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Veröffentlicht am 30.03.2018

Vergnügliche Geschichte mit Tiefgang und einer etwas verschrobenen Protagonistin, die an ihren Herausforderungen wächst

Der Kaktus
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Susan Green ist 45 Jahre alt und lebt allein in einer kleinen Wohnung in London. Sie sieht sich als unabhängige, emanzipierte Frau, die weiß, was sie will. Sie hat einen Beruf als Versicherungsmathematikerin, ...

Susan Green ist 45 Jahre alt und lebt allein in einer kleinen Wohnung in London. Sie sieht sich als unabhängige, emanzipierte Frau, die weiß, was sie will. Sie hat einen Beruf als Versicherungsmathematikerin, der zu ihr passt, distanziert sich allerdings von Kollegen und Nachbarn. Sie kümmert sich lieber um ihre bescheidene Kakteensammlung, als Freundschaften zu pflegen. Eine Ausnahme ist Richard, ihr Freund mit gewissen Vorzügen, mit dem sie sich einmal wöchentlich trifft, um etwas Kulturelles zu unternehmen und mit dem sie auch ins Bett geht.
Ihr Leben ändert sich, als ihre Mutter stirbt und ihrem in ihren Augen nichtsnutzigen Bruder Edward den lebenslangen Nießbrauch ihres Haus überlässt und Susan sich damit um ihr Erbe betrogen fühlt. Erstaunt von der Erkenntnis, dass sie in ihrem Alter ungewollt schwanger ist, beginnt sie um ihr Erbe zu kämpfen und versucht zu beweisen, dass Edward das Testament zu seinen Gunsten beeinflusst hat.
Bei dem Versuch, das Testament anzufechten, macht Susan eine Entdeckung, die sie noch weiter aus der Bahn wirft.

Susan wirkt auf andere Menschen so stachelig wie ihre Kakteen, da sie nicht in der Lage ist, emotionale Beziehungen aufzubauen. Sie ist im Umgang mit den Menschen zu direkt und lebt ihr eigenes, zurückgezogenes Leben, dass viele als einsam empfinden würden. Sie möchte "Herrin" ihres "eigenen Schicksals" sein, gibt sich unnahbar und braucht ihrer Meinung nach keine Freunde, da sie sich von niemandem abhängig machen möchte.
"Was mir an Familie und anderen engen persönlichen Beziehungen fehlt, wird mehr als kompensiert durch mein reiches inneres Leben, das so viel konstanter und verlässlicher ist."
Auf diese Weise schützt sie sich vor Verletzungen, möchte jeden Bereich ihres Lebens selbst bestimmen, bezeichnet sich selbst als "willensstark und teflonbeschichtet".

Susans Charakter hat auf den ersten Eindruck fast autistische Züge, so wenig empfänglich ist sie für tiefer gehende Beziehungen mit anderen Menschen. Im Verlauf des Romans erfährt man jedoch, was die Hintergründe für ihr zurückgezogenes Leben und ihre ablehnende Haltung gegenüber anderen ist.
Wie nebenbei fließen Erinnerungen in die Handlung ein, die Susan offensichtlich seit Jahren zurückdrängt, durch die man sich und ihr Verhalten aber zu verstehen lernt. Susan möchte sich schlicht vor Verletzungen schützen und lässt darum niemanden näher an sich heran.

Als sie ihre Mutter verliert und der Einfluss ihres Bruders wächst und sie selbst sich noch an den Gedanken gewöhnen muss, Mutter zu werden, hat sie Angst, die Kontrolle über ihr sonst so strukturiertes zu verlieren. Sie sieht sich mit so vielen Veränderungen auf einmal konfrontiert, die es ihr nicht mehr ermöglichen, ihr geregeltes Leben wie gewohnt zu gestalten. Sie erlebt plötzlich Emotionen und Gefühle, die ihr fremd sind und ist auf die Hilfe von anderen angewiesen. So wird ihre Nachbarin Kate zu einer guten Freundin und auch Rob, der Freund ihres Bruders Edward, zu einem unerwarteten Verbündeten.

