Start ein echtes Drama. Harte Schicksalsschläge, kein Schönreden, brutale Kämpfe – aber alles glaubwürdig, tief und bewegend.

Und dann kommt Himari ins Spiel – eine abtrünnige Samurai mit komplizierter Vergangenheit. Zwischen ihr und Aoi entsteht eine Verbindung, die stark trägt. Die Freundschaft zwischen den beiden ist das emotionale Zentrum der Geschichte, beide tragen die Geschichte mühelos.

Das alte Japan wird von Gerhard unglaublich lebendig beschrieben. Man merkt, wie viel Liebe in den Text geflossen ist. Die Kämpfe sind brutal, aber gut geschrieben – keine Gewalt um der Gewalt willen, sondern punktgenau dosiert.

Trotz der knapp 500 Seiten gibt’s keine Längen. Nach dem etwas gemächlichen Einstieg bleibt das Tempo hoch, die Handlung dicht, und die Figuren entwickeln sich glaubhaft weiter. Und genau da liegt die Stärke des Buchs: Es fühlt sich echt an. Keine platten Figuren, sondern Menschen mit Ecken und Kanten.

Das Ende? Emotional, stimmig, stark. Kein übertriebenes Happy End, sondern ein Abschluss, der sitzt – und nachwirkt und definitiv Lust auf mehr macht.

Fazit: Shinwa ist mehr als ein historischer Roman. Es ist eine Geschichte über Hoffnung, Widerstand und die Macht, Dinge zu verändern – auch wenn alles dagegen spricht. Leseempfehlung!

10/10

Auf meinem Blog findet ihr eine ausführlichere Rezension: https://buchkomet.wordpress.com/2025/07/01/shinwa-ein-epos-uber-freundschaft-und-mut-im-japan-des-18-jahrhunderts/

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.06.2025

Meisterwerk

Lyneham
0

Das Sci-Fi-Meisterwerk, das uns vor Augen führt, warum der Mensch keine zweite Erde verdient

Mit Lyneham liefert Nils Westerboer einen Science-Fiction-Roman, der sich nicht in Raumschlachten, fremden ...

Das Sci-Fi-Meisterwerk, das uns vor Augen führt, warum der Mensch keine zweite Erde verdient

Mit Lyneham liefert Nils Westerboer einen Science-Fiction-Roman, der sich nicht in Raumschlachten, fremden Alien-Spezies oder Hochglanz-Zukunftsvisionen verliert. Stattdessen hält er uns den Spiegel vor: Was, wenn wir unsere zweite Chance bekommen — und wieder alles ruinieren?

Die Menschheit flieht auf den Exomond Perm, eine Welt voller Gefahren, fremder Ökosysteme und toxischer Schönheit. Statt Demut: Terraforming. Statt Respekt: Machthunger. Westerboer entwirft ein bitter realistisches Zukunftsszenario, das bedrückend nah an unsere Gegenwart rückt. Wir haben nichts gelernt. Und das macht den Roman so unangenehm aktuell. Hat die Menschheit überhaupt eine zweite Chance verdient?

Besonders stark: Westerboer verbindet wissenschaftliche Akribie mit emotionaler Tiefe. Biochemie, Ökologie, Terraforming – anspruchsvoll, aber größtenteils verständlich. Gleichzeitig begleitet man glaubhafte Figuren: den jungen Henry, der zwischen Sehnsucht und Angst schwankt, und seine Mutter Mildred, die sich immer stärker fragt, ob wir das überhaupt dürfen: einen fremden Planeten unserem Willen unterwerfen.

Lyneham ist Science-Fiction auf allerhöchstem Niveau: fordernd, klug, emotional und messerscharf. Kein seichtes Abenteuer, sondern ein unbequemes Meisterwerk, das lange nachwirkt. Wer Sci-Fi nur als Eskapismus sieht, wird hier gnadenlos geerdet.

Fazit: „Lyneham“ ist ein herausragendes, forderndes Meisterwerk, das mit wissenschaftlicher Präzision, emotionaler Tiefe und philosophischer Wucht die dunklen Seiten menschlicher Natur schonungslos beleuchtet.

10/10 Meisterwerk!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.06.2025

Bedrückend

Ein Hund kam in die Küche
0

„Ein Hund kam in die Küche“ ist kein lauter, dramatisch inszenierter Roman über die NS-Zeit – gerade deshalb trifft er so stark. Sepp Mall erzählt aus der Perspektive des elfjährigen Ludi, der 1942 mit ...

