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Veröffentlicht am 09.12.2018

Fünf Leben und dreißig Jahre in zwei Abenden

Als das Leben vor uns lag
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Im Spanien der Fünfzigerjahre spielen fünf junge Teenagerinnen in einer Klosterschule ein Pfänderspiel. Die Stimmung dieser Welt eines katholischen Internats ist genau getroffen. Heimlichkeiten, Verleugnung ...

Im Spanien der Fünfzigerjahre spielen fünf junge Teenagerinnen in einer Klosterschule ein Pfänderspiel. Die Stimmung dieser Welt eines katholischen Internats ist genau getroffen. Heimlichkeiten, Verleugnung der Körperlichkeit und natürlich der Sexualität, Schuldgefühle und Strafen sind so greifbar, dass man es fast selbst erlebt. Wir erfahren von einer Gruppe junger Mädchen, aus denen zwei gegensätzliche Charaktere herausstechen: Zum einen ist da Olga, dick, reich, skrupellos und manipulativ, Liebling der Lehrer, aber im Inneren zerrissen und voller Selbstzweifel, und zum anderen Julia, dünn und arm, schüchtern und ein Opfertyp für jeden. Man könnte fast eine Aschenputtel-Geschichte erwarten, aber Julia gehört zum Klub der reichen Mädchen dazu; sie darf dort gleichberechtigt mitspielen und sich beweisen. Als sie an einer Mutprobe grandios scheitert, muss sie, ohnehin nur auf "Gnadenbasis" an der Klosterschule geduldet, die Einrichtung verlassen. Zwei weitere aus der Clique gehen ebenfalls am nächsten Tag.

Dreißig Jahre später beschließt Olga, diese alte Runde wieder zusammenzurufen. Nun haben die Achtzigerjahre begonnen, Francos Diktatur ist beendet, die Macht der Kirche und ihrer Moralvorstellungen ist gebrochen, und gerade wird das neue Ehescheidungsrecht eingeführt. Die Frauen stehen mitten im Leben, aber sie haben ihre Lebensmitte bereits überschritten. So erfahren wir nach und nach, was die Mädchen aus ihren Lebensmöglichkeiten gemacht haben. Hier ist die ganze Vielfalt vertreten: von der Hausfrau und Mutter in einer sterbenslangweiligen Ehe über die „Lebefrau“ mit wechselnden Partnern bis zur steilen Karriere in der Politik ist alles dabei.

Am Höhepunkt des Abends taucht die Frauenrunde wieder in ihre Schulmädchenzeit ein, es geht „back to the roots“. Das Pfänderspiel, das diese angetrunkene und herumalbernde „Mädels“-Runde nun spielen will, ist ein extrem guter Schachzug der Autorin, um so richtig schmutzige Wäsche waschen zu lassen, und alle müssen gute Miene zum bösen Spiel machen, schließlich hat man zugestimmt!

Dieser wortwörtlich stürmische Abend nimmt dann eine ganz andere Wendung als erwartet. Denn trotz allem können neue Erkenntnisse auch neue Lebensmöglichkeiten eröffnen.

FAZIT
Das Buch liest sich wie im Rausch, es hat mich von der ersten bis zur letzten Seite in seinen Bann gezogen.

Neben den Lebensgeschichten der Protagonistinnen, die für sich schon sehr spannend sind, hat mich die Einbettung in die spanische Geschichte aus Franco-Diktatur und extremem Katholizismus sehr beeindruckt. Der Autorin ist es sehr gut gelungen, diese in vielen Aspekten repressive Stimmung, die Verbote und Regeln und das Auflehnen dagegen darzustellen. Sehr gut gefallen hat mir auch der subtile Unterton von Schuld, Sühne, Rache (oder nicht), Vergebung, Wiedergutmachung (?), der in diesem Roman mitschwingt.

Ein absolut preiswürdiges Buch, ich gebe fünf von fünf Sternen!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Geschichte
  • Charaktere
  • Erzählstil
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 17.07.2018

Nur furchtlos kannst Du ihn bezwingen.

Mädchen, Mädchen, tot bist du
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Eine Liste. Eine Todesanzeige. Einer, der Bescheid weiß. Ein geheimnisvoller Beobachter. Ein Täter. Und die Opfer: Durchschnittsmädchen einer Oberschule.

Die Story beginnt an einer weiterführenden Schule ...

Eine Liste. Eine Todesanzeige. Einer, der Bescheid weiß. Ein geheimnisvoller Beobachter. Ein Täter. Und die Opfer: Durchschnittsmädchen einer Oberschule.