Graeme Simsion lobt den Roman als "originell, bezaubernd und absolut glaubwürdig" und in der Tat erinnert Susan ein wenig an Don Tillman, den Protagonisten aus Simsions "Das Rosie-Projekt". Wie Don hat Susan ihre unerschütterlichen Grundsätze und eine streng geordnete Lebensweise, die perfekt für sie ist, aber keinen Raum für andere Menschen lässt. Die Veränderungen in ihrem Leben und der Kontrollverlust, mit dem sie zurecht kommen muss, bewirken jedoch, dass sie sich persönlich verändert und weiterentwickelt.

"Der Kaktus" ist ein Roman mit einer erfrischend ungewöhnlichen und auf ihre Art sehr liebenswürdigen Hauptpersonen, deren raue Fassade im Verlauf des Romans zu bröckeln beginnt. Er unterhält mit einem klugen trockenen Humor und überrascht durch Wendungen, die dem Roman immer wieder eine neue Richtung geben.
Susan ist einfach nur ein schrulliger Charakter, der beginnt, aktiver am Leben teilzuhaben, sondern ein Mensch, der aufgrund ihrer Lebensgeschichte einen Schutzmechanismus entwickelt hat. Dieser Hintergrund zu Susan gibt der unterhaltsamen Geschichte Tiefgang.
Es war mir ein Vergnügen zu lesen, wie Susan sich verändert, an ihren Herausforderungen wächst und wie aus der stacheligen Versicherungsmathematikern eine immer noch sehr eigenwillige, aber viel offenere, dem Leben zugewandtere Frau in den besten Jahren wird.

Veröffentlicht am 28.03.2018

Ein Roman über Liebe und Hoffnung und das starke Band von Familie und Freunden - voller Emotionen, Dramatik und Zuversicht

Was in unseren Sternen steht
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Jess ist alleinerziehende Mutter eines zehnjährigen Sohnes. Nur wenige Wochen nach der Geburt hatte sie sich von ihrem Freund und Vater des Kindes, Adam, der offensichtlich noch nicht bereit war, Verantwortung ...

Jess ist alleinerziehende Mutter eines zehnjährigen Sohnes. Nur wenige Wochen nach der Geburt hatte sie sich von ihrem Freund und Vater des Kindes, Adam, der offensichtlich noch nicht bereit war, Verantwortung für eine Familie zu übernehmen, getrennt. Adam wohnt inzwischen in Frankreich und hat seinen Traum, den Umbau eines Châteaus zu einem Feriendomizil in der Dordogne wahr gemacht.

Nachdem Adam seinen Sohn immer nur sporadisch gesehen hat, besuchen ihn Jess und William dieses Jahr für drei Wochen in den Sommerferien in Roussignol. es ist vor allem der Herzenswunsch ihrer kranken Mutter, die möchte, dass Vater und Sohn sich besser kennenlernen und endlich engeres Verhältnis zueinander aufbauen, den Jess erfüllen möchte.

Um den Urlaub bei ihrem Exfreund erträglicher zu machen, verbringen auch ihre besten Freundinnen Natasha und Becky die Ferien auf dem Anwesen des malerischen Château. Jess ist überrascht, was sich Adam aufgebaut hat, aber gleichzeitig auch enttäuscht davon, dass er sich zunächst rar macht und kaum Zeit mit William verbringen möchte. Sie bekommt den Eindruck, dass er noch immer der verantwortungslose Lebemann wie vor zehn Jahren ist.
Doch schon wenig später unternehmen Vater und Sohn nicht mehr nur gezwungenermaßen Zeit miteinander und Jess muss sich eingestehen, dass es aufgrund ihre besonderen Situation die richtige Entscheidung war, Adam und William zusammenzubringen und dass sie nach wie vor Gefühle für Adam hat.