„Ein Hund kam in die Küche“ ist kein lauter, dramatisch inszenierter Roman über die NS-Zeit – gerade deshalb trifft er so stark. Sepp Mall erzählt aus der Perspektive des elfjährigen Ludi, der 1942 mit seiner Familie Südtirol verlässt und ins Deutsche Reich umsiedelt. Die sogenannte „Option“ zwingt sie zu dieser Entscheidung – doch statt Sicherheit bringt sie Leid.

Schon zu Beginn wird der behinderte Bruder Hanno in einer „Nervenheilanstalt“ untergebracht. Was Ludi nicht weiß, er wird seinen Bruder nie wiedersehen. Er versteht nicht, was mit ihm passiert, doch für die Leser:innen ist klar: Euthanasie, Mord im Namen der Ideologie. Diese kindliche Unwissenheit wird zum emotionalen Kern der Geschichte. Was Ludi nicht versteht, schwebt als beklemmendes Wissen zwischen den Zeilen.

Die Verluste reißen nicht ab: Der Vater zieht in den Krieg, die Mutter zerbricht an der Situation, Ludi bleibt allein in einer fremden Umgebung. Seine Versuche, die Erwachsenenwelt zu begreifen, wirken hilflos und machen das Grauen nur noch spürbarer. Politik, Krieg, Propaganda – für das Kind bleibt alles abstrakt, doch der Schmerz ist real.

Die Stärke des Romans liegt in der schlichten, klaren Sprache. Keine großen Erklärungen, keine inszenierten Dramen – genau dadurch wirkt alles umso härter. Ludi spricht mit seinem toten Bruder, sucht Halt im Unbegreiflichen, während um ihn herum die Welt auseinanderfällt.

Der Titel verweist auf ein Kinderlied – ein bitterer Kontrast zum Grauen, das Ludi erlebt. Der Roman wird so zu einem eindringlichen Mahnmal darüber, was es bedeutet, als Kind in einer Welt aufzuwachsen, in der Ideologien wichtiger sind als Menschlichkeit. Keine große Geste, kein lautes Mahnmal – sondern ein stilles, schmerzhaft ehrliches Zeugnis.

10/10 Leseempfehlung!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 08.06.2025

Starker Roman

Play Boy
0

„Heten, die ihre Sexualität ein Stück weit in Frage stellten, dann aber gleich wieder aufgaben.“ – Wer bei diesem Satz zusammenzuckt, ist bei Play Boy von Constance Debré genau richtig. Denn dieser Roman ...

„Heten, die ihre Sexualität ein Stück weit in Frage stellten, dann aber gleich wieder aufgaben.“ – Wer bei diesem Satz zusammenzuckt, ist bei Play Boy von Constance Debré genau richtig. Denn dieser Roman ist kein netter Selbstfindungstrip, sondern ein Tritt in den Hintern der Heteronormativität, der Menschen in ein vorgegebenes Muster stopft.

Debrés Protagonistin sagt diesem Leben radikal Adieu – nach einem unscheinbaren Kuss mit einer anderen Frau, der sich anfühlt wie eine Sprengladung unter ihrem bisherigen Dasein. Sie verlässt alles, nicht aus Trotz, sondern weil sie zum ersten Mal ehrlich leben will. Und Debré erzählt diese Demontage mit einer Sprache, die Klartext spricht: direkt, unverschnörkelt, oft rotzig. Kein Kitsch, kein Erklärbär, kein Mitleidsbonus – sondern eine Frau, die sich Schicht für Schicht von der Lüge befreit, jemand zu sein, der sie nie war.

Die Autorin liefert mit Play Boy keine gefällige Erzählung über das Coming-Out einer Mutter in der Midlife-Crisis. Sie schreibt ein Manifest. Eine Abrissbirne gegen Rollenbilder, gegen den Zwang zur Häuslichkeit, gegen das vermeintliche Glück im Normativen.Debrés Antwort ist brutal und konsequent: Wer sich seinen Körper zurückholt, holt sich auch sein Leben zurück.

Fazit: Was bleibt, ist eine Geschichte über Selbstermächtigung – roh, wütend, traurig, ehrlich. Und eine klare Botschaft: Wer das System nicht mehr bedienen will, muss bereit sein, es zu verlassen. Ohne Netz. Ohne Applaus. Aber mit verdammt viel Haltung.

10/10

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere