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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 07.05.2019

Eine talentierte Heldin

Das Versprechen der Kurtisane
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Bei diesem Buch stimmt einfach alles: Das Cover ist wunderschön, der Schreibstil fließt dahin und die Charaktere sind interessant. Auf den ersten Blick mag es wie eine weitere seichte historische Romanze ...

Bei diesem Buch stimmt einfach alles: Das Cover ist wunderschön, der Schreibstil fließt dahin und die Charaktere sind interessant. Auf den ersten Blick mag es wie eine weitere seichte historische Romanze wirken, doch in Wirklichkeit ist diese Geschichte so viel mehr.



Starke Charaktere mit viel Hintergrund

Bevor sich die beiden Hauptcharaktere in diesem Buch wirklich treffen, bekommen wir eine Menge über sie zu lesen. Wir wissen, wer sie sind, und gerade bei der weiblichen Hauptperson bekommen wir sehr klare Motivationen. Das ist für mich ein zentraler Punkt, der einen Liebesroman von seichte Lektüre für Zwischendurch zu wirklich spannend und mitreißend erhebt. Die Tatsache, dass wir eine intelligente Frau, Lydia, bekommen, die gut mit Zahlen umgehen kann, aber trotzdem durch und durch weiblich ist. Die männliche Hauptperson, Will, wiederum präsentiert auf der einen Seite starke Männlichkeit mit seinem Hintergrund als Soldat, ist aber gleichzeitig sehr emotional und hat viel mehr Probleme, sich unter Kontrolle zu halten als sie. Sobald sie sich zusammen tun, ergibt sich daraus eine spannende Dynamik, in der sie die Hosen anhat, ohne ihre Weiblichkeit zu verlieren. Ich liebe die Tatsache, dass die Autorin so viel Zeit darauf verwendet, die historischen Umstände so detailgetreu darzustellen, und trotzdem modern wirkende Charaktere zu erschaffen.



Der Plot wird zum Ende etwas schwach

So gut die Charaktere auch funktionieren, so schwierig wird die Geschichte selbst gegen Ende hin. Alle eingeführten Charaktere kommen für eine Woche voller Vergnügungen auf einem Landgut zusammen, was für die Zeit ein sehr typischer Zeitvertreib ist. Ich hatte die Hoffnung zu beginn, dass der reiche Mann, für den Lydia die Kurtisane ist, eine interessantere Rolle spielen wird, als ihm zugewiesen wurde. Für mich verliert die Geschichte dafür am Ende ein wenig an Schwung. Er wird zu einem Plot-Device und ist offensichtlich nur dafür da, als Katalysator für die Beziehung von Will und Lydia zu funktionieren. Natürlich haben alle Geschichten Charaktere und Szenen, die nur dazu dienen, den Plot voranzutreiben und andere Charaktere scheinen zu lassen, doch in diesem Fall war es für mich zu offensichtlich und hat mich deswegen aus der Fantasie rausgeworfen. Glücklicherweise bekommt diese Entwicklung am Schluss des Buches noch wieder einen interessanten, amüsanten Dreh, so dass ich das Buch zufrieden und glücklich zuklappen konnte.


FAZIT

Der historische Liebesroman "Das Versprechen der Kurtisane" besticht mit einem guten Schreibstil und plastischer Darstellung gut recherchierter Fakten. Die beiden Hauptfiguren, Will und Lydia, sind interessant, haben klare Motivationen und die Romanze zwischen ihnen entwickelt sich natürlich und authentisch. Andere Figuren bleiben teilweise recht blass, was den Plot in der zweiten Hälfte etwas schwächeln lässt. Trotzdem hatte ich bis zum Schluss viel Spaß an der Lektüre und war mit dem Ende sehr zufrieden.

Veröffentlicht am 06.02.2018

Spannender Krimi vor historischer Kulisse

Das Geheimnis von Wishtide Manor
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Da ich sowohl historische Romane als auch Krimis liebe, war es natürlich schon beinahe eine Pflicht für mich, den Auftakt dieser spannende neuen Reihe von Kate Saunders zu lesen. Insbesondere das England ...

Da ich sowohl historische Romane als auch Krimis liebe, war es natürlich schon beinahe eine Pflicht für mich, den Auftakt dieser spannende neuen Reihe von Kate Saunders zu lesen. Insbesondere das England des 18. und 19. Jahrhunderts hat es mir angetan, so dass ein Kriminalroman, der im Jahr 1850 spielt, genau meinen Neigungen entspricht. Ebenfalls vielversprechend war für mich, dass die Ermittlerfigur eine Dame in älteren Jahren ist, ähnlich wie es bei der berühmten Miss Marple der Fall ist.



Ein sehr verwickelter Mordfall

Als Krimi funktioniert dieses Buch tatsächlich wunderbar. Wir bekommen einen Fall präsentiert, der zunächst harmlos erscheint, sich dann jedoch zu einem echten Mordfall auswächst. Die Spuren werden geschickt gelegt und nicht alleine von der Hauptperson, Mrs. Rodd, gelöst, sondern in Zusammenarbeit mehrere Figuren. Da es sich um den ersten Band einer Reihe handelt, gehe ich davon aus, dass wir mehrere dieser Figuren wiedersehen werden. Auf Wishtide Manor gibt es in der Tat diverse Geheimnisse zu entdecken, die Verstrickungen der Familie werden auf interessante Weise erst zu einem Knäuel verwoben und dann Strang für Strang aufgelöst. Obwohl über weite Strecken keine actionreichen oder spannungsgeladenen Szenen auftauchen, wird doch konstant das Interesse des Lesers gehalten. Dafür ist das Ende umso spannender und wir lernen MRs. Rodd in vielen Facetten kennen.



Mrs. Rodd und ihre Macken

Allerdings konnte mich der Krimi nicht in allen Aspekten überzeugen. Mrs. Rodd ist eine Witwe, was über das ganze Buch hinweg mit großer Regelmäßigkeit erwähnt wird. Immer wieder erinnert sie sich an ihren lieben Matt und dass er dieses oder jenes geliebt hätte. Obwohl eine Witwe vermutlich durchaus in allen Lebenslagen an ihren verstorbenen Gatten erinnert wird, fühlte ich mich recht schnell gestört davon. Es wirkte beinahe so, als hätte Mrs. Rodd unabhängig von ihrem Ehemann keine eigenen Interessen. Andererseits ist sie eine einfühlsame Person, die immer wieder aus dem Bauch heraus entscheidet, wer gut und wer schlecht ist, wem sie böse Taten zutraut und wem nicht. Für eine ältere Dame, die wohl nicht zum ersten Mal mit Ermittlungen betraut wird, wirkt das ein wenig zu naiv – oder ist ein erzählerisch zu übertrieben positiver Charakterzug.



Fazit:

Der Kriminalroman „Das Geheimnis von Wishtide Manor“ von Kate Saunders ist ein spannender Auftakt zu einer neuen Reihe um die Ermittlerin Laetitia Rodd. Der Mordfall im Setting von 1850 ist eine wundervoll verwobene Geschichte um die Vergangenheit der Menschen, die sie am Ende doch wieder einholt. Der Krimi funktioniert gut, hält durchweg die Spannung und kommt zu einem überraschenden Finale. Einzig die Ermittlerfigur mit ihren Macken und Stärken konnte mich noch nicht überzeugen, doch innerhalb einer Reihe ist genug Entwicklungspotential, dass ich da ein Auge zudrücken kann. Für Fans von historischen Kriminalromanen ist dieser erste Band definitiv zu empfehlen.

Veröffentlicht am 30.01.2018

Atmosphärisch dichter Wirtschaftskrimi

Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens
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Im März steht erneut die Leipziger Buchmesse vor der Tür und passend zum diesjährigen Gastland Rumänien haben wir hier einen Kriminalroman, der unter anderem dort spielt. Darüber hinaus hat das Buch in ...

Im März steht erneut die Leipziger Buchmesse vor der Tür und passend zum diesjährigen Gastland Rumänien haben wir hier einen Kriminalroman, der unter anderem dort spielt. Darüber hinaus hat das Buch in diesem Monat den ersten Platz beim Deutschen Krimi Preis belegt. Entsprechend hoch waren meine Erwartungen, als ich die Lektüre aufgenommen habe.



Zu gewollt, zu viel Atmosphäre

Das Buch hab mich überrascht. Der Anfang erschien mir schleppend, zu viele Figuren, die wir zu kurz sahen, zu viel Fokus auf deprimierender, einsamer Atmosphäre, zu schwer. Ich hatte beim Lesen - natürlich nicht ganz unvoreingenommen - das Gefühl, ein klassisches Preisträger-Buch zu lesen. Wie bei Filmen, die einen Oscar gewinnen, denen man beim Sehen schon anmerkt, dass sie mit dem Ziel gedreht wurden, einen Oscar zu gewinnen, so erging es mir mit diesem Buch: Die Sprache wirkte zu bemüht, der Stil zu gewollt atmosphärisch. Jede Szene war getaucht in die Einsamkeit, die das beherrschende Thema des Buches ist. Als Leser bekommt man keine Verschnaufpause, man ist beständig zum Fühlen gezwungen.

Am Ende des Buches gibt es ein erstaunlich umfangreiches Personenregister, welches ist jedoch bewusst nicht genutzt habe. Entweder, einem Buch gelingt es, dass ich mit die Personen merken kann, oder es versagt in dem Aspekt - einmal ausgenommen Reihen, die extrem lang sind und manche Figuren über mehrere Bücher hinweg nicht mehr auftauchen lassen. Zu Beginn kam ich tatsächlich hin und wieder durcheinander, doch das legte sich rasch und ich wusste, mit wem ich es zu tun hatte. Trotzdem hat die Charaktertiefe unter der Vielfalt der Charaktere gelitten. Einige Charaktere werden mehr etabliert als andere, dennoch fehlt mir zu oft eine Motivation. Was wollen diese Menschen vom Leben? Irgendein Hinweis darauf, dass sie jenseits des Plots noch eine Existenz haben. Dafür, dass so viele Personen durchaus ausführlich beschrieben werden, bleiben erstaunlich viele davon doch blass oder auf einige wenige Adjektive reduziert, die nur im Rahmen des Plots relevant sind.



Spannender Ausflug in die Wirtschaftsgeschichte

Diese negativen Aspekte haben mich am Anfang sehr gestört. Auch, dass ich immer wieder das Gefühl hatte, in einer Geschichtsstunde über die DDR und die ehemaligen Ostblockstaaten zu sitzen, hat das nicht besser gemacht. Tatsächlich war es dann aber der letztere Aspekt, der sich zu einer absoluten Stärke des Buches gemausert hat. Je weiter die Ermittlungen voran schreiten, umso mehr entwickelt sich die Geschichte zu einem Fall von Wirtschaftskriminalität. Verstrickungen, die bis in die Zeit vor der Wende zurückgehen, werden aufgedeckt und erörtert, so ziemlich alle auftretenden Figuren haben auf die eine oder andere Weise eine schwierige Vergangenheit.

Die Auflösung der LPGs, das Chaos, das die schnelle Wende mit sich gebracht hat, die Cleverness der einen gegenüber der Gutgläubigkeit der anderen, all das wird immer wieder spannend und gefühlvoll aufgegriffen. Man fühlt sich plötzlich als Teil dieser Gemeinschaft von Bauern, die sich noch immer nicht wirklich in der neuen Welt zurecht finden und nicht wirklich verstehen, was damals geschehen ist. Die Ermittlungen rund um Korruption und Agrarpolitik waren für mich ein Highlight dieses Romans. Das Ende wiederum passt zu der Atmosphäre, die aufgebaut wurde, und macht damit das Buch zu einer runden Sache.



Fazit:

Der Kriminalroman "Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens" von Olliver Bottini ist ein atmosphärisch dichter Wirtschaftskrimi über die Verwicklungen der ehemaligen DDR und der ehemaligen Ostblockstaaten in die unübersichtliche Agrarpolitik. Obwohl eigentlich ein Mordfall im Zentrum steht, liegt die Stärke des Buches doch deutlich in seinen historischen Beleuchtungen der Umbruchzeit. Die Menge an Figuren und die zu starke Konzentration auf die düstere Atmosphäre machen das Lesen anstrengend, doch der zugrunde liegende Plot kann viel davon gut machen.

Veröffentlicht am 08.01.2018

Träumerisch, aber nicht befriedigend

Herrn Haiduks Laden der Wünsche
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Dieses Buch verspricht schon vom Klappentext her, eine gemütliche Reise durch das Leben verschiedener Menschen zu werden. Vor dem Hintergrund der Suche nach dem glücklichen Lottogewinner erhalten wir kleine ...

Dieses Buch verspricht schon vom Klappentext her, eine gemütliche Reise durch das Leben verschiedener Menschen zu werden. Vor dem Hintergrund der Suche nach dem glücklichen Lottogewinner erhalten wir kleine Einblicke in den Alltag und die Seelen einiger Menschen aus der Umgebung von Herrn Haiduks Laden. Das Buch ist nachdenklich und regt zum Denken an, richtige Tiefgründigkeit vermisste ich am Ende aber doch.

Der Stil des Buches gefiel mir vom ersten Moment an: Aus der Ich-Perspektive schildert ein Autor, der inzwischen keiner mehr ist, seine Rückkehr zu Herr Haiduks Laden, wo er früher öfter gewesen ist. Der Besitzer, Herr Haiduk, erkennt ihn, freut sich und will ihm unbedingt eine besondere Geschichte erzählen. Ein großer Teil des Buches ist dann in der erzählenden Perspektive des Autors geschrieben, der die Erzählungen von Herrn Haiduk und seinem Gehilfen Adamo wiedergibt. Die Mischung ist gelungen und macht für mich einen wesentlichen Teil des Lesegenusses aus. Immer wieder kehren wir von Herrn Haiduks Erzählung ins Hier und Jetzt zurück, um ein wenig mehr über den Alltag des Autors zu erfahren.



Liebenswürdige Figuren

Die Figuren selbst sind größtenteils glaubwürdig und in sich stimmig gestaltet. Der Autor ist ein rundum normaler Mensch, während Herr Haiduk definitiv verschroben ist, aber auf eine liebenswürdige Art. Alma wird auf eine typische Weise als gleichzeitig naiv und sehr stark beschrieben. In ihrer Naivität, die der eines Kindes gleicht, liegt ihre Stärke, da sie so fest an ihre Wahrnehmung der Welt glaubt, dass sich sich fast nie beirren lässt. Obwohl das ein Charakterkonzept ist, das mir gefällt, musste ich bei Alma doch manchmal die Stirn runzeln, da es beinahe zu übertrieben wirkte. Immer wieder wird uns Lesern erzählt, wie sonderlich sie ist, irgendwann wird es zu viel.

Andererseits ist es gerade ihre Art, die an die Kindheitsheldin Momo erinnert, die es uns erlaubt, diverse andere Menschen, die nur kurze Auftritte haben, sehr plastisch wahrzunehmen. Der Mittelteil des Buches besteht hauptsächlich aus den Gesprächen, die Alma mit Lottogewinner-Kandidaten führt, und obwohl diese Gespräche teils kurz sind, zeichnen sie doch stets ein rundes Bild eines Charakters. Alma hört zu, lässt keine Lüge gelten und zwingt mit ihren sehr schlichten Fragen, jeden Menschen dazu, ehrlich zu sich selbst zu sein. Manche lügen und wollen das nicht zugeben, andere versuchen nicht einmal zu lügen, wieder andere schämen sich für ihr Verhalten. Jedem zwingt Alma einen Spiegel auf. Das ist in diesem Buch ein deutlicher Höhepunkt.



Am Ende war ich ratlos

Insgesamt jedoch hat mich die Geschichte ratlos hinterlassen. Zwischenzeitlich äußerte der Autor Ungeduld darüber, wie langsam Herr Haiduk die Erzählung vorantrieb, wie sehr er ihn auf die Folter spannte und offensichtlich das Interesse genoss. Als Leserin ging es mir genauso, ich wurde irgendwann sehr ungeduldig. Einerseits geschah zwar eine Menge, und sicherlich dienten gerade die Unterbrechungen der Geschichte mit Einblicken in die Gegenwart dazu, das Erzählte sacken zu lassen und Langsamkeit generell zu feiern. Auch wird deutlich, wie bedeutend das Glück eines einfachen Augenblicks sein kann, wie er beispielsweise in dem Grillabend im Hinterhof bei leichter Sommerbrise sein kann. All das verstehe ich durchaus. Dennoch wurde ich zunehmend ungeduldig und am Ende gab es in meinen Augen keine befriedigende Auflösung, welche diese Langsamkeit wirklich gerechtfertigt hätte. Dass auch der Autor sich empört zeigte über Herrn Haiduk, rettet für mich das Ende leider dennoch nicht.

Das Buch will über Glück nachdenken und stellt die Frage, ob nicht eigentlich die Idee von Glück sehr viel wichtiger ist. Das ist spannend und zwischendurch gibt es da wirklich spannende Ansatzpunkte, doch am Ende verlief es für mich zu sehr im Sand. Es war ein Genuss, diese Geschichte zu lesen, aber sie hinterlässt entgegen meiner Erwartungen nichts. Das ist schade. Die Offenheit, die zum Nachdenken einladen könnte, tut es, zumindest in meine Fall, leider nicht.


Fazit:

Der Roman "Herrn Haiduks Laden der Wünsche" von Florian Beckerhoff ist ein wundervoller Lesegenuss, der die Einfachheit des Augenblicks und das Glück in kleinen Dingen feiert. Liebevoll gestaltete Figuren liefern vor der Kulisse des kleinen Ladens ein hübsches Kammerspiel ab, während die große Frage des Glücks erörtert wird. Leider bleibt das Ende auf unbefriedigende Weise offen, so dass die teilweise langatmige Art des Erzählens nachträglich keine Rechtfertigung erfährt. So schön sich das Buch auch lesen lässt, so interessant die Charaktere auch sind, am Ende bleibt wenig übrig. Trotzdem kann ich das Buch empfehlen, alleine schon weil der Mittelteil ein wunderschön nachdenklicher Höhepunkt war.

Veröffentlicht am 26.10.2017

Von Opfern und Obsessionen

Die Party
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Dieser Roman schildert auf kunstvolle Weise, wie ganz menschliche Regungen zu unmenschlichen Taten führen können. Die Geschichte von Martin und Ben, zwei jungen Männern, die eigentlich nichts verbindet, ...

Dieser Roman schildert auf kunstvolle Weise, wie ganz menschliche Regungen zu unmenschlichen Taten führen können. Die Geschichte von Martin und Ben, zwei jungen Männern, die eigentlich nichts verbindet, wird in Rückblenden beleuchtet, doch die Perspektiven, die wir auf deren Leben erhalten, sind unzureichend, um ein vollständiges Bild zu zeichnen. Dessen ist sich die Autorin sehr bewusst, so dass genau in dieser Unvollständigkeit, in dem, was ungesagt bleibt, ihre Stärke liegt.


>> Unorthodoxe Erzählstruktur

Von Anfang an befindet wir uns in einem polizeilichen Gespräch, welches offensichtlich nach der titelgebenden Party liegt. Dem Leser ist klar, dass etwas Ernstes geschehen ist, doch wir werden sehr lange im Unklaren darüber gelassen, wer, was, wie und warum es geschehen ist. Martin wird von zwei Polizisten verhört, aus seiner Perspektive erleben wir das Gespräch, ebenso wie wir all seine Erinnerungen streng aus seiner eigenen Perspektive erleben. Gleichzeitig wird auf einer anderen Ebene Lucy, Martins Ehefrau, eingeführt, die Tagebuch schreibt und sich in irgendeiner Form der Therapie befindet. Wann diese Therapie stattfindet, ist unklar, nur, dass es ebenfalls nach der Party ist, wissen wir.

Ohne chronologische Reihenfolge erzählt Martin mal von seinem Leben in der Schule, im College oder von seiner Arbeit. Szenen, die früh erwähnt werden, stehen erst viel später in einem Kontext, der ihnen mehr Sinn verschafft. Das ist unheimlich faszinierend zu lesen, doch man muss auch aufmerksam bleiben, um die richtigen Enden der Geschichte miteinander zu verknüpfen. Auch Lucys Tagebucheinträge sind nicht chronologisch, sondern eher als eine Reihe von Anekdoten verfasst, manchmal eher Gedanken über Martin, manchmal eher eigene Erlebnisse aus ihrer Zeit vor ihm. Stück für Stück bastelt die Autorin so zwei komplexe, unglückliche Charaktere, die vom Fluch von Bens Existenz belastet werden.