"Was in unseren Sternen steht" ist ein Roman über eine junge Frau, die mit einem nur schwer zu ertragenden Schicksal leben muss und auf Bitten ihrer im Pflegeheim lebenden Mutter ihren Exfreund besucht, um ihm und ihrem Sohn die Möglichkeit zu geben, eine Beziehung zueinander aufzubauen, insbesondere um für William einen weiteren Anker in seinem Leben zu platzieren.
Auch wenn der Urlaub in Frankreich - drei Wochen bei ihrem Exfreund - Jess zunächst große Überwindung gekostet hat, wusste sie, dass der Wunsch ihrer Mutter eine vernünftige Entscheidung war, die sie ihrem Sohn zuliebe treffen musste. Womit Jess allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass sie sich wieder in ein Gefühlschaos wie vor zehn Jahren stürzen würde, als ihr Adam das Herz gebrochen hatte.

Der erst Roman, der von Catherine Isaac nicht unter einem Pseudonym erschienen ist, ist ein ergreifender Roman über das starke Band einer Familie, den Zusammenhalt von Freunden und die Liebe, die einem unerwartet begegnet. Es ist aber auch ein Roman über ein schwertes Los und eine Erkrankung, mit der Jess' Mutter akut zu kämpfen hat. Einen Kampf, den sie nicht gewinnen können wird und der Jess auch aufgrund ihrer eigenen Zukunft und der ihres Sohnes schwer belastet.

Durch das idyllische Setting in einem Château in der Dordogne im Osten Frankreichs ist das Buch ein perfekter Roman für den Sommer(urlaub). Der Aufenthalt der Briten in Frankreich, von Kess und ihrem Sohn, von Natasha und Becky mit ihrer lebhaften Familie ist abwechslungsreich mit allen Höhen und Tiefen, die es in Familie und Partnerschaft gibt, beschrieben. Durch den empathischen Schreibstil der Autorin fühlt man sich eng mit den sympathischen und authentisch gezeichneten Charakteren verbunden.

Die schöne Sommerstimmung wird jedoch durch Jess' Familiengeschichte getrübt, eine verheerenden Krankheit, die die Familie fest in ihrem Bann hat sowie durch alte Missverständnisse und lang gehegte Geheimnisse.
Der Roman spielt im Sommer 2016, durch Rückblicke aus Jess' Perspektive, die mühelos mit der gegenwärtigen Handlung verwoben sind, erfährt der Leser jedoch auch, was vor zehn Jahren zwischen Jess und Adam vorgefallen ist.

Mir hat die Mischung aus ausgelassener Urlaubsstimmung an diesem schönen Ort, ernsthafter Themen und Tragik, das Auf und Ab von Jess' Gefühlswelt, Enthüllungen, die den Roman so abwechslungsreich gestalten und in neue Bahnen lenken, sehr gut gefallen. Der Schluss gibt meiner Euphorie über den herzzerreißenden Roman jedoch einen entscheidenden Dämpfer. Mir war das Ende zu kitschig und Hollywood-like und hätte in abgeschwächter Form der Wiederbelebung der Liebe von Jess und Adam - nicht ganz so bemüht perfekt - der Geschichte mehr Authentizität gegeben.

Veröffentlicht am 16.03.2018

Roman über Selbstfindung mit überraschenden Wendungen und eine Liebesgeschichte außerhalb der Norm

Leinsee
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Karl ist der Sohn des sehr erfolgreichen Künstlerehepaares Stiegenhauer, der seit Jahren keinen persönlichen Kontakt mehr zu seinen Eltern hatte. Als sich sein Vater August im Alter von 57 Jahren tötet, ...

Karl ist der Sohn des sehr erfolgreichen Künstlerehepaares Stiegenhauer, der seit Jahren keinen persönlichen Kontakt mehr zu seinen Eltern hatte. Als sich sein Vater August im Alter von 57 Jahren tötet, weil die geliebte Ehefrau Ada unheilbar an einem Gehirntumor erkrankt ist, kehrt Karl an seinen Geburtsort Leinsee zurück. Er empfindet keine Trauer für den Tod seines Vaters und bringt die Beerdigung hinter sich, bei der Karl, der in Berlin unter anderem Namen als Künstler arbeitet, erstmals von der Presse als Sohn der Stiegenhauers identifiziert wird. Durch die Berühmtheit seiner Eltern steigt auch sein Marktwert als Künstler, was Karl nie wollte. Er geht nicht zur Eröffnung seine Ausstellung in Berlin und bleibt in Leinsee, um den Tod seiner Mutter abzuwarten, die nach einer Notoperation am Gehirn im Koma liegt.