Die Story beginnt an einer weiterführenden Schule in Amsterdam mit dem üblichen Schulalltag und seinen Problemen. Unangekündigte Tests, die man natürlich verhaut, Freundschaft, Verliebtsein und erster Sex, Klatsch und Tratsch, Streit und Versöhnung unter Freundinnen, aber auch Hänseleien bis zum Mobbing, Prügeleien und weitere Zickigkeiten. In diese lichte Atmosphäre, die auch die Einführung für eine leichte Sommerlektüre sein könnte, bricht plötzlich der Tod ein. Zunächst erhängt sich ein Mädchen, dann wird eine Schülerin in der Badewanne mit aufgeschnittenen Pulsadern gefunden. Weitere Opfer sind in Sicht. Der allwissende Leser erfährt bald, dass es sich um die Taten eines psychopathischen Massenmörders handelt, der seine Morde als Selbstmorde tarnt. Die Opfer werden immer vorgewarnt und verstehen die Warnungen doch nicht. Der Täter weidet sich an ihren Ängsten.

Als Leser fiebert man mit den Schülerinnen, die man zunächst kennenlernt und aus der Ich-perspektive begleitet. Liebe, Schule, pubertäre Machtkonflikte mit den Eltern sind lebensnah dargestellt, die Protagonistinnen nicht immer vollkommen sympathisch. Trotzdem hofft man, diese wird es doch schaffen, sie kann ihm entgehen, sie soll überleben und ihn enttarnen, den großen Unbekannten, den Mörder. Die Spannung steigt ins Unermessliche, man kann das Buch nicht weglegen, gerade jetzt nicht, sie ist so nah dran -und dann stirbt sie, und man weiß nicht warum. Der Täter ist die ganze Zeit als weiterer Ich-Erzähler, als Tagebuchschreiber dabei, und trotz aller kleinen Hinweise bleibt er bis zuletzt im Dunkeln, die Enthüllung ist eine Überraschung.

Rückblickend fügt sich jedes Puzzleteil der Geschichte logisch zusammen, und man erkennt die Ahnungen wieder, die man beim ersten Lesen hatte und doch nicht greifen und einordnen konnte.

Das ist ein unglaublich spannender Jugendthriller, der virulente Jugendthemen aufgreift und in eine packende Geschichte kleidet.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Spannung
  • Atmosphäre
  • Erzählstil
  • Geschichte
Veröffentlicht am 04.02.2018

Genial humorvoller Cotton

Jerry Cotton 3163 - Krimi-Serie
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Ein ungewöhnlicher Cotton, und -ich stelle es voran- unbedingt lesenswert.

Er behandelt ein schwieriges Thema: Katholische Kirche und ihre (möglichen) Verstrickungen in Mafia-Kontakte, Geldwäsche, die ...

Ein ungewöhnlicher Cotton, und -ich stelle es voran- unbedingt lesenswert.

Er behandelt ein schwieriges Thema: Katholische Kirche und ihre (möglichen) Verstrickungen in Mafia-Kontakte, Geldwäsche, die Verleugnung der Sexualität mit Problemen wie (uneheliche) Priesterkinder, Homosexualität, dann politische Intrigen und Netzwerke, bis hin zum Mord...

Aber das ist es nicht, was diesen Cotton ausmacht: Nein.

Er sprüht von Humor!

Angefangen beim ersten Satz: "Pater Steven Shipman sah überrascht von seinem Ikonen-Bildband auf." über eine Charakterisierung: "Mit ihrem Blick hätte sie ein Einhorn in Flammen aufgehen lassen können." und kleine versteckte Anspielungen (Deckname eines Italieners: Commissario Brunetti) bis zum letzten Satz "Vielleicht ist Gott doch Teetrinker, Partner." habe ich mich immer wieder gekugelt vor Lachen.

Sehr lesenswert! Bitte mehr davon!

Veröffentlicht am 31.01.2018

Eine seltene Kostbarkeit: Ein Buch wie ein großer Atemzug

Herr Origami
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Dieses Buch ist eine seltene Kostbarkeit. Jedoch muss man sich auf seine Besonderheiten einlassen können. Die Geschichte ist durchaus in kurzer Zeit zu bewältigen, man kann sich aber auch länger von einzelnen ...

Dieses Buch ist eine seltene Kostbarkeit. Jedoch muss man sich auf seine Besonderheiten einlassen können. Die Geschichte ist durchaus in kurzer Zeit zu bewältigen, man kann sich aber auch länger von einzelnen Sätzen oder Abschnitten gefangen nehmen lassen.