Martin ist in vieler Hinsicht ein typischer Jugendlicher: Er kennt die Welt nicht, fühlt sich irgendwie ausgeschlossen und spürt, dass er anders ist, ohne dass er versteht, warum das so ist. Während der Pubertät durchlaufen die meisten Menschen solche Phasen der Unsicherheit, doch der Umgang ist unterschiedlich. Der Weg, den Martin einschlägt, ist ebenso ungewöhnlich wie gefährlich. Er schleicht sich in Bens Leben, bis dieser ihm nicht mehr entkommen kann. Ben, als Sohn aus reichem Haus dazu erzogen, niemanden vor den Kopf zu stoßen, um bloß kein schlechtes Image zu bekommen, erkennt zu spät, wie extrem Martin in seiner Freundschaft ist. Und als er es schließlich erkennt und ihn aus seinem Leben drängen will, ergreift Martin eine Gelegenheit beim Schopf, um sich für immer an Ben und dessen Familie zu ketten.


>> Ein Geheimnis, das den Plot zusammenhält

Diese schon im Klappentext erwähnte dunkle gemeinsame Vergangenheit ist der Dreh- und Wendepunkt des gesamten Beziehungsgeflechts. Lucy, die nichts Genaues weiß, aber ahnt, ist trotz ihrer Intelligenz nicht in der Lage, Martin vollständig zu durchschauen. Martin wiederum erkennt das Zusammenspiel von Wissen, Macht und Erpressung, ist aber so stark von seinen Gefühlen geleitet, dass er sein eigenes Verhalten nur als selbstlos wahrnehmen kann, obwohl er weiß, dass es das nicht ist.

Was uns zu einem nächsten Punkt in Martins Charakter bringt: Er sieht sich als Opfer. Schon von den ersten Seiten des Buches an fließt aus den Zeilen das Gefühl eines Menschen heraus, der sich stets nur als Opfer betrachten kann. Seine fast immer beherrschten Aggressionen richten sich nach außen, gegen alles und jeden, der ihm seinen rechtmäßigen Platz in der Gesellschaft verwehren könnte. Das hat ihn für mich von Anfang an unsympathisch gemacht, ohne dass dieser Umstand jedoch mein Lesevergnügen wirklich getrübt hätte. Im Gegenteil: In der Art, wie auch Lucy sich als Opfer betrachtet, und man vermuten kann, dass Ben sich selbst auch als Opfer sieht, wird deutlich, dass jeder Mensch im Leben damit zu kämpfen hat, Verantwortung für sein eigenes Handeln zu übernehmen und dazu neigt, äußeren Umständen die Schuld zu geben. Dieses Unrechtsbewusstsein kann dazu führen, dass sich Aggressionen über Jahre oder Jahrzehnte aufstauen, ohne je ein konkretes Ziel zu haben. Wenn sich dann ein Ziel auftut, egal, ob wirkliche Ursache der Wut oder nur spontaner Anlass, haben solche Menschen ein hohen Gewaltpotential. Wie der Ausgang der Party beweist.

Insgesamt ist dieses Buch eine wundervolle Charakterstudie, die einfühlsam die Verletzlichkeit junger Menschen zeigt. Leider fehlte mir am Ende aber irgendeine Form der Aufklärung oder ein Erkenntnisgewinn. Ich bin ein wenig ratlos zurückgeblieben, ohne dass ich in Worte fassen könnte, was genau ich mir gewünscht hätte. In jedem Fall aber blieb ich mit einem Gefühl der Leere zurück, das mich unzufrieden macht. Vielleicht war dieser Mangel an Aufklärung auch die Absicht der Autorin, weil sie eben gerade keine leichte Antwort geben wollte.


>> Fazit:

Der Roman „Die Party“ von Elizabeth Day ist eine spannende Charakterstudie, in deren Mittelpunkt drei Menschen stehen, die alle auf ihre Weise mit äußeren und inneren Umständen zu kämpfen haben. Die Verletzungen, die insbesondere Martin und seine Ehefrau Lucy während ihrer jungen Jahre erfahren haben, manifestieren sich in problematischen Charakterzügen und einem Mangel an Selbstbewusstsein. Die Art, wie die Geschehnisse der Vergangenheit, der Party selbst und der Gegenwart miteinander verwoben werden, machen das Buch zu einem Lese-Highlight. Lediglich am Ende wäre eine etwas klarere Botschaft – oder überhaupt irgendeine Botschaft – wünschenswert gewesen. Dennoch ist es für jeden, der auch mal die dunklen Seiten unserer Psyche anschauen will, nur zu empfehlen!