Entgegen der Erwartung der Ärzte über lebt Ada, erwacht aus dem Koma und erkennt in Karl ihren Ehemann August wieder. Zum ersten Mal erfährt Karl Wertschätzung durch seine Mutter und wird von ihr geliebt. Er genießt diese seltsame Beziehung zu ihr, kümmert sich um sie und arbeitet sogar im Atelier der Eltern mit ihr zusammen.

Im Garten der Villa taucht immer wieder in achtjähriges Mädchen aus der Nachbarschaft auf. Tanja, die im Gegensatz zu den anderen Kindern keine Angst vor Karl hat. Sie beginnen damit, sich gegenseitig kleine Geschenke zu machen, indem sie den Kirschbaum dekorieren oder den Garten mit kleinen Handgriffen umgestalten.

Als seine Lebensgefährtin Mara, die überraschend aus Berlin anreist, Tanja vertreibt, hält auch Karl nichts mehr in Leinsee. Er kehrt nach Berlin zurück, wo er von Mara getrennt, in einem Atelier am Tempelhofer Feld arbeitet und wohnt.

Erst sechs Jahre später geht er nach Leinsee zurück, wo Tanja inzwischen ein Teenager geworden ist. Sie verzeiht Karl und so entwickelt sich ihre ungewöhniche Freundschaft weiter.

Karl ist ein verschlossener Mensch, der von seinen Eltern, die ihn als Kind in einem Internat untergebracht haben, wo sie ihn nie besucht haben, schwer enttäuscht ist. Für Ada und August gab es immer nur die beiden als Paar, für ein Kind war kein Platz. Karl wollte nie im Schatten seiner Eltern stehen und hat sich deshalb unter Pseudonym einen Namen als Künstler erarbeitet. Zurück in Leinsee kommt all der Frust über seine Eltern wieder hoch, zumal sie einen Assistenten beschäftigen, der sich wie selbstverständlich in Karls Kinderzimmer eingerichtet hat. Karl hat nachvollziehbarerweise einen Hass auf diesen "Buddy Holly", der die Rolle des Sohnes übernommen hat.

Ablenkung und Leichtigkeit erfährt Karl durch Tanja, zu der er als 26-jähriger Mann unnatürlich intensive Gefühle entwickelt. Tanja ist ein Symbol für Mut und Unbeschwertheit, was Karl in seiner Kindheit fehlte. Er ist regelrecht fixiert auf sie, hofft jeden Tag aufs Neue, dass sie sich zeigt.

Der Roman handelt nicht nur von einer Künstlerfamilie, sondern ist auch passend dazu aufgebaut. Jedes Kapitel hat eine farbengebende Überschrift wie "Kanarienvogelgelb und silber", "Gottweiß", "Salamirot" oder "Kaugummigrau" und steht für Karls Gefühlswelt.

"Leinsee" ist ein außergewöhnlicher Roman, der mal melancholisch, mal wütend, mal traurig ist, der mich aber auch verwirrt und nachdenklich gemacht hat . Sehr skurril sind Karls Verhaltensweisen in der Villa der Eltern und seine Annäherung an das Kind, die einem Versteckspiel gleicht, die mehr als merkwürdig, schon fast grenzwertig ist.

Die Heimkehr nach Leinsee wird für Karl zu einem Neuanfang. Beschrieben wird die Persönlichkeitsentwicklung von Karl von 2005 bis zur Gegenwart, in der Karl parallel zu Tanja erwachsen wird.
Es ist ein Roman über Selbstfindung und eine Liebesgeschichte außerhalb der Norm mit überraschenden Wendungen. Er hat durch die sonderbaren Einfälle von Karl, die er nie in Frage stellt, oder gar sich selbst reflektiert, einen hohen Unterhaltungswert.

Veröffentlicht am 02.03.2018

Warmherzige und berührende Geschichte über ein Familiengeheimnis, kombiniert mit einer zarten Liebesgeschichte.