Das Buch handelt von Begegnungen, die das Leben grundlegend verändern. Ein japanischer junger Mann begegnet einer italienischen Frau und folgt ihr in ihr Heimatland um sie erneut zu treffen, vergeblich. Doch bleibt er in dem Land seiner unerfüllten Liebe, kehrt nur zur Beerdigung seines Vaters nochmals in sein Heimatland zurück.
Vierzig Jahre später begegnet dem nun gereiften Meister der Papierkunst ein junger wandernder Uhrmacher mit ehrgeizigen Plänen für eine hochkomplizierte Uhr. Der alte Meister und der junge Mann treten in einen Austausch miteinander, katalysiert von einer älteren Frau, die dem Meister zur Hand geht, sowie der Katze mit dem bezeichnenden Namen „Ima“, was „Jetzt“ bedeutet, der beide grundlegend verändert und in ihrer Lebenseinstellung voranbringt. Der alte Mann erwacht zu neuer Lebendigkeit und der junge Mann wird ein wenig heruntergebremst, und für beide ist das gut.

Die vier Kapitel des Buches und die einzelnen Abschnitte beginnen mit schönen japanischen Schriftzeichen und ihrer Umsetzung in lateinische Buchstaben.

Verschwenderisch wird mit dem Raum für den Text umgegangen, oft stehen nur wenig Sätze oder einzelne Abschnitte auf einer Seite, die erst in der Mitte beginnt. Hier spiegelt sich das meditative Element des japanischen Meisters und sein Bemühen um innere Ruhe wieder, in die man beim Lesen eintauchen kann. Es lohnt sich langsam zu lesen und einzelne Teile zu wiederholen, um die Schönheit und Schlichtheit der Darstellung zu erfassen. Wie nebenbei erfährt man noch Details über die Herstellung von handgeschöpftem Japanpapier und über das Origami, die Kunst des Papierfaltens.

Ein Buch wie ein tiefer Atemzug, das man öfter in die Hand nehmen kann.

Veröffentlicht am 26.01.2018

Ein Augenblick der die Welt verändert

Sternstunden der Menschheit
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Schon der Anblick des Buches versprich ein außerordentliches Lesevergnügen der beinahe schon historisch anmutenden Texte. Schlägt man den mit einem graphisch wunderschön gestalteten Schutzumschlag umgebenen ...

Schon der Anblick des Buches versprich ein außerordentliches Lesevergnügen der beinahe schon historisch anmutenden Texte. Schlägt man den mit einem graphisch wunderschön gestalteten Schutzumschlag umgebenen Leinendeckel auf, so empfängt einen auf dem Vorsatz ein fantastischer Sternenhimmel in warmen Gelb- und Blautönen. Ein goldenes Lesebändchen rundet den ersten Eindruck ab. Die Texte werden von kleinen Vignetten, kleinen runden Bildchen mit Bezug zum Kapitel, eröffnet, und im ganzen Buch verstreut finden sich ganzseitige in blau und goldgelb gehaltene Illustrationen von Jakob Hülsmann. Ein wahrer Augenschmaus!

Stefan Zweig kristallisiert geschichtliche Ereignisse, die die Welt veränderten, in einen einzigen schicksalsträchtigen Augenblick. In vierzehn Darstellungen erzählt er von solchen Momenten, die den Lauf der Geschichte nachhaltig beeinflussten und bis heute nachwirken. Oftmals ist es das grandiose Versagen eines Einzelnen, das Scheitern eines Plans, welches den Nährboden schafft für die Geschehnisse der heutigen Zeit. Dies hat Stefan Zweig meisterhaft dargestellt, Geschichte zum Mitfiebern und Verfluchen der Kurzsichtigkeit eines Einzelnen oder einer kleinen Gruppe, die ins Verderben führt. Bei Napoleons Niederlage von Waterloo ist es ein überforderter General, bei der Eroberung von Byzanz die Ignoranz der Herrschenden in Europa. Ambivalent aber grandios gezeichnet ist die Darstellung des Augenblicks, als der erste westliche Mensch in Mittelamerika auf einem Berg steht und den Pazifik erblickt. Die Entstehung und Wirkgeschichte der französischen Nationalhymne, der Marseillaise, mit ihrer hypnotischen Kraft eines Schlachtgesangs ist weitgehend unbekannt, ebenso dass Georg Friedrich Händel quasi dem Tod von der Schippe sprang und erst danach zu den höchsten Höhen seiner Schaffenskraft aufstieg.

Ein Buch das man unbedingt gelesen haben muss und nicht wieder vergisst!