Der Herzschlag deiner Worte
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Alex ist Bassist und Songwriter einer Band, die gerade durchstartet. Er selbst ist seit knapp zwei Jahren nicht mehr aktiv dabei seit er sich als alleinerziehender Vater um seine zweijährige Tochter Leni ...

Alex ist Bassist und Songwriter einer Band, die gerade durchstartet. Er selbst ist seit knapp zwei Jahren nicht mehr aktiv dabei seit er sich als alleinerziehender Vater um seine zweijährige Tochter Leni kümmert. Diese ist bei einem One-Night-Stand mit einem Groupie entstanden, die die überforderte Mutter Alex unvermittelt zur Fürsorge gebracht hat. Zusammen mit seiner jüngeren Schwester Cassie, die bei ihm eingezogen ist, schafft er es inzwischen den Alltag zu bewältigen. Da stirbt unerwartet sein Vater Vincent an einem Herzinfarkt. Bei der Beerdigung begegnet er zum ersten Mal bewusst seiner Patentante Jane, die er nur aus Briefen kennt. Jane leidet an ALS und sitzt im Rollstuhl. Alex versteht sich auf Anhieb mit Jane, durch die er nicht nur ungeahnte Familiengeheimnisse lüftet, nachdem seine Eltern beide tot sind, sondern auch die Autorin Maila kennenlernt, in die er sich verliebt, die jedoch nicht bereit für eine Beziehung ist.
Anonym als weiblicher Fan sucht er den Kontakt zu ihr und findet dabei heraus, wie zufällig ihre Leben miteinander verbunden sind.

"Der Herzschlag deiner Worte" ist eine sehr gefühlvolle Geschichte, die überwiegend aus Sicht von Alex, aber auch aus der Perspektive des sich sorgenden und verstorbenen Vaters Vincent geschildert ist. Der Roman ist nicht allein eine Liebesgeschichte - diese spielt überhaupt erst ab der zweiten Hälfte des Buches eine Rolle - sondern eine Familiengeschichte voller Geheimnisse, die es nach dem Tod von Vincent mit Hilfe von Jane zu ergründen gilt, durch die Alex Einblick in die Vergangenheit seiner Eltern erhält.

Wie schon in "Immer wenn es Sterne regnet" konnte ich Susanna Ernst durch ihren sehr eingängigen, warmherzigen Erzählstil überzeugen. Die Charaktere sind authentisch gezeichnet, man leidet und fiebert unweigerlich mit ihnen mit, so dass sich das Buch kaum aus der Hand legen lässt. Es ist flüssig und leichtgängig zu lesen, überrascht durch Wendungen innerhalb der Geschichte und bleibt spannend, bis zum Schluss alle Fäden zusammenlaufen.

Mich hat der Roman wunderbar unterhalten und berührt, auch wenn ein wenig zu sehr Schicksal gespielt wird, die Geschichte von zahlreichen Zufällen getragen wird und mir die Protagonisten in ihrer Gesamtheit zu eindimensional blieben, ein wenig zu sehr vom "Gutmenschentum" geprägt waren.

Veröffentlicht am 27.02.2018

Spannende Familiengeschichte, bei der die Geheimnisse zweier unterschiedlicher Schwestern nach und nach ans Tageslicht kommen

All die Jahre
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Die beiden Schwestern Nora und Theresa Flynn wandern von Irland nach Amerika aus. In Boston wartet Noras Verlobter Charlie auf sie, dem sie versprochen ist, jedoch nicht liebt. Während Nora Schwierigkeiten ...

Die beiden Schwestern Nora und Theresa Flynn wandern von Irland nach Amerika aus. In Boston wartet Noras Verlobter Charlie auf sie, dem sie versprochen ist, jedoch nicht liebt. Während Nora Schwierigkeiten hat, sich in Boston einzuleben und die Hochzeit mit Charlie lange hinauszögert, genießt die 17-jährige Theresa ihre Freiheit und begeht dabei einen folgenschweren Fehler.
Die Schwestern trennen sich im Streit. Nora heiratet Charlie Rafferty und zieht mit ihm vier Kinder groß, zu Theresa, die sich für ein Leben im Kloster entschlossen hat, hat sie kaum Kontakt, bis dieser Ende der 50er-Jahre ganz abbricht.

Nora und Theresa sehen sich erst 2009 bei der Beerdigung von Noras ältestem Sohn und Liebling Patrick wieder.

"All die Jahre" beginnt mit dem Unfalltod des 50-jährigen Patrick und endet mit dessen Totenwache und Beerdigung im Jahr 2009. Nora sieht sich dadurch mit den Ereignissen der Vergangenheit konfrontiert und lädt zu diesem Anlass ihre jüngere Schwester Theresa ein, von der ihre Kinder bislang nichts gewusst haben.

Es folgt ein Rückblick in die 50er-Jahre wie die beiden Schwestern ausgewandert sind und welche Ereignisse dazu geführt haben, dass sich Nora und Theresa entzweit haben.
Der Roman ist überwiegend aus den Perspektiven von Nora und Theresa geschrieben, die beide auf ihr Leben zurückblicken, als sie vom Tod Patricks erfahren. Daneben erhält man auch einen Einblick in die Biographien von Noras Kindern, die sich auf den Weg zur Totenwache und Beerdigung machen.

In der Familie Rafferty wurde vieles unter den Teppich gekehrt. Nora ließ ihrem ältesten Sohn Patrick alles durchgehen, obwohl er das schwierigste von allen Kindern war. Gerade die beiden nachfolgenden Kinder John und Bridget fühlten sich ungeliebt und empfanden Nora als herzlos. Der Nachzügler Brian, der zu seinem großen Bruder Patrick aufblickte, hat ein etwas entspannteres Verhältnis zu Nora.

Nora hadert Zeit ihres Leben mit ihrem Schicksal. Erst kümmert sie sich um ihre kleine Schwester Theresa, nachdem die eigene Mutter so früh gestorben ist, dann geht sie unfreiwillig nach Amerika, wo sie einen Mann heiraten muss, den sie nicht liebt. Die Geburt von Patrick wenige Monate nach ihrer Hochzeit mit Charlie wirft einen Schatten auf ihre streng katholische Lebenseinstellung. Sie trifft Entscheidungen, deren Konsequenzen sie ihr ganzes Leben nicht loslassen, von denen sie nicht weiß, ob sie richtig oder falsch gehandelt hat oder ob es überhaupt einen Königsweg gegeben hätte. Das Verhältnis zu ihrer Schwester, die ihre Lebensaufgabe und ihr Glück später in einem Kloster in Vermont finden wird, zerbricht daran. Unausgesprochene Schuldzuweisungen, eine Flucht in die Opferrolle und die damit einhergehende Unzufriedenheit prägen Noras Leben.

In der Familie wird wenig miteinander gesprochen, die Kinder suchen nach Anerkennung, die sie bis auf Patrick von ihrer Mutter nicht bekommen. Geheimnisse und Spannungen sind allgegenwärtig, im Erwachsenenalter distanzieren sich John und Bridget einerseits emotional von Nora, wollen ihr andererseits aber dennoch gefallen.

Der Roman zeigt, welche Auswirkungen eine einzige Entscheidung auf ein Leben haben kann und wie die Konsequenzen davon noch auf die nachfolgende Generationen Einfluss haben können. Erst als ein Familienmitglied stirbt, besteht die Chance auf eine Aussprache zwischen den Schwestern und auf eine offene Erklärung von Nora, die ihren Kindern weiterhelfen würde, warum ihre Mutter so gehandelt hat.

Es ist eine spannende, tragische Familiengeschichte, bei der die Geheimnisse nach und nach ans Tageslicht kommen und man als Leser nur darauf wartet, dass spätestens an der Beerdigung die aufgeladene Situation eskalieren lässt. Am Ende bleibt offen, wie viel die beiden Schwestern der nachfolgenden Generation erklären werden, ob sie jedes Geheimnis lüften, um ihr Gewissen zu beruhigen oder aus Scham einen einfacheren Weg gehen und manches Detail aus der Vergangenheit lieber verschweigen. Die Autorin gibt dem Leser die Möglichkeit gibt, sich seine eigenen Gedanken zu machen.